E-Book, Deutsch, 132 Seiten
Krauskopf / Hildebrandt / Pergande Kinderrechte in Krippen sichern
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7799-8470-2
Verlag: Julius Beltz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 132 Seiten
ISBN: 978-3-7799-8470-2
Verlag: Julius Beltz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Frauke Hildebrandt ist seit 2016 Professorin für Forschung und Praxisentwicklung in der Pädagogik der Kindheit und vorrangig im kooperativen M. A.-Studiengang 'Frühkindliche Bildungsforschung' von FH Potsdam und Universität Potsdam tätig, den sie federführend aufgebaut hat. Zuvor war sie seit 2013 Professorin im Studiengang 'Bildung und Erziehung in der Kindheit' am FB Sozial- und Bildungswissenschaften der FH Potsdam. Sie ist u.a. pädagogische Leiterin des Brandenburger Modellprojektes 'Forscherwelt Blossin', das innovative Methoden der Elementar- und Primarpädagogik erprobt und forscht zu kognitiv anregender Interaktion und Partizipation in Kindertagesstätten.
Autoren/Hrsg.
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Kinderrechte in der Krippe: Herausforderungen, Perspektiven und Wege zur kindgerechten Gestaltung des Alltags – Zur Einleitung in den Herausgeber:innenband
Karsten Krauskopf, Frauke Hildebrandt, Bianka Pergande
In den letzten Jahren hat sich die frühkindliche Betreuung in Deutschland stark verändert: Immer mehr junge Kinder verbringen zunehmend Zeit in Krippen und bei Kindertagespflegepersonen. Der Anteil der Zweijährigen, die betreut werden, hat sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt, der Anteil der Einjährigen sogar verdreifacht. Diese Entwicklung stellt das System der Kindertagesbetreuung vor neue Herausforderungen, die weit über rein organisatorische Fragen hinausgehen. Denn in der frühen Kindheit werden wesentliche Grundsteine für die spätere Entwicklung gelegt. Kinderrechte – darunter das Recht auf Förderung, Beteiligung und Schutz – müssen unabhängig von den individuellen sprachlichen, kognitiven oder anderen Entwicklungsvoraussetzungen des Kindes gewahrt werden. Dies bedeutet, dass das pädagogische Handeln in Krippen nicht nur an Bildungszielen, sondern auch an Kinderrechten und an den Bedürfnissen der Kinder ausgerichtet sein muss.
Doch wie sieht ein Alltag in der Krippe, der an Rechten und Bedürfnissen der Kinder orientiert ist, konkret aus? Was sind die zentralen Anforderungen an die Gestaltung von Alltagssituationen, und wie können pädagogische Fachkräfte diesen Ansprüchen gerecht werden? Die bisherigen empirischen Erkenntnisse zur Gestaltung des Krippenalltags und zu dessen Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung sind lückenhaft. Besonders im Hinblick auf die Beziehungsgestaltung und das Bindungsverhalten der Kinder fehlen belastbare Daten. Dennoch deuten erste Forschungsergebnisse darauf hin, dass bei der Qualität der Fachkraft-Kind-Interaktionen im Alltag deutliches Potenzial für die Stärkung professioneller Standards vorhanden ist, obwohl diese Interaktionen – ebenso wie die Gestaltung von Routinen und Übergangssituationen – entscheidend sind, um das Wohlbefinden der Kinder zu sichern. Hier zeigt sich die große Verantwortung der pädagogischen Fachkräfte: Wie gelingt es ihnen, die Balance zwischen Förderung und Schutz zu wahren? Welche Rolle spielen Bindung und Beziehung in alltäglichen Situationen, und inwiefern beeinflussen sie das Erleben und Verhalten der Kinder?
Dieser Tagungsband versucht, einen ersten Überblick über den Stand aktueller Forschung in der Frühen Bildung zu geben und zentrale Fragen aufzuwerfen, die aus einer Kinderrechtsperspektive betrachtet werden müssen: Was macht eine kinderrechtsbasierte und an den Bedürfnissen von Kindern orientierte Gestaltung des Alltags aus? Welche spezifischen Risiken gibt es, die das Wohlbefinden und die Entwicklung der Kinder beeinträchtigen können? Und vor allem: Wie kann die Praxis gestärkt werden, um Risiken zu minimieren, welche diese Kinderrechte beeinträchtigen? Die Beiträge dieses Bandes versammeln empirische Befunde, analysieren konkrete Alltagssituationen in Krippen und laden zur Diskussion über pädagogische Handlungsmöglichkeiten ein. Die Zielsetzung ist dabei, einen Anstoß zur Reflexion und eine Einladung zur weiteren Forschung zu formulieren, um letztlich das Wohlbefinden der jüngsten Mitglieder unserer Gesellschaft zu sichern und zu fördern.
Zu Beginn zeigt Pergande auf, dass die UN-Kinderrechtskonvention in Krippen oft unzureichend umgesetzt wird, insbesondere bei Schutz, Förderung und Beteiligung sowie den Bedürfnissen nach Bindung und Anerkennung. Sie hebt hervor, wie ungünstige Interaktionen und die Missachtung von Partizipationsrechten die kindliche Entwicklung beeinträchtigen. Es wird diskutiert, wie fundiertes Wissen über kindliche Bedürfnisse und reflektierte Interaktionen verletzendes Verhalten reduzieren und eine kinderrechtsbasierte, respektvolle Praxis fördern könnten. Weltzien bezieht sich ebenfalls auf die UN-Kinderrechtskonvention und deren noch unzureichende Umsetzung im Krippenalltag, vor allem in Bezug auf die Anerkennung bindungsspezifischer Bedürfnisse und der Vielfalt der Kinder. Eine reflektierte Gestaltung von Interaktionen, die sich an Kinderrechten und Entwicklungsbedürfnissen orientiert, kann dazu beitragen, grenzverletzendes Verhalten zu reduzieren und die pädagogische Praxis zu verbessern. Der Beitrag von Walter-Laager und Kolleginnen fasst zentrale empirische Befunde der BiKA-Studie zusammen, die Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern unter drei Jahren in 89 deutschen Kitas auf der Basis von Befragungs- und Beobachtungsdaten analysiert hat. Diese verdeutlichen, in welchem Ausmaß Fachkräfte die Signale der Kinder erkennen und deren Bedürfnisse in Schlüsselsituationen partizipativ berücksichtigen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Kompetenz der Fachkräfte, auf die Signale der Kinder feinfühlig zu reagieren, entscheidend für die Sicherstellung von Partizipation und kindgerechter Begleitung im Alltag ist. Jedoch fehlt es daran immer wieder, in einem besorgniserregenden Ausmaß.
Vor dem Hintergrund dieser ersten drei Beiträge folgen theoretische und empirische Studien, die einzelne Aspekte der Alltagsgestaltung in der Frühen Bildung genauer betrachten. Gutknecht thematisiert die Bedeutung einer achtsamen und responsiven Begleitung in Alltags- und Pflegesituationen wie Essen, Schlafen und Ausscheiden. Diese bieten sowohl Gelegenheiten zur Förderung von Selbstpflegekompetenzen als auch Risiken für grenzüberschreitendes Fachkraftverhalten. Es wird analysiert, wie mangelnde Responsivität und „empathischer Stress“ das Risiko von Übergriffen erhöhen, während zugleich Strategien zur Stressreduktion und zur Wahrung der kindlichen Autonomie durch professionelle Responsivität und strukturelle Verankerung der Kinderrechte aufgezeigt werden. Die Studie von Kuge, Schönfeld und Hildebrandt betrachtet Essenssituationen genauer unter der Fragestellung, wie die Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zur Partizipation und ihr sprachliches Verhalten in Essenssituationen die Häufigkeit unangemessener Assistenzhandlungen beeinflussen. Es zeigt sich, dass negative Einstellungen gegenüber Partizipation sowie weniger partizipationsorientiertes Sprachverhalten mit vermehrten unangemessenen Handlungen verbunden sind, was auf einen Bedarf an Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung in Krippen hinweist. Boll und Remsberger-Kehm fokussieren in ihrer Studie, wie Kinder auf verletzendes Verhalten von Fachkräften in Kitas reagieren und welche Signale sie bereits im Vorfeld zeigen. Diese kindlichen Reaktionen und Vorzeichen bieten wichtige Hinweise auf zugespitzte Interaktionen und sollen als Grundlage für weiterführende Diskussionen und präventive Maßnahmen dienen. Becker-Stolls Studie fokussiert komplementär dazu die Perspektive der Fachkräfte und untersucht, wie individuelle Unterschiede in Bindungs- und Mentalisierungfähigkeit pädagogischer Fachkräfte die Interaktionen in Kitas beeinflussen. Die Ergebnisse zeigen, dass Fachkräfte mit unsicheren Bindungsrepräsentationen und geringerer Mentalisierungsfähigkeit in Stresssituationen häufiger Schwierigkeiten haben, feinfühlig auf Kinder einzugehen, was zu grenzverletzendem Verhalten führen kann.
Inspiriert durch eine Podiumsdiskussion zwischen den Referent:innen und weiteren Expert:innen bei einer Tagung, die am 19. Oktober 2023 an der Fachhochschule Potsdam unter dem Arbeitsthema „Kinderrechte in Krippen gewährleisten“ stattfand, belegt das letzte Kapitel, dass die Forschung zum Kinderrechte-Schutz und dessen konkrete Umsetzung in Institutionen der Frühen Bildung ein diskursives Feld ist. Dies soll den kontinuierlichen Austausch in Fachkreisen ermutigen. Die Diskussion zeigt verschiedene Spannungsfelder auf. Schutz vs. Partizipation: Während der Schutz von Kinderrechten weitgehend Konsens ist, bleibt die Umsetzung partizipativer Strukturen unklar. Uneinigkeit besteht über die Sinnhaftigkeit detaillierter Verhaltenskodizes versus wertebasierte Ansätze. Ausbildung und Praxis: Fachkräfte sind oft unzureichend vorbereitet, theoretisches Wissen in die Praxis umzusetzen. Gruppendynamik und institutionelle Muster begünstigen weiterhin problematisches Verhalten. Systemische Rahmenbedingungen: Verbesserungen im pädagogischen Handeln setzen strukturelle Veränderungen wie bessere Arbeitsbedingungen, Bezahlung und Anerkennung voraus, da konkrete Regeln allein nicht ausreichen.
Mit diesem Herausgeber:innenband möchten wir...