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Lang Alles wild so halb

Kurzgeschichten
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-99125-476-8
Verlag: Morawa Lesezirkel GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Kurzgeschichten

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ISBN: 978-3-99125-476-8
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'Alles wild so halb' ist eine Sammlung von zwanzig Kurzgeschichten. In den szenenhaften Erzählungen geht es zumeist um skurrile Begebenheiten, schräge Begegnungen oder surreale Ereignisse. In einigen der Geschichten nimmt die Handlung einen geradlinigen Verlauf, manchmal bleiben die beschriebenen Entwicklungen jedoch rätselhaft. Manches bleibt unausgesprochen und der Interpretation des Lesers /der Leserin vorbehalten. Die Verschiedenheit der Geschichten und das Spektrum der erzeugten Stimmungen garantieren Kurzweiligkeit bei der Lektüre.

Der Autor Thomas Lang lebt in Wien. Der Kurzgeschichtenband 'Drahtseile wie Nerven' ist seine zweite Buchveröffentlichung nach 'Die Sache an dem Haken'.

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Irgendwasistimmer
Theo stand gerade in der Warteschlange an der Kassa im Tankstellenshop, als sein Telefon in der Innentasche seiner Jacke läutete. Am personalisierten Klingelton – einer sich harmonisch wiederholenden Abfolge von ZenMeditations-Gongserkannte er, dass es Sandra war. Er wollte den Anruf unbedingt entgegennehmen, schon allein deshalb, weil die Gongs mit jeder Wiederholung lauter wurden und er den anderen Kunden die Lärmbelästigung in dem kleinen Shop ersparen wollte. Das Problem war aber, dass Theo keine Hand frei hatte. Auf seinem seitlich an den Oberkörper gepressten linken Unterarm balancierte er ein Halb-Kilo-Säckchen Karotten, zwei Zitronen und eine Kartonbox mit zehn Freiland-Eiern. Die Finger seiner rechten Hand hielten krampfhaft eine unförmige Plastikpackung mit Weichkäse umklammert. Der Käse wäre ihm nach der Entnahme aus dem Kühlregal beinahe aus der Hand geglitten. Ein Zu-Boden-Fallen konnte er gerade noch durch reaktionsschnelles Nachfassen verhindern. Im Gegensatz zu Theo sammelten alle anderen Kunden ihre Waren unter Zuhilfenahme von dafür vorgesehenen Plastikkörben ein. Theo war jemand, der seine Kapazitäten häufig überschätzte. „Die paar Sachen ...“, hatte er gedacht, „... dafür trage ich doch kein Körbchen spazieren.“ Die Gongs waren mittlerweile schon so laut, dass sie seinen Brustkorb in nachhaltige Schwingungen versetzten. Eigentlich war ja sein Plan gewesen, zum großen Diskontmarkt zu fahren. Aber dafür hatte er nicht mehr genügend Sprit im Tank. Genaugenommen wusste er nicht, ob das Benzin noch reichen würde, weil die Tankuhr schon vor einiger Zeit den Geist aufgegeben hatte. Theo schrieb deshalb jedes Mal beim Tanken den Kilometerstand in einen kleinen Block mit kariertem Papier. Na ja, zumindest meistens machte er diese Notiz. Und heute auf dem Weg zum Diskonter konnte er den Block in all dem Durcheinander, das in seinem Auto herrschte, nicht finden. Daher blieb ihm nur eine vage Vermutung, was den Füllstand im Tank betraf. Ursprünglich wollte Theo das Wageninnere an diesem Abend wieder auf Vordermann bringen, aber dann kam seine Freundin heim und stellte fest, dass sie nicht alles eingekauft hatte für das lange Feiertagswochenende. Sie war zwar nach Dienstschluss noch schnell in den Supermarkt bei ihrem Büro ums Eck eingefallen. Dort war aber um diese Uhrzeit fast nichts mehr zu kriegen. Sandra sagte oft, dass sie eigentlich froh darüber war, dass sie kurz vor dem Zusperren nicht mehr viel Frisches in den Regalen vorfand. Sie hatte früher vis-avis dem Hauptmarkt gewohnt und musste oft mit ansehen, wie zu Geschäftsschluss viele noch durchaus brauchbare Waren direkt in die großen Müllcontainer wanderten. Diese Container, besser gesagt deren zu seltene Entleerungen, waren ihr über Jahre hinweg ein Dorn im Auge gewesen. Der üble Geruch des Mülls war mit ein Grund, warum sie vom Marktplatz weggezogen war. Wäre Sandra damals nicht übersiedelt, hätten sie sich wahrscheinlich nie kennengelernt. Ihre erste Begegnung ereignete sich in einem Schanigarten eines Kaffeehauses. Es hatte geregnet damals, und drinnen war kein Platz mehr frei. Sandra saß als einziger Gast draußen, als Theo vorbeikam. Er hatte schwer zu tragen und keine Hand frei, um einen Schirm zu halten. Theo hatte ohnehin keinen Schirm dabei, und der Tisch, an dem Sandra saß, war der Einzige im Gastgarten, der durch die nicht eingeholte Sonnenmarkise so halbwegs vom Regen geschützt war. An ihrem Tisch war ein Sessel frei und Theo bat kurzentschlossen um Zuflucht vor der Nässe. Sandra nickte und positionierte den freien Sessel knapp neben dem ihren, damit auch er von der dichten Plastikplane über ihnen profitieren konnte. Da er seine Taschen zwischen seinen Beinen abstellte, um auch diese vor dem Regen zu schützen, war nicht vermeidbar, dass sich die Außenseiten ihrer Oberschenkel großflächig berührten. Eine intime Berührung, wie Theo fand, dafür, dass sie nach wie vor kein Wort gesagt hatte. Der Regen wurde heftiger. Beide beobachteten, wie die schweren Tropfen beim Aufprall auf dem Gehsteig explodierten. Es lag dieser Sommergeruch in der Luft, der entsteht, wenn die Hitze des Asphalts durch den Regen gelöscht wird. Obwohl es wie wild vom Himmel prasselte, war da Stille. Keiner der beiden wollte diese Stille durchbrechen. Es war ein magischer Moment, von dem sie heute noch gerne sprachen. Ein Moment, der sich von einer Minute auf die andere ergab. Ein Moment, der ihr Leben verändert hatte. Als die Gongs unbeantwortet verklungen waren, rätselte Theo, was Sandra wohl noch für den Einkauf zusätzlich in Auftrag geben wollte. Es war ja meistens so, dass ihr erst nach und nach all das einfiel, was zu besorgen war. In der Schlange vor der Kasse standen drei Kunden vor ihm. Ein kurzes Vogelzwitschern aus Theos Jackentasche signalisierte den Eingang eines SMS. „Aufs Vogelfutter nicht vergessen!“, kam es von weiter hinten in der Reihe. Die Leute lachten. Obwohl Theo den spontanen Scherz passend fand, konnte er als Einziger im Shop der Situation nichts Lustiges abgewinnen. Sie erinnerte ihn an seine Oberstufenzeit und seine Schulkollegen im Gymnasium. Da gab's auch oft Witzeleien auf seine Kosten. Im SMS vermutete er eine Erweiterung der Einkaufsliste. Weil er die Waren so verkrampft umklammerte, hatten seine Arme und Hände bereits zu zittern begonnen. Die Frau, die unmittelbar vor Theo an der Kassa stand, um eine Limo und einen Schokoriegel zu bezahlen, hatte ein Problem mit ihrer Bankomatkarte. Der kleine Automat verweigerte trotz mehrmaliger Versuche eine Bezahlung per Karte. „Haben Sie die 3,98 Euro nicht in bar?“, wollte der kassierende Tankwart wissen. „Nein, äh, ja doch ... draußen im Auto hab ich ein paar Münzen ..Theo, der die Last auf seinen Armen sowie die Ungewissheit wegen des versäumten Anrufes nicht mehr ertragen konnte, drängelte sich kurzentschlossen an der Frau vorbei zum Kassentisch und ließ alle Waren wie über eine Rutsche an seinen Armen auf den freien Platz unter dem Barcode-Scanner hinuntergleiten. „Rechnen Sie das von der Dame einfach bei mir dazu!“, schlug Theo vor, um das Problem zu lösen. „Hauptsache, ich komm hier bald raus!“, fügte er entnervt hinzu. Die Frau und der Kassier starrten ihn verblüfft an. Theo nützte die kurze Konsternation, um sein Handy rauszuholen und das SMS von Sandra zu checken. Schwarzes Display. Das Vogelzwitschern hatte dem Akku die letzten Energiereserven gekostet. „Nun ja, danke, sehr nett, ich gebe Ihnen das Geld dann draußen beim Wagen.“ Auch die Frau schien so rasch wie möglich die verzwickte Lage auflösen zu wollen. „So weit, so gut!“, dachte Theo, bis ihm einfiel, dass auch er bargeldlos, und zwar via Handyfunktion, bezahlen wollte. Sofort begann er nervös in allen Taschen seiner Hose und seiner Jacke zu kramen. Dies tat er allerdings nur aus Verlegenheit, denn es war ihm bewusst, dass er kein Bargeld bei sich hatte. Die Wartenden hinter Theo, die den Witz mit dem Vogelfutter schon längst vergessen hatten, formierten sich spürbar zu einer Meute von Ungeduldigen. „Das waren noch Zeiten, früher, als wir alle noch mit diesem bunten Papier bezahlt haben. Die jungen Leute, die wissen ja gar nicht mehr, wie Banknoten aussehen!“, grummelte ein Mann von hinten, der die missliche Lage an der Kassa mitbekommen hatte. Theo drehte sich nach ihm um und bemerkte, dass der Mann genau die gleiche Baseballkappe trug wie er selbst. Im Gegensatz zu Theos Kappe sah jene des Grummeligen relativ neu aus. Der halbkreisförmige Schirm vor der Stirn war noch steif und ganz waagrecht. Theo hatte den Eindruck, dass dem Griesgram gar nicht bewusst war, was genau er auf dem Kopf trug, denn ihm schien die Gleichheit des Outfits nicht aufgefallen zu sein. Für den Mann war die Kappe anscheinend nicht mehr als eine Kopfbedeckung. Für Theo war sie allerdings ein ganz besonderes Erinnerungsstück. Die Kappe war ein Geschenk von Sandra, damals direkt im Dodger Stadium in L.A.. Theo hatte sich an diesem Tag Anfang April 2007 einen Kindheitstraum erfüllt. Die beiden waren von den Dimensionen der Sportstätte überwältigt gewesen. Sie waren weit oben gesessen, in der billigsten Kategorie, für die man Monate zuvor von Europa aus Tickets kaufen konnte. Beim Kartenkauf hatte Theo noch nicht erahnen können, wie winzig klein die Spieler auf dem Feld vom letzten Rang aus aussehen würden. Der Fanshop, in dem Sandra ihm die Kappe überraschend von hinten auf den Kopf gesetzt hatte, war so groß wie ein Supermarkt. Theo hatte sich damals wie im Paradies gefühlt, obwohl die Dodgers das Match verloren hatten. Der Grummelige holte Theo aus seinen Erinnerungen zurück in die Realität des Tankstellenshops: „Sie werden es nicht glauben, aber ich habe noch etwas vor heute . Also entweder Sie zahlen jetzt oder Sie lassen mich einfach vor.“ Theo starrte auf das Durcheinander seiner unbezahlten Lebensmittel. Kein Bargeld, kein Handy, vor ihm eine Leidensgenossin und jede Menge Unmut von hinten. Der Tankstellenmitarbeiter an der Kassa war gelassen, Theos missliche Lage ließ ihn gänzlich unberührt. Es schien, als ob er die Problemlösung alleinig seinen Kunden überlassen würde. Es folgte ein Moment des Stillstandes, der Ratlosigkeit. Wie um diese festgefahrene Situation aufzulösen, blieb ein weißer Lieferwagen genau vor dem Eingang des Shops stehen. Alle Blicke wandten sich mit einem Schlag dem Fahrzeug zu. Die seitliche Schiebetür wurde von innen geöffnet und zum Vorschein kamen zwei maskierte Personen, die mit kleinen Faustfeuerwaffen ins Geschäft stürmten. Neben dem ersten Schock machte sich unter den Überfallenen zusätzlich Überraschung breit: Die beiden Vermummten waren weiblichen Geschlechts. „Wir wollen alles Geld, was da ist, und niemandem...



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