E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Reihe: Piper Schicksalsvoll
Landvik Patty Janes Frisörsalon
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-492-98154-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Reihe: Piper Schicksalsvoll
ISBN: 978-3-492-98154-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lorna Landvik wuchs in Minnesota auf, wo sie auch heute mit ihrer Familie lebt. Als Schauspielerin und Kabarettistin arbeitete sie einige Jahre in San Francisco und Los Angeles, bis sie mit ihrem Debütroman »Patty Jane's Frisörsalon«, gefolgt von »Das Haus am Flammensee«, »Das Café in Tall Pine« und »Immer dieses Lampenfieber«, die Herzen ihrer Leserinnen eroberte.
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Prolog
PATTY Jane hatte eine ganze Schublade voll bunter Baumwolltücher, die mit Billigparfum besprüht waren – Tabu und Soir de Paris und, gelegentlich, My Sin, für mich der Inbegriff des Schicks. Ich half nach der Schule und samstags in der Flotten Locke aus. Immer, wenn jemand den Laden mit Dauerwellengestank verpestete, mußte ich die Tücher verteilen und sie unseren Kundinnen so sorgfältig, wie eine Krankenschwester dem Arzt den Mundschutz umbindet, über Mund und Nase legen. Alle im Salon trugen sie (außer Clyde Chuka, dem Handpfleger, der behauptete, er bekäme von Tabu schlimmere Kopfschmerzen als von der Dauerwellenlösung), so daß es aussah, als wäre eine Horde Western-Banditen zum großen Goldraub eingefallen.
»Dufttücher sind nur eines der netten kleinen Extras, durch die sich unser Geschäft von anderen unterscheidet«, sagte Patty Jane oft. Zu den anderen netten kleinen Extras gehörten hausgebackenes Bananenbrot, das den unter der Trockenhaube schmorenden Frauen mit Kaffee serviert wurde; blaßgrüne Kittel mit den Monogrammen unserer Stammkundinnen (wir hatten auch einen Vorrat neutraler Kittel – mit »VIP« und »First Lady« – für die Laufkundschaft zur Hand); und Harfenkonzerte, dargeboten von meiner Tante Harriet, die mich bei der Verteilung der Tücher stets mit der Wilhelm-Tell-Ouvertüre begleitete.
Patty Jane, meine Mutter, stand auf nette kleine Extras.
»Ja, Himmelherrgott«, sagte sie, »wenn schon, denn schon!«
Sie studierte alles, was an Gesellschaftsklatsch im Minneapolis Star zu finden war, als wollte sie sich zur High-Society-Spezialistin ausbilden; sie kurvte in ihrem klapprigen alten DeSoto um den Lake of the Isles herum und suchte sich Herrenhäuser aus, in die sie eingezogen wäre, hätte ihr Erbe sich auf mehr belaufen als ein Paar Türkismanschettenknöpfe und eine unvollständige Sammlung der World Books von 1947; sie probierte in Dayton’s Oval Room und bei Powers Modellkleider an und ließ sich dann von meiner Großmutter auf ihrer schweren schwarzen Pfaff-Nähmaschine Kopien anfertigen.
»Mein Leben hat vielleicht in der Ramschabteilung angefangen«, erklärte sie, »aber das heißt noch lange nicht, daß ich nicht mit der Rolltreppe zu den feinen Kristallwaren rauffahren kann.«
Ganz ehrlich, wäre meine Mutter bei den feinen Kristallwaren gelandet, es hätte garantiert Scherben gegeben.
Einmal, als wir in der Stadt bei Kresges Hot dogs aßen, versetzte sie mir plötzlich einen so heftigen Stoß, daß die Chemie-Schoko, die ich trank, umkippte und mir quer über den Pulli lief. Sie langte rüber, riß ein paar Papierservietten aus dem Halter und drückte sie mir in die Hand, ohne auch nur einen Moment das Objekt ihres Interesses – irgendein Kerl, der bei den Schallplatten stand und die Singles durchging – aus den Augen zu lassen. Sie machte ein Geräusch wie jemand, der gerade beschlossen hat, nicht mehr zu fasten, und nun in der Schlange am Smörgasbord ganz vorn steht.
»Ich sag’s ja, ein gutaussehender Mann in einem gutgeschnittenen Anzug – da kann man doch an Gottes Existenz gar nicht mehr zweifeln, oder?«
Ich seufzte. »Mama! Ich bin ein Kind!«
»Kinder sind wir alle. Manche sind nur ein bißchen größer.«
Ich machte mich wieder daran, meinen Busen abzutupfen. Ich war eine Anhängerin der Siebtkläßlerparole, die da lautete: »Auf der Brust ein bißchen schwach, hilf einfach mit Watte nach«, und warf meiner Mutter jetzt einen giftigen Blick zu, weil sie meinen Vorbau aufgeweicht hatte. Aber sie war viel zu sehr damit beschäftigt, dem Kerl bei den Schallplatten zuzuzwinkern, um es zu bemerken.
Mir schoß das Blut ins Gesicht, als der Mann zur Theke geschlendert kam. Er klopfte auf die Resopalplatte und deponierte mit einer schwungvollen Handbewegung wie ein Zauberkünstler seine Visitenkarte auf dem Tresen.
»Ich bin verheiratet«, sagte er zu meiner Mutter und senkte den Kopf, um das Panorama zu bewundern, das ihr Minirock bot, »aber ich genieße es immer, von einer hübschen Frau gewürdigt zu werden.«
Er gab ein kleines Brummen von sich, zuckte mit den Augenbrauen und stolzierte dann durch die Drehtür hinaus.
»So ein Affe«, sagte Patty Jane. Ohne die Karte zu lesen, riß sie sie in kleine Fetzen, die sie in den Aschenbecher streute. »Seine Frau wird ihn eines Tages schon erwischen«, sagte sie. »Und wenn das passiert – na, du würdest dich wundern, wie laut Männer heulen können.« Ihr Blick war auf die fuchsienrote Flüssigkeit gerichtet, die im Glasbehälter des Tropical-Punch-Automaten herumschwappte. Als sie sich mir zuwandte, machte sie ein erstauntes Gesicht.
»Oh, du hast dich aber wirklich gründlich naß gemacht, hm?« Sie neigte den Kopf zur Seite und musterte eine Zone meines Körpers, die Musterung kaum gewöhnt war. »Pilot an Co-Pilot«, sagte sie, ihre Hände wie ein Megaphon um den Mund legend, »du verlierst an Höhe.«
»Ach nee, gibt’s sonst was Neues, Mutter?« gab ich mit der ganzen Würde, die eine tropfnasse Zwölfjährige aufbringen konnte, zurück. Flüchtig stellte ich mir vor, ich würde den Rest des Chemiegetränks meiner Mutter über den auch nicht ganz ungepolsterten Busen kippen, aber dann nahm ich statt dessen die Rechnung und bezahlte mit dem Fünfdollarschein, den Grandma mir in die Manteltasche gesteckt hatte.
Ich war der Liebling meiner Großmutter Ione und jahrelang der einzige Mensch, der sich mit Vergnügen die Erzählungen über ihren Sohn, meinen Vater, anhörte.
»Thor entwickelte sich zu einem bildschönen Jungen«, sagte sie mit ihrem singenden norwegischen Akzent. »Ja, wirklich, die Mädchen haben ihm Blumen geschickt und Briefchen mit Siegelwachs in Herzform, und ein junges Ding hat ihm sogar Kaschmirsocken gestrickt! Du kannst es mir glauben, Thor ist bestimmt mit der Hälfte aller Frauen von Minneapolis ausgegangen und mit einem Drittel von denen in St. Paul, aber als deine Mutter auf der Bildfläche erschien, konnte er den Verlobungsring nicht schnell genug kaufen. ›Ma‹, hat er gesagt, ›nun hat mich die Liebe doch gepackt.‹«
»Ja, und wie sie ihn gepackt hatte«, sagte Patty Jane nur, als sie diese Geschichte hörte.
Ich fragte mich, wie Grandma die ständigen Beschimpfungen ertragen konnte, mit denen Patty Jane und Tante Harriet ihren Sohn überhäuften. »Stinkbombe« und »Fiesling« waren Schmähwörter, die Harriet benutzte, um Thor zu charakterisieren; Patty Jane bevorzugte Beschreibungen, die weniger mild und dafür plastischer waren; »dieses blonde Arschloch« war einer ihrer Lieblingsausdrücke. Aber Ione reagierte mit stoischer Gelassenheit. Wenn sie die Schimpftiraden hörte, zu denen ihr Sohn inspirierte, hob sich ihr kleiner runder Busen unter der weißen Baumwollschürze, und sie erklärte mir, jeder hätte sein Kreuz zu tragen und sie könnte Patty Jane wahrhaftig keinen Vorwurf daraus machen, daß sie so denke. Und dabei tätschelte sie mir die ganze Zeit die Hand, bis mir die Knöchel brannten.
Manchmal, spät in der Nacht, wenn sie glaubten, ich schliefe, hörte ich meine Mutter und Tante Harriet darüber spekulieren, was aus meinem Vater geworden sein könnte, der die Familie nur wenige Tage vor meiner Geburt verlassen hatte. Ein- oder zweimal im Jahr schickte er, in einen kurzen, mit Maschine geschriebenen Brief eingeschlagen, einen Fünfzigdollarschein, aber die Poststempel mit den Namen von Touristenorten legten nahe, daß die Briefe aus dem Urlaub kamen und nicht aus seinem Wohnort. Harriet vermutete, er lebe in Los Angeles oder Chicago – »irgendwo, wo man untertauchen kann« –, aber Patty Jane meinte, nein, er sei nicht für die Großstadt geschaffen; er sei wahrscheinlich oben im Norden und arbeite als Führer für die Urlaubs- und Sonntagsangler an einem der Seen an der Grenze, oder er habe es vielleicht bis nach Alaska geschafft und schürfe dort nach Gold.
Personal und Kundschaft der Flotten Locke hatten ihre eigenen Ansichten. Grimmy Bultram war überzeugt, er sei »mausetot«. Dixie Anderson, die mir meine ganze Kindheit lang die Stirnfransen schnitt, meinte, er hätte vielleicht geheiratet und eine zweite Familie gegründet »wie diese Mormonen«. Inky Kolstat wunderte sich, daß Hollywood ihn nicht entdeckt hatte. »So wie der aussieht, hätte er Rock Hudson an die Wand spielen können.«
Das war keine Übertreibung; ich hatte die Mighty-Bites-Kartons mit seinem Konterfei darauf gesehen.
»Er hatte überhaupt nicht die Absicht, Reklamemodel zu werden«, erzählte mir Grandma Ione, als sie mir die Stapel von Müslipackungen zeigte, die sie unter ihrem Bett hatte, »aber ein Verkäufer im Lebensmittelgeschäft hat mir gesagt, die Mighty Bites sind weggegangen wie warme Semmeln. Anscheinend wollte jeder meinen Sohn an seinem Frühstückstisch haben.«
Als ich meinen Vater schließlich kennenlernte, wollte ich ihn auf keinen Fall an meinem Frühstückstisch oder sonstwo in meiner Nähe haben. Als Teenager suchte ich die Antworten auf die großen Fragen im Tiger Beat und in der Seventeen, aber diese Zeitschriften brachten keine Artikel, die mich gelehrt hätten, den Mann zu lieben, der einmal Thor Rolvaag gewesen war.
Am Ende nahm ich mir Clyde Chuka, Grandma Ione, Tante Harriet und vor allem Patty Jane zum Vorbild. Sie waren schließlich viel häufiger und durch viel härtere Schläge in die Knie gezwungen worden als ich und hatten trotzdem die Kraft gefunden, sich wieder hochzurappeln
»Schatz,...




