E-Book, Deutsch, Band 4, 448 Seiten
Reihe: Harz-Krimis
Lange Harzsturm
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8271-9785-6
Verlag: CW Niemeyer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, Band 4, 448 Seiten
Reihe: Harz-Krimis
ISBN: 978-3-8271-9785-6
Verlag: CW Niemeyer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roland Lange, Jahrgang 1954, lebt in der Nähe des Harzes in Katlenburg-Lindau. Er studierte in Hamburg Vermessungskunde und arbeitete als Vermessungsingenieur in den Katasterämtern in Göttingen und Osterode am Harz. Nebenher begann er zu schreiben: Romane, Liedtexte und Theaterstücke, seit 2010 auch Kriminalromane. 2014 beendete er seine Tätigkeit als Ingenieur und widmete sich ganz dem Schreiben. Roland Lange ist so etwas wie ein krimineller Botschafter des Harzes, denn auf seine Initiative fand 2011 das erste Mordsharz-Krimifestival statt. Seither gehört er zu den Organisatoren, die jedes Jahr im September hochkarätige deutsche und internationale Krimi-Autorinnen und -Autoren in den Harz einladen. Lange ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (VS), bei den 42er Autoren und im Syndikat, der Autorengruppe deutschsprachige Kriminalliteratur.
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Kapitel 3
Stefan Blume hatte sich mit seinem neurotischen Verhalten am Krater eines Vulkans entlangbewegt. Eines aktiven Vulkans! Das war ihm durchaus bewusst gewesen. Aber er hatte die Gefahr ignoriert. So war er heute Morgen von diesem unvermittelten und heftigen Ausbruch völlig überrascht worden.
„Ich habe die Schnauze gestrichen voll! Endgültig!“ Katja war wie eine Furie auf ihn zugeschossen und hatte sich mit geballten Fäusten vor ihm aufgebaut. Ihr Gesicht zornesrot, in ihren Augen brodelnde, glühende Lava. Hinter ihr, auf der Arbeitsfläche der Küchenzeile, hatte der Kaffeeautomat geräuschvoll seine Arbeit verrichtet. Eine drohend grollende Begleitmusik. „Ich kann nicht mehr! Und ich will nicht mehr!“ Sie hatte in einer heftigen Bewegung wütend den Stuhl zurückgezogen und sich zu ihm an den Tisch gesetzt, das Gesicht in ihre Hände gelegt. In Tränen aufgelöst, war sie in sich zusammengesackt. „Ich ertrage deine Nähe nicht länger“, hatte sie schluchzend gejammert. „Ich möchte, dass du mein Haus verlässt.“
„Ist es aus zwischen uns?“, hatte er sie gefragt und dabei ausgesprochen dümmlich geklungen. Wäre er nicht durch seine starre Mimik gehandicapt gewesen, hätte er seine Frage sicher mit einem einfältigen Gesichtsausdruck gekrönt.
„Ich brauche eine Zeit lang Abstand von dir.“
Eine Zeit lang – nicht für immer, nicht endgültig. Ein kleiner Hoffnungsschimmer, ein Türspalt, den sie ihm offen gelassen hatte. So hatte er ihre Antwort zu seinen Gunsten interpretiert.
Es waren genug warnende Signale gewesen, die Katja ausgesandt hatte. Immer eindringlicher und in immer kürzeren Abständen zuletzt. Nur auf sich fixiert, hatte er sie nicht hören wollen. Er hatte ihre Appelle, ihre Vorschläge, ihr Flehen und Drohen in den Wind geschlagen, sich stattdessen auffressen lassen von der Angst, die an jenem letzten Urlaubstag in Berlin wieder Besitz von ihm ergriffen hatte. Sie beherrschte seine Tage, wirkte wie eine Droge. Obwohl sie ihn auszehrte, seinen Körper und seinen Geist marterte, konnte er doch nicht von ihr lassen, war süchtig nach ihr.
Gerhard Hauser lebte! Er hatte den Einsturz des Kellerverlieses überstanden und war mit seiner vermeintlichen Cousine sogar den Flammen entkommen, denen die kleine Braunlager Pension zum Opfer gefallen war. Ein Ding der Unmöglichkeit. Aber was war schon unmöglich, wenn man sich auf Komplizen verlassen konnte, die mit allen Mitteln operierten?
Blume war bis heute nicht dahintergekommen, für wen genau Hauser arbeitete – ob er verdeckt für den Verfassungsschutz aktiv war, wie er hatte durchblicken lassen, oder ob er sein eigenes Süppchen kochte. Was war mit den beiden verkohlten Leichen in der Pension? Der offiziellen Darstellung zufolge waren die Wirtin Gudrun Nowak und ihr an den Rollstuhl gefesselter Cousin Gerhard Hauser bei dem Brand ums Leben gekommen. Blume hatte sogar an ihrer Beerdigung teilgenommen, davon überzeugt, seinen Todfeind endlich los zu sein – bis Hauser auf dem Berliner Hauptbahnhof vor seinen Augen aus einem Tabakgeschäft spaziert und wenig später in einen ICE gestiegen war. Zusammen mit seiner vermeintlichen Cousine.
Katja glaubte ihm seine Beobachtung bis heute nicht, hielt sie für eine Ausgeburt seiner Paranoia. Aber das war sie nicht. Mochte alle Welt ihn für einen Spinner halten, er wusste, was er gesehen hatte! Nur, wer waren dann die beiden Toten gewesen, deren Begräbnis er beigewohnt hatte? Leere Särge? Oder hatten die Verfassungsschützer Menschen sterben lassen, um zwei ihrer Kontaktpersonen zu decken? Unbeteiligte Opfer? Pensionsgäste? Er hatte sich an ein Paar erinnert, das während seines Aufenthalts in der Herberge eins der wenigen Zimmer bewohnt hatte. Ging die Behörde bis zum Äußersten, um ihre Absichten zu verschleiern? Oder war es eine andere Organisation, in deren Diensten Hauser stand? Arbeitete er mit Leuten zusammen, denen ein Menschenleben nichts bedeutete?
Alle diese Fragen waren Blume immer und immer wieder durch den Kopf gegangen. Eine Antwort darauf hatte er bis heute nicht gefunden, und so würde es vermutlich bleiben. Dafür gab es an einer Sache keinen Zweifel: Sein ehemaliger Waffenbruder wollte ihn, Blume, töten. Das hatte er ihm unten im Verlies, kurz vor der Detonation, deutlich zu verstehen gegeben. Hauser würde zuschlagen. Wie, wo und wann, das blieb sein Geheimnis. Klar war nur, er konnte es und würde es tun – eines Tages, wenn niemand damit rechnete. Es gab keinen Waffenstillstand zwischen ihnen, keine Versöhnung. Blume würde sich verstecken müssen. Oder sich wehren. Hauser zuvorkommen. Seinen Feind umbringen, bevor der ihn erwischte. Möglich, dass er es eines Tages versuchte. Aber im Moment war er nicht dazu bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Lieber verkroch er sich weiter und bangte um sein Leben. Ein Scheißleben, das wusste er selbst. Und doch hing er daran.
Die Schockwelle von Katjas Rauswurf war noch nicht abgeebbt, da baute sich schon das nächste Problem vor ihm auf. Wohin sollte er jetzt gehen? Es gab keinen Rückzugsort, keinen anderen Menschen, bei dem er unterschlüpfen konnte. In ein Hotel ziehen? Für den Übergang? Finanziell hielt er das eine Weile durch. Katja würde sich beruhigen, bevor sein Geld zur Neige ging, und ihn wieder bei sich unterkriechen lassen. Im Hotel leben hieß jedoch, dass er nahezu schutzlos war und jeder, der es darauf abgesehen hatte, ihn finden konnte. Für einen wie Hauser saß er auf dem Präsentierteller. Aber egal, ob Hotel oder eine andere Bleibe, das machte vermutlich keinen großen Unterschied. Der Mistkerl würde ihn überall aufspüren, wenn er nur wollte. Dazu kam, dass die Anonymität, die er im Umfeld von Katjas Ponytale Saloon so geschätzt hatte, in einer Herberge mit einem ständig wechselnden Heer unbekannter Menschen das Gegenteil bewirkte. Jeder Hotelgast konnte in Hausers Diensten stehen, war vielleicht der Killer, dem er sich gegenübersah, wenn es eines Abends oder Morgens an seiner Zimmertür klopfte und er öffnete.
Was für Möglichkeiten blieben ihm darüber hinaus? Bei Maria anfragen? Sie wohnte mittlerweile bei ihrem Tischler, Dietmar Tondok, in Braunlage. Der Kontakt zu ihr war schon einige Zeit eingeschlafen. Vermutlich hatte sie in ihrem neuen Leben vor lauter Glück die Welt und die Menschen um sich herum vergessen. Auch ihre Freunde? Durfte er sie bitten, ihm für ein paar Tage Unterschlupf zu gewähren, bis er sich eine kleine Mietwohnung gesucht hatte? Einen Versuch war es wert.
Gedankenverloren fuhr er auf seiner ziellosen Reise in ein Dorf am nördlichen Harzrand ein. Er hatte nicht auf das Ortsschild geachtet, wusste nur vage, wo er sich befand. Hinter einer Kreuzung mitten im Ort fiel ihm links an der Giebelseite einer Scheune eine riesige Werbetafel ins Auge: „Autohaus Rhumetal – gebrauchte und neue Wohnmobile“. Dann war er auch schon wieder aus dem Kaff heraus. Knapp einen Kilometer lagen die letzten Häuser zurück, als eine blitzartige Idee ihn hart auf die Bremse treten ließ. Er lenkte den Toyota an den Straßenrand, hielt an, starrte auf die Landstraße vor sich, ohne etwas zu sehen. Sein Blick war nach innen gerichtet.
Ein Wohnmobil? War das die Lösung seiner akuten Probleme? Vielleicht sogar darüber hinaus und nicht nur für den Moment? Ein fahrbares Dach über dem Kopf, ein Bett, eine Kochnische, Toilette, Dusche – kurz, alles, was ein genügsamer Mensch an Grundausstattung brauchte, von weiteren kleinen Annehmlichkeiten ganz zu schweigen. An keinen festen Ort gebunden. Immer in Bewegung und somit schwer auffindbar.
Je länger Blume darüber nachdachte, desto reizvoller erschien ihm die Möglichkeit. Minuten später wendete er, fuhr zurück in das Dorf bis zur Scheune, hielt an und notierte sich die auf dem Plakat angegebene Adresse und Telefonnummer. Dann setzte er seine Fahrt fort, nach Katlenburg im westlichen Harzvorland.
Das Autohaus lag rechts an der Bundesstraße in Richtung Northeim, schräg gegenüber einer Esso-Tankstelle. Blume parkte auf dem Seitenstreifen, stieg aus und blieb vor einem hohen Metallzaun stehen. Einige Augenblicke betrachtete er abschätzend die Wohnmobile, die auf einer mit weißem Kies bedeckten Stellfläche aufgereiht waren. Die Fahrzeuge gefielen ihm, aber die Preise sprengten sein Budget. Mit so einem Caravan brauchte er nicht zu liebäugeln. Trotzdem wollte er nicht sofort wieder verschwinden. Vielleicht gab es Alternativen. Es musste ja kein neuer Camper sein.
Durch eine Pforte betrat er das Grundstück und ging zu einem verglasten Bürocontainer hinüber. In der Ausstellungshalle rechts daneben präsentierten sich die Prachtstücke des Autohauses. Aus den Augenwinkeln erspähte er direkt vorn hinter der Glasfront einen roten Oldtimer. So einer wäre auch nicht schlecht, dachte er. Für einen Moment sah er sich in dem offenen Cabrio sitzend durch die Gegend fahren und die frische Sommerbrise genießen, die ihm um die Nase wehte. In einem anderen Leben ... vielleicht.
Im Container wurde Blume von einer Frau um die vierzig empfangen. Eine hübsche, sportliche Erscheinung, leger gekleidet. Sandfarbene Sneakers, die unter dem Schreibtisch hervorlugten, die Beine steckten in weißen Jeans. Darüber trug sie einen Hoodie, türkis mit verspieltem Aufdruck. „Tanja Gerhardt, Verkauf“. So stand es auf dem Schild vorn an der Schreibtischkante. Sie begrüßte ihn und bot ihm einen Platz im Besuchersessel an.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie, nachdem er sich gesetzt hatte.
Blume erläuterte ihr seine Wünsche. Ein Wohnmobil, Standardausstattung, keine Luxuskarosse. Gerne gebraucht, Hauptsache der Preis stimmte, was für ihn hieß, möglichst preisgünstig. Und sein Toyota – ob er...