E-Book, Deutsch, 296 Seiten
Künzler Fußball in Afrika
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-86099-906-6
Verlag: Brandes & Apsel
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Hintergründe zu "Elefanten", "Leoparden" und "Löwen"
E-Book, Deutsch, 296 Seiten
ISBN: 978-3-86099-906-6
Verlag: Brandes & Apsel
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Der Autor: Daniel Künzler, Dr. phil., geb. 1972, Soziologe an der Universität Freiburg (Schweiz), lehrt und forscht seit Jahren zu Afrika südlich der Sahara. Er hat in Benin/Westafrika gelebt und an der Universität unterrichtet. Zahlreiche Publikationen zum modernen Afrika.
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Inhalt
Vor dem Anpfiff
1.Einige Gedanken über ein vielfältiges Phänomen zum Aufwärmen
2.Eine Männerdomäne? Fußball und Gender
Ein Blick in die Geschichte des afrikanischen Fußballs:
Kolonialisierung und Widerstand
3.Wie der Fußball nach Afrika kam
See- und Kaufleute, Soldaten, Siedler und Schulleiter
4.Unterhaltung für die "Eingeborenen"?
Fußball, Zivilgesellschaft und Unabhängigkeitsbewegungen
Fußball und "Kultur":
Mobilisierungen, Ethnifizierungen und Identifizierungen
5.Das "Wunder von Johannesburg"?
Vom Versuch der Nationenbildung durch Fußball
6.Das Ende des Dodo FC
Vom Kampf gegen den ethnifizierten Fußball
in der "Regenbogennation" Mauritius
7.Benin - Madagaskar 3:2
Magie, Misstrauen und Massenpanik in Afrika
Fußball und Politik:
Autoritäre, neopatrimoniale und neokoloniale Formen
der Herrschaft
8.Brot und Zirkusspiele? Autoritäre (Militär-)Regime und Fußball
9.Neopatrimoniale Politik in Kamerun:
Präsident Biya als Fußballtrainer und räuberische Funktionäre
10.Fußballspieler Weah als Staatspräsident?
Fußball und politische Unternehmer
11.Die FIFA und Afrika:
koloniale, postkoloniale und neokoloniale Beziehungen
Fußball und Wirtschaft:
Migration, Sponsoring und Entwicklungshilfe
12.Auf der Suche nach grüneren Rasen:
Der "Body Drain", die "Migration mit dem Ball"
und die Hoffnung auf ein besseres Leben
13.Bier und Mobilfunk:
Erfolgreiche Wirtschaftssektoren als Sponsoren
des afrikanischen Fußballs
14.Chronik eines angekündigten Fiaskos?
Fußball und Entwicklung(-shilfe)
Nach dem Abpfiff
15.Ein Kampf auf Leben und Tod -
oder mehr als das?
Anhang: Übernamen der Nationalmannschaften
Literatur
Einige Gedanken
über ein vielfältiges Phänomen zum Aufwärmen
"Football gives suffering people joy." (George Weah)
Im Jahr 2004 kam ich nach einem Nachtflug frühmorgens ohne Visum bei der Passkontrolle eines westafrikanischen Staates an und musste dort wie einige Mitreisende erfahren, dass die für das Visum benötigten Fiskalmarken ausgegangen seien. Mangels dieser "Steuerbriefmarken" könne er derzeit keine Visa ausstellen, meinte der eine Immigrationsbeamte. Die Mitreisenden deponierten den Pass. Einige gingen Kaffee trinken, andere gingen in die Stadt mit der Aufforderung, abends den Pass am Flughafen abzuholen. Ich gratulierte dem Beamten zum Sieg "seiner" Nationalmannschaft gegen eine große Mannschaft des afrikanischen Fußballs zwei Tage zuvor. Nach einer angeregten Diskussion über Fußball knallte er mir das Visum inklusive Fiskalmarken in den Pass und ich ging meines Weges. Fußball kann nahezu weltweit Türen öffnen.
Ich kam damals aus Ruanda, wo ich während der Europameisterschaft 2004 war. Anfängliche Befürchtungen, die Spiele der Schweizerischen Nationalmannschaft in Ruanda nicht mitverfolgen zu können, haben sich schnell in Luft aufgelöst. Die 0:3 Niederlage gegen England war auch noch am Kivu-See im Fernsehen zu sehen. Einige Monate zuvor, am 24. Februar 2004, war ich im abgelegenen Dorf Hombori am Rande der Wüste in Mali. Am Abend stellte der Hotelbetreiber, selbst ein ehemaliger Fußballer, einen Fernseher vor eine Lehmhütte. Familie, Gäste und ein Teil der Nachbarschaft schaute sich unter dem wunderbaren Sternenhimmel im Freien das Champions League-Spiel zwischen Bayern München und Real Madrid an. Der Wert dieser beiden Klubs beträgt etwa die Hälfte des jährlichen Volkseinkommens von Mali.
Fußball bereitet leidenden Menschen Freude, meint der afrikanische Fußballer George Weah. Fußball hilft aber auch, etwas über das Leiden und die Freuden der Menschen zu erfahren. Man kann durch Fußball viel über afrikanische Gesellschaften lernen, wobei in diesem Buch mit Afrika das Afrika südlich der Sahara gemeint ist. Fußball wird hier als Spiegel oder Allegorie der afrikanischen Gesellschaften betrachtet. Es ermöglicht soziologische Einblicke, die über den Fußball hinausgehen. Die Geschichte mit dem Einreisevisum verweist auf die Funktionslogik einer korrupten, neopatrimonialen Gesellschaft, die anderen beiden Anekdoten illustrieren die globale Ausstrahlung bestimmter Fußballwettbewerbe. Fußball ist bei weitem nicht der einzige mögliche Spiegel für gesellschaftliche Phänomene, aber ein meiner Ansicht nach besonders gut geeigneter. Im und durch Fußball wird die Gesellschaft auch mitgestaltet, und Fußball ist deshalb nicht nur ein passiver Spiegel. Fußball spiegelt außerdem nicht alle Facetten einer Gesellschaft.
Wenn in diesem Buch von Korruption und Gewalt und anderen Phänomenen in Afrika die Rede ist, sollte nicht vergessen werden, dass neben all dem Negativen in Afrika auch sehr viel Positives anzutreffen ist. Korruption und Gewalt sind außerdem auch außerhalb von Afrika anzutreffen, man denke etwa an die verschiedenen Korruptions- und Wettskandale in verschiedenen europäischen Ländern oder an jenen Schweizer FIFA-Schiedsrichter, der 1997 wegen versuchtem Wettspielbetrug von der UEFA lebenslang gesperrt wurde. Auch Spielabsprachen sind außerhalb Afrikas weder neu noch selten. Beispiele findet man unter anderem in Belgien, Ungarn, Portugal, Rumänien, Frankreich, Brasilien sowie in asiatischen Ländern wie Thailand, Singapur oder Indonesien. Fußballklubs mit finanziellen Problemen oder chaotischen Finanzverhältnissen gibt es ebenfalls rund um die Welt. Die Vermischung von Politik und Fußball ist aus Italien und Spanien bestens bekannt und in verschiedenen europäischen Ländern wurden in den letzten Jahren Fußballfunktionäre erschossen. Der einzige Fußballkrieg, den es bislang auf der Welt gegeben hat, hat nicht in Afrika stattgefunden, sondern in Lateinamerika. Ein Fußballspiel gab nicht in Afrika den letzten Impuls für einen Bürgerkrieg, sondern in Südosteuropa.
In Afrika werden verschiedene gesellschaftliche Probleme als mehr oder weniger plausible Folgen des Kolonialismus kritisiert und diskutiert. Fußball nicht. Fußball als solches wird nicht als koloniale Idee dargestellt und kritisiert - gewisse mit Fußball verbundene Phänomene natürlich schon. Dabei kam Fußball mit dem Kolonialismus nach Afrika, und zwar schon früh. Das erste Fußballspiel im europäischen Sinn fand im Mai 1862 in Kapstadt in Südafrika statt, als Soldaten gegen Angestellte der Kolonialadministration spielten. Viele Afrikaner und - zu einem weniger großen Ausmaß Afrikanerinnen - wandten sich seither dem Fußball zu. Inzwischen gehören afrikanische Spieler in europäischen Ligen zum Alltag und ihre sportliche Leistung ist außer Frage. Hat Fußball die ganze Welt erobert? Nein, ein zunehmend kleines Gebiet mit Zentrum der USA leistet hartnäckigen Widerstand und sieht sich selber als Nabel der sportlichen Welt: In der sogenannten World Series des Baseball spielen ausschließlich nordamerikanische Teams. Interessanterweise ist Fußball in den USA - jenem Land, dem man schnell kulturellen und ökonomischen Imperialismus unterstellt - nicht besonders wichtig. Trotzdem ist Fußball universeller als die UNO, jedenfalls wenn man die Zahl der Mitglieder der FIFA mit jener der UNO vergleicht.
Fußball steht aber nicht nur für Universalismus, sondern auch für Chauvinismus, Ausgrenzung und Aggression. Das ist nicht weiter erstaunlich. Der gesellschaftliche Teilbereich des professionellen Sports ist nicht von der Gesamtgesellschaft losgelöst. Er ist damit auch nicht eine Insel der Idylle, wie uns die Fairplay-Ideologie weismachen will. Diese verschleiert nur den politischen Charakter des Fußballs, welcher in Afrika offener sichtbar ist als in Europa. Das gilt auch für FIFA-Phrasen, welche den "völkerverbindenden", "erzieherischen" oder "humanitären" Charakter des Fußballs betonen. Es greift allerdings zu kurz, Sport als reines Valium für das Volk und Marionette im Dienste kapitalistischer Profitinteressen abzutun. Bei allen strukturellen Schranken haben die Menschen in Afrika wie anderswo immer auch Handlungsspielraum. Fußball ist komplex und widersprüchlich, wie unsere Welt.
Fußball aus soziologischer Sicht zu betrachten ist bei weitem nicht gleich selbstverständlich wie etwa eine soziologische Analyse des Arbeitsmarktes oder des Bildungssystems. Viele Texte über Fußball beginnen deshalb mit einer Rechtfertigung. Nur schon die Dimension des Phänomens Fußball ist eigentlich Grund genug für eine Auseinandersetzung: Gemäß FIFA-Angaben werden mit Fußball jährlich geschätzte 250 Milliarden US$ umgesetzt. Das Finalspiel der Weltmeisterschaft von 2006 wurde angeblich von mehr als einer Milliarde Menschen gesehen - wie auch immer diese Schätzung zustande kam. Diese globale Konnektivität hat in den letzten Jahren zugenommen und betrifft auch immer mehr Frauen. Sie ist aber nach wie vor ungleich verteilt. Mit dem Aufkommen der Globalisierungsdiskussion wurde auch Fußball in dieser Perspektive untersucht. Im Fußball zeigen sich verschiedene Elemente des globalen Kapitalismus, etwa wenn amerikanische Geschäftsleute englische Fußballklubs übernehmen und dies als reines Investment sehen. Oder wenn nicht-westliche globale Firmen wie etwa Emirates zu den weltweit größten Sponsoren im Fußball gehören. Hinzu kommen nicht immer ganz transparente Öl- und Erdgasmillionen aus verschiedenen Regionen, die in Fußballklubs "investiert" werden. Die Verbindung mit der politischen Sphäre wird noch offensichtlicher, wenn ein ehemaliger thailändischer Premierminister (Thaksin) einen britischen Fußballklub (Manchester City) kauft, um sich damit Präsenz im heimischen Fernsehen zu sichern. Auch im Fußball nehmen die Interaktionen über die nationalen Grenzen hinaus klar zu. Afrika taucht aber in solchen Zusammenhängen nur am Rande auf, und das ist kein Zufall.
Die Einbindung in die zunehmende internationale Vernetzung im Sportbereich ist erstens nicht vollständig global, da einige Gebiete wie etwa Somalia davon nur sehr marginal betroffen sind. Im medialen Zugang zu internationalen Sportereignissen ist sie sicherlich am größten. Sie ist zweitens auch ungleich. So stehen in Europa den fünf großen Fußballligen mit nahezu globaler Ausstrahlung vielen kleineren Ligen mit weniger Bedeutung gegenüber. Auch der Zugang zu sportlicher Infrastruktur und die internationale Wettbewerbsfähigkeit sind ungleich verteilt. Schon längst ist klar, dass es nicht einfach eine globale Angleichung gibt, sondern auch Prozesse der Heterogenisierung und lokalen Ausdifferenzierung zu beobachten sind, und dass derartige Prozesse wechselseitig verflochten sind. Dennoch versuchen internationale Unternehmen etwa im Sportartikel- oder Mediensektor immer dominanter zu werden. Dies äußert sich etwa in der medialen Berichterstattung, im Sponsoring und in der Konstruktion von Sportstar-Figuren. Das Zusammenspiel zwischen Fußball, Populärkultur und Medien auf lokaler Ebene in Afrika wäre ein interessantes Thema, aber für die Analyse von afrikanischen Fanzines, von Sportberichten in Massenmedien und anderen Phänomenen müsste mehr in Afrika geforscht werden, als für dieses Buch möglich war. Das Thema soll in weiteren Untersuchungen angegangen werden. Auch andere Themen werden in diesem Buch nicht behandelt. Es konzentriert sich etwa auf den Standardfußball und vernachlässigt Futsal (Hallenfußball) und Beach Soccer. Inbesondere letzterer ist in einigen afrikanischen Ländern im Kommen, etwa in Nigeria, Kamerun oder Ghana. Das Buch berichtet auch hauptsächlich über den Fußball, der im Rahmen der oberen Spielklassen oder der Nationalmannschaft gespielt wird und weniger über den Fußball, der auf der Straße, im Innenhof oder auf dem Platz vor dem Schulhaus gespielt wird. Die Kinderarbeit im Sportartikelsektor konnte hier ebenso wenig diskutiert werden wie etwa der Rassismus im europäischen Fußball oder Stereotypen in der europäischen Berichterstattung über den afrikanischen Fußball. Fußball in Afrika ist auch stark von AIDS betroffen. Bereits sind einige Fußballprofis an AIDS gestorben und viele mehr werden von einer Ansteckung betroffen sein. Auch dieses Thema konnte hier nicht gebührlich aufgegriffen werden.
Das Buch enthält viele Informationen und Gedanken, die auf meinen eigenen Erfahrungen in Afrika basieren. Ich habe insgesamt mehr als drei Jahre meines Lebens in Afrika verbracht, war dabei in mehr als 20 verschiedenen Staaten und habe unzählige Fußballspiele am Fernsehen in Bars oder live im Stadion gesehen. Neben eigenen Beobachtungen und Gesprächen fließen Informationen aus Medienberichten ein. Konsultiert wurden afrikanische Zeitungen, aber insbesondere auch die online-Informationen der BBC (http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/default.stm) sowie die Wochenzeitschrift Jeune Afrique, welche seit mehreren Jahren systematisch angesehen werden. Es ist klar, dass Zeitungsquellen mit einer gewissen Vorsicht zu genießen sind. Das Internet war teilweise eine nützliche Quelle für ergänzende Information oder die Verifizierung von Zeitungsmeldungen. Daneben basiert das Buch auch auf der bis Herbst 2009 verfügbaren wissenschaftlichen Literatur zum Thema. Diese hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, ist aber nach wie vor verhältnismäßig überschaubar im Vergleich zur Literatur zum Fußball in Europa. Auch in der wissenschaftlichen Gemeinschaft ist das Interesse am afrikanischen Fußball jüngst gewachsen. So gab es im Januar 2010 an der Universität Basel eine mehrtägige Konferenz, welche sich dem afrikanischen Fußball gewidmet hat. Die meisten Anwesenden waren männlich und weiß. Die Literatur hat in den letzten Jahren auch spürbar zugenommen. Auch wenn es ein Buch mit soziologischem Interesse ist, wurde darauf verzichtet, die entsprechenden Quellenverweise in den Text aufzunehmen, damit dieser möglichst lesbar bleibt. In der Literaturliste am Ende des Buches sind die Arbeiten aufgelistet, die für dieses Buch verwendet wurden. Die Nummern in Klammern verweisen auf die Kapitel, in denen die Quellen verwendet wurden. Zur besseren Lesbarkeit wurden die Namen von Fußballklubs, Stadien, Produkten usw. sowie die Übernamen von Menschen kursiv geschrieben. Geographische Namen und die Namen von Menschen dagegen sind normal geschrieben.
Dieses Buch konnte neben den genannten Informationsquellen auch von weiteren Anregungen profitieren. Dank geht insbesondere an Daniel für die Einführung in das samstägliche Fußballspiel beim Flughafen in Cotonou und die Begleitung ins Stade de l'Amitié. Einige Überlegungen wurden das erste Mal im Rahmen einer Vorlesung am Soziologischen Institut der Universität Zürich präsentiert. Auch im Rahmen von anderen Veranstaltungen im universitären Umfeld konnte ich von verschiedenen Rückmeldungen profitieren, für die ich mich gerne bedanke. Anna Sommer hat geduldig Texte zu einem Thema durchgesehen, das sie eigentlich nicht besonders interessiert und geistige sowie körperliche Abwesenheiten selbst in Spanien und Ruanda mit königlichem Gleichmut ertragen.
Ach ja, damit Transparenz herrscht: Mein Lieblingsklub ist der FC Zürich (FCZ), auf afrikanischem Boden sind es die Orlando Pirates in Südafrika als Klubmannschaft und die Nationalmannschaft von Nigeria. Der FC Zürich und einige seiner afrikanischen Spieler werden manchmal erwähnt, weil so die verschiedenartigen Zusammenhänge rund um den afrikanischen Fußball besser sichtbar gemacht werden können. Dies könnte mit Spielern vieler anderen Mannschaften auch gemacht werden.




