E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Kricheldorf / Birgfeld Dem Tod ins Gesicht lachen
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-89581-608-6
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Plädoyer fu¨r Komik und die Feier des Absurden im Theater
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
ISBN: 978-3-89581-608-6
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was wäre angemessener, als im Theater gemeinsam über uns selbst, das Leben und den Tod zu lachen?
Vehement und präzise verteidigt Rebekka Kricheldorf die Komik im Theater. Sie erläutert ihren spezifischen Beitrag zum Theater der Gegenwart, der Figuren aus der Märchen- und Mythenwelt, aus Popkultur und Comic aufgreift, der Verstörung erzeugt und Ambivalenzen sucht – Gebrauchsdramatik statt Literatur fu¨r die Ewigkeit. Ergänzt wird der Band um Werkstattberichte und Erläuterungen zu dem mitabgedruckten Stück Werwolf. Eine Mythengroteske (UA 2019) sowie ein Nachwort des Herausgebers.
Das Buch basiert auf Rebekka Kricheldorfs Vorlesungen im Rahmen der 8. Saarbru¨cker Poetikdozentur fu¨r Dramatik.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Erste Vorlesung
Über Komik
Zweite Vorlesung
Über verstörende Unterhaltung
Dritte Vorlesung
Über Werwölfe
Anmerkungen zu den Vorlesungen
Werwolf
Eine Mythengroteske
»Theater, das [...] uns gemeinsam unsere Unzulänglichkeit zelebrieren lässt«
Mythenverwurstung und Schöpfungskritik,
Gebrauchsdramatik und Theater als Lust:
Rebekka Kricheldorfs Theater der verstörenden
Unterhaltung
Nachwort von Johannes Birgfeld
Danksagung
Erste Vorlesung
ÜBER KOMIK
Liebe Anwesende, ich gebe es gleich zu: Die analytische Selbstbefragung, die Suche nach Methodik und rotem Faden in meiner Arbeit, das Festlegen und Beschreiben einer künstlerischen Agenda ist meine Sache nicht. Oder, besser: war meine Sache – bisher – noch nicht. Jetzt werde ich durch die ehrenvolle Auszeichnung mit der Saarbrücker Poetik-Dozentur gezwungen, nein!, ermuntert, ebendies zu tun, was mich in einen gewissen Konflikt stürzt. Denn ich wählte meinen Beruf nicht zuletzt deshalb, um das Tun von Erwachsenen-Tätigkeiten so gut es geht zu vermeiden. Schreiben bedeutet neben dem hehren Anspruch, Steigbügelhalter des Wahren, Schönen und Guten zu sein, eben auch: weckerlos leben, im Schlafanzug zur Arbeit kommen und den ganzen Tag mit selbst ausgedachten Freunden spielen. Eine Dozentur ist das Gegenteil dessen. Sie ist eindeutig ein Erwachsenen-Job. Selbstreflexion, Theoriebildung, anderen erzählen, wie’s läuft, anständige Klamotten anhaben. So fühle ich mich gerade ein bisschen wie eine Figur aus einem Roman von Wilhelm Genazino, einer dieser nicht mehr ganz jungen Männer, die von ihrer Lebensgefährtin genötigt werden, irgendwas Pragmatisches zu tun, sich eine neue Hose kaufen oder einen ordentlichen Job suchen, und darauf mit einem Mix aus bockigem Trotz und zerknirschter Einsicht reagieren. Hinzu kommt, dass ich eine gewisse Scheu davor hege, mich zu tief in die Innenschau zu begeben. Denn die Autorin ist nicht ganz frei von der etwas paranoiden Befürchtung, dass man einen Preis dafür zahlt, seine eigene Arbeit zu gut zu durchschauen. Dass das Zu-Gut-Bescheid-Wissen über die eigenen Kniffe, Tricks und Beweggründe zu einer trügerischen Sicherheit und gefährlichen Routine im eigenen Schaffen führen könnte. Andererseits ist nicht von der Hand zu weisen, dass man als schreibende Person im Laufe der Jahre Eigenheiten ausbildet, wiedererkennbare Obsessionen pflegt, einen Stil, eventuell gar eine Handschrift entwickelt, die dann auch kenntlich und beschreibbar sind. Und vielleicht ist ein wenig Selbsterkenntnis ja doch auch ganz hilfreich. Ich gebe auch zu, dass mich Kollegen-Berichte aus der Schreibwerkstatt oft langweilen. Und mein Glaube daran, dass die meisten Texte klüger sind als ihre Autoren, ist unerschütterlich. Ja, oft bestätigt sich sogar die Regel, je interessanter das Werk eines Autors, desto langweiliger das, was er darüber zu sagen hat, und möglicherweise andersrum. Ich werde den Kopf aus der Schlinge dieses Dilemmas ziehen, indem ich diese Vorträge exakt so halte, wie ich meine Stücke schreibe. Ich schreibe meine Stücke, ja, ich gestehe es, hauptsächlich, um mich selbst bei Laune zu halten. Keine aufklärerische Mission, kein ausgefuchster Weltenrettungs-Plan steckt dahinter, sondern reiner, kleiner Egoismus. Ich schreibe, was ich schreibe, selten in dem Glauben, es könne etwas bewirken, sondern meist, weil ich es schreiben muss, für mich; weil die Weltaneignung, die Verarbeitung der Existenz-Fragen, die ich nicht beantworten kann, für mich nur über Literarisierung zu bewerkstelligen ist. Ja, das ist fast schon therapeutisches Schreiben. Ich verstehe meine Stücke als Suchbewegungen, als Sprach- und Denk-Experimente, an denen eine interessierte Öffentlichkeit gern teilhaben darf, sofern sie glaubt, es könne da ein Gemeinsames in unserem Hadern und Zweifeln geben. So werde ich auch hier keinen stringenten Gedanken entwickeln, der am Ende in ein großes, klar umrissenes Fazit mündet, sondern mich mäandernd durch Themengebiete bewegen, wie ein Affe von Ast zu Ast schwingen, vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen und retour. Ich habe mich nie ernsthaft mit Zweck, Form und Ziel meines Schaffens auseinandergesetzt. Im Zuge sich häufender Fremdzuschreibungen verfestigte sich dann mein Selbstbild als ›Komödiantin‹ und ›Märchentante‹. Natürlich sind beide Zuschreibungen nicht abwegig. Sowohl Komödie als auch Märchen spielen eine große Rolle in meinen Stücken, aber manchmal wird es mir bei dieser eingeschränkten Sicht auf mich selbst doch etwas unbehaglich. Es ist ein Unbehagen, das sich aus derselben Quelle speist wie das, was mich immer davon abhielt, eine Visitenkarte drucken zu lassen, mit mir herumzutragen und bei passenden Anlässen sogenannten wichtigen Menschen in die Hand zu drücken. Mit so einer Pappkarte in der Tasche, auf der schwarz auf weiß steht, wer ich bin und was ich mache, eine Pappkarte, geschmackvoll-selbstironisch gelayoutet, vielleicht in Form einer Schreibmaschine, mit einer solchen Pappkarte, so argwöhnte ich, sperre ich mich endgültig in den Käfig eines Identitäts-Entwurfs, bin ich rettungslos dazu verdammt, das, was ich behaupte zu sein, in alle Ewigkeit zu bestätigen, mein zur Marke, zum Label, zum Branding gewordenes Ich mit seinen immer gleichen Unique Selling Points zu reproduzieren, ein One Trick Pony, das immer und immer wieder über dieselbe, von ihm selbst aufgebaute Hürde springen muss. Vor vielen Jahren bezeichnete mich ein Kritiker als eine Vertreterin des »deutsche[n] Plüschhasentheater[s]«.1 Das fand ich gut, darin fühlte ich mich erkannt, auch wenn bis dato nur ein einziger Hase in meinen Stücken auftauchte,2 möge er nun Plüsch tragen oder nicht, ein Hase, der sich sehr wichtig nimmt, ein Hase, der empört erklärt, Eine Welt ohne Hasen Wäre besser gar nicht erschaffen Eine Welt ohne Hasen Ist ein sinnentleerter Planet Eine Welt ohne Hasen Ist das Traurigste Was man sich denken kann. und so dem hegemonialen Anthropozentrismus die aus Hasen-Perspektive einzig vernünftige Theorie entgegenhält, nämlich die von der eigenen Spezies als Krone der Schöpfung. Also, wenig echte Plüschtiere in meinen Stücken, aber die Assoziationskette, die Menschen in Tierkostümen auslösen, passt ganz gut zu meinem Autorinnen-Selbstbild. Mein erster Vortrag wird sich mit der Komik befassen, denn ich fühle, dass die Komik dieser Tage ganz besonderen Schutz benötigt. Das Spektakel, die Farce, die Verstellung, das Absurde, die Albernheit und das Lachen – sie alle müssen in dieser Zeit der Eindeutigkeit, des Authentizitäts-Wahns und des Verlusts des zweideutigen Sprechens mit aller Kraft verteidigt werden. Und, ja, wenn es sein muss, auch analysiert, ergründet, erklärt. Komik. Ein großes Wort, ein weites Feld. Zur Komik gaben schon viele geistreiche Menschen Kluges von sich; ich werde mir herauspicken, was mir wichtig zu sein scheint, und anderes unter den Tisch fallen lassen. Komödien-und Lachtheorien trieben mich nie um, sie sind bei Bedarf in den Nachschlagewerken nachzuschlagen. Das hier wird eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit der Komik, weshalb ich weit in der Zeit zurück gehe, tief in die Mottenkiste der autobiografischen Anekdoten greife und dieses selbstgeschriebene Gedicht herausfische. Es geht so: Es lebte einst ich weiß nicht wo ein Mensch der hieß Gorilla Joe er war nicht schön er war nicht klug doch Haare hatte er genug die hingen tief ihm ins Gesicht so sah er nie das Sonnenlicht. Na ja, weder gelungen noch besonders originell. Ich habe es wohl so mit dreizehn, vierzehn Jahren verfasst. Es gehört zur Gattung der Schmähgedichte und war Teil eines Spiels, das mir und meinen Freundinnen ermöglichte, die Ödnis eines Schultages halbwegs unbeschadet zu überleben. Das Spiel ging so: Man nahm sich den jeweils aktuellen Favoriten der Freundin vor und schmähte ihn in Grund und Boden. Heute ist der kunstvoll ausgeführte Diss ein elementarer Bestandteil des Battle Rap, aber davon wussten wir noch nichts. Es folgt ein weiterer Auszug aus einem Beispiel der Text-Gattung Schmährede: »Sie, der in dieser Welt für gar nichts steht, der höchstens Krätze ist am Steiß der Natur, der so tief fallen wird, wenn ich ihm meine Unterstützung entziehe, daß ein Floh auf der Erde ihn nicht vom Pflaster unterscheidet, Sie sind so stinkend und schmutzig, daß man sich bei Ihrem Anblick fragt, ob Ihre Mutter Sie nicht durch den Hintern geboren hat. […] Auch ist Ihr Fleisch nichts anderes als unter der Sonne schrundig gewordene Erde, die dermaßen mit Mist gedüngt ist, daß Sie heute, hätte alles, was da gesät wurde, Wurzeln geschlagen, einen Hochwald auf den Schultern trügt.«3 Es handelt sich hier um einen öffentlichen Schmähbrief, gegen einen Herrn namens Soucidas gerichtet, und der ihn verfasste, kann sozusagen als Erfinder des Battle-Rap, also Eminems Ururahn angesehen werden. Er hieß Cyrano de Bergerac und lebte im 17. Jahrhundert, also kann ich meine albernen Schreibanfänge getrost in eine große, hoch literarische Traditionslinie einreihen. Aber zurück zur lebenserhaltenden Funktion der Komik: Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, dann sehe ich mein junges Ich unter der Bank...