E-Book, Deutsch, Band 1975, 64 Seiten
Reihe: Der Bergdoktor
Kufsteiner Der Bergdoktor 1975 - Heimatroman
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7325-8112-2
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Zeit drängt ...
E-Book, Deutsch, Band 1975, 64 Seiten
Reihe: Der Bergdoktor
ISBN: 978-3-7325-8112-2
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Zeit drängt ...
Annis Leben hängt am seidenen Faden
Von Andreas Kufsteiner
Anni Kofler bewirtschaftet mit ihrem Mann einen Bauernhof in St. Christoph. Nun soll ein Baby, auf das sich das Paar riesig freut, ihre Liebe krönen. Anni ist im vierten Monat schwanger und froh, dass die anfängliche Übelkeit sich gelegt hat.
Doch plötzlich überfällt sie eine eigentümliche Schwäche, verbunden mit so starken Gliederschmerzen, dass sie sofort die Praxis von Dr. Burger aufsucht. Die Untersuchungsergebnisse sind selbst für den Bergdoktor, der schon viel in seinem Leben erlebt und gesehen hat, schockierend. Anni leidet an einer so starken Leberschädigung, dass nur eine schnelle Transplantation ihr Leben retten kann. Die Ärztin im Krankenhaus rät der jungen Frau zu einem Schwangerschaftsabbruch, um ihre eigenen Überlebenschancen zu erhöhen. Doch dazu ist Anni nicht bereit. Niemals ...
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Die Zeit drängt …
Annis Leben hängt am seidenen Faden
Von Andreas Kufsteiner
Anni Kofler bewirtschaftet mit ihrem Mann einen Bauernhof in St. Christoph. Nun soll ein Baby, auf das sich das Paar riesig freut, ihre Liebe krönen. Anni ist im vierten Monat schwanger und froh, dass die anfängliche Übelkeit sich gelegt hat.
Doch plötzlich überfällt sie eine eigentümliche Schwäche, verbunden mit so starken Gliederschmerzen, dass sie sofort die Praxis von Dr. Burger aufsucht. Die Untersuchungsergebnisse sind selbst für den Bergdoktor, der schon viel in seinem Leben erlebt und gesehen hat, schockierend. Anni leidet an einer so starken Leberschädigung, dass nur eine schnelle Transplantation ihr Leben retten kann. Die Ärztin im Krankenhaus rät der jungen Frau zu einem Schwangerschaftsabbruch, um ihre eigenen Überlebenschancen zu erhöhen. Doch dazu ist Anni nicht bereit. Niemals …
Der Sturm fauchte um das Doktorhaus wie ein Ungeheuer, das Einlass begehrte. Er rüttelte an den Fensterläden, heulte um die Ecken und jagte der kleinen Tessa einen Schauer nach dem anderen über den Rücken.
Eigentlich sollte sie ihre Hausaufgaben im Rechnen machen, aber die Achtjährige konnte sich nicht auf die Zahlen konzentrieren. Stattdessen schweifte ihr Blick immer wieder von ihrem Schreibtisch aus dem Fenster.
Auweia! Draußen wurde es immer dunkler. Der Sturm peitschte die Kiefern am nahen Waldrand, sodass sie sich ächzend neigten. Hier und da ragten nur noch helle Stummel in den Himmel, wo ein Baum der Urgewalt nicht länger standgehalten hatte und abgeknickt war. Graue Wolkentürme ballten sich über den Bergen zusammen und trieben so tief über das Tal hinweg, dass die Gipfel in ihnen verschwanden.
Tessa grub die Zähne in die Unterlippe. Sie fürchtete sich. Dabei war es in ihrem Kinderzimmer durchaus behaglich. Die Schreibtischleuchte spendete sanftes Licht, und auf dem Regal über dem hellgrün bezogenen Bett saßen ihre Freunde: das Plüschnilpferd Rosa, Teddy Brumm und Milly, der Tausendfüßler mit den vielen Schlenkerbeinen. Sie schienen kein bisschen besorgt zu sein, aber Tessa, ja, sie hatte ein mulmiges Gefühl im Magen.
Der Sturm blies aber auch gar zu sehr!
Ihr Heimatdorf St. Christoph lag hoch oben im Zillertal. Lediglich eine einzige Bergstraße führte aus dem Tal hier herauf. Es kam öfters vor, dass der Ort von der Außenwelt abgeschnitten war. Umgestürzte Bäume, Schlammlawinen oder Schnee versperrten die Zufahrt je nach Jahreszeit. Als Kind der Berge kannte Tessa viele Gefahren und wusste, dass sie hier daheim sicher war.
Trotzdem rieselte ihr ein Schauder über den Rücken.
Kurz entschlossen stand sie auf und schnappte sich Milly. Sie setzte die Tausendfüßlerdame auf ihren Schreibtisch und legte eine Hand auf den weichen Plüsch. Dann griff sie zu ihrem Federhalter und beugte sich wieder über ihr Schulheft.
„Tessa?“ Unbemerkt war die Tür geöffnet worden. Filli schob seinen Kopf herein.
Ihr Bruder war drei Jahre jünger als sie und hatte blonde Haare, die stets ein wenig zerzaust waren, ganz egal, wie oft ihre Mutter sie auch kämmte. Er konnte es kaum erwarten, im kommenden Jahr in die Schule zu kommen und Lesen und Schreiben zu lernen. Als er nun sprach, entblößte er eine Zahnlücke.
„Ist dir bang vor dem Wetter, Tessa?“, fragte der Bub.
„Ist doch nur ein Sturm. Und du? Hast du Angst?“
„Ich?“ Er tippte sich an die Brust und stülpte die Lippen vor wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Nein“, sagte er im Brustton der Überzeugung, nur um gleich darauf zuzugeben: „Ein bisserl vielleicht schon.“
„Es ist net schlimm, Angst zu haben. Mir ist auch net wohl bei diesem Lärm.“
„Wirklich?“ Ihr Bruder stieß hörbar den Atem aus. Dann kam er herein und ließ sich im Schneidersitz neben ihrem Schreibtisch nieder.
Ihm folgte Poldi, der Familiendackel. Er bettete den Kopf auf dem Schoß des Buben und hielt still, als dieser ihm durch sein Fell fuhr. Nur seine Rute fuhr träge hin und her und verriet, wie sehr ihm das Streicheln gefiel.
Nun, wem hätte das nicht gefallen?
Schritte auf der Treppe verrieten, dass jemand heraufkam. Kurz darauf trat Zenzi über die Schwelle. Die Wirtschafterin lebte seit über vierzig Jahren im Doktorhaus und gehörte wie eine liebe Großmutter längst zur Familie. Zenzi hatte eine Vorliebe für Kreuzworträtsel und konnte wunderbar backen. Jede Art von Ungerechtigkeit regte sie fürchterlich auf.
„Hier, Kinder, ich hab euch einen Kakao gemacht.“ Sie stellte ein Tablett auf dem Schreibtisch ab. Darauf standen nicht nur zwei Becher mit dampfend heißer Schokolade, sondern auch eine Schale mit Plätzchen.
Hungrig machten sich die Kinder darüber her und vergaßen für kurze Zeit das Unwetter, das über ihr Heimattal hinwegfauchte. Der Kakao schmeckte wunderbar!
Filli leerte seinen Becher als Erster. Als er ihn absetzte, zeichnete sich ein schokoladenfarbener Bart um seinen Mund ab. Flink wischte er ihn mit dem Handrücken ab und griff nach einem Plätzchen.
Zenzi spähte derweil hinaus und zog die Schultern hoch.
„Mei, so einen Sturm hatten wir lang nimmer.“
„Geh, Zenzi“, ließ sich eine dunkle Stimme von der Tür vernehmen. Dr. Pankraz Burger, der Senior, kam herein und stibitzte sich ein Plätzchen. „Ein richtiger Sturm ist es erst, wenn draußen die Kühe vorbeifliegen.“
„Die Kühe?“ Filli äugte aus dem Fenster und wirkte mit einem Mal nicht mehr eingeschüchtert, sondern gespannt. Draußen flogen jedoch keine Kühe vorbei. Nur Blätter, Zweige und ein paar Wäschestücke.
„War das etwa eben eine Unterhose?“ Der Großvater legte die Stirn in Falten.
„Zum Glück keine von uns“, schnaufte Zenzi. „Ich hab die Wäsche vorhin schon abgenommen. Im Radio haben sie seit dem frühen Morgen vor dem Sturm gewarnt.“
„Und das zu Recht.“
„Ich hoffe nur, das Getöse hält Sabine und das Mauserl net vom Schlafen ab. Die beiden brauchen Ruhe, damit sie bald wieder gesund sind.“
Tessa nickte unwillkürlich. Filli und sie hatten die schlimme Erkältung schon hinter sich. Ihre Mutter und ihre kleine Schwester rangen noch mit dem Fieber und dem Husten, der sie nachts vom Schlafen abhielt.
„Und Martin?“ Pankraz verschränkte die Arme vor der Brust.
„Papa ist noch unterwegs“, piepste Tessa. Ihr Vater war der Arzt in ihrem Heimatdorf und wurde oft zu Notfällen gerufen.
Auch an diesem Nachmittag hatte er ausrücken müssen. Am Hexenstein war eine Frau verunglückt. Sie hatte einen Notruf abgesetzt. Danach hatte man nichts mehr von ihr gehört. Zusammen mit einigen Helfen von der Bergrettung war Tessas Vater nun unterwegs, um der Urlauberin zu helfen.
Tessa umschlang ihren Kakaobecher fest mit beiden Händen. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, dass ihr Papa jetzt da draußen unterwegs sein musste.
Plötzlich erklang draußen ein ohrenbetäubendes Krachen. Etwas splitterte und knirschte lautstark. Das Geräusch ging Tessa durch Mark und Bein.
„Auweia!“, japste Filli.
„Das war ganz nah“, murmelte der Großvater.
„In der Tat.“ Zenzi trat ans Fenster und schaute hinaus. „Jesses, das hat uns noch gefehlt!“
„Was ist denn?“ Tessa sprang auf und eilte mit ihrem Bruder zum Fenster. Sie reckte den Hals und spähte hinaus. Kurz stutzte sie, dann schnappte sie erschrocken nach Luft.
Von ihrem Zimmer aus hatte sie einen Blick auf den Anbau mit der Praxis ihres Vaters. Die Birke neben dem Hauseingang hatte dem Drängen des Sturms nachgegeben und war geradewegs auf den Anbau gestürzt! Dabei hatte sie sich durch das Dach gebohrt!
„Als wär‘ das Jüngste Gericht angebrochen“, murmelte die Zenzi und bekreuzigte sich. „Wenn nur der Doktor heil nach Hause kommt!“
***
„Obacht, Männer! Behaltet die Bäume im Auge.“ Dr. Burger musste seine Stimme heben, um über das Tosen hinweg gehört zu werden. Noch regnete es nicht, aber den dunklen Wolken nach zu urteilen, die sich am Himmel zusammenschoben, würde sich das bald ändern.
Der Sturm bringt anderes Wetter, sagte man in den Bergen. Da war durchaus etwas dran. War es morgens noch sonnig und warm gewesen, war es mittlerweile spürbar abgekühlt. Und die Wolkentürme verhießen nichts Gutes.
Gerade, als der Bergdoktor in seiner Praxis Feierabend gemacht hatte, war der Notruf hereingekommen. Eine Urlauberin saß verletzt am Hausberg von St. Christoph fest.
Gemeinsam mit einem Team aus Bergrettern kämpfte er sich nun zu ihr durch. Bei ihm waren David Kofler, ein junger Landwirt, der ehrenamtlich bei der Bergwacht mithalf, und sein Schwager Albert, der sein Brot als Musiker verdiente. Alle drei waren sie mit Rucksäcken ausgestattet, die prall gefüllt mit allerlei Ausrüstung waren.
„Herrschaftszeiten!“ Albert zog unwillkürlich den Kopf ein, als der Sturm mehrere Zweige abriss...




