Larsen Dr. Karsten Fabian - Folge 166
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7325-3550-7
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Geständnis unter weißen Birken
E-Book, Deutsch, Band 166, 64 Seiten
Reihe: Dr. Karsten Fabian
ISBN: 978-3-7325-3550-7
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Fabians freuen sich sehr, dass Karen, die Tochter von alten Freunden, sie nach langer Zeit mal wieder besucht. Und Karen genießt die Ruhe des idyllischen Dorfes Altenhagen sichtlich, spaziert stundenlang durch die Heide und erfreut sich an der Natur - bis sie Florentine Fabian eines Abends von einem aufregenden und auch ein bisschen unheimlichen Erlebnis berichtet:
Aus dem 'Spöken-Huus', das seit Jahren unbewohnt ist, drang wildes Geigenspiel an ihr Ohr. Wie magisch angezogen, hat sie sich dem Haus genähert. Doch sie konnte nur einen kurzen Blick auf den Virtuosen erhaschen, da wurde sie von einem älteren Mann des Grundstücks verwiesen.
Aber wenn Karen erst einmal Feuer gefangen hat, lässt sie sich so schnell nicht verschrecken. Und sie hat Feuer gefangen!
Das Glitzern ihrer Augen verrät Florentine, dass der geheimnisvolle Geigenspieler das Herz der jungen Frau berührt hat. Aber warum lässt er sich so abschirmen? Und warum kennt niemand im Dorf seinen Namen?
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Die glühende Hitze des Tages hatte nachgelassen, in der Senke zwischen Altenhagen und dem Brillensee wurde es merklich kühler, und Karen Rauten schaute zu den reetgedeckten Dächern der Friesenhäuser, vor denen noch die Glut des Sommertages flirrte.
Eine mehr als sechsstündige Wanderung lag hinter Karen, als sie sich auf einem flachen Findling am Waldrand niederließ. Die Heide, die im sanften Licht des späten Nachmittags dem Abend entgegenträumte, übte einen unwiderstehlichen Reiz auf sie aus.
Karen glitt vom sonnenwarmen glatten Stein und beschloss, noch einen Umweg zu machen, bevor sie in den Schoß ihrer Gastfamilie, den Fabians, zurückkehrte.
Sie wanderte an einem lichten Birkenhain entlang und lächelte, als sie die Warnrufe eines Eichelhähers hörte, der in ihr einen Eindringling sah. Unwillkürlich dachte sie an ihre Freundin Jutta, die vergeblich versucht hatte, sie zu vierzehn Tagen Hawaii zu überreden. Ja, Jutta hatte sie sogar als hoffnungslos altmodisch und bieder bezeichnet, weil sie der Heide den Vorzug gegeben hatte.
Ach ja, Jutta liebte das Mondäne. Vor allem aber hatte sie es sich in den Kopf gesetzt, sich einen reichen Mann zu angeln. Und wo gelang dies besser als an Orten, an denen sich die Reichen und Schönen vergnügten?
Wenn Jutta ins Schwärmen geriet und von ihrer Zukunft träumte, konnte Karen nur müde lächeln. Natürlich hatte auch sie bestimmte Vorstellungen von ihrem Traummann, doch diese hatten wenig mit Äußerlichkeiten zu tun. Romantisch musste er sein, zärtlich und verständnisvoll, und er durfte sie nicht zum Heimchen am Herd machen wollen.
Karen war eine moderne junge Frau, die soeben ihr Examen an der Pädagogischen Hochschule mit Auszeichnung bestanden hatte und jetzt auf eine Referendarstelle wartete. Natürlich wünschte sie sich eine Familie, Mann und Kinder, was jedoch nicht bedeutete, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben wollte.
Karen hatte nicht auf den Weg geachtet und war tief in Gedanken versunken, als sie wildes ungezügeltes Geigenspiel hörte. Erstaunt blieb sie stehen und neigte lauschend den Kopf.
Sie befand sich zwischen alten Wacholderbüschen, die in kleinen Gruppen wuchsen, und auf den freien Flächen wucherte das Heidekraut, das in wenigen Wochen zur Blüte ansetzen und das Land mit einem Hauch von Purpurröte überziehen würde.
Doch das alles registrierte Karen nur am Rande. Ohne groß zu überlegen, lenkte sie die Schritte in die Richtung, aus der das Geigenspiel erklang.
Sie hatte etwa zehn Schritte zurückgelegt, als das meisterliche Spiel abbrach.
Karen runzelte die Stirn. Nanu? Hatte sie den Virtuosen gestört?
»Hallo?«, rief sie. »Ist da jemand?«
Ruckartig wandte sie den Kopf, als es hinter einer Wacholdergruppe raschelte. Es hörte sich an, als entferne sich jemand hastig. Karens Neugierde war angestachelt, und schnell folgte sie den leisen Geräuschen.
Den Meister des Geigenspiels bekam sie jedoch nicht zu Gesicht, aber als sie die letzten Wacholderbüsche hinter sich gelassen hatte, stand sie etwa fünfzig Meter von einem langgestreckten Haus entfernt, dessen Reetdach sich tief über die Mauern zog.
Es lag verlassen da, nichts deutete darauf hin, dass es bewohnt war. Karen überlegte, ob sie sich näher heranwagen sollte, um einen Blick durch die Fenster zu werfen, doch die eigene Kühnheit erschreckte sie. Was war nur in sie gefahren? Sie konnte doch nicht in das Haus fremder Menschen sehen!
Unsicher wandte Karen sich um. Noch einmal streifte ihr Blick über die Heidelandschaft, suchte den verwilderten Garten des einsam gelegenen Hauses ab. Langsam, so als habe sie etwas versäumt, machte sie sich auf den Heimweg, und immer wieder blieb sie stehen und lauschte, doch das Geigenspiel war nicht mehr zu hören.
Florentine, die Karens Ankunft bemerkte, beugte sich aus dem Fenster.
»Geh in den Garten, Karen, wir essen heute draußen!« Karen hob die Hand, um anzuzeigen, dass sie verstanden hatte.
Svenja und Tim, die Zwillinge der Fabians, tollten durch den Garten, während der kleine Jan im Sandkasten saß und Kuchenformen füllte.
»Na, wie war’s?«, fragte Dr. Karsten Fabian, als Karen sich dem Tisch näherte. »Setz dich, Florentine holt nur noch den Kartoffelsalat.«
Kaum hatte er es ausgesprochen, kam seine Frau aus dem Haus.
»Svenja, Tim! Habt ihr schon die Hände gewaschen?«, fragte sie tadelnd.
»Sind schon unterwegs!«, antwortete Svenja, die mit dem Mundwerk immer ein bisschen schneller war als ihr Bruder.
»Und wie schaut’s bei dir aus?«, fragte Florentine ihren Sohn Jan, nachdem sie die Schüssel auf den Tisch gestellt hatte und sich dem Sandkasten zuwandte.
»Ich bin ganz sauber«, antwortete der jüngste Spross des Landarztes und hob die Händchen.
»Das glaubst aber auch nur du«, erwiderte die Mutter lakonisch, hob ihn auf den Arm und führte ihn zu der Wasserstelle außerhalb der Löwenvilla, an der sich auch schon Svenja und Tim vergnügten.
Das Vergnügen war aber mehr auf Svenjas Seite, denn sie hielt den Schlauch und spritzte ihren Bruder nass.
»Schluss jetzt!«, rief Florentine, die Tim immer in Schutz nahm, da er sich gegen seine vorlaute und quirlige Schwester nicht durchsetzen konnte. »Svenja, lass das. Wascht euch endlich die Hände.«
Kurzerhand drehte Florentine den Hahn zu, zog den Wasserschlauch ab und stellte Jan auf den gemauerten Rand, um zuerst den Kleinen zu säubern.
Ein paar Minuten später saß die Familie mit Karen am Tisch und die Kinder vertilgten Kartoffelsalat und Würstchen mit gesundem Appetit.
Karsten beobachtete die drei schmunzelnd. Selten hatte er die Zeit, sich ausschließlich der Familie zu widmen, und er genoss es sichtlich, all seine Lieben um sich zu sehen.
»Und wie war dein Nachmittag heute?«, fragte Florentine, als sie sich ihrem Gast zuwandte.
Karen Rauten war die Tochter von lieben alten Freunden. In den letzten drei Jahren hatte man Karen nicht mehr in Altenhagen gesehen, sie war zu sehr mit dem Studium beschäftigt gewesen. Als sie nach dieser langen Zeit angerufen und ihren Besuch angekündet hatte, hatte die Frau des Landarztes sofort erfreut zugesagt. Nur angenehme Erinnerungen verbanden sich mit dem Namen Karen Rauten.
»Oh, ich habe mich so richtig ausgetobt«, antwortete die attraktive Frau mit dem weizenblonden Haar und den geheimnisvollen grünen Augen. »Und ich habe immer noch nicht genug davon.« Sie lachte. »Vom Wandern, meine ich.« Ein nachdenklicher Zug legte sich auf ihr herzförmiges Gesicht. »Und ich hatte heute ein seltsames Erlebnis. Sagt mal, wer wohnt eigentlich in dem Haus, das hinter dem Wacholderwäldchen liegt?«
Karsten und Florentine wechselten einen fragenden Blick. Karen erläuterte nun genauer, welches Haus sie meinte, denn alte Höfe, Landhäuser oder Katen, die von Naturliebhabern aus der Stadt renoviert worden waren, gab es genug.
»Ach, du meinst das Spöken-Huus!«, rief Florentine. »Ja, Vater hat mir erzählt, dass es von einem Makler gekauft wurde.« Sie schüttelte sich leicht. »Da möchte ich nicht wohnen, da spukt’s.«
»Schatz«, mahnte Karsten und warf einen Blick auf die Kinder. »Du weißt doch, wie schnell die Fantasie mit ihnen durchgeht.«
»Oh ja, Mama, erzähl uns eine Gruselgeschichte!«, rief Svenja, stibitzte ein Stück Wurst vom Teller ihres Bruders und schob es blitzschnell in den Mund.
»Ach, ich weiß gar keine Geschichte«, antwortete die Mutter ausweichend. »Zumindest nicht vollständig, aber ich werde mich mal umhören.« Sie betrachtete die Teller. »Und ihr könnt noch ein bisschen toben, bevor es ins Haus geht.«
Dieses Angebot ließen sich die Zwillinge nicht entgehen und rutschten sofort von den Stühlen, und auch der kleine Jan zog es vor, mit seinen Geschwistern zu toben, statt sittsam am Tisch zu sitzen.
»Spukt es dort wirklich?«, erkundigte Karen sich leise.
»Ach, man erzählt sich wilde Geschichten darüber«, antwortete Florentine amüsiert, »und ich könnte mir gut vorstellen, dass vielleicht ein Körnchen Wahrheit dran ist. Wer wohnt denn jetzt dort?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Karen ausweichend. »Jedenfalls jemand, der hinreißend Geige spielt.«
»Ich werde mich mal bei meinem Vater erkundigen, ob er etwas Näheres weiß«, warf Florentine nachdenklich ein. »Ein Einheimischer hat das Spöken-Huus sicher nicht gekauft, denn jeder weiß, dass dort der alte Predersen spukt.«
»Also ist doch was an dieser Geschichte?«, fragte Karen, und ihre Augen glänzten plötzlich erwartungsvoll. »Erzähl«, forderte sie Florentine auf.
Diese warf zunächst einen Blick auf die Kinder, die jedoch drüben am Zaun spielten und nicht mithören konnten.
»Weißt du, ich möchte so etwas nicht vor den Kindern erzählen«, erklärte sie entschuldigend. »Besonders Svenja hat eine lebhafte Fantasie und bekommt von solchen Geschichten schlimme Träume. Tja, und ich weiß auch nicht, ob was dran ist, denn ich habe den alten Predersen noch nie gesehen.«
Karen zog fröstelnd die Schultern hoch. »Einen richtigen Geist gibt es im Heidegrund? Das ist ja interessant. Dann hat er vielleicht Geige gespielt?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, warf Karsten schmunzelnd ein. »Ich habe auch schon von dieser Geschichte gehört, und wenn ich richtig informiert bin, hat der alte Predersen um die Jahrhundertwende gelebt. Er war ein armer Heidebauer, der wahrscheinlich niemals eine Fiedel in...




