E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Kopeinig Franz Vranitzky
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7076-0747-5
Verlag: Czernin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Politik mit Haltung
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-7076-0747-5
Verlag: Czernin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
nnen- und außenpolitische Spannungen begleiten Franz Vranitzkys politische Karriere. Als Bundeskanzler der Republik Österreich (1986-1997) kämpft er mit viel Diplomatie, inhaltlicher Kompetenz und persönlichem Engagement fu?r ein angesehenes Österreich.
Vranitzkys Kanzlerjahre beginnen turbulent: die Übernahme der FPÖ durch Jörg Haider, die noch 1986 zu Neuwahlen fu?hrt, die Waldheim-Affäre mit internationalen Auswirkungen und die EU-Beitrittsverhandlungen. Durch das Eingestehen der österreichischen Mitschuld an den Nazi-Verbrechen trägt Vranitzky zu einem neuen Geschichtsbewusstsein bei. Als u?berzeugter Antifaschist tritt er noch heute gegen Antisemitismus und Rassismus auf und mahnt vor autoritären Systemen sowie dem Abbau des Rechtsstaates und der Demokratie in Europa.
Margaretha Kopeinig spricht mit dem Sozialdemokraten u?ber die großen Grundsatzfragen seines Lebens und seiner politischen Laufbahn: die Abkehr vom Opfer-Mythos, der Weg in die EU und soziale Gerechtigkeit. Franz Vranitzky ist u?berzeugt davon, dass Politik selbst in Krisensituationen Haltung bewahren muss - heute immer noch hochaktuell.
Mag., Dr., MA, Studium der Soziologie, Politikwissenschaft, Geschichte in Wien und Bogotá. Von 1992 bis Februar 2019 Kurier-Redakteurin und Korrespondentin in Bru?ssel. Ab März 2019 EU-Koordination und internationale Kontakte fu?r die Burgenländische Landesregierung; Chefredakteurin des Magazins 'Burgenland kompakt'. Zahlreiche Veröffentlichungen und Preise.
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1. FRÜHE PRÄGUNGEN
»Ich habe die Sozialdemokratie immer als ein Bollwerk gegen den Nationalsozialismus empfunden, und ich habe für mich die Sozialdemokratie als Antithese zum Nationalsozialismus aufgebaut.« FRANZ VRANITZKY »Diese Prägung in der Familie hat in der ersten Stufe dazu geführt, dass ich schon als ganz junger Mensch emotional gegen den Nationalsozialismus eingestellt war. Das waren einschneidende Erlebnisse, die ich bis heute mitgenommen habe. Diese Prägung kann und will ich nicht leugnen«, erzählt Franz Vranitzky bei einem unserer Gespräche über seine Herkunft und die Werte, die ihm zu Hause vermittelt wurden. Es war vor allem die Mutter, die dazu beitrug, dass aus ihrem Sohn ein überzeugter Antifaschist und später Sozialdemokrat wurde. Wenige Monate vor dem sogenannten Anschluss Österreichs an Nazideutschland kommt Franz Vranitzky am 4. Oktober 1937 als Kind einer Arbeiterfamilie in Wien auf die Welt. Seine Eltern ermöglichen ihm den Besuch des Gymnasiums, damals absolut keine Selbstverständlichkeit. Er studiert Welthandel und startet nach dem Diplom und dem Doktorat eine erfolgreiche Manager-Karriere in Großbanken. 1981 wird er Generaldirektor der Österreichischen Länderbank, 1984 Finanzminister und – Höhepunkt seiner beruflichen und politischen Laufbahn – Mitte des Jahres 1986 Bundeskanzler der Republik Österreich. Er regiert das Land bis Anfang 1997, nahezu elf Jahre lang. Heute ist der Elder Statesman gefragter Interviewpartner, Mahner in Sachen Demokratie und Toleranz sowie scharfer Kritiker eines geschichtsvergessenen Opportunismus. Franz Vranitzkys Vater wurde 1907 in der K.-u.-k.-Hauptstadt Wien geboren, hatte tschechische Wurzeln und war von Beruf Eisengießer. Die Mutter, Jahrgang 1910, entstammte einer ärmlichen Familie aus dem damaligen deutsch-ungarischen Grenzgebiet, das 1921 zum Burgenland wurde und als neuntes und damit jüngstes Bundesland zu Österreich kam. Nach kurzer Schulzeit verließ sie ihr Dorf und wanderte nach Wien aus, um in der wirtschaftlich aufstrebenden Metropole als Haushaltshilfe zu arbeiten. Die beiden fanden in den 1930er-Jahren, mitten in der Zeit der Wirtschaftskrise, in großer Not und im darauf folgenden Austrofaschismus zueinander. Ihr Lebensziel war es, einen Haushalt und eine Familie zu gründen. Franz Vranitzky und seine um drei Jahre jüngere Schwester Inge wuchsen äußerst bescheiden in einer Zwei-Zimmer-Souter-rain-Wohnung in Dornbach, dem 17. Wiener Gemeindebezirk, auf. Der Wasseranschluss und die Toilette befanden sich außerhalb der Wohnung auf dem Gang. »Das war klassisch armselig«, beschreibt Franz Vranitzky in drastischen Worten seine Herkunft. Er verwendet in diesem Zusammenhang auch immer wieder den Begriff »soziale Unterprivilegiertheit«. Der Vater entstammte einer selbstbewussten, kämpferischen Arbeiterfamilie und definierte sich selbst als »Linker« und als »ein sehr politischer Mensch«, erzählt Franz Vranitzky. Gegen großen inneren Widerstand musste er 1939 in die deutsche Wehrmacht einrücken. Die Mutter musste die Kinder während der Kriegsjahre alleine durchbringen. Über die gesamte Bandbreite des politischen Geschehens, tagesaktuelle Ereignisse, Kampfhandlungen, Zerstörung, Tod, Elend und Leid, ausgelöst durch das unmenschliche Agieren des faschistischen Regimes, wurde in der Familie Vranitzky stets offen gesprochen. In Abwesenheit des Vaters, der ja in der Hitler-Armee dienen musste, wiederholte die Mutter in ihrer intuitiven Art zu formulieren immer wieder einen Satz, der dem Sohn bis heute im Gedächtnis geblieben ist: »Die Nazis sind ein G’sindel.« Vielleicht hatte sie das Gefühl, sich mit diesen emotionalen Worten vor dem Krieg, vor dem Bösen schützen zu können. Sie musste stark sein, um mit ihren kleinen Kindern zu überleben. Bei allem, was sie sagte, musste sie aber äußerst vorsichtig sein, denn im Haus wohnten auch NSDAP-Mitglieder, die in Spitzelmanier alles beobachteten und kontrollierten. An der Ablehnung und dem inneren Widerstand der Mutter gegenüber den Nazis hatte auch ihr Mann einen nicht unwesentlichen Anteil. »Er hat ihr das eindringlich mitgeteilt und sie um die Weitergabe der Worte und Gedanken an den Sohn und die Tochter ersucht. Das war eine Transformation«, meint Franz Vranitzky heute.3 In diesem familiären Umfeld und einer Atmosphäre von Misstrauen, Abscheu und Widerstand gegenüber den Nazis und ihrer Ideologie wuchs Franz Vranitzky auf. Bei ihm zu Hause hing kein Hitler-Bild über dem Esstisch, die Mutter weigerte sich, nationalsozialistische Symbole anzunehmen oder Kleidungsstücke mit solchen Symbolen zu tragen. In der ersten Klasse Volksschule bekamen Franz Vranitzky und seine Mitschüler eines Tages vom Lehrer eine dunkelblaue Kappe mit Hakenkreuz geschenkt, eine Werbe-Aktion der Nazis. Die Mutter sah darin eine nützliche Kopfbedeckung – aber ohne Nazisymbol. Sie zögerte nicht lange, griff zur Schere und schnitt das Hakenkreuz heraus. Als Franz Vranitzky am nächsten Tag ohne Hakenkreuz auf der Kappe in der Schule erschien, war die Hölle los. Die Mutter wurde zum Direktor zitiert und fürchterlich angebrüllt. Sie gab jedoch nicht nach und argumentierte, dass kein Hakenkreuz auf so eine schöne Kappe passe, erinnert sich Franz Vranitzky an den hartnäckigen Widerstand seiner Mutter. Für sie war es schlicht undenkbar, in die Nazi-Welt mit all ihren Symbolen und Geschichten einzutauchen. Sie wollte nicht dazugehören, auch wenn der Vater zur Wehrmacht eingerückt war. Dass er als Kind der Generation derer, die damals Verantwortung trugen, sehr nahe war, hat bei ihm später, in seiner Zeit als Jugendlicher und Erwachsener, große Neugierde und Interesse an der Zeit des Zweiten Weltkrieges ausgelöst. Als er Zusammenhänge besser verstehen und klar einordnen konnte, stellte er die richtigen weiterführenden Fragen: Wie war es möglich, dass in einem kultivierten Land Europas plötzlich Massenvernichtungen und systematische Morde organisiert werden konnten und all das verloren ging, woran viele Generationen gearbeitet hatten? Wie konnte es so weit kommen, dass all das verschwand, was Kultur und Humanismus, was europäische Werte gebildet und ausgemacht hatte? Mit welcher verbrecherischen, menschenverachtenden und -vernichtenden Dynamik konnte so großes Unrecht über ein Land kommen? – Diese Fragen beschäftigen Franz Vranitzky bis heute. Als der Vater nach dem Krieg und nach russischer Gefangenschaft wieder nach Wien zurückkehrte, war sein Sohn schon acht Jahre alt und besuchte die Volksschule. Durch die Anwesenheit des Vaters intensivierten sich die politischen Diskussionen in der Familie, weil dieser mit seiner Meinung auch nie hinter dem Berg hielt. Das war auch im Krieg schon so gewesen. Als einfacher Soldat hatte er ausgesprochen, was er sich gedacht hatte. Selbst in gefährlichen Situationen war er nicht stumm geblieben. Ein Risiko. »Deswegen ist er auch nie befördert worden«, bemerkt Franz Vranitzky. »Der Vater hat es im Krieg nicht leicht gehabt, aber er hat es sich auch nicht leicht gemacht.« Mit dem Vater kamen auch wieder politische Bücher und Zeitungen ins Haus. Darunter fanden sich Neues Österreich, die Arbeiter-Zeitung, Das Kleine Blatt, die Weltpresse und die Volksstimme. Titel, die es heute gar nicht mehr gibt. Auch viele Bücher über Widerstandskämpfer gegen das Hitler-Regime und Berichte von Kämpfern im Spanischen Bürgerkrieg fanden sich im Haushalt der Familie Vranitzky. Kommunistisches Informationsmaterial und Broschüren waren ebenfalls darunter. Der Vater war ursprünglich Sozialdemokrat, sympathisierte in den wirtschaftlich und politisch katastrophalen Dreißigerjahren und nach dem Verlust aller Ersparnisse aber mit den Kommunisten. Seinem Empfinden nach waren die Roten nach dem verlorenen Bürgerkrieg gegen den austrofaschistischen Ständestaat im Februar 1934 zu wenig links gewesen. Vranitzkys Vater hatte zwar nicht aktiv aufseiten des Republikanischen Schutzbundes mitgekämpft, er hatte aber ein traumatisches Erlebnis gehabt: Ein Freund, mit dem er auf der Straße unterwegs gewesen war, war neben ihm erschossen worden. Nach dem Schock der Niederlage der Roten und des aufkommenden autoritären Systems wandten sich viele Arbeiter von der zerschlagenen und im Ständestaat verbotenen Sozialistischen Arbeiterpartei ab. Manche wandten sich den Kommunisten zu, andere – und nicht wenige – begannen mit den Nationalsozialisten zu kooperieren und wurden schnell NSDAP-Mitglieder. »Irgendwann«, erzählt Franz Vranitzky, fand sein Vater »wieder zur Sozialdemokratie zurück«. Seinen Beruf als Eisengießer musste er wegen eines Arbeitsunfalles bald nach dem Krieg aufgeben. Flüssiges Eisen war ihm in die Augen gespritzt. Beim Wasserwerk der Gemeinde Wien fand er eine neue Anstellung. Antifaschismus und Humanität
Die Gedankenwelt des Vaters faszinierte Franz Vranitzky sehr, und er macht kein Hehl daraus, dass die antifaschistische Haltung und Humanität des Vaters deutliche...