Kuhnert Süßer die Morde nie klingen
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-08595-7
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Blutige Geschenke von Sabine Thiesler, Heinrich Steinfest, Oliver Bottini, Nicola Förg, Gisbert Haefs uvm
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-641-08595-7
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Weihnachtszeit, besinnliche Zeit – dieses Jahr nicht! Verscharrte Leichen werden gefunden, ein Junge verschwindet, ein Nikolausspiel gerät außer Kontrolle und der Gänsebraten ist sowieso mit Vorsicht zu genießen. Spannend? Ja, und mörderisch gut! Ziehen Sie sich also warm an, denn 14 bekannte deutsche Krimiautoren lehren Sie das Fürchten.
Autoren/Hrsg.
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jacques berndorf
Brinkmann, Ollie und Manni
Dreimal fröhliche Weihnachten
Brinkmann
Brinkmann besuchte seine Frau jeden Mittwoch um elf Uhr auf dem Südfriedhof. Brinkmann war vierundsiebzig Jahre alt, und er war schon seit zwanzig Jahren allein, weil seine Frau Hermine allzu früh gestorben war. Ihn so einfach mir nichts dir nichts allein gelassen hatte. Das machte ihn zuweilen stinksauer, denn seiner Meinung nach hatte sie nicht das Recht gehabt, sich so einfach vom Acker zu machen, so früh, so plötzlich, so unerwartet.
Wie auch immer, Brinkmann konnte sich ausmalen, dass er irgendwann neben ihr liegen würde. Sie hatte im Angesicht ihres Todes geflüstert: »Im Jenseits treffen wir uns wieder!«
Brinkmann hatte an solchen Blödsinn nicht eine Sekunde geglaubt. Gott sei Dank, dachte er immer wieder, dass wir keine Kinder hatten!
Es war Mittwoch, es regnete, Weihnachten stand vor der Tür. Das war immer schon eine unangenehme Zeit für Brinkmann gewesen. Zu viel Romantik um Tannenzapfen und Zweige, zu viel Süßes im schwarzen Herzen der Menschen, zu viele Verlogenheiten.
Aber dieser Mittwoch war etwas ganz Neues, dieses Mal hatte er Hermine wirklich etwas Neues mitzuteilen. Es hatte sich Wichtiges ereignet, nichts würde beim Alten bleiben.
»Es ist so, Hermine, dass ich Wanda kennengelernt habe. Sie ist Polin, und sie pflegt den alten Alois schräg gegenüber, du weißt schon. Wenn sie Pause macht, kommt sie zu mir und raucht ein paar Zigaretten, und ich mache uns einen Kaffee. Sie ist siebenundfünfzig Jahre alt, und sie ist so einsam wie ich. Es ist nicht so, dass wir zwei pausenlos auf dem Sofa rummachen, oder so. Es ist so, dass wir uns viel erzählen, und ein paar Mal ist es auch passiert. Und ich muss dir sagen, dass es mir Spaß gemacht hat, weil Wanda gerne lacht. Sie sagt: ›Wir vögeln uns gegenseitig unsere Hoffnung zu!‹ Und irgendwie hat sie ja auch recht, mehr ist uns einfach nicht geblieben. Nicht, dass du jetzt auf die Idee kommst, sie würde mich ausnehmen, oder ich würde sie dafür bezahlen, dass sie bei mir Pause macht. So ist es nicht. Sie hat neulich ihre Zigaretten vergessen und auch ihr Geld. Da habe ich ihr das Geld für die Zigaretten geliehen, und sie brachte es mir am nächsten Tag wieder.
Ich habe ihr auch sehr viel von dir erzählt und von unserem Leben vor vielen Jahren. Sie hat gesagt, dass es schade ist, dass wir keine Kinder gemacht haben, denn eigentlich wären wir wahrscheinlich gute Eltern gewesen. Na ja, daran können wir nichts mehr ändern.
Und wir kamen auch auf unsere Wohnung zu sprechen und darüber, dass ich in all den Jahren, seit du gegangen bist, niemals etwas geändert habe. Und ich finde inzwischen diese Wohnung auch etwas zu dunkel. Alles Eiche, und alles eichenfurniert, und die Lampen so alt und wenig lichtstark, also Funzeln sozusagen. Nicht, dass das Wanda gesagt hat, sie sagt solche Sachen nicht, sie sagt niemals etwas über dich oder das Leben, das wir damals hatten. Darauf bin ich selbst gekommen. Und ich habe Wanda gefragt, ob wir das nicht ändern sollen, und sie hat geantwortet, dass das ausschließlich meine Sache ist und dass sie dazu nichts sagt.
Also, ich will dir sagen, dass ich gleich mit Wanda in das Möbelhaus von Meiers gehen werde, und dass unsere Möbel alle weiß sein sollen.
Nichts für ungut, Hermine, aber so sieht es nun mal aus!«
PS. Meldung aus der Tageszeitung vom 22.12: »Der Rentner Anton B. (74) lief gestern Nachmittag vor dem Südfriedhof in einen heranfahrenden Bus der Linie 76. Er war auf der Stelle tot.«
Ollie
Tatsache ist, dass Ollie frühmorgens lautlos zu weinen begann und seiner Frau sagte, das Leben habe im Grunde keinen Sinn mehr, und dass er sich aus der Welt schaffen müsse mit dem alten Revolver von Opa Heinz, der aber immer noch funktioniere, und das sicherheitshalber im Keller, und so, dass ihn die Kinder nicht zufällig finden, weil sie doch kein Blut sehen könnten und die ganze Sache auch nicht kapieren.
Seine Frau erwiderte todmüde und erschöpft: »Das musst du jetzt wissen.«
Ollie ging also in den Keller mit der Waffe von Opa Heinz und schloss vorsichtshalber die Tür hinter sich zu.
Es war ganz still im Haus.
Das passierte, als seine Frau den Weihnachtsbaum in den Ständer einpasste.
Von diesem Moment an wartete sie auf den Schuss. Sie zitterte unentwegt, brabbelte wirres Zeug, rauchte gleichzeitig vier Zigaretten und sprach zuweilen mit Menschen, die gar nicht da waren. Sie war schroff zu den Kindern, schnauzte sie an, brüllte gar, sie sollten sich gefälligst selbst etwas zu essen machen, obwohl diese Kinder viel zu klein waren. Und auf die Frage, wo Papa denn sei, schrie sie: Weiß ich nicht! Im Himmel oder in der Hölle, oder dazwischen, ist doch egal!
Sie ahnte, dass Ollie im Keller das sehr ernst meinte. Er hatte vor fünf Monaten seinen Job verloren und ihr nichts davon gesagt. War Tag für Tag zur Arbeit gefahren, hatte die endlosen Stunden bei Therese in Nachtsheim verbracht, sich betrunken, mit ihr Liebe gespielt. Bis er sturzbesoffen am hellen Tag durch einen Vorgarten in ein Haus bretterte – ausgerechnet am zweiten Adventssonntag. Das mit den monatlichen Raten für das Haus hatte er anfangs auch gefingert, wobei er seine Lebensversicherung für beschämend wenig Geld aufgelöst hatte. Hin und wieder lieh er sich Bares bei Leuten, die er kannte. Er hatte alle diese Gelder immer seiner Frau gegeben und nicht geahnt, dass sie längst alles wusste. In dieser kleinen Welt gab es einfach keine großen Geheimnisse.
Sie zündete den Baum an, sie bescherte die Kinder, sie sang die alten Lieder, sie ließ sie toben und wartete auf den Schuss. Dann lagen die Kinder im Bett, dann setzte sie sich auf die Treppe neben der Kellertür, trank den Rotwein aus der Flasche, bis sie einschlief.
Sie wachte auf und dachte erschrocken, dass sie den Schuss möglicherweise verschlafen habe, aber das konnte nicht sein in diesem hellhörigen Haus.
Am ersten Weihnachtstag gingen die Kinder schon frühmorgens zur Oma, und sie setzte sich wieder auf die Treppe, um auf den Schuss zu warten. Sie sprach mit ihrem Mann, vollkommen lautlos und immer wieder, und sie weinte viel und bat ihn inständig, sich nicht zu töten. Das sei doch so sinnlos und ohne Nutzen – und im Übrigen auch verdammt feige.
Dann rief sie die Oma an und bat, die Kinder möchten dort bleiben, sie habe sehr viel Wichtiges zu erledigen und wolle dabei nicht gestört werden.
Dann setzte sie sich wieder auf die Treppe neben der Kellertür.
Sie rechnete aus, wie weit von ihrem Mann entfernt sie lebte. Sie kam auf sieben oder acht Meter. Es musste kalt sein dort unten, öde und trostlos, und sie fragte sich, wo er wohl saß. Vor dem Brenner neben dem Öltank? Und auf was saß er eigentlich? Ein Stuhl war da nicht, vielleicht ein Stapel Altpapier.
Es war totenstill. Ollie war ziemlich genau seit achtundzwanzig Stunden da unten.
Er kam nach sechsunddreißig Stunden hinauf. Er hatte ein ganz ruhiges Gesicht. Sie nannte das immer seine Fass-Mich-Nicht-An-Miene.
Sie wählte den Mittelweg, sie sagte leicht rotweingefärbt: »Fröhliche Weihnachten, Arschloch!«
Manni
»Ich brauche jede Menge Licht!«, erklärte Manni. »Also, den großen Schlitten mit den Elchen davor. Viermal. Dann brauche ich sechsundfünfzig Meter Lichterkette, nein, gib mir zweiundsiebzig. Dann die große Lichtleiter, auf der der Weihnachtsmann an der Hauswand hochklettert. Zweimal. Den Lichtervorhang von der Dachrinne hinunter brauche ich zweimal auf sechzehn Meter Länge. Und einmal auf acht Meter Länge für den Balkon. Dann den Weihnachtsmann wie er im Schornstein verschwindet zweimal. Dann noch drei, vier rote Fliegenpilze für den Vorgarten. Und schickt mir die Rechnung!«
Sie packten ihm die Sachen in den Anhänger, und er fuhr heim.
»Da ist ein Brief von der Bank!«, sagte seine Frau.
Die Bank teilte mit, die Kredite seien des Längeren nicht bezahlt worden, und das laufende Konto stehe nicht mehr zur Verfügung.
»Was schreiben sie denn?«, fragte seine Frau.
»Sie wünschen fröhliche Weihnachten!«, erwiderte Manni. »Wo sind denn die Kinder?«
»In der Schule«, antwortete seine Frau. »Was schenken wir denn denen?«
»Mal gucken«, murmelte Manni. »Ich bin draußen, ich mache die Weihnachtsbeleuchtung.«
Die Schlitten mit den Elchen kamen in den Vorgarten und hinter das Haus auf die Wiese. Es sah fantastisch aus. Der Giebel im Norden bekam ein Stück der Lichterkette, das wirkte schon mal festlich.
Dann kam Schorsch von nebenan und fragte nach den tausend Euro, die er Manni vor einer Ewigkeit geliehen hatte.
»Wenn ich hier fertig bin«, versprach Manni.
Seine Frau tauchte auf und fragte: »Was koche ich denn Weihnachten?«
Manni stand oben auf dem Dach. »Halbe Hähnchen«, bestimmte er. »Oder Tiefkühlpizza, oder irgendwas, was wir noch haben.«
Dann kam Mahlers Luise vorbei und fragte, warum er die letzten vier Raten für das Auto noch nicht bezahlt habe.
»Kommt alles noch«, murmelte Manni. »Keine Angst!«
»Ich habe keine Angst!«, erwiderte Luise fröhlich. »Es ist doch dein Auto!«
Der Weihnachtsmann, wie er im linken Schornstein verschwand, war einfach eine Wucht.
»Du hast die Hausversicherung jetzt schon dreimal nicht überwiesen«, sagte Karl Klaes aus dem Vorgarten.
»Mach ich...