Larsen Dr. Karsten Fabian - Folge 164
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7325-3261-2
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Patricia und der Lügenbaron
E-Book, Deutsch, Band 164, 64 Seiten
Reihe: Dr. Karsten Fabian
ISBN: 978-3-7325-3261-2
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Seit die einundzwanzigjährige Patricia ihre Eltern verloren hat, fühlt Florentine Fabian sich ein bisschen für sie verantwortlich. Patricia steht ganz allein auf der Welt, hat nur noch einen Bruder, der seit Jahren in Südamerika lebt.
Eines Tages trifft Florentine Patricia vor dem Dorfkrug mit einem attraktiven Mann, doch auf den ersten Blick weiß die Landarztfrau, dass dieser Fremde Patricia niemals glücklich machen wird: Er ist viel zu elegant gekleidet, alles an ihm wirkt künstlich und falsch, und seine Lieblingsthemen sind seine gesellschaftliche Stellung und sein Reichtum.
Ich muss etwas unternehmen!, denkt Florentine, denn sie kann Patricia doch nicht mit offenen Augen ins Unglück rennen lassen ...
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Stolz leuchtete aus Kathis hellen Augen, als sie sich unbeobachtet glaubte und gedankenverloren ihren einzigen Sohn betrachtete, der wieder einmal erst zur Mittagszeit ins Erdgeschoss kam.
Daniel Marbach räusperte sich, und Kathi fuhr ein wenig zusammen. Sie lächelte schuldbewusst, als sie dem Blick ihres Mannes begegnete.
Überhastet griff sie zur Teekanne, denn Daniel lebte absolut gesund. Er rauchte und trank nicht, verabscheute Kaffee, ernährte sich bewusst, wie er stets zu behaupten pflegte, und dazu gehörte auch, dass er das Gemüse im eigenen Garten anbaute und nur dieses verzehrte.
Manchmal fragte Kathi sich, ob ihr Mann und Sohn Dirk jemals einen gemeinsamen Nenner finden würden, denn sie waren so verschieden wie Tag und Nacht.
»Du siehst nicht sehr frisch aus«, stellte Daniel fest, nachdem er Dirk lange und eingehend gemustert hatte. »Du bist jung, und ich kann verstehen, dass du das Leben genießen willst, Sohnemann, aber Genuss muss doch nicht zugleich Exzess sein.«
Der junge Mann schwieg und starrte auf den Teller.
Die Mutter sah, wie seine Wangenmuskeln zuckten, und war sofort bereit, ihren einzigen Sohn in Schutz zu nehmen.
»Bitte, Daniel, du warst doch auch mal jung«, erinnerte sie ihn mahnend.
Der Vater schwieg, doch so, wie er das Vollkornbrot bearbeitete, wusste jeder, der ihn kannte, dass er kurz vor einer Explosion stand.
Kathi seufzte. Sie hatte den besten Ehemann, den sie sich nur wünschen konnte, doch kaum war Dirk, der in Hamburg studierte, zu Hause, war Daniel wie ein umgedrehter Handschuh.
Er wollte einfach nicht begreifen, dass Dirk kein Kind mehr war, dass er jung war und das Leben genießen wollte.
Dirk schlürfte den Kaffee, kaute lustlos auf dem Brot und fragte sich, warum sein Vater sich so aufregte. Sonntags wurde seit jeher sehr spät gefrühstückt und das Mittagessen auf den Abend verlegt.
»Hast du dich schon mal im Spiegel betrachtet?«, fragte Daniel Marbach mit rauer Stimme. »Du hast richtige Tränensäcke unter den Augen und sag mir jetzt nicht, dass das vom langen Schlafen kommt.« Er leerte die Teetasse, warf einen Blick auf die alte Wanduhr und stand auf. »Wir reden heute Abend weiter. Ich muss jetzt los, ich lasse die Jungs nicht gern warten.«
Daniel verabschiedete sich von seiner Frau mit einem zärtlichen Kuss. Für seinen Sohn hatte er nur ein knappes Nicken.
Dirk atmete hörbar auf, als die Haustür endlich ins Schloss fiel. Schief grinsend äffte er seinen Vater nach: »Ich lasse die Jungs nicht gern warten. Das ist doch total bescheuert. Wer ihn nicht kennt, glaubt, er bricht zu einer Expedition auf.« Er griff sich an den Kopf. »Ich wüsste sowieso gern, warum er verheiratet ist und nicht im Kloster lebt. So was wie ihn habe ich …«
»Dirk, er ist dein Vater«, unterbrach Kathi ihn ärgerlich. »Und du kannst dich nicht über ihn beschweren. Dein letztes Semester ist ja nicht gerade gut gewesen. Wunderst du dich, dass er möchte, dass du ein bisschen mehr in die Bücher schaust?« Streng sah sie ihn an. »Und mit deinen Tränensäcken hat er recht, Dirk, du wirkst schon seit Tagen aufgequollen.«
So heftig sich Dirk auch gegen seinen Vater stellte, so sanft ging er mit seiner Mutter um. Noch nie war ihm bei ihr ein böses Wort über die Lippen gekommen.
»Ja, ich weiß«, erwiderte er bedrückt. »Aber ich schlage mir nicht die Nächte um die Ohren, Mama, zumindest nicht so, wie Papa das glaubt.«
»Sondern?« Sie beugte sich ein wenig vor und lächelte erwartungsvoll. »Hast du vielleicht ein hübsches Mädchen kennengelernt? Komm, mir kannst du es doch sagen. So, wie du aussiehst, müssten sie dir doch in Scharen nachlaufen.«
Fast verliebt betrachtete sie ihn. Oh ja, Dirk war ein Mann, nach dem sich die Frauen umdrehten. Er hatte das pechschwarze Haar des Vaters, ihre Lockenpracht und ihre hellen Augen, und wenn er lachte, musste man ihn einfach gernhaben.
Er winkte ab und runzelte die Stirn. »Dazu habe ich absolut keine Lust, Mama.« Er zögerte. Krankheiten oder Schmerzen wurden bei Daniel Marbach stets heruntergespielt. Gelobt sei, was hart macht, war die Devise des Vaters. Und so, als fühle er sich trotz der Abwesenheit des Vaters nicht sicher, sah Dirk zur offenen Tür, bevor er mit leiser Stimme fortfuhr: »Seit ich hier bin, habe ich rasende Kopfschmerzen, Mama. Ich schlucke massenhaft Aspirin, und wenn es nachts besonders schlimm wird, wandere ich über die Heide, in der Hoffnung, dass mir die frische Luft hilft.«
Kathi musterte ihn misstrauisch, wusste sie doch, dass er bisweilen gern flunkerte. Doch er sah sie ehrlich an, ja, sie glaubte sogar, in seinen Augen Schmerz zu lesen.
Sie legte die Hand auf seinen Arm. »Dirk, geh doch mal zu unserem Doktor.«
»Zu Doktor Fabian?«
»Warum sagst du das so abfällig?«
Kathi klang nun leicht ärgerlich, denn auf den Doktor ließ sie nichts kommen. Er behandelte sie schon seit Jahren, und sie konnte sich nie über sein Engagement beklagen.
»Entschuldige, Mama, aber mit diesen Kopfschmerzen bin ich schlicht und ergreifend unleidlich.«
»Schon gut.« Besorgt betrachtete sie ihn. »Weißt du, er könnte dich mal untersuchen, und wenn er nichts findet, könnte er dir stärkere Tabletten verschreiben.«
»Was soll er schon finden?«, tat Dirk leichtsinnig ab. »Meinst du vielleicht, ich habe was an der Erbse?«
»Erbse?«, wiederholte sie.
Er tippte sich an den Kopf und lachte, um sich sofort an die Schläfen zu greifen.
»Verdammt«, schimpfte er. »Selbst lachen kann ich nicht mehr.«
»Ich finde, auch Kopfschmerzen sollte man ernst nehmen, wenn sie gar nicht aufhören wollen. Bitte, Dirk, geh doch …«
»Ein andermal, vielleicht, Mama«, unterbrach er sie, stand auf und verließ die große, geräumige Küche.
Kathi hörte ihn nach oben gehen. Sie lehnte sich zurück, wandte den Kopf und sah grübelnd aus dem Fenster. Sie sorgte sich, und sie dachte unwillkürlich an ihren Mann, den es belustigte, wenn sie von gewissen Vorahnungen sprach.
Sie glaubte jedoch daran. Zumeist waren es nur kleine Dinge, die sie im Gefühl hatte, die sie vorausahnte. Manchmal war es eine Autopanne, an die sie schon dachte, lange bevor sie sich auf die Reise begab, ein andermal war es eine Reparatur im Haus, und im letzten Winter hatte sie sogar geahnt, dass sich Daniel beim Skilaufen den Fuß brechen würde.
Dachte sie jedoch an Dirk, so verstärkte sich das unangenehme Gefühl in ihrer Brust. Ja, es weitete sich sogar zur Angst aus, die ihr das Atmen erschwerte.
Kathi sah sich um. So lange sie sich erinnern konnte, war es ihr gut gegangen, und oft, wenn sie vom Leid und den Sorgen anderer hörte, fühlte sie sich vom Schicksal begünstigt.
Nur sie wusste von ihren Ängsten, von diesem vagen Gefühl, dass niemand zeit seines Lebens ein Glückskind sein konnte. Obwohl sie darüber nicht oft nachdachte und Gedanken wie diese stets rasch beiseiteschob, blieb diese dumpfe Erwartungshaltung tief in ihrem Herzen.
Doch jetzt drängte sie mit Macht ans Bewusstsein und ließ Kathi nicht mehr los.
Sie legte den Kopf in den Nacken und lauschte. Sie hörte Dirks Schritte, denn sein Zimmer lag direkt über der Küche. Kathi sorgte sich um ihn. Sie hatte nur dieses eine Kind, an dem sie mit abgöttischer Liebe hing. Auf alles wollte sie gern verzichten, wenn es Dirk nur gut ging.
Ein kurzes helles Kläffen brachte sie in die Realität zurück. Flocke, der Zwergdackel der Marbachs, hatte seinen Gartenrundgang beendet und wollte eingelassen werden.
Kathi ging ins Wohnzimmer hinüber und öffnete die breite Glastür, die zur Terrasse führte.
»Wie siehst du denn aus?«, fragte sie entsetzt, als sie die Kletten auf seinem Fell entdeckte. »Flocke, warst du vielleicht wieder drüben bei Müllers?«
Sie bückte sich, hob den Winzling auf die Arme, trug ihn auf die Terrasse und begann, die kleinen grünen Kügelchen aus seinem Fell zu entfernen, was Flocke nur unter Protest geschehen ließ.
Kathi war froh, von dieser Arbeit abgelenkt zu werden, und als Flocke nach ihr schnappte, weil eine Klette dicht an einer Zitze hing und nur unter Schmerzen entfernt werden konnte, lachte Kathi schon wieder.
»Wer nicht hören will, muss fühlen«, behauptete sie, und der Blick des Dackels signalisierte deutlich, dass er mit ihr nicht einer Meinung war.
***
Florentine Fabian liebte ihren Drahtesel, mit dem sie oft weite Strecken zurücklegte. Heute Morgen war sie schon zeitig unterwegs, und als sie am Gemeindehaus vorbeikam, wollte sie kurz ihrem Vater Guten Tag sagen, der als Bürgermeister über die Geschicke des Heidedorfes wachte.
Noch hatte sie das Gemeindehaus nicht erreicht, als ihr Patricia Janus entgegenkam, deren Mutter Florentine gut gekannt hatte.
Die Frau des Landarztes stieg vom Rad, als sie Patricia erreichte, denn von einer gesunden Neugierde konnte Florentine sich nicht freisprechen, und diesmal richtete sich diese auf den Mann an Patricias Seite.
Wo hat sie den denn kennengelernt?, ging es Florentine durch den Kopf, als sie den großen breitschultrigen Mann musterte, der für ihren Geschmack eine Spur zu elegant gekleidet war.
»Hallo, Florentine!« Patricia strahlte, als sie der Älteren die Hand reichte. »Darf ich dir Richy vorstellen? Ich meine, Richard Kettler.« Sie wandte sich an ihren Begleiter. »Richy, das ist Florentine Fabian, die Frau unseres Doktors.«
...



