Kretschmann | Aus Zuversicht Wirklichkeit machen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Kretschmann Aus Zuversicht Wirklichkeit machen

Gedanken zum Zusammenhalt in Zeiten des Umbruchs
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-451-83416-5
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Gedanken zum Zusammenhalt in Zeiten des Umbruchs

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-451-83416-5
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wir leben in einer Ära des Übergangs - weg vom fossilen Zeitalter und hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft und Wirtschaft. Eine wahrhaft historische Aufgabe, bei der es um viel geht. Der Weg dahin stellt uns vor gewaltige Herausforderungen. Gewohntes wird infrage gestellt. Viele blicken mit Sorge auf das, was kommt. Gesellschaftliche Spannungen wachsen. Dieser Band versammelt hochkarätige Autorinnen und Autoren, die der Frage nachgehen: Wie können wir die Transformation so gestalten, dass unsere Gesellschaft bei all der Veränderung zusammenbleibt? Und woraus können wir die Zuversicht schöpfen, um gemeinsam die Chancen des Neuen mutig zu ergreifen?

Winfried Kretschmann wurde 1948 geboren und ist seit 2011 Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Er studierte an der Universität Stuttgart-Hohenheim Biologie und Chemie für das Lehramt an Gymnasien. Seit Studententagen politisch aktiv gründete Kretschmann 1979 mit anderen die Grünen in Baden-Württemberg. Ein Jahr später wurde Kretschmann Mitglied der ersten Fraktion der Grünen im badenwürttembergischen Landtag. 2002 wurde Kretschmann zum Fraktionsvorsitzenden seiner Partei gewählt und blieb dies bis 2011. Bis im Mai 2021 war er Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.
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Transformation braucht Mehrheiten


JOACHIM GAUCK


Es ist vielfach beschrieben und diagnostiziert worden: Wir leben in Zeiten von Polykrisen, Krisen, die nicht aufeinanderfolgen, sondern sich überschneiden, manchmal gegenseitig verstärken und uns auf teils erschreckende Weise mit den Versäumnissen unserer Politik konfrontieren. Infolge der Corona-Pandemie wurde uns so recht bewusst, in welch hohem Maße wir wirtschaftlich in vielen Bereichen von China abhängig sind. Infolge der russischen Invasion in die Ukraine 2022 erkannten wir erschrocken, dass die europäische Sicherheit ernsthaft gefährdet ist und Deutschland seine Verteidigungsbereitschaft sträflich vernachlässigt hat. Gleichzeitig ist Amerika in seiner Rolle als Führungsmacht einer liberalen, regelbasierten Ordnung geschwächt, während China und Russland und weitere autoritäre Staaten in Asien, im Nahen Osten, in Afrika und Lateinamerika auf eine Neugestaltung von Einflusssphären setzen.

Zu den geopolitischen Unsicherheiten gesellten sich weitere große ungelöste Probleme, die Fragen nach der Zukunftstauglichkeit unserer Gesellschaftsmodelle berühren. Nicht zuletzt fragen wir uns: Wie kann es gelingen, den globalen Klimawandel zu verlangsamen und zu beschränken? Wie lösen wir uns aus dem fossilen Zeitalter, das uns hohe Lebensqualität, eine starke Wirtschaft und gute Jobs beschert hat? Wie schaffen wir es, unseren erfolgreichen Weg klimaneutral fortzusetzen?

Ich kann an dieser Stelle keine politische Handlungsanleitung geben, wie Klimaneutralität mit konkreten Schritten umgesetzt werden kann. Aber mit diesem Beitrag will ich einen Teil zur Debatte beisteuern, wie die gewaltige Transformation gelingen kann, die sich auf die Politik insgesamt, die Gesellschaft und unsere Art zu wirtschaften auswirkt. Wenn ich mich als Mensch fortgeschrittenen Alters hier zu Wort melde, so will ich auch daran mitwirken, dass meine Kinder, Enkel und Urenkel eine lebenswerte Zukunft haben. Und als Christ möchte ich zudem, dass wir uns stärker bemühen, die Schöpfung zu bewahren, statt sie zu zerstören.

Lassen Sie mich den Fokus über das Klima und die Transformation unseres Wirtschaftsmodells zunächst etwas weiten und einen Schritt zurücktreten. Der italienische Philosoph, Schriftsteller und Politiker Antonio Gramsci hat über jenen gefährlichen Moment einer Krise, in dem das Alte stirbt, das Neue aber noch nicht zur Welt kommen kann, geschrieben: „In diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.“ Diese Beobachtung können wir wahrlich auf verschiedene Erschütterungen beziehen, denen unsere liberale Demokratie seit geraumer Zeit widerstehen muss.

Wenn wir heute auf unser Land und in die Welt schauen, dann sehen wir disruptive Entwicklungen, neue Bedrohungen, die uns überrascht haben, Kriege und Konflikte, die uns unvorbereitet treffen, die unser außen- und sicherheitspolitisches Handeln völlig neu herausfordern. Die Feinde der Freiheit fordern uns heraus. Die mörderischen Terrorakte der Hamas bedrohen die Sicherheit Israels. In seinem neoimperialen Wahn versucht Russland die Souveränität der demokratischen Ukraine zu beseitigen und ihre Menschen auszulöschen oder zu assimilieren. Auch im Innern nehmen wir wahr, dass die liberale Demokratie unter Druck gerät, dass das politische Machtgefüge sich verändert, die gesellschaftliche Polarisierung zunimmt und dass autoritäre, populistische Kräfte den Pluralismus und die Rechtsstaatlichkeit infrage stellen.

Ich habe zu dieser doppelten Bedrohung, der die liberale Demokratie ausgesetzt ist, ein Buch mit dem Titel Erschütterungen veröffentlicht, weil ich mir ernste Sorgen mache. Unsere Demokratie erscheint mir manchmal wie ein Gelände, in dem die Bürgerinnen und Bürger – aber auch die Politik – zu lange sorglos in den Tag lebten und dabei ignorierten, dass ihnen von außen und innen Gefahren drohten. Diese Sorglosigkeit gilt auch für die Klimakrise, die sich nicht nur wie ein Hintergrundrauschen bemerkbar macht, sondern für eine nachhaltige Verunsicherung sorgt. Denn auch der Wandel des Klimas ist eine Herausforderung für die Handlungs- und Zukunftsfähigkeit unserer liberalen Demokratie. Es sprengt in der Tat die Grenzen unserer Vorstellungskraft, was geschehen mag, wenn die globale Erderwärmung außer Kontrolle gerät.

Und dennoch müssen wir uns den Fakten stellen: Extreme Wetterphänomene sind keine abstrakten Szenarien, klimatische Veränderungen führen schon heute dazu, dass Ernten ausbleiben und Lebensräume durch Naturkatastrophen zerstört werden. In Deutschland realisieren wir auch, dass wir eben nicht zu den Vorreitern im Bereich Nachhaltigkeit gehören und die ökologische Modernisierung ein Stück weit verschlafen haben. Der russische Angriffskrieg hat zudem offenbart, dass die Energieversorgung unseres Landes auf tönernen Füßen stand und dass wir beim Thema Erneuerbare großen Nachholbedarf haben.

Hoffnung macht mir aber, dass gesellschaftlich wie politisch ein dringender Handlungsbedarf erkannt wurde: Klimaschutz ist parteiübergreifend ein Thema, das ernst genommen wird. So scheint es mir wichtig festzuhalten, dass alle im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien sich zum Pariser Klimaabkommen von 2015 bekennen. Und diese Verpflichtung bedeutet, dass Deutschland dazu beiträgt, die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius und möglichst unter 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Bereits in 22 Jahren will unser Land CO2-neutral wirtschaften. Dies ist eine gigantische Aufgabe für uns alle.

Den meisten Menschen ist bewusst, dass wir im Anthropozän leben, in dem wir Menschen zur bestimmenden Kraft in Umwelt und Klima geworden sind, weil wir massiv und über lange Zeit in die Naturkreisläufe eingreifen. Dass wirksames politisches Handeln dringend geboten ist, um die globale Erhitzung einzudämmen, daran erinnert uns eine außerordentlich wache und aktive Zivilgesellschaft, die sich selbstorganisiert in den Diskurs über die Klimapolitik überall in Europa und darüber hinaus einbringt. Einige Protestformen halte ich zwar für wenig zielführend. Aber ich freue mich auch über jedes konstruktive Engagement von jungen Menschen, die sich für zuständig erklären und Verantwortung für sich und ihre Zukunft übernehmen. Laut einer Eurobarometer-Umfrage ist eine überwiegende Mehrheit der Europäer der Ansicht, dass der Klimawandel ein ernstes Problem für die Welt ist. Dort, wo die Politik zu langsam oder wenig ambitioniert agiert, gibt es Kontrollmechanismen, die greifen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem wegweisenden Urteil darauf hingewiesen, dass Freiheit für die kommenden Generationen nur im Rahmen einer intakten Natur und eines stabilen Klimas möglich sein wird.

Der russische Angriffskrieg und die daraus resultierenden hohen Energiepreise haben vielen Menschen vor Augen geführt, dass Abhängigkeiten von nichtdemokratischen Energielieferanten enorme Gefahren bergen. Überhaupt profitieren autoritäre, monarchistische und diktatorische Staaten überproportional von unserem immer noch ungestillten Hunger nach fossilen Energieträgern, und nicht selten werden Gewinne genutzt, um nicht nur das eigene Regime zu stützen, sondern auch um religiöse Fanatiker und Terroristen zu unterstützen. Wir erkennen: Das Thema Klima lässt sich schon lange nicht mehr vom Thema Sicherheit trennen – nicht nur, was die langfristigen Folgen anbelangt.

Ich neige bekanntlich nicht zum Alarmismus. Aber es besteht doch kaum ein Zweifel daran, dass sich das Klima jetzt schon merklich wandelt. Wir wissen, dass sich die weltweite Erhitzung am oberen Rand der von den Klimamodellen vorhergesagten Temperaturen bewegt. Im Juli 2023 wurden mehrere traurige Weltrekorde für die höchsten je gemessenen Werte aufgestellt. Der September 2023 war in Deutschland im Durchschnitt 3,4 Grad Celsius wärmer als in den letzten 30 Jahren. Das Robert Koch-Institut schätzt die Zahl der hitzebedingten Sterbefälle im Jahr 2023 auf 3200.

Wenn wir ehrlich sind, ist es dennoch mitunter so: „Wir fühlen zwar, dass vieles nicht in Ordnung ist, aber bitte heute noch keinen Preis dafür, noch keine Aufgabe dafür, noch keine Last dafür übernehmen.“ Diese Worte stammen nicht von mir, sondern von der ehemaligen Umweltministerin Angela Merkel.

Das Statement von 1997 macht deutlich, dass es uns nicht leichtfällt, uns auf diese Welt der Transformation einzustellen und zu erkennen, was wir zu tun haben. So geht das Zitat weiter: „Wenn ihr es heute nicht macht, wird es euren Kindern und Enkelkindern doppelt, dreifach teurer.“

Angesichts multipler und teilweise globaler Krisen, auch angesichts der zahlreichen Umwälzungen der modernen Welt – von IT-Revolution und Globalisierung über künstliche Intelligenz bis zur Migrationsproblematik – ist die Beschäftigung mit äußerst bedrohlich wirkenden Zukunftsszenarien nicht für alle Menschen selbstverständlich. Was schwierig ist, wird von vielen Menschen zunächst erstmal gemieden. Nicht jeder will wissen, was es bedeutet, dass wir uns Kipppunkten nähern, dass die Polkappen abschmelzen und Permafrostböden auftauen. Diese Entwicklungen rufen doch Gefühle der Ohnmacht, der tiefen Sorge und auch der Ängste hervor.

Für viele Menschen hat sich das Gefühl der Sicherheit reduziert. Und so komme ich zurück auf diesen Moment, den Gramsci beschreibt: Wir stehen am Beginn einer neuen Epoche, in der die Nutzung der fossilen Energie zu Ende geht. Und es geht...


Kretschmann, Winfried
Winfried Kretschmann wurde 1948 geboren und ist seit 2011 Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Er studierte an der Universität Stuttgart-Hohenheim Biologie und Chemie für das Lehramt an Gymnasien. Seit Studententagen politisch aktiv gründete Kretschmann 1979 mit anderen die Grünen in Baden-Württemberg. Ein Jahr später wurde Kretschmann Mitglied der ersten Fraktion der Grünen im badenwürttembergischen Landtag. 2002 wurde Kretschmann zum Fraktionsvorsitzenden seiner Partei gewählt und blieb dies bis 2011. Bis im Mai 2021 war er Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

Winfried Kretschmann wurde 1948 geboren und ist seit 2011 Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Er studierte an der Universität Stuttgart-Hohenheim Biologie und Chemie für das Lehramt an Gymnasien. Seit Studententagen politisch aktiv gründete Kretschmann 1979 mit anderen die Grünen in Baden-Württemberg. Ein Jahr später wurde Kretschmann Mitglied der ersten Fraktion der Grünen im badenwürttembergischen Landtag. 2002 wurde Kretschmann zum Fraktionsvorsitzenden seiner Partei gewählt und blieb dies bis 2011. Bis im Mai 2021 war er Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.



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