Lämmermann / Höft Landluft für Anfänger - 04
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8387-4781-1
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Dünnes Eis
E-Book, Deutsch, Band 4, 102 Seiten
Reihe: Landluft für Anfänger
ISBN: 978-3-8387-4781-1
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
DAS MUSS LANDLIEBE SEIN - ein digitaler Serienroman in 12 Folgen. Folge 4: Dünnes Eis Der Winter ist im Spreewald eingekehrt. Doch die wundervolle winterliche Landschaft kann auch ihre Tücken haben - zum Beispiel einen zugefrorenen Fluss, der den Hof der Schwestern von der Außenwelt abschneidet. Iris' erstes Managerseminar steht derweil an und läuft ganz anders als erwartet. LANDLUFT FÜR ANFÄNGER bietet 12 Folgen romantisch humorvolles Lesevergnügen für Fans von Kerstin Gier und Britta Sabbag. Neben dem E-Book gibt es LANDLUFT FÜR ANFÄNGER auch als Audio-Download (ungekürztes Hörbuch).
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Donnerstag, 9. Januar
14:30. Zugefrorene Spree
Die Kufen meiner Schlittschuhe kratzen über das Eis. Kraftvoll stoße ich mich mit den Beinen abwechselnd ab. Zisch, zisch. Zisch, zisch. Trotz der klirrend kalten Luft brennen meine Wangen, mein Herz klopft bis zum Hals. Könnte mich jemand sehen, würde er denken, ich trainiere für die Winterolympiade, so malträtiere ich das Eis. Aber meine puterrote Gesichtsfarbe rührt nicht von der ungewohnten sportlichen Betätigung her, sondern ich ärgere mich mal wieder über Iris! Macht die plötzlich auf Korinthenkacker und behauptet, sie könne mir ihr Mietauto, das nur auf sie zugelassen sei, nicht leihen, ich solle doch mit den Öffentlichen zum Einkaufen fahren. (Welche Öffentlichen? Wir leben in Feulenitz, wo der Bus ein Mal am Tag fährt!!!) Das hätte auch den Vorteil, dass meine Gäste nur so viel trinken würden, wie ich tragen könne, und sich der Schaden für ihr Seminar durch meinen »kurzfristig angekündigten Besuch« hoffentlich in Grenzen hielte. Schließlich hätte sie (Originalton Iris!) ihr – lange anberaumtes! – Führungskräfte-Seminar nicht wie folgt annonciert: ›Eine Horde pubertärer und vermutlich dauerbetrunkener Berliner Jungspunde wird unser Seminar zu einem unvergesslichen Erlebnis machen!‹ Glaubt die etwa, nur weil meine Freunde aus Berlin kommen und in der Kreativbranche tätig sind, können sie sich nicht benehmen? Ich habe nur gekontert, mir täte es auch sehr leid, dass Bernd seine Frühlingsgefühle nicht besser im Griff gehabt hat, als er meine Mutter schwängerte. Er hätte wirklich bedenken können, dass seine erstgeborene Erfolgstochter vierunddreißig Jahre später ein wichtiges Seminar für karrieregeile Fuzzis in ›der inspirierenden Idylle des brandenburgischen Venedig‹ (so Iris’ dämlicher Werbetext) abhalten wird. Und dass sie die ›konzentrationsfördernde Ruhe‹ und ›besondere Arbeitsatmosphäre‹ nicht durch den wenig rühmlichen Ehrentag des kleinen Taugenichtses gefährdet sehen will. Ich war kurz davor, Iris zum krönenden Abschluss unserer Auseinandersetzung den Kot, den ich gerade aus dem Hühnerstall entfernt hatte, ins Gesicht zu schleudern, als Martha und Iris’ Tochter Fabienne um die Ecke kamen. Fabienne verdrehte nur die Augen und verzog sich mit ihren Schlittschuhen auf die Bank am Fließ. (Sie ist an Silvester aus mir bisher unerfindlichen Gründen bei Iris aufgetaucht. Ihre Punkklamotten zeugen davon, dass ich nicht die Einzige bin, die gegen Iris rebelliert. Hatte sicher auch keine einfache Kindheit mit dem wandelnden Terminkalender.) Martha sah uns beide an, als wären wir zwei zankende Grundkinder, die gerade Frieden geschworen hatten (zwischen Weihnachten und Neujahr war es fast schon unheimlich harmonisch zwischen Iris und mir), als sie streng fragte: »Was ist das Problem?« Jetzt taucht unsere Brücke vor mir auf, ich ziehe den Kopf ein, beuge mich nach vorne und tauche, die Arme auf dem Rücken verschränkt wie Claudia Pechstein, unter dem Holz durch. Kurz ist es dunkel, dann strahlt der blaue Himmel wieder über mir. Ich atme auf. Endlich, ich habe die magische Absperrung passiert. Und meine Gegnerin, zumindest gefühlt, abgehängt. Der Blick wird weiter, und plötzlich genieße ich die weiße Stille um mich herum. Hier ist schon – wie passend! – der ›Erste Freiheitskanal‹! Auf dem soll ich – laut Martha – weiterfahren bis zum Alten Semisch und dann links in den Leiper Weggraben abbiegen, der mich direkt nach Lübbenau bringt. Laufe ich eben – wie von Martha vorgeschlagen – übers Eis nach Lübbenau und lade dort ein Taxi mit Spirituosen voll! Wollen wir doch mal sehen, ob Iris, die meint, Geld regiere die Welt, wirklich alles bestimmen kann! Zur selben Zeit vorm Haus der Schwestern am Fließ
Die Möbellieferanten gehen ein und aus und hauen mit dem Designer-Mobiliar Macken in die frisch verputzten Wände. Viel Zeit bleibt nicht mehr – noch eineinhalb Stunden, dann geht es los! Der rote Teppich ist schon ausgerollt. Das ist nicht sinnbildlich gemeint. Ich habe einen bordeauxroten Läufer quer über das zugefrorene Fließ gelegt, um meinen sicher nicht wintersportlich gekleideten Führungskräften ein würdiges und schlitterfreies Entree zu bereiten. ZISCH. ZONG. BUMS. »Aua!« Das war meine Tochter, die auf ihren nigelnagelneuen Schlittschuhen – ein nachträgliches Weihnachtsgeschenk von mir – einen Sprung über die Auslegeware gewagt hat und unsanft gelandet ist. Sie rappelt sich hoch und reibt sich den Allerwertesten. Es ist nichts passiert. Martha wirft mir trotzdem einen vorwurfsvollen Blick zu, als sie – die früher schon auf dem Eis glänzte – mit eleganter Bremsung vor dem Empfangsteppich zum Stehen kommt. Beeindruckend für eine Neunzigjährige. »Das Ding hat hier nichts zu suchen. Die Haxen wird sich jemand brechen!«, schimpft sie, und ich kontere, dass niemand gezwungen wird, einen doppelten Toeloop über den Teppich zu machen. Fabienne wirft mir einen vernichtenden Blick zu. Ein wenig zwickt mich das Gewissen, weil ich mich kaum um sie kümmern kann. Andererseits habe ich auch nicht den Eindruck, dass meine verschlossene Tochter besonderen Wert auf meine Zuwendung legt. Vor allem, seit sie sich die absurde Idee in den Kopf gesetzt hat, das teure Internat zu schmeißen. Fabienne möchte am Sonntag nicht nach London zurück. Die Diskussionen darüber haben unser Beziehungsklima von spätherbstlichen auf winterliche Temperaturen gesenkt. Warum sie nicht zurück nach London will – keine Ahnung. Die ganze Woche über hat sie sich überwiegend abweisend verhalten, zumindest mir gegenüber, und sich in der Küche hinter ihrem Laptop verschanzt oder mit Kopfhörern abgeschottet. Dass sie überhaupt hier ist, verdanke ich Michael, dem ihre schlechte Laune in den Weihnachtstagen wohl auch irgendwann zu viel geworden ist. Meine Versuche, an Fabienne heranzukommen, sind kläglich gescheitert. Martha scheint da mehr Glück zu haben – seit gestern. Vermutlich findet Fabienne es cool, dass eine so alte Frau noch in der Lage ist, ihr Schlittschuhfahren beizubringen (wie mir übrigens auch damals). Ich bin froh, denn so muss ich mir weniger einen Kopf darum machen, dass ich an ihren letzten drei Tagen hier nicht für sie da sein kann. Bleibt zu hoffen, dass das Geburtstagskind sich an meine Spielregeln hält (sich von neun bis neunzehn Uhr nur im oberen Stockwerk aufhalten, die Küche maximal zu zweit betreten und dabei die Tür geschlossen halten, Musik ist verboten, Herumlungern und Rauchen vor der Haustüre ebenso), damit der »Wochenendbesuch ihrer engsten Freunde« meinen »therapeutischen Stuhlkreis« – wie Mia es nennt – nicht sabotiert! 14:50. Auf dem Fließ »Alter Semisch«
Wenigstens scheint Iris geschluckt zu haben, dass nur meine engsten Freunde kommen. Wenn ich ehrlich bin, kann ich mich nicht mehr recht erinnern, wen ich alles eingeladen habe. Nachdem ich an Silvester in der Bar festgestellt hatte, dass ausgerechnet meine Nachfolgerin bei PINK, Annabell Glück, am gleichen Tag geboren wurde wie ich, habe ich – ganz lässig – einen Doppelgeburtstag in meiner ländlichen Residenz ausgerufen. Indem ich meine Nachfolgerin vor einem einsamen Wiegenfest bewahre, wollte ich nicht nur mich als extrem großherzigen Menschen ausweisen (schließlich kennt Annabell nach eigener Aussage in Berlin noch nicht so viele Leute), sondern auch klarstellen, dass mein Umzug aufs Land keinesfalls mit gesellschaftlichem Abstieg gleichzusetzen ist. (Kim Ji-Young wurde es ja nicht müde, mich immer wieder zu fragen, ob ich denn den ganzen Tag in Schafscheiße und Hühnerdreck herumwate und mit einsamen Herren Bier trinke. Habe ich natürlich vehement bestritten!) Wenn das Wetter hier so bleibt, könnte Feulenitz aber sogar Kim Ji-Young Bewunderung abtrotzen: Hinter jeder Kurve, die ich passiere, taucht ein neues Band unberührter Eisfläche auf. Am Wochenende soll hier richtig viel los sein, aber jetzt kommt es mir vor, als wäre diese Wasserautobahn nur für mich stillgelegt worden. Ein ziemlich erhabenes Gefühl, alleine durch das sonst unbegehbare Gebiet zu schlittern, an Verkehrsschildern und Beschilderungen der Fließe vorbei. Apropos, habe ich vorhin ein ›Straßenschild‹ verpasst? Das Fließ, auf das ich jetzt geradewegs zulaufe, kommt mir sehr breit vor – ist das etwa die Hauptspree? Dann wäre ich schon zu wei… Scheiße, was knarzt denn da so komisch, ich muss umdreh… Fuck, das Eis bricht … Aaaah! Zur selben Zeit im Haus der Schwestern
»Aaaah!« KRRRRCKS! Mir schwant Übles. Vor dem Schrei und dem ohrenbetäubenden Scheppern habe ich meine derzeitige Assistentin, Roswitha Mielke, mit einem Tablett (darauf mein gestern geliefertes teures Villeroy-&-Boch-Kaffeegeschirr) im Seminarraum verschwinden sehen. Jetzt höre ich Wimmern (Frauenstimme) und bräsiges Gemotze (Männerstimme) im Wechsel. Ich glaube, Frau Mielke und Porzellan sind eine genauso schlechte Kombination wie Frau Mielke und eine Excel-Tabelle. Oder Frau Mielke und ein Beamer. Oder Frau Mielke und – ich. Jedenfalls, wenn man davon absieht, dass sie vermutlich keine romantischen Regungen bei meinem Ehemann auslösen würde. Sie ist dreiundfünfzig, sieht aber aus wie sechzig und wurde mir vom Arbeitsamt vermittelt. Dankenswerterweise, denn die vorige Anwärterin auf den Job war kurzfristig abgesprungen. Wollte dann doch lieber in Berlin bleiben. Frau Mielke ist von hier, hält eine betriebliche Potenzialanalyse für den Beipackzettel blauer Pillen und bringt mich mit ihrer verhuschten Art an den Rand meiner Selbstbeherrschung. Ihre Zeugnisse sind gut, allerdings frage ich mich, ob sie Kontakte zu zwielichtigen Kreisen hat, die ihren letzten Chef von ihren Fähigkeiten überzeugen...