Krappweis / Forrest / Heilmann | Wir sind die Bunten. Erlebnisse auf dem Festival-Mediaval | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 344 Seiten

Krappweis / Forrest / Heilmann Wir sind die Bunten. Erlebnisse auf dem Festival-Mediaval

Anthologie
Originalausgabe 2020
ISBN: 978-3-86282-765-7
Verlag: Acabus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Anthologie

E-Book, Deutsch, 344 Seiten

ISBN: 978-3-86282-765-7
Verlag: Acabus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kämpft mit uns gegen die grauen Herren und Aluhutträger! Haltet die Banner hoch für Jubel, Trubel, Heiterkeit!
Auf dass der Goldberg in Selb an jedem zweiten Septemberwochenende erbeben möge!

Dudelsäcke, Trommeln, epische Gesänge und feiner Harfenklang ertönen. Kunterbunt, international und familiär lustwandeln tausende Fans und Mitstreiter auf dem größten europäischen Mittelalterkulturfestival: dem Festival-Mediaval.
Unsere Schriftkundigen trafen Zeitreisende, Räuber, feige Wikinger, Walküren, Drachen und Dämonen. Sie erzählen ihre Geschichten vom Überleben der Phantasie, von der Liebe des Anfangs und des Endes und von allem dazwischen.

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Eine besondere Genehmigung Menschen erinnern sich. Viel besser, als ich es ihnen zugetraut hätte. Fremd ist das alles und vertraut zur gleichen Zeit – wie die Musik aus den riesigen Lautsprechern ihr Echo zwischen den Bäumen schlägt. Dudelsack, Laute und Flöte, von elektrischen Mischpulten zurechtgebogen. Der erste Soundcheck. Anfangs zuckt mein Auge noch, als mich die Klänge überrollen. Was diese Menschen der Musik antun, wirkt falsch. Doch je länger ich sie höre, irgendwie auch vertraut. Das kleine Männlein, das mit mir Schritt zu halten versucht, hat die Arme ineinander verschränkt. Mit der Abenddämmerung schlägt Kälte über dem Goldberg nieder. Die Sommersonne verliert Anfang September hier zunehmend an Kraft. Es duftet nach Herbst und Vergänglichkeit, dem die Menschen mit Räucherwerk und Feuerholz trotzen. Sie halten fest an Zeiten und Epochen, die die meisten anderen Bewohner dieses Landes längst losgelassen haben. Gerade deshalb bin ich so skeptisch. Es ist mein erster Besuch, doch ich weiß genau, worauf ich achten muss. Die Anweisungen waren eindeutig. Wahrscheinlich ist mein Begleiter deshalb so nervös. Er hat vergessen, sich eine Jacke mitzunehmen und schlottert nun in seinem kurzen Festival-T-Shirt. Das Walkie-Talkie das sämtliche der Verantwortlichen hier herumtragen, hat er ausgeschaltet. Besser wäre es für ihn, wenn dieses Prozedere nicht gestört wird. Vom Marktbereich riecht es so verführerisch nach den ersten Leckereien, dass ich mich kurzerhand entscheide, vom langen Weg zur Hauptbühne nach rechts abzubiegen. »Wir fangen hier an!«, verkünde ich meiner Begleitung. Und eigentlich ist klar – wenn es etwas zu finden gibt, dann hier. Die meisten Händler haben ihre Stände bereits aufgebaut. Morgen ist Einlass. Mein Appetit steuert mich zielsicher zum ersten Essensstand. Die ersten Vanillekrapfen werden Probe gebacken. Das Fett zischt und es duftet herrlich. Kein Wunder! Zwischen Efeudekoration und allerlei Laternen erkenne ich eine kleine Matronenstatue, die neben der Kasse drapiert ist, ein altes Götterbild aus moderner Fertigung. Ohne ein Wort mache ich halt, blicke erwartungsvoll zu meinem Begleiter, der zum Glück auf Anhieb versteht. Ich hätte es ihm nicht noch einmal erklärt. Sofort wendet er sich an die Krapfen-Bäckerin: »Wir brauchen hier eine kleine Probeportion!« »Aber gerne doch!«, antwortet die ältere Dame vergnügt und hebt mit einer Schaumkelle das Zuckergebäck in eine kleine Tonschale. Sie trägt bereits ihre Gewandung und hat sich ein paar Wiesenblumen in die Haare gesteckt. »Darf es für die Dame ein wenig Zimt-Zucker sein? Oder lieber eine feine Soße aus heimischen Früchten?« »Mit Soße!«, entscheide ich mich diesmal selbst und nehme kurz darauf das dampfende Gebäck entgegen. Als ich hineinbeiße, vergesse ich fast, meine Begeisterung zurückzuhalten. Mir wurde nicht zu viel versprochen. Das Menschlein neben mir zeigt einen Anflug von Euphorie, bis ich meine Mimik wieder in den Griff bekomme. Eindeutig – ein fast perfektes Gebäck. Der Göttersegen verleiht ihm eine unverkennbare Geschmacksnote. Ich hätte wenig anderes erwartet. Jetzt kommt es drauf an. Nachdem ich mir einen zweiten Krapfen in den Mund geschoben habe, nähere ich mich der Theke, um einen genauen Blick auf die Matronenstatue zu werfen. Drei kleine Frauenfiguren mit antikem Kopfputz wurden aus einem weißlichen Material herausgearbeitet, wahrscheinlich Kunststein. Ich hätte mir etwas Würdevolleres gewünscht. Doch diese Zeit hat nun einmal ihre Eigenarten. »Wo ist das Opfer?«, frage ich die Bäckerin unverblümt und nicke in Richtung der Göttinnenbilder. Ihre Irritation lässt mich beinahe ungehalten werden. »Welches Opfer?«, hakt sie verdutzt nach und ich bemühe mich, ihr ganz langsam zu erklären: »Ihr backt mit dem Segen dieser Göttinnen? Wo ist ihr Dankopfer?« Ein Herzschlag vergeht, dann noch einer. Endlich realisiert die Dame, dass meine Frage eindeutig ernst gemeint ist. Wahrscheinlich ist es die zunehmende Nervosität meines Orga-Männleins, dass sie fast hektisch nun einen Krapfen frittiert, das Fett abtropft, fein mit Zimt-Zucker anrichtet, nur, um ihn der Statue vor die gemeißelten Füßchen zu bröseln. Vor den kaum fünfzehn Zentimeter großen gallo-römischen Göttinnen liegt nun ein unordentlicher Haufen aus Krapfenresten, deren Krümel teilweise über die Thekenkante rollen. Sie scheint selbst von ihrem Ergebnis nicht besonders begeistert und pflückt kurzerhand eine der Blüten aus ihren Haaren, um sie auf dem Gebäckopfer anzurichten. Ich ziehe kritisch eine Augenbraue in die Höhe und schiebe mir noch einen Krapfen in den Mund. Besser als nichts. Ich ignoriere den verständnislosen Blick meines Begleiters, als ich mein Klemmbrett zücke, mir einzelne Notizen mache und letztlich hinter den ersten Punkt einen Haken setze. »Ein Klemmbrett?«, platzt es aus ihm heraus und scheint ihm im nächsten Moment bereits leidzutun. Mein Blick sprüht Gift. »Warum auch nicht?«, zische ich. »Glaubst du, die Zeit ist stehengeblieben, wo ich herkomme?« Ja, das glaubt er wohl. Vermutlich hofft er es sogar. Denn in seinem Blick macht sich ein wenig Enttäuschung breit. Mir wurde angeraten, die Träume dieser Menschen nicht zu sehr zu entzaubern. Ihre Sehnsucht und Vorstellung von all dem, was ich Alltag nenne, sind die besten Gründe, warum sie all das hier noch nicht losgelassen haben. Darum bemühe ich mich um einen versöhnlichen Ton und füge meinen Worten hinzu: »Ein paar kleine Neuerungen wurden irgendwann notwendig. Es sind nicht viele, sorge dich nicht. Sie lassen sich nicht besonders einfach durchsetzen. Ich hätte mir auch nie träumen lassen, einmal für Aufgaben wie diese hier eingesetzt zu werden.« Meine Hand umfasst mit einer Geste das Festivalgelände. Tatsächlich wagt meine Begleitung dadurch einen Anflug von Neugierde: »War es … eine Bestrafung, dass Ihr hier seid, oder …?« »Keinesfalls,« lache ich. »Ich habe darum gebeten! Mal etwas Abwechslung hörte sich gut an. Mit den Jahrhunderten werden die Tage auch in den prunkvollsten Hallen lang.« Ob ihn die Erklärung enttäuscht, weiß ich nicht. Ich belasse es bei einem dankenden Nicken an die Bäckerin, verspeise das letzte Vanillegebäck und hole tief Luft. Dann soll es also beginnen. Bevor ich nach Selb aufgebrochen bin, hat man mir eine sehr lange Liste mit zu prüfenden Details eingetrichtert. Ich habe das im ersten Augenblick für übertrieben gehalten, verstehe beim Anblick dieses Geländes nun aber ihre Notwenigkeit. Ein wenig scheint die Zeit hier stehengeblieben. Zu welcher Epoche genau, darüber ist Einigkeit gar nicht nötig. Stattdessen schwelgt jeder für sich in den Andenken und Erinnerungen an das Zeitalter der Menschheit, das am besten den Klang der eigenen Seele trifft. Nordische Anhänger werden neben arabisch anmutender Gewandung verkauft. Ich sehe Seefahrer im Stil der britischen Rotröcke neben keltischen Damen und hochmittelalterlichen Adeligen stehen. Gemeinsam mit Geschöpfen aus Fantasie und Mythen, die sich als Bild oder Figur im Sortiment vieler Händler finden, verwandelt sich all das in eine fließende Huldigung an die Vergangenheit, die viel näher scheint als die Gegenwart. Wieder fegt ein kurzes Stück Musik wie eine Sturmböe über den Platz. Ich bedauere es fast ein wenig, dass es schnell abgebrochen wird, um die Technik nachzujustieren. Hoffentlich hat der Kerl vom Bühnenteam, den man mir vorgestellt hat, alle meine Anweisungen auch wirklich verstanden. Ich werde mir das zum Schluss ansehen. Ein bisschen komme ich nun selbst in Fahrt, freue mich über die Harfe, die hinten hinter den Bäumen angespielt wird. Vielleicht lasse ich mich etwas zu sehr von der guten Laune beflügeln. Den armen Verkäufer am nordischen Schmuckstand hätte ich auch nach der dritten Nachfrage in Ruhe lassen können. Stoisch wie ein Schüler bei der Klassenarbeit erklärt er mir Anhänger für Anhänger die mythische Bedeutung der Symbole. »… das ist ein mögliches Abbild Odins, die sogenannte Aarhus Moesgaard Maske … eine Walkürendarstellung aus Schweden … dieser Anhänger ist dem Muster der Mammenaxt aus der Zeit um 950 n.Chr. nachempfunden …« Ich habe nichts zu beanstanden, auch er bekommt eine Notiz mit einem Haken. Der junge Mann aus der Orga beginnt sich neben mir allmählich zu entspannen. Fast scheint es ihm peinlich, als ich einen der Fotografen, der erste Impressionen vom bunten Treiben einfängt, sehr ausführlich zu seiner Kamera befrage und mir das Gerät vorführen lasse. Zu meiner Erleichterung liegen die Menschen damit richtig, dass der Vorgang des Fotografierens für die Seelen der Abgelichteten keinerlei Gefahr darstellt. Ich kann beim besten Willen keinen gebundenen Geist in oder um das Gerät herumschwirren sehen. Als der Fotograf mir zum Schluss versichert, es sei auch kein Kobold in der Kamera gefangen, lachen wir beide. Als ob er so ein launisches Biest eine halbe Woche lang in einem kleinen Kasten einsperren könnte! Erstaunlicherweise macht sogar die Wahrsagerin ihre Sache nicht schlecht. Ich habe mich für Handlesen statt Kartenlegen entschieden, und sie grübelt eine ganze Weile über die feinen Linien in meiner Haut. Immer wieder fängt sie dabei meinen Blick, sieht hinunter zur Hand, als könne sie in meinen Augen mehr lesen als am eigentlichen Ort der Vorhersehung. »Ihr habt mehr als ein Leben gelebt, werte Dame …«, beginnt sie zögerlich und scheint ihren eigenen Worten nicht recht trauen zu wollen. »Hier ist … eine Entscheidung … eine Auswahl. Ihr seid von einer mächtigen Person erwählt worden, euer...


Die Berlinerin Amandara Schulzke ist ein Urgestein des Festival-Mediaval. Obwohl sie nach einer Lehre als Verkäuferin Journalistik, speziell Wissenschaftsjournalistik, studierte, baute sie sich einen Stand für Ökomärkte auf.
Mit Mittelalter-Zeugs landete sie 1995 zur Walpurgisnacht auf dem Brocken. Zwischendurch war sie Chefredakteurin der Zeitschrift "Karfunkel", gründete als Chefredakteurin "Pax et gaudium" mit und organisierte große Feste im Schwarzwald. Heute ist ihr Ziel, phantastische Literatur salonfähig zu machen. In Berlin füllt sie die Kulturbremse mit Lesungen und kleinen Konzerten. Mit der Organisation des Literaturzeltes kann sie ihre großen Lieben - Musik, Literatur und Mittelalter - unter einem Dach ausleben.



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