E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Kunz Mord in der Badi
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7152-7529-1
Verlag: Atlantis Literatur
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sommerliche Krimigeschichten aus der Schweiz
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
ISBN: 978-3-7152-7529-1
Verlag: Atlantis Literatur
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alpenpanorama, Liegewiese oder Holzplanken, Frühschwimmen oder die schnelle Abkühlung nach Feierabend: Der wahre Luxus der Schweiz ist ihr Wasserreichtum, und wo Wasser ist, da sind Badis. Sie sind nicht wegzudenken aus dem Leben der Schweizer*innen und sorgen jeden Sommer für Feriengefühle direkt vor der Haustür. Das Bundesamt für Kultur hat die Badis sogar auf die Liste des immateriellen Kulturerbes gesetzt. Es riecht nach Sonnencreme und Pommes, Kinder lachen, das Wasser spritzt. Dass Badis allerdings nicht immer Orte der sommerlichen Unbeschwertheit sind, zeigen Krimigrößen wie Christine Brand, Silvia Götschi, Gabriela Kasperski, Sandra Hughes, Philipp Gurt und Christof Gasser. Sie gehören zu den erfolgreichsten Autor*innen der Schweiz, ihre Bücher stehen regelmäßig ganz oben auf den Bestsellerlisten. In ihren sommerlichen Badi-Geschichten erzählen sie, dass unter der Wasseroberfläche manches schlummert, von dem wir lieber nichts gewusst hätten, und ein Feierabendbier in der Abendsonne mitunter kein gutes Ende nimmt …
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Benjamin Stückelberger Eine Frage des Glaubens
Pfarrer Zurbrügg hatte schon manche Leiche gesehen. Das brachte sein Beruf mit sich. Aber kaum einmal hatte es sich dabei um eine so schöne Leiche gehandelt wie in diesem Fall. Und noch gar nie war die Tote eine Frau, die er selber ermordet hatte.
Mit ernster Miene betrachtete der Pfarrer Julias Gesicht. Er liebte ihre kleine Nase, die sanft geschwungenen Lippen und natürlich ihre mandelförmigen Augen, die nun geschlossen waren, an deren tiefes Kastanienbraun er sich aber mit zärtlichen Gefühlen erinnerte. Friedlich lag sie da, als würde sie mal eben ein Nickerchen machen. Ihr roter Bikini verhüllte vielversprechend ihren wohlgeformten Busen und die geschmeidigen Kurven ihrer Hüften. Nur der Armeedolch, der tief zwischen ihren runden Brüsten in ihrem Herzen steckte, machte klar, dass ihr Schlaf nicht vorübergehend war. Wie das Kreuz auf einem Grab ragte er auf und verkündete ihren unwiderruflichen Tod. Möge sie in Frieden ruhen, ging es Zurbrügg durch den Kopf.
Er hatte sie bei einem öffentlichen Anlass kennengelernt. Die Gemeinde Meilen, am schönen Zürichsee gelegen, lud einmal im Jahr die neu zugezogenen Bewohner zu einer speziellen Rundfahrt mit der Fähre ein, die das Dorf mit dem gegenüberliegenden Ufer verband. Der Gemeindepräsident hielt auf der Fähre eine Ansprache, und auch Vertreter der Kirchgemeinden durften ein paar Worte an die neuen Mitbürger und Mitbürgerinnen richten. Der Anlass mündete in das Kirchgassfäscht, an dem sich die Vereine den neuen und alteingesessenen Einwohnern präsentierten. An sonnigen Tagen war, so schien es zumindest, das ganze Dorf in der Kirchgasse unterwegs und tauschte sich über alles Wichtige und Unwichtige aus.
Zurbrügg sah Julia am Stand einer Partei stehen und verlegen an einem Glas nippen. Offensichtlich wollte sie das Dorf kennenlernen, aber noch keiner Partei beitreten. Freundlich lächelnd ließ sie sich die Aktivitäten besagter Partei von einer Dame erläutern und schien dankbar und froh zu sein, als der Pfarrer, den sie schon von der Fähre kannte, sie ansprach. Unaufdringlich verwickelte er sie in ein Gespräch und lotste sie währenddessen zu einem Stand, an dem Vertreterinnen des Kiwanis Club Meilen Crêpes verkauften und Kaffee ausschenkten. Eine Stunde blieben sie dort an einem Tischchen stehen, und Zurbrügg fand heraus, was er wissen wollte. Sie war reformiert, alleinstehend und interessiert an kirchlichen Kontakten. Sie vereinbarten einen Termin für einen Hausbesuch, dem ersten folgte ein zweiter, und beim dritten Mal war klar, dass sie eine Affäre hatten. Julia war zwar erst fünfundzwanzig Jahre alt, aber der Altersunterschied spielte keine Rolle. Denn Zurbrügg war noch gut beieinander, wie man zu sagen pflegt. Immer häufiger fanden seine Hausbesuche in ihrer Dreizimmerwohnung mit Seeblick statt. Zurbrüggs Frau wunderte sich über das besondere Interesse, das ihr Mann dieser attraktiven Julia entgegenbrachte. Andererseits hatte ihr Mann ein besonderes Flair dafür, gerade junge Menschen für die Mitwirkung in der Kirche zu gewinnen. Also stellte sie keine misstrauischen Fragen. Sie wollte ihrem Mann glauben, wenn dieser den seelsorgerlichen Aspekt seiner Besuche bei Julia herausstrich. Pfarrer Zurbrügg genoss die Zeit mit Julia zweifellos. Es war wunderschön, in ihren Armen zu liegen, und schlicht herzerfrischend, in ihre fröhlichen Augen zu sehen. Vor allem aber freute sich Zurbrügg, dass Phase eins seines Experiments erfolgreich verlaufen war.
Es war ihm nicht leichtgefallen, Julia zu töten. Zurbrügg hatte sich schon einen Ruck geben müssen, als er den Dolch unter ihrem Rippenbogen direkt über ihrem Herzen angesetzt hatte. Es brauchte diesen kleinen, aber kräftigen Ruck, um die spitze Klinge durch ihre Haut in ihr Herz zu stoßen. Er hatte sich bemüht, es so schmerzlos und in gewisser Weise so zärtlich wie möglich zu machen. Liebevoll hatte er sich über sie gebeugt und ihr in die Augen geschaut. Dann hatte er sie zärtlich geküsst, und sie hatte hingebungsvoll die Augen geschlossen. Als sie die schmerzende Dolchspitze spürte, öffnete sie die Augen und runzelte irritiert die Stirn. Aber Zurbrügg drückte ihr seinen Kuss nur noch stärker auf die Lippen. Sie sollte nun auf immer schweigen. Und tatsächlich, langsam fielen ihre Augen wieder zu. Als alle Kraft aus ihrem Körper gewichen war, löste er seine Lippen von den ihren und richtete sich auf. Zurbrügg hatte Julia geliebt, und es reute ihn, dass er sie hatte töten müssen. Aber es war notwendig für sein Experiment.
Er zog seinen blauen Gummihandschuh aus, mit dem er den Dolch gehalten hatte, und schob ihn in die Tasche seiner Badehose. Dann setzte er sich auf seinem Badetuch aufrecht hin, winkelte die Beine leicht an und blickte über den Zürichsee. Es war eine ernste Sache, die da geschehen war, und die kommenden Tage und Wochen würden zeigen, ob sein Experiment gelingen würde oder nicht.
Derweil genossen die Badenden den herrlichen Sommertag. Die jungen Männer und Frauen sonnten sich, um möglichst schnell jene Bräune zu erlangen, die ihnen auf dem Beziehungsmarkt einen Vorteil bringen würde. Die kleineren Kinder rannten um die Wette oder sprangen vergnügt ins kühle Wasser des sauberen Sees, während die Eltern ihre wachenden Augen über ihre Schützlinge hielten. Sorglosigkeit schwebte über der Badi Meilen.
Der Pfarrer wandte seinen Kopf nach rechts und sah den kleinen Alexander dastehen, der sein Softeis zu einem guten Teil rund um seinen Mund verteilt hatte und den Pfarrer mit seinen großen unschuldigen Augen fixierte. Alexander war der Sohn des Bademeisters. Seinen Vater hatte Zurbrügg seinerzeit konfirmiert und Klein Alexander vor knapp sechs Jahren getauft. Als Roland, so hieß der Bademeister, sich in seine Sonja verliebt hatte, hatte sich Zurbrügg so richtig mit ihm gefreut. Roland war ein hervorragender Leiter in der kirchlichen Jugendarbeit gewesen. Aber er hatte immer darunter gelitten, dass alle seine Kollegen eine Freundin hatten, nur er nicht. Als dann Sonja in sein Leben trat, war der Himmel auf Erden ausgebrochen. Zurbrügg aber kannte seinen Roland, und eines Abends riet er ihm bei einem Bier, mit dem Heiraten und Kinderkriegen noch zu warten. Er solle unbedingt zuerst seine Ausbildung fertig machen. Sonja und er hätten später noch genug Zeit, eine Familie zu gründen. Roland jedoch glaubte dem, was ihm sein Pfarrer sagte, nicht. Er hatte Angst, dass das Glück sich schnell verflüchtigen würde, darum wollte er es festhalten. Kurz darauf kam Alexander auf die Welt. Seither war Roland gezwungen, seinen Lebensunterhalt mit schlecht bezahlten Jobs zu bestreiten. Und so hatte er die Stelle als Bademeister bekommen. Vorübergehend nur, bis der eigentliche Bademeister von einem Kuraufenthalt zurückkam.
Alexander starrte noch immer zum Pfarrer. Genau genommen blickte er an Zurbrügg vorbei auf die tote Julia.
»Es geht ihr nicht gut«, sagte Zurbrügg. »Könntest du bitte deinen Vater holen? Ich brauche seine Hilfe.« Das Wort »Hilfe« schien Alexander aus seiner Starre zu lösen. Unwillkürlich drehte er sich um und rannte zum Büro des Bademeisters. Kurz darauf erschien Roland bei Zurbrügg und der Leiche.
»Was ist geschehen?«, fragte er entsetzt mit Blick auf die schöne Frau, aus deren makellosem Körper ein Armeedolch ragte.
»Ich habe sie ermordet. Sie heißt Julia. Du solltest die Polizei verständigen.« Und als Roland zögerte, ergänzte Zurbrügg: »Ich bleibe so lange bei ihr.«
Als Erstes erschien der Dorfpolizist, Werner Meier, in der Badi. Ein Tötungsdelikt gehörte zwar nicht in seinen Aufgabenbereich. Aber wenn sich schon während seiner Arbeitszeit in seinem Dorf ein Verbrechen ereignete, dann wollte, nein musste er Präsenz zeigen.
»Roland hat gesagt, du hättest die Frau ermordet?«
Im Dorf kannte jeder jeden. Und so war Werner nicht nur mit dem Bademeister per Du, sondern auch mit dem Pfarrer. Zudem hatte Zurbrügg vor sieben Jahren seine Mutter beerdigt, die mit sechsundfünfzig Jahren an Krebs gestorben war. Der Vater hatte sich schon vor Jahren von seiner Frau getrennt und war in die USA ausgewandert. Die Mutter aber stammte aus einer alten Meilener Familie und vererbte ihrem einzigen Sohn ein kleines Häuschen mit viel Land in bester Lage. Zurbrügg hatte Werner in den Wochen und Monaten danach oft besucht. Werner, damals gerade mal dreiundzwanzig Jahre alt, war mit den Formalitäten rund um die Erbschaft und den sich daraus ergebenden Steuern und Abgaben völlig überfordert. Daher hatte Zurbrügg ihm einen Treuhänder empfohlen, den er als sehr zuverlässig kennengelernt hatte. »Und vor allem darfst du das Grundstück auf keinen Fall verkaufen. Wenn du das selber überbaust, wirst du dein Leben lang eine stabile Einkommensquelle haben und für dein Alter ausgesorgt haben«, hatte Zurbrügg dem trauernden Sohn eingeschärft. Und Werner hatte ihm versprochen, sich wie empfohlen zu verhalten. Aber dann hatte er einen Freund getroffen, der ihm geraten hatte, das Grundstück zu verkaufen und das Geld in Aktien anzulegen. Diesem Freund hatte er mehr geglaubt als seinem Pfarrer. Er verkaufte das Haus, und zwei Jahre später war das angelegte Geld ebenso verschwunden wie der Freund. Seither lebte Werner in einer bescheidenen Dreizimmerwohnung.
Etwas hilflos stand der Dorfpolizist bei seinem Pfarrer, der neben einer toten Frau saß und sie dadurch auch vor den Blicken der Badegäste schützte. Noch ging das Badileben seinen ungestörten Gang. Und das war nicht nur Zurbrügg ganz recht.
»Stimmt denn, was Roland gesagt hat?«, wiederholte der Dorfpolizist seine Frage.
Zurbrügg nickte.
»Das glaub ich jetzt nicht. Das ist ja...