E-Book, Englisch, Deutsch, 197 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
Kripke / Hörzer Identity and Necessity / Identität und Notwendigkeit. Englisch/Deutsch
Neuübersetzung
ISBN: 978-3-15-961957-6
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
[Great Papers Philosophie] - Kripke, Saul A. - zweisprachige Ausgabe; Philosophie-Bücher - 14005
E-Book, Englisch, Deutsch, 197 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
ISBN: 978-3-15-961957-6
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Saul A. Kripke, geb. 1940, ist ein einflussreicher amerikanischer Philosoph und Logiker. Gregor Hörzer, geb. 1981, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kognitionswissenschaft und assoziiertes Mitglied des Instituts für Philosophie an der Universität Osnabrück.
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Identität und Notwendigkeit
SAUL KRIPKE
Ein Problem, das in der zeitgenössischen Philosophie immer wieder auftaucht, lautet: »Wie sind Identitätsaussagen möglich?« Diese Frage ist in Anlehnung an die Kantische Frage »Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?« formuliert. In beiden Fällen wurde üblicherweise etwas als selbstverständlich erachtet: im Fall Kants, dass synthetische Urteile a priori möglich sind, und im anderen Fall aus der zeitgenössischen philosophischen Literatur, dass kontingente Identitätsaussagen möglich sind. Ich habe nicht vor, mich mit der Kantischen Frage zu beschäftigen, mit Ausnahme der folgenden Analogie: Nachdem ein ziemlich dickes Buch in dem Versuch geschrieben wurde, die Frage zu beantworten, wie synthetische Urteile a priori möglich sind, kamen andere herbei, die behaupteten, die Lösung des Problems sei selbstverständlich, dass synthetische Urteile a priori unmöglich sind, und dass ein Buch, das versucht, das Gegenteil zu zeigen, vergeblich geschrieben worden sei. Ich werde nicht darauf eingehen, wer in Bezug auf die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori Recht hatte. Doch im Fall kontingenter Identitätsaussagen hatten die meisten Philosophen den Eindruck gewonnen, der Begriff einer kontingenten Identitätsaussage führe zu ungefähr der folgenden Paradoxie. Gegen die Möglichkeit kontingenter Identitätsaussagen kann etwa das folgende Argument vorgebracht werden:20 [136]
Einerseits besagt das Gesetz der Substituierbarkeit des Identischen: Für beliebige Gegenstände und gilt, dass, wenn identisch mit ist, gilt: wenn eine bestimmte Eigenschaft hat, dann auch :
(1) ()() [( = ) ( )]
Andererseits ist mit Sicherheit jeder Gegenstand notwendigerweise mit sich selbst identisch:
(2) () ( = )
Nun ist aber
(3) ()() ( = ) [ ( = ) ( = )]
eine Substitutionsinstanz von (1), dem Substituierbarkeitsgesetz. Aus (2) und (3) können wir schließen, dass für alle und gilt: wenn mit identisch ist, so ist es notwendig, dass mit identisch ist:
(4) ()() (( ) ( = ))
Das ist so, weil der Bestandteil ( = ) des Konditionals wegfällt, da er bekanntermaßen wahr ist.
Dieses Argument ist in der neueren Philosophie häufig vorgebracht worden. Seine Konklusion wurde allerdings oft als hochgradig paradox aufgefasst. David Wiggins sagt etwa in seinem Aufsatz »Identity-Statements«:
Nun gibt es zweifellos kontingente Identitätsaussagen. Sei = eine solche. Aus deren simpler Wahrheit und (5) [= (4) weiter oben] können wir ›( = )‹ ableiten. Aber wie kann es dann irgendwelche kontingenten Identitätsaussagen geben?21
Anschließend macht er deutlich, dass fünf verschiedene Reaktionen auf dieses Argument möglich sind, weist sie alle zurück und reagiert seinerseits. Ich möchte nicht alle möglichen, sondern nur die zweite der von Wiggins zurückgewiesenen Reaktionen diskutieren. Sie besagt:
Man könnte das Resultat akzeptieren und sich dafür aussprechen, dass dies kein Problem darstellt, solange es sich bei ›‹ und ›‹ um Eigennamen handelt. Die Konsequenz davon ist, dass mit Hilfe von Eigennamen keine [137] kontingenten Identitätsaussagen gemacht werden können.
Und dann führt er an, dass er wie viele andere Philosophen unzufrieden mit dieser Lösung sei, während wieder andere sie vertreten haben.
Warum erscheint die Aussage (4) so überraschend? Sie besagt, dass für beliebige Gegenstände und gilt: Wenn ist, so ist es notwendig, dass ist. Ich habe bereits erwähnt, dass man gegen dieses Argument einwenden könnte, dass bereits Prämisse (2) falsch ist, dass es nicht der Fall ist, dass alles notwendigerweise mit sich selbst identisch ist. Also etwa: Bin ich notwendigerweise mit mir selbst identisch? Jemand könnte dafür argumentieren, dass ich in manchen vorstellbaren Situationen nicht einmal existiert hätte und daher die Aussage »Saul Kripke ist Saul Kripke« falsch gewesen wäre, oder es nicht der Fall gewesen wäre, dass ich mit mir selbst identisch bin. Vielleicht wäre es in einer solchen Welt weder wahr noch falsch zu sagen, dass Saul Kripke selbst-identisch ist. Nun, das mag so sein, doch es hängt letztlich vom eigenen philosophischen Standpunkt zu einem Thema ab, das ich nicht diskutieren werde: Was gilt es über die Wahrheitswerte von Aussagen zu sagen, die Gegenstände erwähnen, die in der tatsächlichen oder einer gegebenen möglichen Welt oder kontrafaktischen Situation nicht existieren. Man sollte hier Notwendigkeit in einem schwachen Sinne verstehen. Man kann Aussagen dann als notwendig erachten, wenn gilt: Immer dann, wenn die darin erwähnten Gegenstände existieren, ist die Aussage wahr. Wenn man sehr vorsichtig sein wollte, würde man die Frage nach Existenz als ein Prädikat erörtern und fragen müssen, ob die Aussage in die folgende Form überführt werden kann: Für jedes gilt notwendigerweise: ist selbst-identisch, wenn existiert. Ich werde hier diesbezüglich nicht ins Detail gehen, weil das für mein zentrales Thema irrelevant sein wird. Ebenso wenig werde ich Formel (4) näher betrachten. Jeder, der Formel (2) für wahr hält, muss meiner Ansicht nach auch Formel (4) akzeptieren. Wenn und dasselbe Ding sind und man überhaupt von modalen Eigenschaften eines Gegenstands reden kann – sprich, über Modalität und darüber, dass ein Gegenstand bestimmte Eigenschaften haben kann – dann, denke ich, muss (1) gelten. Wenn irgendeine Eigenschaft ist, einschließlich jener Eigenschaften, die modale Operatoren beinhalten, und wenn und derselbe Gegenstand sind und eine bestimmte Eigenschaft hat, dann muss dieselbe Eigenschaft haben. Und das ist auch dann so, wenn die Eigenschaft ihrerseits die Eigenschaft ist, notwendigerweise eine andere Eigenschaft zu haben, insbesondere jene, notwendigerweise identisch mit einem bestimmten Gegenstand zu sein. Nun werde ich nicht Formel (4) selbst diskutieren, da diese für sich genommen von keiner bestimmten wahren Identitätsaussage behauptet, sie sei notwendig. Sie sagt überhaupt nichts über aus. Sie sagt für alle und alle : Wenn und derselbe Gegenstand sind, dann ist es notwendig, dass und derselbe Gegenstand sind. Das aber ist, wie mir scheint, wenn man darüber nachdenkt (jedenfalls werde ich hier nicht dafür argumentieren, falls jemand anderer Meinung ist) nichts wesentlich [138] anderes als Aussage (2). Da aufgrund der Definition der Identität der einzige Gegenstand ist, der mit identisch ist, scheint mir »()( = )« kaum mehr als eine umständliche Art und Weise zu sein, ›‹ zu sagen, und daher drückt ()()( = ) dasselbe aus wie (), unabhängig davon, was ›‹ ist – insbesondere auch dann, wenn ›‹ für die Eigenschaft steht, notwendigerweise identisch mit zu sein. Wenn also diese Eigenschaft hat (notwendigerweise identisch mit zu sein), dann hat trivialerweise alles, was identisch mit ist, auch diese Eigenschaft, wie (4) behauptet. Doch aus Aussage (4) lässt sich offenbar ableiten, dass verschiedene einzelne Identitätsaussagen notwendig sein müssen, und das soll dann eine höchst paradoxe Konsequenz sein.
Wiggins sagt: »Nun gibt es unbezweifelbar kontingente Identitätsaussagen.« Ein Beispiel für eine kontingente Identitätsaussage ist die Aussage, dass der erste Postminister der Vereinigten Staaten identisch mit dem Erfinder der Zweistärkenbrille ist, oder die Aussage, dass diese beiden identisch mit dem Mann sind, von dem die behauptet, dass er ihr Gründer sei (, wie ich übrigens hörte). Nun sind einige solcher Aussagen klarerweise kontingent. Es ist klarerweise eine kontingente Tatsache, dass ein und derselbe Mann sowohl die Zweistärkenbrille erfunden als auch den Job des Postministers der Vereinigten Staaten angenommen hat. Wie...