E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Labisch / Klöpping Parasitengeflüster
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95765-947-7
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fiese SF-Storys
E-Book, Deutsch, 300 Seiten
ISBN: 978-3-95765-947-7
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jeder weiß, was ein Parasit ist. Wir hassen es, von Stechmücken gequält zu werden, und finden Blutegel oder Bandwürmer ekelig. Was wäre, wenn die Natur vorgesehen hat, dass diese elenden Schmarotzer mit uns kommunizieren? Und wie würden wir reagieren?
Genau diesen Fragen gehen die Autoren dieses Buches nach.
Hier liest man von Parasiten im All, im Wasser, in den GPS-Daten, ... wobei nicht alle sichtbar sind. Eine Stimme haben sie allerdings alle.
Mal ist diese Stimme einschmeichelnd und behauptet, die Invasion diene nur dem Schutz des Wirtes, ein anderes Mal droht sie und dann wieder erteilt sie Befehle.
Es sind spannende, humorvolle, überraschende Geschichten dabei. Eins ist auf jeden Fall gewiss: Langeweile kommt keine auf.
Marianne Labisch wurde am 9.8.1959 in München geboren. Schon als Kind bereitete es ihr großen Spaß, ihre Geschwister und Freunde mit Gruselgeschichten zu erschrecken. Ab 2010 wurden diverse ihrer Kurzgeschichten in Anthologien und Kalendern veröffentlicht. Sie liebt es, ihre ganz normalen Helden in ungewohnte Situationen zu manövrieren und zu beobachten, wie sie damit umgehen. Sie lebt mit ihrem Mann in Baden-Württemberg und arbeitet in einem Onlinehandel.
Sven Klöpping, Jahrgang 1979, schreibt schon seit seiner Kindheit Lyrik und Science Fiction. Seit der Jahrtausendwende entwickelt er ein eigenes Universum, in dem viele seiner Storys angesiedelt sind: MegaFusion. Neben dem Schreiben beschäftigt er sich auch mit dem Publizieren anderer Autoren.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Tom Turtschi: Turnaround
Ich weiß: Ich spiele mit dem Feuer. Beim letzten Mal endete der Weg vor einer Fußgängerpassage und ich rammte beim Zurücksetzen ein Fahrrad. Ein Geparktes, ohne Fahrer – aber trotzdem: Ich schwor mir, künftig die kürzeste Route tunlichst zu vermeiden. Wenn Sie sich auf die angezeigte Straße begeben, beginnt die Routenführung. Die kürzeste Route verspricht sechsunddreißig Minuten weniger als die schnellste Route – ich kann nicht widerstehen. So könnte ich es gerade noch schaffen, ohne den Führerschein zu riskieren. Ich kann mir nicht erlauben, zu spät zu erscheinen. Ich geb mir alle Mühe, täglich in der Pole Position in den Tag zu starten, aber heute Morgen kam ich einfach nicht los. Bereits den Startschuss überhörte ich, vermutlich wischte meine Rechte das Klingelzeichen im Halbschlaf unwirsch zur Seite, nicht mal unter der Dusche kam ich auf Touren, schließlich schüttete ich schlaftrunken Kaffee über das weiße Hemd. Es war mein letztes im Schrank – aber lassen wir’s. Zweigen Sie rechts ab. Die Scheinwerfer schneiden Lichtkegel in einzelne Nebelschwaden, die sich aus den Vorgärten auf die Quartierstrasse wälzen. Es riecht nach Schnee. Das Display zeigt eine Temperatur von einem Grad Celsius. Es könnte zu Bodenfrost gekommen sein. Es wäre mehr als peinlich – es wäre eine Katastrophe, wenn ich den Termin nicht schaffe. Ein Start-up, das zu spät kommt – nicht auszudenken! Wirklich genau die Message, die ich dem Finanzier vermitteln möchte – nein, da könnte ich die Übung gleich abblasen. Allerdings ist das keine Option. Dieser Bohringer ist die letzte Chance. Ich bin wild entschlossen, sie zu packen. Fahren Sie im Kreisverkehr gerade aus. Nehmen Sie die dritte Ausfahrt. Ich greife in der Jackentasche nach der Vape und inhaliere einige Züge. Unverzüglich beginnt das Ding zu kokeln und ein Dryburn verätzt und vergällt mir Lunge und Laune. Ich hätte das Liquid gestern nachfüllen sollen. Ich werd’s auch ohne Nikotin schaffen. Ich kann mir den Adrenalinstoß durch das Gaspedal verpassen – ich verstehe nicht, warum immer ich in die Rücklichter von landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen starren muss! Die Mittellinie ist durchgezogen, aber auf der Gegenspur provoziert gähnende Leere. No risk, no fun. Blinken, beschleunigen – also denn! Nur mutig drauflos. Halten Sie sich rechts. Nehmen Sie die erste Autobahnauffahrt. Das Problem mit den Strohballendealern und Frischmilchfördertechnikern wird sich erübrigen: Auch die kürzeste Route kennt die Autobahn. Der Verkehr ist dicht, aber flüssig. Ich fahre gleich auf die Überholspur und werde diese bis auf Weiteres nicht mehr verlassen. Fahren Sie neun Kilometer geradeaus. Ich atme durch – ich bin auf Kurs. Magisch zieht das Navi meinen Blick auf sich, und mit jeder Minute, um die sich die Ankunftszeit verringert, steigt meine Laune. Seeblick drei, Altistaad: keine Ahnung, wo das liegt. An irgendeinem See, wobei See zu viel gesagt sein dürfte: Die Karte zeigt einen verschwindend kleinen blauen Fleck am Rande einer Siedlung, bevor das Gelände in straßenloses Niemandsland übergeht. Eine winzige Pfütze in den Voralpen, ein Wochenendidyll für gut betuchte Städter. Ich meine das nicht despektierlich, immerhin erwartet mich an den Gestaden dieses Gewässers eine schicksalhafte Begegnung, und Seeblick drei tönt nach Noblesse, Weite, Erhabenheit. Bohringer trug mir auf, seine Mail auszudrucken, um sie dem Pförtner am Eingang der Gated Community vorzuzeigen. Die Mail liegt auf dem Nebensitz, zuoberst auf meinem Dossier. Daran soll es nicht scheitern. Ich habe mich vorbereitet, allerdings – ein taktisches Handicap – konnte ich über Bohringer kaum etwas in Erfahrung bringen. Ein Finanzier mit Neigung für ausgefallene Ideen, sein Risikokapital steckte in den absonderlichsten Unternehmungen. Er hatte sein Geld mit der Trust SA gemacht, nur blieb mir auch nach einer zweistündigen Recherche schleierhaft, was genau die Trust SA sein soll. Ein diffuses Konglomerat mit Dienstleistungen und Beratungstätigkeiten im Finanzsektor, reichlich abstrakt. Mit der Gameindustrie scheint er nichts zu tun zu haben. Ich kenne grundsätzlich gerne mein Gegenüber – im Fall Bohringer muss ich mich mit seiner Bereitschaft begnügen, mich zu empfangen. Nach den demütigen Erfahrungen der letzten Wochen ist das mehr, als ich hoffen durfte. Den Speech hab ich grob skizziert. Zu einer finalen Präsentation konnte ich mich in den vergangenen Tagen nicht durchringen – was sollte ich betonen, wie vorgehen, um Bohringer ins Boot zu holen? Ich werde einnehmend lächeln, ich werde unsere Entwicklung mit dem Brustton tiefster Überzeugung vorstellen. Das fällt mir nicht schwer, ich glaube an die Potenz unserer Innovation. Selbstverständlich, Herr Bohringer, unsere Software ist ein Knaller, ein absoluter Game Changer. Evolsoft wird die Games verändern, intelligente Charaktere, völlig offene Spielverläufe, aber unsere Innovation ist nicht nur für die Spieleindustrie interessant, der Ansatz der Programmierung ist im Kern revolutionär. Ein Meilenstein in der KI, Googles Deep Learning verhält sich dazu wie ein Affengehirn zu Einstein. Die Einsatzmöglichkeiten sind unbegrenzt. Wir liefern die Grundlagenforschung, Sie tragen die Geschäftsideen bei – und Ihr Geld wird sich vermehren wie Kaninchen. Im Grunde ist mir klar, was ich sagen muss, aber in dieser saloppen Art kann ich das natürlich nicht an den Mann bringen. Easy – ich habe noch über vier Stunden, um an der Wortwahl zu feilen. In einem Kilometer halten Sie sich rechts. Ankunft elf Uhr dreißig – ha, ich habe zwölf Minuten gutgemacht! Ich fühle, heute wird das Bangen ein Ende finden. Ist auch an der Zeit. Meine Mittel sind aufgebraucht, der Restbetrag vom Crowdfunding reicht kaum für die nächsten Löhne. Die Jungs sind angefixt und zu vielem bereit, aber längst nicht so leidensfähig wie Uma. Wenn die Kohle fehlt, springt mir die meuternde Horde von Bord. Uma würde ein Paddel packen und versuchen, den schlingernden Kahn in den nächsten Hafen zu rudern, wie aussichtslos die Situation auch ist, Uma würde kämpfen. Halten Sie sich rechts. Fahren Sie auf die A sieben. Ich könnte Bohringer von Uma erzählen. Es ist immer gut, eine Geschichte mit dem Anfang zu beginnen – und immerhin hatte Uma alles angeschoben. Ohne Uma gäbe es kein Evolsoft, sie ist Herz und Hirn von unserem Projekt. Gerne wüsste ich sie jetzt neben mir, aber sie verabscheut nichts so sehr wie Elevator Pitches. Zudem war sie in den letzten Tagen wieder verstockt, in sich gekehrt. Uma – die kleine Tamilin mit dem Pagenschnitt und verdrückten Gesicht sprach leise, stockend, als sie im Seminar zum ersten Mal ihre Ideen des »Evolution Programming« skizzierte. Rasch wandten sich die Studenten von ihren abstrakten Ausführungen ab und ihren Tablets zu. Auch der Professor ging nicht auf sie ein, er bedankte sich mit einem konsternierten Blick, einem knappen Nicken, dann reichte er das Wort an den nächsten Studenten weiter. Fahren Sie neununddreißig Kilometer auf dieser Autobahn. Ich suchte Uma nach dem Seminar in der Cafeteria auf. Sie saß alleine vor einem Pappbecher und rührte mit abwesendem Blick endlos im dünnen Kaffee. Ich setzte mich und sie rührte und rührte und starrte. Erst nach meinem dritten Hallo nahm sie mich wahr. Sie dankte mir meine Aufmerksamkeit mit einem leisen Lächeln und bald mit einem sprudelnden Redeschwall. Offenbar war sie nicht gewohnt, dass ihr jemand zuhörte, und sie nutzte die Situation, indem sie alles gleichzeitig loszuwerden versuchte. Mehrheitlich verstand ich Bahnhof. Ihren argumentativen Ketten, mit denen sie die These untermauerte, Code müsse wachsen, nicht geschrieben werden, konnte ich nur der Spur nach folgen. Das Feuer in ihren Ausführungen und die Originalität ihrer Gedankengänge faszinierten mich aber umgehend. Wir trafen uns öfter. Verdünnisierten uns in den Vorlesungen und verbrachten gemeinsame Stunden in der Cafeteria, im Park, oder abends in Harper’s Bar. Nach und nach tauchte ich in ihre Gedankenwelt ein. Die Idee, Programmcode aus sequenzierten DNS-Strängen zu züchten, war faszinierend. Uma hatte einige Semester in Biologie und organischer Chemie absolviert, aber mir fehlten die Grundlagen. Ich versuchte mich einzuarbeiten, recherchierte. Es gab kaum Material, das ihre Theorie stützte, aber das schien sie nicht im Mindesten zu kümmern. An einem Sonntag im März erhielt ich eine SMS. »Hab’s geschafft!!! Um 20 h bei mir – du wirst staunen!« Der Anfang und der Schritt von der Theorie in die Praxis war berauschend. Genau zu dieser Zeit verstarb eine entfernte Verwandte – so entfernt, dass ich mich ungebrochen über die ansehnliche Erbschaft freuen konnte. Neben dem Geld steckte ich alle Energie in das Projekt, mietete Räume, beschaffte die Hardware und rekrutierte ein Dutzend Studenten. Wir gründeten Evolsoft. Meine Aufgabe beschränkte sich darauf, Uma genügend Respekt zu verschaffen und die Jungs zu coachen, die in ihrem Schlepptau die Basisarbeiten verrichteten. Ich entdeckte meine Skills in Sachen Innovationsmanagement und Prozesssteuerung. Es lief wie am...