Langbein | Menschen in Auschwitz | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 800 Seiten

Langbein Menschen in Auschwitz


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-10-561087-9
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 800 Seiten

ISBN: 978-3-10-561087-9
Verlag: S.Fischer
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Nahezu emotionslos und darum mit um so eindrücklicherer Sachlichkeit dokumentiert Hermann Langbein mit den Aussagen von Opfern und Tätern den Alltag in Auschwitz. Bei seinen Protokollen hat er sich von dem Grundsatz leiten lassen, daß die Wahrheit über den Massenmord im zwanzigsten Jahrhundert genauso den Verzicht auf die Dämonisierung der Mörder wie auf die Apotheose der Opfer verlange. »Die Anklage gilt der unmenschlichen Situation, die das nationalsozialistische System bewirkt.« (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Hermann Langbein, geboren 1912 in Wien, war 1938 Mitglied der Internationalen Brigaden in Spanien, wurde in französischen Lagern interniert, 1941 nach Dachau, später - 1942 - nach Auschwitz überstellt, wo er zwei Jahre verbringen mußte. Er war dort Leitungsmitglied der internationalen Widerstandsorganisation. 1944 bis zum Kriegsende war er Häftling in Neuengamme. Nach der Befreiung der Konzentrationslager durch die Alliierten war er Generalsekretär des Internationalen Auschwitz-Komitees, später wurde er Sekretär des ?Comité International des Camps?. Hermann Langbein starb 1995 in Wien. In zahlreichen Publikationen hat er sich mit nationalsozialistischen Konzentrationslagern befaßt. Aus seiner Feder stammen u. a.: ?Die Stärkeren. Ein Bericht? (1949); ?Auschwitz - Zeugnisse und Berichte? (1962; zusammen mit H. G. Adler und Ella Lingens-Reiner); ?Der Auschwitz-Prozeß - eine Dokumentation? (1965); ?Menschen in Auschwitz? (1972).
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Einführung


Rechtfertigung des Autors


»Was Auschwitz war, wissen nur die Häftlinge. Niemand sonst«, schrieb Martin Walser unter dem Eindruck des Frankfurter Auschwitz-Prozesses. »Weil wir uns also nicht hineindenken können in die Lage der Häftlinge, weil das Maß ihres Leidens über jeden bisherigen Begriff geht und weil wir uns deshalb auch von den unmittelbaren Tätern kein menschliches Bild machen können, deshalb heißt Auschwitz eine Hölle und die Täter sind Teufel. So könnte man sich erklären, warum immer, wenn von Auschwitz die Rede ist, solche aus unserer Welt hinausweisende Wörter gebraucht werden.« Walser schließt diese Betrachtung knapp: »Nun war aber Auschwitz nicht die Hölle, sondern ein deutsches Konzentrationslager.«

Auschwitz wurde vom Apparat eines Staates mit alten kulturellen Traditionen in der Mitte des 20. Jahrhunderts geschaffen – es war eine Realität.

In diesem Lager waren die Menschen extremen Verhältnissen ausgesetzt. Wie sie darauf reagierten, sowohl die Gefangenen als auch deren Bewacher, soll hier dargestellt werden. Denn die Menschen, die außerhalb des Stacheldrahtes in Auschwitz lebten, waren ebenfalls in eine extreme Situation gestellt worden, wenn auch in eine ganz andere als jene, in welche die Häftlinge gezwungen wurden.

»So genau, wie die Geschehnisse selbst verliefen, kann sie kein Mensch sich vorstellen … das alles wird nur einer von uns … aus unserer kleinen Gruppe, aus unserem engen Kreis übermitteln können, wenn jemand zufällig überleben sollte …« Der polnische Jude Zelman Lewental, der zur Arbeit in den Gaskammern von Auschwitz gezwungen wurde, hat diese Worte geschrieben. Ihn hat der Gedanke gequält, der Nachwelt könnte unbekannt bleiben, was er erleben mußte. Da er keine Hoffnung hatte, Auschwitz zu überleben, vergrub er seine Aufzeichnungen neben einem der Krematorien. Sie wurden im Jahr 1961 ausgegraben. Nur Satzfetzen können noch entziffert werden.

Viele Gefangene wurden von der gleichen Sorge wie Lewental gepeinigt, die Welt werde nie erfahren, was in Auschwitz verbrochen worden ist; und wenn Kunde davon zu ihr dringen sollte, werde diese nicht geglaubt werden, so unwahrscheinlich mußte die Schilderung der Geschehnisse auf Außenstehende wirken. Manches Gespräch darüber ist mir im Gedächtnis geblieben. Die Freunde, die derlei befürchtet hatten, fanden in Auschwitz ihr Ende; ich habe das Lager überlebt. Und trage an der Verpflichtung, die seither auf mir lastet. Denn man soll aus Auschwitz Lehren ziehen – darauf immer wieder zu drängen, empfinden wir als unsere Aufgabe.

Viele haben darum ihre Erlebnisse niedergeschrieben. Viktor Frankl forderte bereits bald nach seiner Befreiung: »So einfach dürfen wir es uns nicht machen, daß wir die einen für Engel und die anderen für Teufel erklären.« Diese Forderung hat noch mehr Gewicht bekommen, nachdem ein Vierteljahrhundert verstrichen ist. Trotzdem bin ich mir der Grenzen bewußt, welche der Bemühung eines Überlebenden gesetzt sind, die Menschen in Auschwitz und deren Probleme objektiv darzustellen.

Jeder von uns trägt seine sehr persönlich gefärbte Erinnerung mit sich, jeder hat »sein« Auschwitz erlebt. Die Perspektive des ewig Hungrigen unterschied sich stark von der eines Funktionshäftlings; das Auschwitz des Jahres 1942 war ein wesentlich anderes als das des Jahres 1944. Jedes einzelne Lager des großen Komplexes war eine Welt für sich. Darum wird mancher Überlebende von Auschwitz bei einzelnen Schilderungen einwenden können: So habe ich das nicht empfunden – das ist mir völlig neu. Da ich auch über heikle Fragen nicht hinweggegangen bin, könnte Kritik von seiten derer laut werden, die meinen, man sollte diese Themen besser nicht publik machen. Weil ich mir zu einzelnen Problemen, die in der Fachliteratur diskutiert werden, keine Theorie zurechtgelegt und aus dem reichen Material nicht Beispiele ausgewählt habe, um diese oder jene Theorie zu bestätigen, könnten Engagierte die Darstellung mit Mißbehagen aufnehmen.

Habe ich daher meinen Entschluß zu rechtfertigen, mich trotz all dieser möglichen Einwände und meiner subjektiven Einstellung, die ich nicht unterdrücken konnte und wollte, um eine zusammenfassende Darstellung zu bemühen? Vielleicht können ihn folgende Umstände rechtfertigen:

So wie alle österreichischen Gefangenen galt ich im KZ als Deutscher. Diese waren in Auschwitz noch mehr als in anderen Lagern privilegiert, weil dort der Prozentsatz der Deutschen geringer war als in Dachau, Buchenwald oder anderen in Deutschland errichteten Lagern. Ich wurde daher vom täglichen Kampf um das Elementarste nicht erdrückt. Als Schreiber des SS-Standortarztes hatte ich keine schwere körperliche Arbeit, stets ein Dach über dem Kopf, keinen Hunger, konnte mich waschen und sauber kleiden. Wir Österreicher unterschieden uns von vielen gleichermaßen privilegierten deutschen politischen Häftlingen, die zwar den Nationalsozialismus von Herzen haßten, aber Siege der Hitlerarmeen nicht selten begrüßt oder zumindest mit zwiespältigen Gefühlen verfolgt haben, während sich die politisch verfolgten Österreicher auch als national Unterdrückte fühlten. Nur in der Niederlage der deutschen Armeen sahen wir unsere Zukunft. Unser Blick wurde nicht durch die Hemmung derjenigen eingeengt, die sich sagten: Das hier geschieht im Namen meines Volkes, eine Zerschlagung des Nationalsozialismus wird ihm unvorstellbares Elend bringen und es der Rache der jetzt Gepeinigten ausliefern. Darum übten die Privilegien, welche die Lagerführung deutschen Häftlingen mit Bedacht einräumte, eine geringere korrumpierende Wirkung auf Österreicher mit politischem Bewußtsein aus. Kraft meiner Funktion konnte ich hinter die Kulissen sehen. Ich hatte jedoch nie der Lagerführung gegenüber Verantwortung für Mithäftlinge zu tragen wie jeder Capo oder Blockälteste. Die Probleme, die mit der Position eines Häftlingsfunktionärs verbunden waren, kann ich daher ohne persönliches Engagement analysieren.

Gehörte ich zur Oberschicht der Lagerprominenz, so hatte ich doch stets zu fürchten, die Lagerleitung könnte erfahren, daß ich nach nationalsozialistischer Regelung kein »Arier«, sondern »Mischling« war. Solange »Mischlinge« wie Juden behandelt wurden, mußte ich daher damit rechnen, die lange Stufenleiter vom privilegierten Deutschen bis zu dem auf der untersten Stufe befindlichen Juden hinuntergestürzt zu werden. Dadurch war ich gegen das herablassende Mitleid des Selbstsicheren gegenüber dieser Unterschicht gefeit, in das sich so leicht Verachtung mischen konnte.

Ich wurde als Spanienkämpfer und Kommunist interniert und kenne daher aus eigenem Erleben auch diejenigen Probleme, die sich für Mitglieder dieser Partei zusätzlich ergeben haben. Da ich mich später von ihr trennte, gewann ich Freiheit und Distanz, die mir gestatten, auch zu Fragen Stellung zu nehmen, welche das Verhalten der Kommunisten in den Konzentrationslagern betreffen und auf die in der Fachliteratur unterschiedliche Antworten gegeben werden, je nach dem politischen Engagement der Autoren.

Ich gehörte der Leitung der internationalen Widerstandsbewegung in Auschwitz an. Die Aufgaben, die wir uns stellten, verlangten von uns, sich mit vielen Problemen des Lagerlebens auseinanderzusetzen und über unsere Person und den Tag hinauszudenken. Infolge meiner Arbeit als Sekretär eines SS-Führers bestand meine spezielle Aufgabe darin, die SS-Angehörigen so genau wie nur möglich zu beobachten und unter ihnen zu differenzieren, damit Gegensätze ausgenützt und Möglichkeiten der Einflußnahme eröffnet werden könnten.

Ich war zwar nur zwei Jahre in Auschwitz interniert, aber gerade in der ereignisreichsten Zeitspanne – vom August 1942 bis zum August 1944. Schließlich wurde ich neun Wochen im Bunker von Auschwitz festgehalten und lernte dort die extremste Situation des Gefangenen kennen – sieht man von denjenigen ab, die dem Sonderkommando zugeteilt waren.

All das zusammen hat mir dennoch nicht von Anfang an den Mut gegeben, eine Darstellung der menschlichen Probleme in Angriff zu nehmen. Lange trug ich mich mit dem Gedanken – das erste Exposé zu diesem Buch trägt das Datum vom 30. Januar 1962. Doch immer wieder zögerte ich. Meine Zweifel daran, ob ich schon die erforderliche Distanz zu meinen Erlebnissen erreicht hatte, um sie sachlich darstellen zu können, wurden endlich während des Auschwitz-Prozesses in Frankfurt überwunden.

Unmittelbar nach seiner Verhaftung wurde mir dort im Herbst 1960 der SS-Sanitäter Josef Klehr gegenübergestellt, dessen Untaten ich genau kannte. Damals sind schmerzhaft alle Erinnerungen wach geworden. Lang verfolgten mich die Eindrücke, die durch diese Begegnung ausgelöst wurden. Als der große Frankfurter Auschwitz-Prozeß, in dem auch Klehr angeklagt war und den ich beobachtet habe, fünf Jahre später zu Ende gegangen war, sah ich in Klehr, dessen Verhalten ich besonders aufmerksam registriert hatte, nicht mehr einen Allmächtigen, den Schrecken des Krankenbaus, sondern einen gealterten, überaus primitiven Verbrecher, der sich ungeschickt verteidigte. Als mir dieser Wandel bewußt wurde, traute ich mich an die Arbeit. Im Februar 1966 begann ich mit Quellenstudium.

Die Auschwitz-Literatur ist umfangreich. »Das Bedürfnis, den ›anderen‹ zu berichten, die ›anderen‹ teilnehmen zu lassen, war in uns zu einem so unmittelbaren und...


Langbein, Hermann
Hermann Langbein, geboren 1912 in Wien, war 1938 Mitglied der Internationalen Brigaden in Spanien, wurde in französischen Lagern interniert, 1941 nach Dachau, später – 1942 – nach Auschwitz überstellt, wo er zwei Jahre verbringen mußte. Er war dort Leitungsmitglied der internationalen Widerstandsorganisation. 1944 bis zum Kriegsende war er Häftling in Neuengamme. Nach der Befreiung der Konzentrationslager durch die Alliierten war er Generalsekretär des Internationalen Auschwitz-Komitees, später wurde er Sekretär des ›Comité International des Camps‹.
Hermann Langbein starb 1995 in Wien.
In zahlreichen Publikationen hat er sich mit nationalsozialistischen Konzentrationslagern befaßt. Aus seiner Feder stammen u. a.: ›Die Stärkeren. Ein Bericht‹ (1949); ›Auschwitz – Zeugnisse und Berichte‹ (1962; zusammen mit H. G. Adler und Ella Lingens-Reiner); ›Der Auschwitz-Prozeß – eine Dokumentation‹ (1965); ›Menschen in Auschwitz‹ (1972).

Hermann LangbeinHermann Langbein, geboren 1912 in Wien, war 1938 Mitglied der Internationalen Brigaden in Spanien, wurde in französischen Lagern interniert, 1941 nach Dachau, später – 1942 – nach Auschwitz überstellt, wo er zwei Jahre verbringen mußte. Er war dort Leitungsmitglied der internationalen Widerstandsorganisation. 1944 bis zum Kriegsende war er Häftling in Neuengamme. Nach der Befreiung der Konzentrationslager durch die Alliierten war er Generalsekretär des Internationalen Auschwitz-Komitees, später wurde er Sekretär des ›Comité International des Camps‹.
Hermann Langbein starb 1995 in Wien.
In zahlreichen Publikationen hat er sich mit nationalsozialistischen Konzentrationslagern befaßt. Aus seiner Feder stammen u. a.: ›Die Stärkeren. Ein Bericht‹ (1949); ›Auschwitz – Zeugnisse und Berichte‹ (1962; zusammen mit H. G. Adler und Ella Lingens-Reiner); ›Der Auschwitz-Prozeß – eine Dokumentation‹ (1965); ›Menschen in Auschwitz‹ (1972).



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