E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Lange Das brennende Einhorn
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-347-94714-6
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geschichten aus Alberdon 1
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-347-94714-6
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Matthias Lange wurde 1983 geboren. Er lebt mit seiner Frau und seinen Hunden in Schleswig-Holstein. Hauptberuflich ist er im sozialen Bereich tätig und unterstützt Menschen mit Behinderung in ihren Lebenslagen. Schon in seiner Jugend liebte er Fantasy, Horror und Science-Fiction. Seit geraumer Zeit widmet er sich dem Schreiben. Nach seinem ersten Roman "Die Ankunft des Drachen" folgen jetzt weitere, mit denen er die Leserinnen und Leser dazu einladen möchte, ihm in andere Welten zu begleiten.
Autoren/Hrsg.
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Prolog
Der Waldrand nahe dem kleinen Dorf machte zur Dämmerung hin immer mehr den Eindruck einer undurchdringlichen schwarzen Wand. Die Schatten wurden länger und die Menschen schienen instinktiv nach und nach ihre Arbeit niederzulegen, um in den Schutz ihrer Behausungen zurückzukehren. Heute stieg ein unheimlicher Nebel auf und umhüllte die weiter entfernten Bäume wie eine graue Decke. Über der Wiese vor dem Dorf flogen Schwaden wie Geister entlang. In ihrer Form vermochte man alle möglichen Gestalten zu erkennen. Wesen, die nur in Albträumen ihr Zuhause hatten.
Tim sah noch einen Augenblick dem Schauspiel zu, welches sich ihm bot. Er mochte diese Atmosphäre schon immer. Die Alten hatten sich ihre Mäuler über ihn zerrissen. »Irgendwann verschluckt die Dunkelheit den Jungen, wenn er zu lange draußen sitzen bleibt!« Doch das Geplapper der Greise störte Tim nicht sonderlich. Er fragte sich oft, was sich hinter der Dunkelheit verbarg. Die Alten hatten Angst vor Monstern und Gespenstern, doch das war für Tim nichts weiter als Aberglaube. Keiner in seiner kleinen Gemeinschaft oder auch in den benachbarten Dörfern hatte jemals Geister gesehen. Natürlich wusste er von der Inquisition in Alberdon. Diese gab es wirklich und ihre Aufgabe war es, alles Übernatürliche zu jagen und die Menschen davor zu beschützen. In der nächstgrößeren Siedlung namens Fransen gab es sogar eine kleine Abteilung dieser Institution. Ihre Arbeit musste unglaublich langweilig sein, denn seines Wissens hatten sie genau genommen nichts zu tun.
Tim war jetzt in der Mitte seiner Zwanziger. Auch wenn er noch keine Partnerin gefunden hatte, was er der Größe seiner Siedlung ankreidete, war er im Grunde glücklich. Er hatte eine sichere Arbeitsstelle beim ansässigen Schmied gefunden, die er bereits im Kindesalter innehatte. In seiner Tätigkeit ging er dem alten Bernhardt bei allem zur Hand. Tims Können reichte nach Bernhardts Aussage zwar nicht aus, um selbst irgendwann einmal Schmied zu werden, aber das wollte er auch gar nicht. Und Bernhardt war ein Zwerg. Seine Ansprüche waren exorbitant hoch.
Was wollte er schon? Den Lohn erhielt Tim immer rechtzeitig, er hatte eine Unterkunft und bekam Verpflegung. Seine Eltern waren beide Landarbeiter gewesen und durch die harte Arbeit schon früh verstorben. Weitere Verwandte waren ihm nicht bekannt.
»Junge! Du musst noch die Zangen aus dem Ofen nehmen. Ansonsten sind sie bis morgen geschmolzen!« Mit seinen Worten riss Bernhardt Tim aus seinem Tagtraum.
Dieser wandte sich verlegen um. Meister Bernhardt war alt. Selbst für einen Zwerg. Tim wusste nicht, wie alt Zwerge durchschnittlich wurden. Zumindest älter als jeder Mensch. Aber Bernhardt schien diese Altersdifferenz noch einmal um einige Jahre auseinanderzutreiben. Auf seinem schrumpeligen Kopf hatte er nur noch ein paar dünne graue Haarsträhnen. Sein Bart war stumpf geworden und verfilzte dadurch immer wieder. Er hatte seine Frau schon um Jahrzehnte überlebt. Das Knochenfieber hatte sie dahingerafft, schon vor Tims Geburt. Kinder hatte er nicht, oder er sprach nie über sie. Auch wenn sein Äußeres das eines grimmigen Alten war, behandelte Bernhardt ihn immer mit Respekt. Seine Meinung, dass Tim nicht das Zeug zu einem echten Schmied hatte und er ihn trotzdem weiterbeschäftigte, war genau genommen ein Kompliment. Die Zwerge waren recht eitel, wenn es um ihr Handwerk ging, das wusste Tim. Und das Bernhardt überhaupt einen Menschen als Gehilfen aufgenommen hatte, glich schon einem Wunder. Aber in dieser Gegend war sein Volk nur spärlich vertreten. Er hatte Tim nie davon erzählt, was ihn hierher verschlagen hatte.
»Ich hab’s nicht vergessen. Keine Sorge«, erwiderte Tim und schlenderte gemächlich in Richtung der Schmiede.
Das Dorf, in dem sie lebten, hatte geschätzt nicht mehr als zwanzig Behausungen. Von der Witterung und dem Wind waren die Wände der meisten Häuser schief. Niemand hatte hier das Geld, um neu zu bauen oder zu sanieren. In einem Haushalt lebte meistens die ganze Familie. Oft drei Generationen oder mehr. Geheizt wurde im Winter mit Nadelholz. Laubbäume gab es in diesem Landstrich kaum. Und wenn doch, dann wurden sie gehütet wie ein Schatz. Die Menschen waren abergläubisch. Moderne Aufklärung, wie sie in Alberdon und Umgebung Einzug gehalten hatte, gab es nicht.
Tim konnte noch nie viel mit den Schauergeschichten der Alten anfangen. Und so ignorierte er sie größtenteils, was ihm regelmäßig mahnende Blicke einbrachte.
»Ich gehe schon ins Haus und bereite das Abendessen vor. Wenn du fertig bist, dann komm nach«, informierte Bernhardt ihn und machte sich auf den Weg.
Die Schmiede war ein Meisterwerk der Technik. Zumindest würde es Tim so beschreiben, denn er kannte ja keinen Vergleich. Bernhardt hatte viel Technik seines Volkes in den Bau gesteckt. Wahrscheinlich war es die beste Schmiede im Umkreis. Selbst in Fransen würde es zwar größere, aber keine so ausgefeilte Technik geben. Sie blieb auch über Nacht heiß, auch wenn keiner von beiden Brennmaterialien nachwarf. Der Zwerg hütete das Geheimnis wie ein Wachhund seinen Knochen.
Gerade als er sich die Lederhandschuhe überzog und der Hitze des Ofens entgegentrat, hörte Tim einen Schrei. Erst dachte er, es würde sich um eines der Nutztiere in der Nähe handeln. Ein Lichtblitz bahnte sich den Weg in den Rand seines Sichtfeldes und er fuhr erschrocken herum. Es war nichts zu sehen oder zu hören.
Die Schmiede war ein Gebäude, welches an der Front durch eine offene Wand betreten werden konnte. Mit dem Ofen im Rücken erkannt Tim die schiefen Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Alles kleine Katen, durch deren Fenstern man nun in der Dämmerung das Licht brennen sah. Und dann war da auf einmal diese Stille. Erst hatte Tim Angst, seinen Gehörsinn verloren zu haben, aber das Knacken des Feuers belehrte ihn eines Besseren. Es war ein sonderbarer Anblick, als vor der offenen Schmiedewand eine menschenähnliche Silhouette entlanglief. Als ob die Zeit selbst in die Länge gezogen wäre, wirkten die Bewegungen des Menschen absurd verlangsamt, wenngleich er doch in höchster Panik sein musste. Denn sein Körper glich einer brennenden Fackel. Er zog ein gelbrotes Flammenmeer hinter sich her. Kleidung war schon nicht mehr als solche zu identifizieren und in den Flammen erkannte Tim nur noch eine pechschwarze Silhouette.
Die lebende Fackel stoppte abrupt, dann wandte sie sich ihm zu. Ihre Augen. Er erkannte ihre Augen! Und als sich ihre Blicke trafen, da vermochte Tim in ihnen keine menschliche Seele mehr zu erkennen. Wie verdrängt durch den Schmerz war alles, was er noch in ihnen erkennen konnte, der Wahnsinn.
Blitzschnell hetzte die Person auf Tim zu. Hinter sich spürte er die Hitze des Schmiedeofens. Wenn er weiter zurückwich, dann würde es ihm genauso ergehen wie sein Gegenüber. Hektisch schnellte sein Blick durch den Raum. Ausweichen war keine Option! Er griff nach hinten und bekam eine der Zangen zu fassen. Durch das Leder des Handschuhs spürte er die Hitze des Metalls, doch in diesem Moment blieb ihm nichts anderes übrig, als sie zu ignorieren. Die glühende Zange würde die menschliche Fackel nicht mehr abschrecken. Und so gab er sich einen Ruck und hoffte auf das Beste. Tim schwang die Zange mit aller Kraft, die er hatte, in Richtung der sich schnell nähernden Person. Dann traf sie auf ihr Ziel.
Sein Ziel wurde von der Wucht zur Seite geschleudert. Funken schlugen Tim ins Gesicht und er kniff die Augen zusammen. Die brennende Person fiel scheppernd in den Wassereimer neben der Schmiede. Ein Zischen war zu hören und dann eine Art Brutzeln, als ob man Fleisch auf einen Grill legen würde. Tim sah vor sich auf den Boden. Der Wassereimer hatte das Feuer am Kopf des geschwärzten Körpers gelöscht. Die Flammen brannten jedoch immer noch lichterloh. Flüssigkeit trat aus der offenen Wunde des Schädels und dann ging ein Zucken durch den gesamten Leib. Dann nichts mehr.
Tims Herz wollte durch seinen Brustkorb springen. Alles, was er in diesem Moment spürte, war Panik. Was ging hier vor? Warum hatte dieser Mensch Feuer gefangen und wer war er überhaupt? Ein Schmerz entstand in seiner linken Hand und er prüfte, was es war. Ihm fiel die glühende Zange wieder ein und er ließ sie daraufhin fallen. Dann torkelte er an der brennenden Leiche vorbei in Richtung Straße.
Ein leichter Wind war aufgekommen und nach der Hitze des Schmiedeofens bekam er fast eine Gänsehaut. Einen Moment lang stützte er die Hände auf den Knien ab und holte tief Luft. Etwas mischte sich in den Geruch des Windes. Es roch nach Holz. Nach verbranntem Holz, nach Kiefer und noch etwas anderem. Tim runzelte die Stirn und richtete sich langsam auf. Als er sich umdrehte, japste er mit aufgerissenen Augen nach Luft. Die Häuser des kleinen Dorfes, welche abseits der Schmiede standen, brannten. Es war ein regelrechtes Inferno, das sich ihm bot. Und der Geruch, den er neben den des Nadelholzes wahrnahm, war brennendes Fleisch.
Unzählige Bewohner des...




