E-Book, Deutsch, 246 Seiten
Kothgassner / Felnhofer Klinische Cyberpsychologie und Cybertherapie
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8463-4894-9
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 246 Seiten
ISBN: 978-3-8463-4894-9
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses Werk vermittelt den aktuellen Stand des Wissens zum Einsatz neuer Medien in der Klinischen Psychologie und Psychotherapie.
Die AutorInnen beleuchten den Wandel im psychologischen und psychotherapeutischen Denken und Handeln und die damit verbundenen Rahmenbedingungen. Veränderungen, die durch Digitalisierung im Behandlungsalltag entstanden sind, werden aufgezeigt.
Zahlreiche Fallbeispiele veranschaulichen Chancen und Herausforderungen, Problemfelder wie problematische Internetnutzung, Cybermobbing und Extremismus im Internet werden umfassend dargestellt und diskutiert.
Das Buch vereint somit alle aktuellen Erkenntnisse zum Thema Cyberpsychologie sowie Cybertherapie und bietet einen umfassenden Überblick auf dem neuesten Stand der Forschung. Es richtet sich sowohl an Studierende und Lehrende als auch an TherapeutInnen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort 7
I. Alte Ziele, neue Wege
1. Gesundheit und Krankheit im Kontext neuer Medien
Anna Felnhofer & Claudia Klier 11
2. Mechanisierung psychologischer Behandlung: Wo bleibt der Mensch?
Ilse Kryspin-Exner 19
3. Ethik und Qualitätssicherung in der klinisch-psychologischen Beratung mittels neuer Medien
Gabriele Jansky-Denk 29
4. Rechtliche Aspekte der Nutzung neuer Medien in der klinischpsychologischen und psychotherapeutischen Beratung: Österreich
Barbara Lunzer 38
5. Rechtliche Aspekte der Nutzung neuer Medien in der psychologischen Behandlung: Deutschland
Johann Rautschka-Rücker 46
II. Veränderungen im Behandlungsalltag
6. Internetbasierte Therapie am Beispiel sozialer Ängste
Johanna Boettcher & Thomas Berger 57
7. Virtual Reality Therapy und Serious Games
Javier Fernández-Álvarez, Desirée Colombo, Giuseppe Riva, Rosa Baños & Cristina Botella 65
8. Roboter und Agenten in der psychologischen Intervention
Tania R. Nuñez & Astrid M. Rosenthal-von der Pütten 78
9. Neue Medien in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen
Sophie-Antonia Utermöhlen, Anna Felnhofer, Andreas Goreis, Luise Poustka & Oswald D. 86
10. Neue Medien in der geriatrischen Versorgung
Claudia Oppenauer-Meerskraut, Erika Mosor, Valentin Ritschl & Tanja Stamm 100
11. Mediennutzung im stationären und teilstationären Setting
Oswald D. Kothgassner, Clarissa Laczkovics, Sophie-Antonia Utermöhlen & Anna Felnhofer 111
12. Grenzüberschreitungen in der therapeutischen Beziehung durch neue Medien
Anna Felnhofer & Caroline Culen 121
III. Problemfelder im digitalen Zeitalter
13. Homo Digitalis: Was ist aktuell über den Einfluss digitaler Medien auf neuronale Prozesse bekannt?
Christian Montag 133
14. Verbreitung von Psychopathologien durch neue Medien am Beispiel von Pro-Ana und Pro-Mia
Julia Philipp, Gudrun Wagner & Andreas Karwautz 141
15. Cybermobbing und Cyberstalking
Oswald D. Kothgassner & Johanna Xenia Kafka 154
16. Dysfunktionaler und suchtartiger Internetgebrauch
Martin Fuchs & David Riedl 165
17. Ist Medienkompetenz ein protektiver Faktor gegen problematische Mediennutzung?
Stephanie Pieschl 180
18. Muster dysfunktionaler Internetnutzung: Cyberchondrie und Selbstmedikation
Christiane Eichenberg 189
19. Der digitale Werther-Effekt: die Auswirkungen des Internets bei Suizidalität und selbstverletzendem Verhalten
Johanna Xenia Kafka & Oswald D. Kothgassner 199
20. Cyberkriminalität
Astrid Grundner & Diana Klinger 207
21. Online-Sexualität, Sexting, Pornografie und sexuelle Übergriffe im Internet
Diana Klinger & Sabine Völkl-Kernstock 215
22. Extremismus: Einflussnahme und Meinungsbildung durch neue Medien
Thomas Hetterle 225
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 235
Stichwortverzeichnis 243
2. Mechanisierung psychologischer Behandlung: Wo bleibt der Mensch?
Ilse Kryspin-Exner
2.1 Einleitung
Psychologische Behandlung/Psychotherapie ist vordergründig als Beziehung zwischen Personen verankert: einerseits zwischen einem oder mehreren Individuen, die Hilfe dabei benötigen, ihr Funktionieren als Person zu verbessern, und andererseits zwischen einem oder mehreren Individuen, die diese spezielle Hilfe zur Verfügung stellen (Orlinsky & Howart, 1978). In den verschiedenen Therapieformen und -richtungen (in Österreich sind derzeit 23 psychotherapeutische Methoden gesetzlich anerkannt, die psychologische Behandlung nicht hinzugezählt) hat diese Begegnung zwischen den KlientInnen/PatientInnen und TherapeutInnen unterschiedliche Bedeutung. Noch vielfältiger sind die Menschen, die diese Therapieformen in Anspruch nehmen.
Mit differenzieller Therapieindikation wird der adäquate Einsatz dieser Methoden beschrieben: Welche therapeutische Technik bewirkt welche Effekte, bei wem bzw. welcher Störungsform? Es geht also um die Frage, welche Therapie anhand der diagnostischen Daten und des empirisch begründeten Wissens über die Wirksamkeit einzelner Therapieformen, unter Berücksichtigung der Fähigkeiten der Therapeutin/des Therapeuten, bei einer/einem bestimmten Patientin/Patienten am erfolgversprechendsten ist oder auch darum, welche/r PatientIn welche Behandlung benötigt und welche ihr/ihm zugänglich ist, um eine maximale Besserung zu erzielen (Grawe 1976, 1992; Haag, 1982). In den folgenden Ausführungen soll die Rolle der technischen Möglichkeiten in diesen Prozessen beleuchtet und bewertet werden.
2.2 „Technik“ in der Psychologie
Die Verbindung zwischen Technik und Psychologie ist älter, als man gemeinhin annimmt. Bereits am Beginn der Psychologie-Geschichte mit Wilhelm Wundt und Emil Kraepelin hatte die apparatgestützte experimentelle Psychologie einen wichtigen Stellenwert (Müller, Fletcher & Steinberg, 2006; Wontorra, 2009). Heute im Zeitalter der Digitalisierung schreitet der Prozess der Technisierung/Digitalisierung rasant und in immensem Umfang voran und verändert alle Bereiche des modernen Lebens und damit auch jene der Psychologie/Psychotherapie. Zukünftig wird alles vernetzt sein (Stichwort: Internet of Things, IoT), Produkte, Prozesse und Systeme werden automatisiert. Je intuitiver diese zu bedienen sind, desto besser.
Unter dem Begriff Ingenieurpsychologie wird ein Teilgebiet der Arbeitspsychologie verstanden, bei dem es darum geht, Wissen über typische menschliche Fähigkeiten und Begrenzungen bezüglich Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung so in den Entwurf technischer Systeme einzubringen, dass ein möglichst effizientes Gesamtsystem Mensch – Maschine entsteht (der Pionier dieser Richtung war Winfried Hacker, 1986; Erstausgabe 1973). Um die komplexen technischen Vorgänge im Zuge dieser raschen Entwicklung (Technik 4.0), die ständig neue Anpassung verlangt, verständlicher zu machen bzw. die Bedienung dieser einfacher und begreiflicher zu gestalten, ist psychologisches Wissen und der Einsatz psychologischer Methoden, kombiniert mit technischem Know-how, für ein positives NutzerInnenerlebnis deshalb unabdingbar; zu dieser Thematik gibt es neuerdings auch eigene Studiengänge.
Mensch-Maschine-Schnittstellen werden im Zusammenhang mit der Alltagstechnik (Flick, 1996), in verschiedenen Technikfeldern (z. B. Fabrik, Verkehr, Büro, Haushalt) und für ausgewählte Personengruppen (z. B. ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen) unter psychologischen Gesichtspunkten diskutiert. So ist es nicht verwunderlich, dass die technischen Möglichkeiten auch in den psychologisch-therapeutischen Prozess Einzug gehalten haben. Etliche dieser Verfahren haben bereits eine längere Tradition, wie beispielsweise das Biofeedback; andere wiederum boomen gerade, wie das Neurofeedback, dem eine Vielfalt von Einsatzmöglichkeiten zugeschrieben wird, wozu vielfach aber empirische Nachweise fehlen (Schabus, 2017; Strehl et al., 2017). Das World Wide Web (WWW) sowie die Kommunikation via Internet haben zudem neue Wege eröffnet.
Mechanisierung bezeichnet die Automatisierung von Arbeitsprozessen. Dies gilt auch für psychologische Behandlungsprozesse und hat gleichermaßen neue Anforderungen für PatientInnen/KlientInnen ebenso wie für TherapeutInnen zur Folge. Zum einen kann dies zur Entlastung führen – beispielsweise Therapien von zu Hause aus am Computer durchzuführen, persönliche Begegnungen mit all ihren Konsequenzen auszuschalten –, zum anderen bringt die Mechanisierung neue Gefährdungen in Mensch-Maschine-Schnittstellen mit sich, etwa kontinuierlich mit der Wartung technischer Geräte beschäftigt zu sein oder sich ihnen ausgeliefert zu fühlen. Auch die Anforderung, sich ständig neu qualifizieren zu müssen, geht damit einher.
Unterschiede ergeben sich auch hinsichtlich psychologischer Tätigkeiten: Während im Bereich der Diagnostik computergesteuerte/-unterstützte Diagnostik seit längerer Zeit angewandt wird und adaptives Testen möglich macht (Kubinger, 2009), wird der Einsatz neuer Technologien im therapeutischen Bereich vergleichsweise skeptischer betrachtet.
2.3 Technische Zugänge bei der psychologischen Behandlung
Wie bereits erwähnt, wurden in der experimentellen Psychologie von Beginn an technische Geräte verwendet. In der psychologischen Behandlung hielten sie erst relativ spät Einzug, wenn es auch hierzu bereits bis in die 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts Hinweise gibt. Erste Berichte über „Automatische Desensibilisierung“ (Lang, Mclamed & Hart, 1975) lösten in der einschlägigen Fachwelt massive Diskussionen aus und verstärkten die damals ohnehin schwelende Kritik an der Verhaltenstherapie, vorrangig wissenschaftlich-pragmatisch orientiert sowie eine kaltherzige, gefühllose Anwendung von Techniken auf Menschen zu sein. Eine automatisierte Desensibilisierungsanlage, in der die Desensibilierungsinstruktionen automatisch vorgegeben werden konnten, erwies sich als ebenso wirksam zur Reduktion phobischen Verhaltens wie die Desensibilisierung durch eine Therapeutin/einen Therapeuten.
Dieses Ergebnis gab Anlass zu Überlegungen, dass die Wirkung der Desensibilisierung nicht von der therapiebegleitenden zwischenmenschlichen Interaktion abhängig ist. Eine psychophysiologische Analyse der Desensibilisierungsprozesse (Herzrate, Hautwiderstand und motorische Reaktionen) – auch hierzu werden entsprechende Geräte benötigt –, zeigte, dass die signalisierten Angstreaktionen der ProbandInnen auch bei apparativ dargebotenen Angst-Items mit einer Steigerung der autonomen Erregung einhergingen und dass es bei wiederholter Darbietung zu einer Reduktion der autonomen Aktivität kam. Bereits bei diesen Untersuchungen wurde explizit darauf hingewiesen, dass es sich um freiwillig teilnehmende Studierende und eine eng umgrenzte phobische Situation (Angst vor Schlangen) handelte – ein Argument, das in der Polemik um die Rolle der Therapeutin/des Therapeuten in der weiteren Diskussion der Ergebnisse meist weggelassen wurde.
Diese Untersuchung noch vor dem „Cyber“-Zeitalter löst heutzutage wahrscheinlich keine besondere Verwunderung mehr aus, und die Zuhilfenahme von technischen Trainingsmaßnahmen gehört beispielsweise in der Neuro- und Rehabilitationspsychologie zum State of the Art. Auch diese Geräte reichen bis zum Beginn des „technologischen Zeitalters“ zurück und wurden parallel zur Technologieentwicklung immer komplexer bis hin zu Human-Computer-Interface-Anordnungen, die Gehirntätigkeit mit Maschinen verbinden, um durch diese Schnittstelle z. B. bei PatientInnen mit Locked-in-Syndrom einen Umweltkontakt zu ermöglichen (Chaudhary, Xia, Silvoni, Cohen & Birbaumer, 2017).
Neben diesen zweifelsohne zukunftsweisenden Ansätzen haben sich andere Zugänge wie der Einsatz von virtueller Realität (VR; Mühlberger & Pauli, 2011) oder therapeutische Spiele bzw. „serious games“ (Eichenberg & Schott, 2017) bereits breiter bewährt. Erwähnt sei auch noch die Bibliotherapie, die ebenfalls durch das WWW eine neue Akzentuierung erhalten hat. Schon immer haben sich Menschen durch Lesen die Kraft der gestalteten Sprache und den Inhalt von Geschichten zunutze gemacht (Heimes, 2017; Zwerenz, 2017) oder sich selbst Freud und Leid „von der Seele“ geschrieben, wozu ebenfalls das Internet neue Möglichkeiten bietet.
2.4 PatientIn/KlientIn – TherapeutIn – Bild in der Öffentlichkeit
„Wo bleibt der Mensch?“ kann demnach im Zuge der Mechanisierung psychologischer Behandlung aus der Perspektive von KlientIn/PatientIn, TherapeutIn sowie auch als Bild in der Öffentlichkeit gesehen werden – und für gelungene Interventionen werden wohl alle drei Bereiche zusammenspielen.
Beim Bild in der Öffentlichkeit beginnend, gibt es derzeit eine große Diskussion um...