E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Kulke Erwin Wickert
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7844-8427-3
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Abenteurer zwischen den Welten - Ein Leben als Diplomat und Schriftsteller
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
ISBN: 978-3-7844-8427-3
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Erwin Wickert (1915-2008), Vater von Tagesthemen-Anchorman Ulrich Wickert, war der Inbegriff des kosmopolitischen und kultivierten Diplomaten und einer der interessantesten Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts. 1939 wurde Wickert als erster deutscher Rundfunkattachée nach Tokio und Shanghai entsandt, er war erfolgreicher Schriftsteller und 1966 Verfasser der berühmten "Friedensnote", die die Entspannungspolitik gegenüber dem Ostblock mit einleitete. Ulrich Kulke hat diesen außergewöhnlichen Mann in intensiven Gesprächen persönlich kennengelernt und beschreibt sein bewegtes Leben, von den Abenteuern als Hobo in Amerika bis zum unangepassten Doyen des Auswärtigen Dienstes.
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Vorwort Die Biografie über den außergewöhnlichen Botschafter Erwin Wickert zeigt ein neues politisches Bild aus den Anfängen der Bundesrepublik und führt allen Lesern zu Recht eindrucksvoll vor Augen, wie vielschichtig das Leben dieses ganz besonderen Mannes war. Es ist ein Doppelleben, das sich vor unseren Augen entfaltet, das Leben eines Schriftstellers, eines klugen, kultivierten »Homme de Lettres« auf der einen Seite und andererseits das eines versierten, einflussreichen Diplomaten, der sich im Rahmen der praktischen Außenpolitik der Bundesrepublik als Rat- und entspannungspolitischer Ideengeber für Außenminister und Bundeskanzler in die Geschichtsbücher eingeschrieben hat. Ein solches »Grenzgängertum«, das im angelsächsischen und französischen Raum durchaus häufiger anzutreffen ist, besitzt in Deutschland absoluten Seltenheitswert. Wilhelm G. Grewe, der Vertraute von Adenauer und Hallstein, der seine universitäre Karriere als Völkerrechtler der diplomatischen Laufbahn opferte, es zum Botschafter in Washington brachte und später, am Ende seiner Dienstzeit, in Japan und der dabei gleichfalls in den Bann des Fernen Ostens geriet, mag einem hier allenfalls noch einfallen. Wer war Erwin Wickert? Um sich die zeitgeschichtliche Rolle und Bedeutung dieses Mannes vor Augen führen zu können, muss man an den Ausgangspunkt erinnern. Deutsche Außenpolitik und Diplomatie waren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 durch eine vielfache Hypothek belastet. Deutschland hatte aufgehört, als Völkerrechtssubjekt zu existieren. Das Land und mit ihm das nach der Weststaatsgründung in Etappen wieder begründete Auswärtige Amt waren durch die verbrecherische Politik des Hitler-Regimes zutiefst diskreditiert. Zugleich wurde ab 1949 die Überwindung der Teilung Deutschlands zum Dreh- und Angelpunkt der westdeutschen Politik. Aus dieser Konstellation leitete die deutsche Diplomatie ihre zwei zentralen Zielsetzungen ab: die Wiederherstellung von Respekt und Ansehen in der Welt und das Offenhalten einer möglichen Wiedervereinigung Deutschlands. Erwin Wickerts Leben und Wirken als Diplomat stand im Zeichen dieser Zielsetzungen und ihrer Vorgeschichte. Von 1939 bis 1945 war er selbst bereits im diplomatischen Dienst mit den Belastungen und Verbrechen der nationalsozialistischen Außenpolitik im Auswärtigen Amt konfrontiert worden, wenn auch aus einer gewissen räumlichen Distanz durch seine Diensttätigkeit in Asien. Nach seinem Wiedereintritt in das AA 1955 wurden die Rückgewinnung nationaler Reputation sowie die Überwindung der Teilung Deutschlands zu zentralen Bezugspunkten seiner diplomatischen Tätigkeit. Wickerts Biografie spiegelt diese Verknüpfung zwischen nationalsozialistischer Vergangenheit und der Wiedervereinigung Deutschlands bemerkenswert unkonventionell wider: Er war ja alles andere als ein glühender Nationalsozialist. Im Gegenteil, schon der junge Erwin Wickert suchte mit allen Mitteln der streng nationalsozialistischen Erziehung seines Vaters zu entkommen. Sein USA-Aufenthalt 1935 als junger Austauschschüler kann auch als Flucht vor dem Elternhaus verstanden werden. Die anschließende abenteuerliche Reise um die Welt weckte vor allem seine nachhaltige Begeisterung für Asien. Nach seiner Weltreise war Wickert durch und durch kosmopolitisch eingestellt. Außerdem war er künstlerisch veranlagt – er schien regelrecht von den Musen geküsst. Mit dieser Disposition war er gegenüber dem rassistisch-bornierten Nationalsozialismus ziemlich immunisiert. Kein Wunder, dass er nach Mitteln und Wegen suchte, innerhalb dieser brutalen Diktatur möglichst ungestört zu leben und zu wirken. Mit dem Studium der Kunstgeschichte in Berlin suchte der Freigeist Wickert zunächst nach einer beruflichen Nische, um seiner Leidenschaft für Schriftstellerei und schöne Künste zu frönen. Doch damit war kein Lebensunterhalt zu sichern. Deshalb bewarb er sich im Auswärtigen Amt. Dort bot sich ihm überraschend die Möglichkeit, Krieg und Kriegsdienst weitestmöglich zu entkommen und wieder im Fernen Osten, der ihn weiterhin magisch anzog, leben zu können. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Rückkehr nach Deutschland hatte sich der literarische Freigeist mit Hörspielen und Romanen in wenigen Jahren einen Namen gemacht. Deshalb kam für Wickert zunächst eine Fortsetzung seiner diplomatischen Karriere nicht infrage. Als Franz Krapf, Wickerts engster Freund und Kollege in Tokio, ihn 1955 aber zum Wiedereintritt in das Auswärtige Amt überredete, gab Wickert seine literarische Muse vorübergehend auf und kehrte zu seiner alten Leidenschaft, der Diplomatie und Außenpolitik, zurück. Dank seiner Unabhängigkeit und seines Freigeistes muss er dort schon 1939, mehr noch aber von 1955 an als unkonventioneller Seiteneinsteiger gelten. Wickert dachte und handelte weltoffener und unorthodoxer als die allermeisten seiner Kollegen und war – Ulli Kulke weiß uns vielfach ein Lied davon zu singen – skeptisch gegenüber allen Rangordnungen und Autoritäten. Dank seiner Unbekümmertheit und seiner guten Verbindungen reüssierte der Seiteneinsteiger im Amt dennoch erstaunlich schnell. Mehr als einen Zipfel vom Mantel der Geschichte ergriff Erwin Wickert beherzt und entschlossen als Referatsleiter der Ostabteilung des AA. Wie war das möglich? Wie so oft in der Geschichte durch eine ungewöhnliche Personalkonstellation. 1962 wurde Wickert von seinem alten Freund Franz Krapf beauftragt, für den neuen christdemokratischen Außenminister Gerhard Schröder, der gerade Heinrich von Brentano abgelöst hatte, ein Memorandum zur Ostpolitik zu entwerfen. Das war überfällig, denn ab dem Beginn der Sechzigerjahre hinkte die deutsche Außenpolitik den dynamischen internationalen Entwicklungen hinterher. Die Forderung der Verbündeten nach entspannungspolitischen Initiativen der jeweiligen Bundesregierungen wurden immer ungeduldiger formuliert. Staatssekretär Karl Carstens zeigte sich gegenüber neuen friedens- und ostpolitischen Initiativen besonders aufgeschlossen. Doch als Krapf seinen alten Freund Wickert mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Note beauftragen wollte, erklärte dieser unverblümt, er hätte keine Lust, die alten, langweiligen westdeutschen Argumente in einer Note an die ganze Welt zu wiederholen. Das war schon außergewöhnlich. Man stelle sich heute vor, ein Mitarbeiter im AA hätte die Chuzpe, eine entsprechende, vom Staatssekretär abgesegnete Anweisung rundheraus abzulehnen. Doch Wickert hatte sogar noch den Nerv, dem verblüfften Staatssekretär Carstens zu erklären, eine solche Note sei wenig zweckmäßig: »Die Wiederholung all der Tatsachen, die für unsere friedfertige Politik Zeugnis ablegen«, werde nur als »langweilig« empfunden werden. Wickerts Aufbegehren war sachlich verständlich: Die Außenpolitik der Bundesrepublik war zunehmend erstarrt und von selbst auferlegten Fesseln gelähmt. Sie drohte Westdeutschland im heraufziehenden Entspannungszeitalter zunehmend zu isolieren: Die Forderung nach Nichtanerkennung der DDR und der Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik reichten als Instrumente nicht mehr aus, ja sie wirkten jetzt regelrecht kontraproduktiv! Die Welt war es müde, aus Bonn zu hören, dass am Beginn jeder Entspannungspolitik sichtbare Fortschritte in der Wiedervereinigung stehen müssten. Carstens hatte das Dilemma wohl bereits selbst erkannt, deshalb reagierte er souverän und konstruktiv auf Wickerts Einwand: Dann solle dieser doch seine eigenen Vorstellungen zu Papier zu bringen! – Gesagt, getan! Wickert schrieb ein ausführliches Memorandum, das bereits die Grundzüge der im März 1966 veröffentlichten Friedensnote enthielt. Ihm war völlig klar, dass vor einem etwaigen Friedensvertrag und der Rückgewinnung der staatlichen Einheit und vollständigen Souveränität das Terrain erst einmal entspannungspolitisch für eine mögliche Wiedervereinigung vorbereitet werden musste! Denn noch immer war allenthalben, ganz besonders aber in Osteuropa, die Furcht vor deutschem Revanchismus virulent – trotz aller gegenteiligen Versicherungen aus Bonn. So schnell waren die bitteren Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs nicht abzuschütteln. Deshalb konzipierte Wickert die Note mit zweifacher Stoßrichtung: In Richtung Westen galt es, die Verbündeten davon zu überzeugen, dass für die Verantwortlichen in Bonn tatsächlich nunmehr die europäische Entspannung zunächst Vorrang vor der Lösung der deutschen Frage haben sollte. Nach Osten galt es, der dortigen Propaganda mit ihrem permanenten Revanchismusvorwurf wirkungsvoll entgegenzutreten. Wickert verknüpfte in der Note deshalb Gewaltverzicht und Opferbereitschaft auf neuartige Weise, um die ostpolitischen Partner aufgeschlossen zu stimmen. Dazu bot sich die Forderung nach Abrüstung an. Unter Verweis auf die zurückliegenden geringen Fortschritte in der Abrüstung schlug Wickert konkrete Schritte zur Rüstungskontrolle und zur europäischen Sicherheit vor. Dabei war für ihn der sogenannte »Einfrierungsvorschlag« zentral: »Die Bundesregierung erklärt sich bereit, einem Abkommen zuzustimmen, in dem die Staaten sich verpflichten, die Zahl der Atom-Waffen in Europa (...) stufenweise zu verringern. Ein solches Abkommen müsste sich auf ganz Europa erstrecken, (das) Kräfteverhältnis insgesamt wahren, eine wirksame Kontrolle...