Krützfeldt | Gib mir das. Ich kann das. So, jetzt ist es kaputt. | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 274 Seiten

Krützfeldt Gib mir das. Ich kann das. So, jetzt ist es kaputt.

Geschichten über das Leben, das Scheitern und das Weitermachen.
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98679-061-5
Verlag: MAXIMUM Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Geschichten über das Leben, das Scheitern und das Weitermachen.

E-Book, Deutsch, 274 Seiten

ISBN: 978-3-98679-061-5
Verlag: MAXIMUM Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie man jedes Hinfallen als Erfolg sieht

Wer renoviert schon als handwerklicher Volllaie ein Haus – nur mit YouTube-Tutorials? Wer macht den Fehler, wenn man schon dreimal durch den Führerschein gefallen ist und meldet sich zum Motorradführerschein an? Und zwar bei exakt jenem Fahrlehrer, der einen vor 20 Jahren so oft hat durchfallen lassen? Unser Autor!

Schlimmer geht immer, könnte man sagen – und Alexander Krützfeldt ist schon so oft auf die Nase gefallen, dass es beim Zuschauen wehtut. Dafür hat er es aber weit gebracht: zum ZeitMagazin, zur Süddeutschen Zeitung und zur Frankfurter Allgemeine Zeitung, für die er als Kolumnist schreibt. Über das persönliche Scheitern. Berührend, bedrückend, ehrlich – und wahnsinnig lustig.

Zum Beispiel über sein Haus und seine sechsstelligen Bauschulden. Da, hat ihm sein Therapeut geraten, solle man auch dankbar sein. Immerhin lerne man im Zweifel was für sein Leben! Denn die Frage ist ja nicht, warum man letztlich scheitert. Die Frage ist doch: Wie scheitert man – und was lernt man daraus? Kann man durch ständiges Scheitern nicht eine Art Superheld werden – weil einem das Scheitern neue Fähigkeiten lehrt? Weil es eine Herausforderung ist, an der man immer, oft, manchmal, wenigstens aber ab und zu mal ein bisschen persönlich wächst?

Nach seinen sehr erfolgreichen Büchern »Letzte Wünsche« und »Acht Häftlinge«, für die er renommierte Preise gewonnen hat, jetzt also sein inoffizielles und vorgezogenes Lebenswerk (O-Ton Autor): »Gib mir das. Ich kann das. So, jetzt ist es kaputt.«

Was nimmt man aus dem Scheitern mit? Alles übers Hinfallen, Wiederaufstehen, und Weitermachen. Ein Best-Of aus 10 Jahren hinter der Paywall. Knallgrelle, absurd-lustige und emotionale Reportagen, Essays und Magazingeschichten.

Krützfeldt Gib mir das. Ich kann das. So, jetzt ist es kaputt. jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Kapitel 1:
Hochwasser


Unsere Geschichte begann am 16. Dezember. Im Harz war das Wintereis geschmolzen und hatte die Flüsse unruhig werden lassen; die Böden waren satt und schwer vom tagelangen Regen. Er hatte gar nicht mehr aufhören wollen, und selbst wir, als Norddeutsche, als Bewohner der Kleinstadt Verden an der Aller, fanden den Regen zunehmend suspekt.

Wir haben schon viele Hochwasser erlebt, wobei „erlebt“ ist nicht das richtige Wort. Die Alten erzählten davon den Jüngeren, à la „Großvater erzählt von legendären Europa-Cup-Spielen“: 1946, ’56, ’81, ’87, und so weiter. Gut und richtig, davon zu erzählen, fanden wir ja auch. Aber wenn du zum fünfzigsten Mal hörst, warum die Häuser in der ersten Reihe alle keine Keller haben, macht das ein bisschen müde. Man hört zwar zu, aber auch nur, weil kurz einnicken viel zu unhöflich wäre. Zusammengefasst: Beim letzten schlimmen Hochwasser gab es noch Kassetten, beim ersten teilte sich die ganze Straße ein Radio. Den Rest haben wir leider vergessen. Ansonsten gibt es von hier nicht viel zu erzählen: Einmal im Jahr kommt ein Mann zu uns, verkleidet als Klaus Störtebeker, und verteilt Fische. Und da hören wir die Historiker jedes Mal scharf die Luft einziehen, weil keiner von ihnen mehr glaubt, dass Freibeuter wirklich aus Verden an der Aller kommen.

Wer zu uns kommen will, muss durch das Aller-Leine-Tal, das nördlich von Hannover beginnt und einerseits ein Urstromtal aus der Eiszeit ist und andererseits ein PR-Zusammenschluss der regionalen Tourismusbehörden samt Aller-Radweg. Die Gegend ist flach, und wir sagen gerne, dass man freitags schon sieht, wer sonntags zu Besuch kommen wird. Unsere Stadt hat etwa 27.000 Einwohner. Früher gab es hier viele Kneipen und einen Dom, den man in Großmannssucht in die Landschaft gestellt hatte. Aber die Kneipen sind größtenteils zu, die Kirchen größtenteils leer, und die Bischöfe sind längst tot; die Jungen wissen nichts mehr anzufangen mit sich. Unsere Innenstadt ist jetzt voller Ketten und Dönerbuden, sie endet am alten Hinrichtungsstein, und direkt dahinter, zum Fluss runter, beginnt dann unser Viertel, das Fischerviertel. Mit seinen schmalen, vielfarbigen Häusern, die so eng zusammenstehen, als würden sie sich gegeneinander lehnen. Direkt am Wasser, am Bollwerk, mit den verblassenden Hochwassermarkierungen, wo sie darauf warten, dass ihre Zeit gekommen ist.

Nicht alle sprechen mit einer Stimme, denn wir sind uns, auch in unserer Nachbarschafts-WhatsApp-Gruppe, nicht immer einig. Durchmessen lässt sich das Viertel folgendermaßen: An der einen Seite beginnt es beim ältesten Haus Verdens, dem Ackerbürgerhaus, daneben wohnen die Leinwebers, ein Kunstmaler und eine Fotografin. Wir haben viele Künstler, Rotraud Scholz baut sehr schöne Marionetten, die in den Fenstern hängen, sodass man sich beim Vorbeigehen manchmal erschrickt. Arne von Brill fotografiert ebenfalls und macht Mucke. Auf der anderen Seite ist unsere Kneipe, sie gehört Leo, der sagt, wenn man die Zwiebelsuppe in vegetarisch bestellen möchte, dass die nicht vegetarisch sei, dass er da Speck reintue, und wenn man weiter lamentiere, gebe es vielleicht auch nichts mehr zu trinken. Wir lieben Leo. Ob Leo seine Gäste auch liebt, wissen wir nicht. Zwei bis drei Reihen unserer Häuser stehen am Wasser. Die ersten unmittelbar, mit den Gärten am Fluss, die anderen etwas weiter hinten, sodass man den Fluss nicht sieht.

Die Geschichte beginnt also am 16. Dezember, die Zeitungen hatten geschrieben, dass der Monat ungewöhnlich nass gewesen war. Wie das gesamte Jahr 2023, das regenreichste Jahr Niedersachsens seit 1931. Selbst unser Grundwasser war über den Schnitt der vergangenen 30 Jahre angestiegen.

Einer von uns, der stadtbekannte Fotograf Arne von Brill, war am 16. Dezember auf Fototour unterwegs, bei Rethem und Eilte, und meldete uns per WhatsApp wie der Bote von Marathon, dass da etwas im Gange sei. Dass sich beim Fährhaus Barnstedt das Wasser schon über alle Wiesen ausgebreitet habe. Da komme vielleicht was auf uns zu, schrieb er. Das werde möglicherweise eine Jahrhundertsache.

In unserer WhatsApp-Gruppe waren wir gespalten hinsichtlich der Frage, was zu erwarten sei. Einerseits möchte man aus Sorge sofort den Keller ausräumen. Andererseits sieht man dann den Keller und was das für Arbeit bedeutet und legt vielleicht auch erst mal die Wäsche zusammen. Die Alten, die schon lange in der Straße wohnen, ermahnten uns, ruhig zu bleiben. Sie sagten, es werde schon kein neues 1946. Und wir lieben unsere Alten, aber wir wissen nicht, wenn das eigene Haus dranhängt, ob wir ihnen vertrauen sollen. Sie wissen einerseits nie, wo ihre Hausschlüssel sind, andererseits geben sie sich bei Notlagen gezeitenerprobt, vollständig gesammelt und entschlossen, dass es uns ein wenig skeptisch macht.

Die Vorbereitung der Feiertage verbrachten wir also zunächst mit steigendem Wasser, unter dem ständigen Blick durch die Fenster und in relativer Gemütsruhe, die man wie folgt zusammenfassen könnte: Man sagt zwar, Niedersachsen sei das Land der Bauern, aber im Prinzip begreifen wir uns auch im Hinterland, 160 Kilometer hinter der Küstenlinie, noch als Seefahrernation.

Während wir also damit beschäftigt waren, die Lage draußen am Bollwerk im Blick zu behalten, trat kurz vor Weihnachten, am 21. Dezember, das erste Mal der Krisenstab der Stadt zusammen – bestehend aus Feuerwehrkräften, Mitarbeitenden der Stadt, Bereich Ordnung und Sicherheit, zuständig für die Gefahrenabwehr, sowie Personal des Betriebshofes. Seit Anfang des Monats hatte man dort die Lage beobachtet, seit Mitte des Monats „engmaschig“, um rechtzeitig „vor die Lage zu kommen“, wie es im Amtsdeutsch der Katastrophenschützer heißt.

Ein paar Kilometer von uns entfernt, weiter unten am Fluss, in Eitze und am Intscheder Wehr, funkten derweil hyperaktive, kleine Apparate ihre eingesammelten Daten nach Hildesheim, wo sie beim Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz ausgewertet und mit Hochrechnungen versehen wieder zurückgeschickt wurden zu uns nach Verden, an das Hochwasserkompetenzzentrum, das die Stadt bei diesen Lagen beriet, von dort weiter als Fax oder E-Fax zurück in die zuständigen Abteilungen der Stadt. Die Daten waren vom vielen Hin-und-her-geschickt-Werden dann ganz erschöpft, aber so wusste man wenigstens früh, dass dieses Jahr mehr Regen und mehr Wasser kommen würden als erwartet. Die Prognosen des Deutschen Wetterdienstes für die Feiertage, die Stände der Zuflüsse, die Sättigung der Böden und die Wasseraufnahmefähigkeit der Weser – all diese Werte sahen insgesamt relativ schlecht aus für uns.

Vorsorglich rief man also kurz vor Weihnachten alle Feuerwehrkräfte zusammen; die Antrittsrate war mit 75 Prozent erstaunlich gut, sogar für Feuerwehrkräfte. Positiv wurde dieser Wert beeinflusst, weil die meisten über die Feiertage Urlaub hatten und hoch motiviert waren, in der Heimat zu helfen. Außerdem durfte man endlich mal alle Gerätschaften auspacken. Negativ wurde der Wert beeinflusst, dass es zunächst nur darum ging, Sandsäcke von Hand zu füllen, was eine richtige Scheißarbeit ist, sogar für Feuerwehrleute, sagten die Feuerwehrleute. Aber es lief Weihnachtsmusik, und die Einsatzkräfte versuchten, durch die Vorbereitung im Stillen, Ruhe auszustrahlen und das Beste aus der Sache zu machen.

Der Anblick von Feuerwehrautos, die in zunehmender Frequenz im Stadtbild erscheinen, ist ein Anblick, der erst einmal beruhigt, dann aber zunehmend verunsichert. In unserer WhatsApp-Gruppe meldete Anke, sie habe gerade jemanden beim Deutschen Roten Kreuz getroffen, der gesagt habe, man bereite sich mit Sandsäcken vor und erwarte, dass das Wasser in die Fischerstraße komme: „Wie bereitet ihr euch vor?“ Zunächst einmal mussten wir uns um die Leinwebers kümmern, die langsam nervös wurden, weil sie a) nie ein Hochwasser erlebt hatten, seit sie vor einigen Jahren das schönste Haus der Straße gekauft hatten, und b) weil die Leinwebers eben Künstler sind, was bedeutet, dass das ganze Untergeschoss voller teurer Bildbände und Ölgemälde im Großformat steht. Alles daran erinnerte uns an eine Moritat.

Also wurden erste Hilfstrupps gebildet, um die Gemälde über die Straße zu tragen, ins Ackerbürgerhaus, das etwas höher liegt. Wir tauschten uns aus und begannen, vorsorglich unsere Türen zu verrammeln und Kellerfenster mit Spanplatten und Silikonkleber abzudichten; jeder half, wo er konnte. Jemand sägte die Platten zurecht, ein anderer fuhr zum Baumarkt, wieder ein anderer hatte noch eine Tube Silikon rumliegen. Wenn jeder an den anderen denkt, ist an alle gedacht. Die Feuerwehr fing an, strategisch wichtige Ziele im Stadtgebiet anzufahren und ständige Patrouillen einzurichten. Eine unten bei uns in der Fischerstraße.

Mittlerweile hörte man auch von Hochwassertourismus. Da Verden jetzt praktisch am Meer lag – statt Verden an der Aller jetzt Verden bald in der Aller, scherzten wir –, kamen also all diejenigen aus der Umgebung zu uns, die sonst in Cuxhaven-Duhnen regungslos auf dem Deich stehen, in Windbreakerjacken, Leuchtstreifen am Fahrradhelm. Die Feuerwehr war bestrebt, bei Social Media darauf hinzuweisen, dass die Deiche durchgeweicht und bitte nicht zu betreten seien. Aber manche Leute taten so, als wären sie nicht angesprochen. Sie kamen auch in die Fischerstraße und sahen uns bei den Arbeiten zu, anstatt zu helfen.

Die Nachrichten meldeten anhaltenden Regen, wobei die Ursache eine länger anhaltende Westwindlage infolge des starken Jetstreams sei, die zahlreiche Tiefdruckgebiete vom Nordatlantik mit nach Europa bringe. Das sagten die einen. Die anderen standen in Gummistiefeln,...


Krützfeldt, Alexander
Alexander Krützfeldt, geboren 1986 in Achim, ist Journalist und Buchautor. Krützfeldt studierte Soziologie und Politik in Marburg sowie Journalistik in Leipzig und volontierte bei der Fuldaer Zeitung. Er war Gerichts- und Polizeireporter, arbeitet als Ghostwriter und Dozent für Storytelling und schrieb unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Zeit, Krautreporter, Vice, taz und das Magazin Reportagen. Aktuell arbeitet er als Kolumnist für die FAZ, das FAZ Magazin, die Zeit und das Zeit Magazin.

Seine SZ-Serie „Acht Häftlinge“ wurde für mehrere Journalistenpreise nominiert, das Online-Magazin Krautreporter, zu dessen Herausgebern er zählte, erhielt 2019 den Grimme Online Award in der Kategorie “Information”. Der seit einiger Zeit in Verden lebende Krützfeldt erhielt gerade jüngst als einer von sechs Autoren das mit 5000 Euro dotierte Niedersächsische Literaturstipendium für sein Romanprojekt „Louise Scherrmann ist erkältet”.

Alexander Krützfeldt, geboren 1986 in Achim, ist Journalist und Buchautor. Krützfeldt studierte Soziologie und Politik in Marburg sowie Journalistik in Leipzig und volontierte bei der Fuldaer Zeitung. Er war Gerichts- und Polizeireporter, arbeitet als Ghostwriter und Dozent für Storytelling und schrieb unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Zeit, Krautreporter, Vice, taz und das Magazin Reportagen. Aktuell arbeitet er als Kolumnist für die FAZ, das FAZ Magazin, die Zeit und das Zeit Magazin.

Seine SZ-Serie „Acht Häftlinge“ wurde für mehrere Journalistenpreise nominiert, das Online-Magazin Krautreporter, zu dessen Herausgebern er zählte, erhielt 2019 den Grimme Online Award in der Kategorie “Information”. Der seit einiger Zeit in Verden lebende Krützfeldt erhielt gerade jüngst als einer von sechs Autoren das mit 5000 Euro dotierte Niedersächsische Literaturstipendium für sein Romanprojekt „Louise Scherrmann ist erkältet”.



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