E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Lapinski Strangeworlds - Öffne den Koffer und spring hinein!
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7325-9464-1
Verlag: Baumhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
ISBN: 978-3-7325-9464-1
Verlag: Baumhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die 12-jährige Flick traut ihren Augen kaum, als sie das Reisebüro Strangeworlds betritt. Denn der kleine Laden und der Besitzer Jonathan stecken voller Geheimnisse: Nicht nur, dass sich hier unzählige Koffer stapeln - diese Koffer sind magisch. Durch sie kann man in die fantastischsten Welten reisen! Flick kann ihr Glück kaum fassen. Doch Jonathan und die Strangeworlds-Gesellschaft sind in großer Sorge, denn das Gleichgewicht der magischen Welten ist in Gefahr. Und Flick ist die Einzige, die sie retten kann ...
L. D. Lapinski lebt mit ihrer Familie, einem Haufen Bücher und einer Katze namens Hector am Sherwood Forest. Strangeworlds ist ihr Debüt. Pascal Nöldner, geboren 1990 in Essen, ist freiberuflicher Illustrator von Comics, Kinder- und Jugendbüchern und Zeichner von Animationsfilmen. 2015 beendete er sein Designstudium mit dem Schwerpunkt Illustration an der Fachhochschule Münster mit dem Bachelor of Arts. Neben seiner gestalterischen Tätigkeit ist er freischaffender Schauspieler und Musiker.
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Orte, an denen sich die Magie sammelt, hat es in unserer Welt schon immer gegeben. Wenn man genau hinschaut, sieht man sie. Ein altes Pferd, das seine Kutsche über eine Schnellstraße zieht. Eine mit Kopfstein gepflasterte Gasse, in die Leute hineingehen, aus der aber nie welche herauskommen. Von Zeit zu Zeit erkennt man die Magie auch in Menschen – wie in jemandem, der aussieht, als wäre er aus einem alten Foto gestiegen. Oder man sieht in einem Café jemanden, dessen Tasche ein Stück über dem Boden zu schweben scheint. Aber wenn man ein zweites Mal hinschaut, ist dieser Jemand samt seiner Tasche verschwunden. Und manchmal, nur manchmal, entdeckt man die Magie in einem Geschäft. Die von Magie erfüllten Läden sind immer unauffällig – zwischen schicken Boutiquen und protzigen Schaufenstern eingequetscht werden sie leicht übersehen. Ihre Scheiben sind voller Schmutz und Staub, die Ladenschilder manchmal so abgeblättert, dass man nur noch schemenhafte Buchstaben erkennen kann. Magie möchte nämlich nicht gesehen werden. Und die meisten Menschen tun nur zu gerne so, als würde sie nicht existieren. Das Strangeworlds-Reisebüro war genau so, wie ein magischer Laden sein sollte. Die Fenster waren schmutzig und von Rissen durchzogen. Die Eingangstür, von der sich die Farbe schälte, sah aus, als würde sie so gut wie nie geöffnet. Doch eine Sache an diesem Geschäft war keineswegs unauffällig: das Schild über dem Schaufenster. Warmgoldene Buchstaben mit schwarzen Schatten hoben sich vor dem rubinroten Hintergrund ab. Zwei Globen standen rechts und links daneben. Der Laden stammte eindeutig aus einer anderen Zeit, doch sein Name sprang unübersehbar ins Auge. REISEBÜRO STRANGEWORLDS In der Zeit zwischen der Eröffnung vor hundertfünfzig Jahren und dem Sommer, der alles veränderte, war alles stets beim Alten geblieben. Nur die Globen waren immer wieder neu bemalt worden, wenn sich Landesgrenzen verschoben hatten. Eine Veränderung war also längst überfällig. Und es war ein neuer Kunde des Reisebüros Strangeworlds, der das Geschäft schließlich retten sollte. Und nicht nur das Geschäft. * Jonathan Mercator arbeitete gerade. Zumindest behauptete er das immer, wenn er danach gefragt wurde. In Wirklichkeit saß er hinter dem Schreibtisch, weit auf seinem Stuhl zurückgelehnt, die Beine hochgelegt, und las. Mehrere Geschäftsbücher lagen aufgeschlagen neben seinen Schuhen auf dem Tisch. Das ungleiche Ticken unzähliger Uhren, die jede ihrem ganz eigenen Rhythmus folgte, erfüllte den ansonsten stillen Laden. Aber für die Uhren hatte Jonathan heute kein Ohr. Denn heute würde ein für seine Verhältnisse extrem hektischer Tag werden. Ein Schatten huschte vor dem großen Ladenfenster vorbei. Und dann noch mal zurück, wobei er diesmal an der Eingangstür stehen blieb. Einen Augenblick später ging die Tür auf, schrappte über den aufgequollenen Fußboden, und ein kleiner Junge trat ein. Als er sich im Laden umschaute, rümpfte er nicht nur die Nase, sondern verzog sein ganzes Gesicht. Jonathan hob den Blick über den Rand seines Buches und musterte den Jungen interessiert. »Ähm …« Der Junge sah sich unschlüssig um. »Das hier ist nicht das Games Depot, oder?« Das Interesse verschwand augenblicklich aus Jonathans Gesicht, und er schaute sich mit gespielter Verwunderung um. »Nicht? Wie kommst du nur darauf?« Der Junge zog sein Handy aus der Tasche. »Weil es eigentlich hier sein sollte.« »Na dann … Wenn dein Handy das sagt, muss es ja stimmen! Egal was passiert – trau nie deinen eigenen Augen.« Jonathan griff in die Innentasche seines Jacketts und fischte ein winziges Vergrößerungsglas heraus. Der Griff war aus bronzefarbenem Metall, die Linse aus dickem Glas. Er hielt dem Jungen die Lupe hin, der zögerlich näher kam und sie entgegennahm. »Aber vielleicht solltest du dich trotzdem noch mal gründlich umsehen, nur um ganz sicherzugehen, was meinst du?« »Wozu soll das Ding denn gut sein?« »Tu mir den Gefallen und probier’s aus.« Stirnrunzelnd hielt sich der Junge die Lupe vors Auge. »Was soll ich denn sehen? Funktioniert das Ding überhaupt? Ist alles so verschwommen.« Er legte das Vergrößerungsglas auf den Tisch. »Was ist das hier überhaupt für ein Laden?« Seufzend steckte Jonathan die Lupe wieder in seine Tasche. »Das Schild über der Tür ist wohl nicht eindeutig genug? Wir sind ein Reisebüro.« Der Junge schnaubte. »Ja klar, da steht Reisebüro über der Tür, aber Sie haben hier ja nicht mal einen Computer.« Jonathan starrte einen Augenblick auf die Tischplatte, dann nahm er die Füße herunter. Neben dem Stapel Geschäftsbücher standen eine halb ausgetrunkene Teetasse und ein Teller mit den Krümelresten eines Erdnussbutterbrotes. Jonathan legte das Buch, das er gerade las, mit der aufgeschlagenen Seite nach unten auf den Tisch. »Wozu sollte ich denn bitte einen Computer brauchen?« »Ähm … Müssen Sie denn keine Flüge buchen? Reiserouten planen?« Jonathan schenkte ihm ein geheimnisvolles Lächeln. »So eine Art Reisebüro sind wir nicht.« Der Junge runzelte wieder die Stirn. »Sondern …?« Jonathan schob sich die Brille auf der Nase hoch und verschränkte die Hände ineinander. Doch der Koffer zu seiner Linken ersparte ihm die Antwort – als er plötzlich aufsprang. Bevor das Ganze hier zu kompliziert wird, sollte man vielleicht erst erklären, wieso der Junge dem Reisebüro Strangeworlds gegenüber so misstrauisch war. Erstens hatte der junge Besucher absolut recht – das Geschäft war technisch völlig veraltet. Das modernste Gerät im Besitz von Jonathan Mercator war eine Schreibmaschine aus den 1960er-Jahren. Der Schreibtisch, auf dem die Schreibmaschine stand, hätte auch im Büro eines Schuldirektors aus einem anderen Jahrhundert stehen können. Und selbst Jonathans Kleidung wirkte wie aus der Zeit gefallen – sein karierter Tweed-Anzug sah aus, als wäre schon jemand darin gestorben. Auf keinen Fall war er das, was Achtzehnjährige heutzutage trugen. Zweitens waren im Reisebüro keinerlei Plakate von Disneyland, der Algarve-Küste oder einem anderen aufregenden Reiseziel zu sehen. Es gab überhaupt keine Plakate, nur ein paar Globen und Atlanten. Und dazu ein Ding, das einem Globus zwar ähnelte, aber eher wie eine Birne aussah. Und drittens waren da die Koffer. Ordentlich auf Holzregalen gestapelt, die vom Boden bis zur Decke reichten, nahmen sie eine ganze Wand des Reisebüros ein. Jeder Koffer besaß seine eigene Nische im Regal, und alle schienen nur darauf zu warten, dass man sie herunterholte. Zwischen zwei Kaminsesseln waren Koffer zu einer Art Beistelltisch aufgestapelt, und zwei Stück lehnten an Jonathans Schreibtisch. Im Regal lagen mindestens fünfzig Koffer, und keiner sah aus wie der andere. Es gab Koffer aus Leder, schwere aus Pappe, glänzende aus der Haut von Krokodilen und von anderen Tieren. Letztere hätte selbst der erfahrenste Tierforscher nicht gekannt. Auf manchen Koffern waren Stempel zu sehen, auf anderen Farbkleckse, und an über einem Dutzend waren Papierschildchen mit einer Schnur am Griff befestigt. Das Reisebüro Strangeworlds sah eher aus wie ein Fundbüro oder wie ein auf altes Gepäck spezialisierter Antiquitätenladen. Und so war es wenig verwunderlich, dass der Junge misstrauisch war – und das auch schon, bevor einer der Koffer plötzlich aufsprang. Bei dem Geräusch des aufklappenden Deckels wirbelte Jonathan so verdutzt herum, dass sein Drehstuhl aus Holz und Leder ächzte. Ein riesiger Wasserschwall schwappte aus dem Koffer heraus. »Was ist das denn?«, keuchte der Junge und wich vor dem Wasser zurück. Nur Augenblicke später stieg ein Mann aus dem Koffer, als käme er aus einer Kellerluke hochgestiefelt. Er war triefnass und prustete, und ein zusammengeschobenes Fernrohr hing an einer Lederschlaufe von seinem Gürtel. Rasch griff er hinter sich in den Koffer und zog eine Frau heraus, die taumelnd hervorkam und auf alle viere fiel. Augenblicklich bildete sich eine Pfütze unter ihrem Kleid. Gleich drei Brillen baumelten von ihrem Hals. Ihre dichten schwarzen Haare waren mit Bändern zu einem Zopf geflochten. Und um ihren rechten Fußknöchel war ein grellroter, sehr glibberig aussehender Tentakel geschlungen. »Das blöde Ding hält mich immer noch gepackt, Hudspeth«, keuchte sie, klang dabei aber eher verärgert als verängstigt, auch als der Fangarm sich an ihrem Bein ein Stück höher schlängelte. Ihr Begleiter gab dem Tentakel einen leichten Klaps. »Jetzt verzieh dich. Such dir lieber jemanden, der genauso viele Beine hat wie du, ja?« Aber der Fangarm umklammerte das Bein der Frau noch fester und färbte sich dabei dunkelrot. »Wenn Sie so freundlich wären, ihn abzustreifen …«, sagte Jonathan seufzend. »Sie kennen die Regeln – es darf nichts mitgebracht werden.« Die Frau strampelte, und endlich ließ der Fangarm ihren Fuß los und platschte lautstark in den Koffer zurück. Der Koffer erbebte und klappte mit einem lauten Klong! den Deckel zu. Die beiden Leute lagen völlig durchnässt und keuchend am Boden und grinsten; wie man es eigentlich von jemandem, der gerade mit einem Kraken am Bein aus einem Koffer gestiegen ist, nicht erwarten würde. Dann sahen sie einander an und fingen laut an zu lachen. Jonathan zog eins der...