Lang / Hofer | Didaktik des Unterrichts mit blinden und hochgradig sehbehinderten Schülerinnen und Schülern | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Lang / Hofer Didaktik des Unterrichts mit blinden und hochgradig sehbehinderten Schülerinnen und Schülern

Band 2: Fachdidaktiken
2. überarbeitete Auflage 2022
ISBN: 978-3-17-041955-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Band 2: Fachdidaktiken

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-17-041955-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Buch thematisiert Fachdidaktiken und fächerübergreifende Bereiche wie Lesen und Schreiben, Mathematik, Sachunterricht, Musik, Sport, Kunst, Soziale Kompetenz, Orientierung und Mobilität und Lebenspraktische Fähigkeiten. Diese beziehen sich auf den Unterricht in heterogenen Lerngruppen und schließen Schülerinnen und Schüler mit mehrfachen Beeinträchtigungen ein. In der Neuauflage wurden die Einzelkapitel umfassend überarbeitet bzw. völlig neu konzipiert, um sicherzustellen, dass die Bedarfe blinder und sehbehinderter Schülerinnen und Schüler im Unterricht berücksichtigt werden.

Dr. Ursula Hofer, Prof. em., Blinden- und Sehbehindertenpädagogik an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich.
Dr. Markus Lang hat die Professur für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik an
der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1          Lesen und Schreiben
Markus Lang
Blinde Kinder und Jugendliche sind hinsichtlich der Schriftsprache auf ein taktiles Schriftsystem angewiesen. Hieraus ergeben sich grundlegende und spezifische didaktische Entscheidungen und Vorgehensweisen. Bei der nachfolgenden Darstellung der didaktischen Besonderheiten im schriftsprachlichen Lernen wird besonderes Gewicht auf den Schriftspracherwerb gelegt. Daneben finden der Computereinsatz in verschiedenen Lerngruppen und die Herausforderungen bei einer dualen Schriftnutzung (Brailleschrift und Schwarzschrift) intensive Berücksichtigung. 1.1       Das System der Deutschen Brailleschrift
Louis Braille (1809–1852) entwickelte als blinder Schüler der Pariser Blindenanstalt 1825 eine Punktschrift, die sich aufgrund ihrer hervorragenden Tastbarkeit und des relativ einfachen Schreibprozesses international als Blindenschrift durchsetzen konnte (vgl. Lang 2010). Sämtliche der heute gebräuchlichen Brailleschriften für Sprachen, Mathematik, Naturwissenschaften etc. gehen auf Brailles Erfindung zurück, dessen Grundmuster aus sechs frei kombinierbaren Punkten innerhalb einer festen Matrix besteht ( Abb. 1.1). Insgesamt lassen sich in diesem System 64 verschiedene Punktkombinationen (inkl. Leerzelle) bilden, die für die Zeichendarstellung zur Verfügung stehen. Da selbst innerhalb einer Sprache für die Verschriftlichung von Literatur, Mathematik, Musik oder naturwissenschaftlichen Sachverhalten mehr als 64 verschiedene Zeichen benötigt werden, sind die einzelnen Punktkombinationen mehrfach belegt. Die Kennzeichnung des für die Identifikation der Zeichen notwendigen Kontextes erfolgt über vorangestellte Ankündigungszeichen (z. B. kündigt die Punktkombination 3, 4, 5, 6 an, dass das nachfolgende Zeichen nicht als Buchstabe, sondern als Ziffer interpretiert werden muss). Im deutschsprachigen Raum werden die Vollschrift und die Kurzschrift als Literaturschriften eingesetzt. Für das Erstellen von Texten am Computer spielt Eurobraille (Computerbraille) eine wesentliche Rolle. In der Vollschrift existieren sämtliche Buchstaben als Kleinbuchstaben. Die Großschreibung wird durch ein vorangestelltes Ankündigungszeichen (Punkte 4 und 6) gekennzeichnet. Definierte Zeichen gibt es darüber hinaus beispielsweise für Satzzeichen und für häufige Buchstabenkombinationen (au, äu, eu, ei, ie, ch, sch, st) ( Tab. 1.1). Abb. 1.1: Braillezelle mit Punktnummerierung Tab. 1.1: Zeichenauswahl der Deutschen Vollschrift Die Kurzschrift verfolgt primär das Ziel, das Volumen der Braillebücher zu reduzieren. Das heute gültige System besteht aus ca. 300 Kürzungen ( Tab. 1.2). Es ist in einem umfassenden und komplexen Regelwerk zusammengefasst (s. Brailleschriftkommission der deutschsprachigen Länder 2018). Eurobraille (Computerbraille) definiert die Gestalt der Zeichen, die benötigt werden, um Texte 1:1 von Schwarzschrift in Punktschrift übertragen zu können. Hierfür musste die Braillezelle auf 8 Punkte erweitert werden ( Abb. 1.2). Auf diese Weise entstanden 256 Kombinationsmöglichkeiten der Punkte, so dass jedem Schwarzschriftzeichen (des erweiterten ASCII-Zeichensatzes) ein eindeutiges Punktschriftzeichen zugeordnet werden kann. Per Computer angefertigte Texte stehen folglich unmittelbar sowohl in Schwarzschrift (Bildschirm/Ausdruck) als auch in Punktschrift (Braillezeile/Brailledruck) zur Verfügung. Tab. 1.2: Beispiele aus dem System der Deutschen Kurzschrift Abb. 1.2: Braillezelle im 8-Punkte-Format mit Punktnummerierung Die Kleinbuchstaben in Eurobraille sind bis auf wenige Ausnahmen mit denjenigen der Vollschrift identisch ( Anhang 1). Eurobraille verfügt über Großbuchstaben und eigene Ziffernzeichen. Grundsätzlich existieren in Eurobraille keine Ankündigungszeichen und Kürzungen. In einer umfassenden Befragung von Brailleleserinnen und -lesern aller Altersgruppen (N=819; Altersspanne 6–89 Jahre) zur Nutzung der Brailleschrift und assistiver Technologien in Deutschland und in der Schweiz konnten große Unterschiede in der Nutzungshäufigkeit der verschiedenen Braillesysteme in Abhängigkeit der Altersgruppe festgestellt werden (Lang et al. 2016). Die Vollschrift spielt insbesondere zu Beginn des Brailleerwerbs eine Rolle: 56,9 % der unter 23-Jährigen lesen sie täglich oder fast täglich. In den weiteren Altersgruppen sind die entsprechenden Werte deutlich geringer. Anders verhält es sich mit der Kurzschrift als Leseschrift. Diese wird von der Gruppe der jüngsten Teilnehmenden (Alter = 22 Jahre) am seltensten gelesen (37,6 % täglich oder fast täglich). Der entsprechende Wert steigt in den folgenden Altersgruppen kontinuierlich an und erreicht in der Gruppe der über 63-Jährigen mit 84,5 % seinen Höchststand. Der Prozentsatz derjenigen, die die Kurzschrift überhaupt nicht verwenden, ist demnach erwartungsgemäß bei den unter 23-Jährigen mit großem Abstand am höchsten (40,6 %). Eurobraille ist sehr eng mit dem Einsatz einer Braillezeile verbunden und spielt in allen Altersgruppen eine bedeutende Rolle. Auch 48,5 % der über 63-Jährigen lesen Eurobraille täglich oder fast täglich. In den darunterliegenden Altersgruppen sind die entsprechenden Werte wesentlich höher: 43–62 Jahre: 70,3 %; 23–42 Jahre: 74,1 %; = 22 Jahre: 73,8 %. 1.2       Das Lesen der Brailleschrift
1.2.1     Leseorgan
Die Fingerspitzen sind in besonderer Weise für die Wahrnehmung feiner taktiler Unterschiede geeignet. Die hier in entsprechender Dichte vorhandenen spezialisierten Rezeptoren gewährleisten niedrige Druckempfindungsschwellen sowie niedrige simultane und sukzessive Raumschwellen (vgl. Birbaumer & Schmidt 2010, 323 f.; Goodwin & Wheat 2008; Goldstein 2015, 337 ff). Hinsichtlich der prinzipiellen Wahrnehmungsfähigkeit bestehen zwischen den einzelnen Fingern keine Unterschiede, sodass grundsätzlich jeder Finger für das Lesen der Punktschrift herangezogen werden könnte. Punktschriftlesende benutzen jedoch in der Regel die Zeigefinger, seltener die Mittelfinger zum Identifizieren der Braillebuchstaben (Hudelmayer 1985, 131), sodass bei erfahrenen Leserinnen und Lesern aufgrund von Übungseffekten die Lesefähigkeit kontinuierlich von den Zeigefingern zu den kleinen Fingern abnimmt (Birbaumer & Schmidt 2010, 324; Foulke 1991, 229). Die Wahrnehmungsleistung der Fingerkuppen kann von der Raumtemperatur und der Hauttranspiration, aber auch von der Stärke der Hornhautschicht oder von Sensibilitätsstörungen (z. B. Diabetes) beeinflusst werden. Vergleichsuntersuchungen zwischen rechtshändigem und linkshändigem Lesen konnten keine grundlegende Überlegenheit einer Lesehand feststellen (Millar 1997, 67 ff). Bezüglich der Lesehand sollte somit jedem Kind die Möglichkeit eingeräumt werden, individuelle Präferenzen auszubilden (Hudelmayer 1985, 131). Eine Voraussetzung hierfür ist, dass beide Hände gleichermaßen in Tastaufgaben einbezogen werden. Nicht zuletzt deshalb, weil auch die nichtdominante Lesehand eine entscheidende Rolle im beidhändigen Leseprozess einnimmt. 1.2.2     Redundanzarmut der Brailleschrift
Braillebuchstaben unterscheiden sich lediglich dahingehend voneinander, dass Punkte in der Sechspunktematrix vorhanden oder nicht vorhanden sind. Die Präsenz bzw. die Lokalisation eines einzigen Punktes kann somit das ausschließliche Unterscheidungsmerkmal zweier Buchstaben sein. In der Schwarzschrift hingegen unterscheiden sich Buchstaben in einer Fülle von Merkmalen voneinander wie beispielsweise der Kombination großer und kleiner Kurvenlinien, gerader Linien unterschiedlicher Länge und räumlicher Ausrichtung, Kreisformen und hinzugefügter Punkte sowie im Vorhandensein von Ober- und Unterlängen (Millar 1997, 45). Brailleleserinnen und -leser sind somit im Leseprozess auf eine detailliertere Schriftanalyse angewiesen, da weniger informationsrelevante Merkmale zur Verfügung stehen. Während Schwarzschriftlesende bei der Buchstabenidentifikation auf redundante und zudem räumlich relativ leicht kodierbare Informationen zurückgreifen können, muss beim Lesen der Brailleschrift im Zweifelsfall eine Abstraktionsstufe weitergegangen und die Lage des in der Braillezelle positionierten Punktes identifiziert werden (Hudelmayer 1985, S. 136). Die Redundanzarmut der Brailleschrift hat somit Konsequenzen auf den...


Dr. Ursula Hofer, Prof. em., Blinden- und Sehbehindertenpädagogik an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich. Dr. Markus Lang, Prof., Blinden- und Sehbehindertenpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

Mit Beiträgen von Silvia Brüllhardt, Friedrich Gervé, Alex Hergert, Martin Huwyler, Ulrich Kalina, Juliane Leuders, Viola Oser, Judith Schulz.



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