E-Book, Deutsch, Band 1838, 64 Seiten
Reihe: Der Bergdoktor
Kufsteiner Der Bergdoktor - Folge 1838
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7325-3691-7
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Burger und die Tochter des Wilderers
E-Book, Deutsch, Band 1838, 64 Seiten
Reihe: Der Bergdoktor
ISBN: 978-3-7325-3691-7
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Franzi sitzt am Fenster und blickt zu den Bergen hinüber, hinter denen langsam die Sonne untergeht. Sie liebt den Herbst mit seinen bunten, goldenen Farben fast noch mehr als Frühling und Sommer. Aber seit zwei Jahren beschleicht sie eine heimliche Angst, wenn die ersten Blätter fallen. Denn dann beginnt die Zeit, in der ihr Vater unruhig wird und nachts aus dem Haus schleicht.
Was er treibt, bleibt sein Geheimnis. 'Ich muss etwas in Ordnung bringen', ist sein einziger Kommentar.
Da! Franzi hört, wie ihr Vater in der Diele in seine Joppe schlüpft. Im nächsten Moment springt auch Franzi auf, denn heute Nacht wird sie ihm in den Wald folgen, um endlich sein Geheimnis zu ergründen ...
Autoren/Hrsg.
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An einem sonnigen, milden Herbstsonntag kam Förster Reckwitz gegen halb elf Uhr ins Dorf hinunter.
Er wurde von seiner treuen Jagdhündin Reyka begleitet, die es sichtlich genoss, mit ihrem Herrn durch St. Christoph zu spazieren. Reyka gehorchte aufs Wort und durfte daher ohne Leine neben Fabian Reckwitz herlaufen.
Der Spaziergang hatte aber leider schnell ein Ende, denn Punkt elf klingelte der Förster am Doktorhaus in der Kirchgasse.
Von drinnen erklang Gebell.
Rauhaardackel Poldi wartete schon im Flur auf Reyka. Die zwei Vierbeiner sahen sich nicht oft, aber wenn, dann war es immer eine fröhliche Begegnung.
Dr. Burger öffnete die Tür.
»Hoffentlich störe ich net allzu sehr, Herr Doktor«, sagte Fabian Reckwitz. »Es ist schließlich Sonntag. Aber unter der Woche haben Sie wenig Zeit. Bei mir ist es genauso. Länger als ein halbes Stündl werd ich aber net brauchen, um Ihnen zu schildern, worum es geht.«
»Immer mit der Ruhe. Es darf ruhig länger dauern als eine halbe Stunde. Die Kinder freuen sich auf Reyka. Und unser Poldi dreht eh völlig durch vor Freude. Wie geht’s daheim?«
»Ich kann net klagen. Meine Frau besucht heut mit den Kindern unsere Verwandten in Schwaz, da ist’s ein bisserl ruhiger daheim. Ich werd nachher im Berghotel ›Am Sonnenhang‹ essen gehen, angeblich stehen herbstliche Menüs auf der Karte. Allein schmeckt’s freilich net so gut wie in Gesellschaft, aber es macht mir nichts aus.«
»Kommt net infrage«, widersprach Dr. Burger. »Heute ist das Restaurant Burger geöffnet! Bei uns gibt’s heute Zenzis berühmte Schwammerlsuppe und hernach einen Krustenbraten, und zwar auf Wunsch meines Vaters. Der Braten scheint so groß zu sein, dass er kaum ins Rohr passt. Also ist uns ein Gast gerade recht – noch dazu, wenn er Förster ist!«
»Da sag ich natürlich nicht Nein«, lachte Fabian Reckwitz. »Bei Schwammerlsuppe läuft mir eh das Wasser im Mund zusammen.«
Dr. Burger führte den Gast in die gute Stube, in der die Familie vollzählig versammelt war.
»Ach, wen seh ich denn da? Das Kleeblatt-Trio!«, scherzte der Förster. »Tessa, Filli und die kleine Laura. Ich hab euch etwas aus dem Wald mitgebracht. Das schauen wir uns nachher an. Aber zuerst werd ich eure Mama begrüßen, ihr drei Eichkatzerln, und natürlich euren Opa und die Zenzi.«
Sabine Burger, ebenfalls Dr. med. wie ihr Mann, freute sich über den Besuch des feschen, sympathischen Försters. Vor allem deswegen, weil er ein Herz für Kinder, Tiere und alle Menschen hatte, die in irgendeiner Weise Hilfe brauchten.
»Gibt’s etwas Neues im Wald?«, fragte sie lächelnd. »Sind die Tannen noch grün?«
»Freilich. Ansonsten sieht es so aus, als ob alles in Ordnung ist. Jedenfalls derzeit noch.«
»Was heißt denn das?« Sabine schaute betroffen drein. »Ist etwas passiert?«
»Sagen wir mal so: Es könnte etwas passieren. Darüber möchte ich mit Ihrem Mann reden.«
»Das hört sich bedenklich an«, meinte Dr. Burger. »Ich habe eine Vermutung, worum es geht. Bevor wir uns zusammensetzen, gönnen wir uns am besten eine kleine Stärkung. Unsere Zenzi hat ein neues Kaffee-Rezept ausfindig gemacht.«
»Caffé latte mit Amaretto-Likör im Glas, garniert mit einer Sahnehaube«, ergänzte Sabine. »Einfach köstlich! Auf die Sahne gehören dunkle Schokoraspeln. Und natürlich kann man sich durchaus einen Amaretto-Likör extra genehmigen. Für die Kinder wird das Ganze mit Trinkschokolade und ein bisserl Mandelmilch zubereitet.«
»Ich wäre nie darauf gekommen, einen Kaffee so herzurichten wie eine Art Süßspeise. Aber unser Chorleiter, der Herr Staudacher, hat das Rezept aus seinem Italienurlaub mitgebracht«, meldete sich die Bachhuber-Zenzi aus dem Hintergrund zu Wort. »Man kann auch noch eine Amarena-Kirsche dazugeben, auch so etwas Italienisches. Ich nehm aber eine eingelegte Kirsche aus dem Rumtopf und für die Kinder eine Himbeere aus dem Weckglas. Das ist dann das Tüpfelchen auf dem >i<.«
Seit inzwischen vierzig Jahren werkelte die Zenzi, mit vollem Namen Kreszenzia Bachhuber, als fachkundige Wirtschafterin im Doktorhaus. Dr. Martin Burger war ein Bub von elf Jahren gewesen, als sie nach dem allzu frühen Tod seiner Mutter ins Haus gekommen war.
Inzwischen war die Zenzi zum vollwertigen Familienmitglied aufgestiegen. Mit ihrer Meinung hielt sie zwar nie hinter dem Berg, aber sie wusste auch ganz genau, wann es besser war, sich nicht einzumischen.
»Ein bisserl diskret muss man immer sein«, sagte sie gern. Und damit hatte sie natürlich recht. Allerdings gab es auch Situationen, die ein »gesteigertes Interesse« verlangten. Dr. Pankraz Burger, der Senior und Großpapa in der Familie Burger, nannte es schlicht und einfach »eine gesunde Neugier.«
Heute war die Zenzi tatsächlich ein wenig neugierig, obwohl sie es sich nicht anmerken ließ. Noch nie war es vorgekommen, dass Förster Reckwitz sonntags hereinschaute, um mit dem Doktor etwas unter vier Augen zu besprechen.
Sie zerbrach sich den Kopf, während sie in der Küche den köstlichen Amaretto-Kaffee zubereitete.
Gab es vielleicht in der Ehe des Försters irgendwelche Probleme? Zwar hieß es, dass es manchmal droben im Forsthaus ein bisserl krachte, weil Mechthild Reckwitz hier und da gern ein bisserl flirtete. Aber es war ja immer ganz harmlos, und jeder wusste, dass sie ihren Fabian sehr liebte.
Also schieden private Probleme eigentlich aus, es sei denn, irgendetwas Berufliches bereitete dem Förster Kopfzerbrechen. Aber war in diesem Fall der Doktor die richtige Anlaufstelle? Oder handelte es sich sogar um eine Krankheit?
Hubert Treich, Mechthilds Onkel und der Vorgänger des jetzigen Försters, wohnte mit seiner Frau auch noch im Forsthaus. Mit der Arbeit war’s nichts mehr, und auch das Laufen fiel dem pensionierten Oberförster schwer, sodass er auf seine geliebten Streifzüge durch den Wald verzichten musste.
Seit Jahren litt er unter einer chronischen Wirbelsäulenerkrankung, die er aber – nach eigenen Angaben – dank Dr. Burgers kompetenter Behandlung »im Griff« hatte. Außerdem ließ er sich nie die Laune verderben.
Trotz der Erkrankung machte er zusammen mit seiner Frau kleinere Ausflüge und ließ sich nicht unterkriegen. War vielleicht urplötzlich eine Verschlechterung in seinem Befinden eingetreten?
Doch darüber wollte die Zenzi an diesem sonnigen Tag nicht nachdenken. Schwarzseherei musste nicht sein. Herr Staudacher sagte ja auch immer: »Meine lieben Lerchen und Nachtigallen, man kann nur aus vollem Herzen singen, wenn man positiv denkt.«
Sie summte ein Lied vor sich hin, das der Chor demnächst in der Kirche zum Besten geben wollte: »Danke für diesen schönen Tag, danke für diesen neuen Morgen …«
Es war wirklich bewundernswert, dass Herr Staudacher außer den ganz normalen Kirchenliedern so viele andere Lieder kannte, die überall Anklang fanden.
Sogar Pfarrer Roseder äußerte sich lobend darüber, dass die ganze Kirchengemeinde richtig »musikalisch« geworden sei.
Als die Zenzi mit einem Tablett samt Kaffee, Trinkschokolade für die Kinder und hausgemachten Mandelkeksen in die Stube zurückkam, fragte der Senior just in diesem Moment: »Wie läuft’s eigentlich beim Hubert und seiner Frau?«
»Den beiden geht’s gut«, erwiderte Förster Reckwitz. »Sie hüpfen zwar net täglich umeinander wie die Hasen im Frühling, aber vor allem Onkel Hubert lässt sich net hängen. Man kann viel von ihm lernen. Er ist ein Mensch mit viel Frohsinn und Optimismus, das hilft ihm sehr. Aus seinem reichen Erfahrungsschatz gibt er mir auch gern den einen oder anderen Tipp. Freilich auch dann, wenn es net sein müsste. Aber das sag ich ihm dann nicht. Ich höre zu und tue so, als ob ich ohne ihn keine Ahnung von den Pflichten eines Försters hätte.«
»Bei uns ist es umgekehrt«, witzelte Dr. Pankraz Burger. »Ich höre mir gelegentlich von meinem Sohn und meinem Schwiegertöchterl an, dass ich inzwischen so ratlos vor der modernen Medizin stehe wie ein Ochs vorm Scheunentor. Mit meinen guten Ratschlägen gehöre ich anscheinend in die Rubrik Heilkunst von anno dazumal.«
»Meine Güte, Vater, erzähl unserem Gast doch net so etwas Unsinniges«, meinte Sabine kopfschüttelnd. »Das Gegenteil ist der Fall. Wir fragen dich sehr oft nach deiner Meinung. Es ist uns wichtig, welche Behandlung du in bestimmten Fällen vorschlagen würdest. Man muss dann natürlich abwägen, wie die Therapie schließlich aussehen soll. Das ist bei jedem Patienten anders, denn jeder reagiert ganz individuell auf die verschiedenen Medikamente.«
»Wer hätte das gedacht.« Der Senior blinzelte seiner Schwiegertochter zu. »Alle Wetter, da hab ich doch schon wieder etwas dazu gelernt auf meine alten Tage! Es stimmt schon, man lernt nie aus, auch net mit siebenundsiebzig. Großartig, dass ich noch etwas für meine grauen Zellen tun kann!«
»Du bist heut wieder ein echter Scherzkeks, Vater«, meinte Martin Burger lachend. »Wie immer eigentlich.«
»Freilich. Deshalb werd ich mir auch noch ein Mandelkekserl zu Gemüte führen. Keks bleibt Keks, sag ich immer.«
Es war gemütlich bei den Burgers. Kaffee und Trinkschokolade dufteten verlockend. Die Kekse waren knusprig, aber sobald man den ersten Bissen probiert hatte, zergingen sie im Mund, weil sie durch die Zugabe von guter Butter unwiderstehlich zart waren. So und nicht anders musste es...




