Larsen Dr. Karsten Fabian - Folge 167
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7325-3581-1
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Frau, die ein Geheimnis hatte
E-Book, Deutsch, Band 167, 64 Seiten
Reihe: Dr. Karsten Fabian
ISBN: 978-3-7325-3581-1
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Schon seit über sechs Wochen ist das Haus Nummer 14 im Birkenweg in Altenhagen wieder bewohnt, doch bisher hat niemand die neue Bewohnerin zu Gesicht bekommen. Selbst die Lebensmittel lässt sie sich von Lammers' Supermarkt direkt ins Haus bringen.
Das lässt natürlich die Klatschbase Grete Roloff zur Hochform auflaufen. Was hat die Fremde zu verbergen? Grete ist sich sicher, dass es etwas sehr Schlimmes sein muss.
Und dann taucht auch noch ein Mann in Dr. Fabians Praxis auf, der auf der Suche nach einer Frau ist, die sich irgendwo in der Heide aufhält - und der Landarzt, so behauptet der Mann, sei der Einzige, der ihm helfen könne ...
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Für Gerhard Lammers war es einerlei, wen er belieferte, doch jedes Mal, wenn er den Wagen vor dem Haus Nummer 14 am Birkenweg stoppte, beschlich ihn leichtes Unbehagen.
Seit sechs Wochen belieferte er Gwenda Arnsbeck, und nicht einmal hatte sie ihn ins Haus gebeten. Sie pflegte ihn an der Tür abzufertigen, hielt immer genügend Geld bereit.
Wahrscheinlich stand sie jetzt schon hinter der Gardine und beobachtete ihn, wie er den großen rechteckigen Karton von der Ladefläche des Lieferwagens hob.
»Was denn, Gerhard, machst du denn nie Feierabend?«, fragte Grete Roloff, die scheinbar zufällig des Weges kam. »Es ist Samstag und schon später Nachmittag.«
Schnepfe, dachte der Besitzer des kleinen Supermarktes in Altenhagen, doch als er sich aufrichtete, lag ein Geschäftslächeln auf seinem Gesicht, denn auch die größte Klatschbase des Heidedorfes gehörte zu seinen Kunden, und nicht mal zu den schlechtesten.
»Ich kann es mir nicht leisten, auch nur einen Kunden zu verlieren«, antwortete er und stemmte die Hände gegen die Rettungsringe an den Hüften. »Na ja, das ist meine letzte Fuhre, und ich bin froh, dass ich Feierabend habe, Grete. Heute Abend ist Stammtisch, und den möchte ich auf keinen Fall versäumen. Er ist doch das einzige Vergnügen, das wir Männer haben.«
»Jetzt trägst du aber dick auf«, bemerkte die Roloff spöttisch. »Und welches Vergnügen haben wir Frauen?« Dabei starrte sie zu der hübschen reetgedeckten Heidekate hinüber. »Sie soll ja sehr hübsch sein.«
»Wer?«
»Na, die da«, antwortete Grete und deutete mit dem Kinn aufs Haus.
»Nun ja, hässlich ist sie nicht«, gab er vorsichtig zu, denn bei dieser Frau musste man jedes Wort auf die Goldwaage legen, wenn sie es einem nicht im Mund herumdrehen sollte.
»Irgendetwas stimmt da nicht«, stellte Grete düster fest. Es ärgerte sie maßlos, dass sie über die Mieterin dieses Hauses nichts in Erfahrung bringen konnte. »Oder findest du es etwa normal, dass jemand fast zwei Monate in einem Haus lebt, ohne sich den Nachbarn vorzustellen? Im Garten sieht man sie auch nicht, nur manchmal verlässt sie abends das Haus. Das hat Olga Feltgen mir erzählt.«
Gerhard Lammers bückte sich und nahm den Karton auf. Er schnitt eine Grimasse. Die Roloff und die Feltgen – da hatten sich ja die Richtigen gefunden. Eine wusste mehr als die andere, und jedes Geschehen wurde bis ins Detail ausgeschlachtet.
»Tut mir leid, Grete, aber ich muss mich beeilen«, sagte er. »Ich will noch baden, zu Abend essen und anschließend zum Stammtisch. Meine Zeit ist knapp.«
Grete wartete, bis er außer Hörweite war, dann zischte sie verächtlich: »Krämerseele! Dem ist es doch egal, wer sich in unserem Dorf einnistet. Hauptsache, er macht Geschäfte.«
Sie huschte unter den alten Fliederbusch und spähte zum Haus Nummer 14 hinüber, an dessen Klingel Lammers inzwischen geläutet hatte.
»Genauso hab ich’s mir vorgestellt«, flüsterte die Klatschbase, als sie sah, dass die Tür nur einen Spaltbreit geöffnet wurde.
Im Flur brannte Licht und ließ Gwendas weizenblonde Lockenpracht aufleuchten.
»So, Frau Arnsbeck, es ist alles im Karton, bis auf die Lasagneplatten. Die kommen erst wieder nächste Woche rein.« Er nahm den Notizblock aus der Tasche des grauen Arbeitskittels. »Das macht genau neunundvierzig Euro und …«
»Nehmen Sie fünfzig«, unterbrach sie ihn.
»Wenn Sie wollen, trage ich Ihnen den Karton ins Haus«, schlug er vor, und in seinen Augen glänzte die Neugierde. »Das macht keine Umstände.«
»Danke, das schaffe ich schon allein. Einen schönen Abend noch, Herr Lammers.«
»Ja, den wünsche ich Ihnen auch«, antwortete er, tippte mit zwei Fingern an die Schlägermütze und begab sich zum Wagen vor dem Zaun. »Na, Grete, hast du auch alles gehört?«, fragte er spöttisch im Vorbeigehen.
»Wie denn? Ihr habt ja geflüstert«, empörte sie sich und folgte ihm zum Wagen. »Aber ich verspreche dir, ich komme noch hinter ihr Geheimnis.«
»Falls es eines gibt«, konterte er und setzte sich ans Steuer. »Tschüß, Grete, ein angenehmes Wochenende.«
Ihr Mund wirkte schmal und verbissen, als sie zu Gwendas Haus starrte. Nichts konnte Grete Roloff mehr in Rage bringen, als über einen Menschen oder einen Zustand im Unklaren zu sein, und jeder, der Grete kannte, wusste, dass sie wirklich nicht eher ruhte, bis sie das Geheimnis gelüftet hatte.
***
Im Gasthaus »Blecherner Krug« ging es hoch her. Die Tische waren zwar nicht alle besetzt, doch an der Theke standen die Männer in Doppelreihe und ließen sich den würzigen Gerstensaft und den Heidjer munden.
Auch am Stammtisch ging es lebhaft zu, und Dr. Albrecht Heideck hatte es heute offensichtlich auf den Pastor abgesehen, denn jeder Witz zielte auf einen Geistlichen.
»Und dann kamen der Pastor und sein Nachbar von einem Leichenschmaus«, erzählte Dr. Heideck schmunzelnd, und die anderen beobachteten mit Genugtuung, wie sich das Gesicht des Pastors bedenklich rötete. »Die beiden haben einen Heidjer zu viel getrunken und landen im Straßengraben. Lallt der Nachbar: ›Herr Pastor, glauben Sie an die Auferstehung?‹ Darauf der Pastor: ›In den nächsten drei Stunden bestimmt nicht.‹»
Die Männer lachten, und Pastor Leberecht Stolzenburg hatte Mühe, ein Grinsen zustande zu bringen.
»Warum immer gegen meinen Berufsstand?«, beschwerte er sich.
»Na ja, Pastor, ich könnte dir da auch was über unsere Doktoren erzählen«, meldete sich Heidschnuckenzüchter Johannes Bruhns zu Wort und hob den Arm. »Helene, ich bekomme noch ein schönes Pils!«
»Und für mich noch einen Rotwein!«, rief der Pastor und sah Bruhns aufmunternd an. »Na, was ist mit deinem Ärztewitz?«
»Drei Männer – ein Franzose, ein Deutscher und ein Engländer – gehen zum Arzt, und als sie ihn verlassen, haben sie erfahren, dass sie alle drei nur noch ein Jahr zu leben haben. Der Franzose fragt den Deutschen, was er denn in seinem letzten Lebensjahr machen werde? Sagt der Deutsche: Ich werde besonders nett zu meiner Frau sein. Darauf der Franzose: Ich werde eine Weltreise machen. Dann sehen sie fragend den Engländer an, der gelassen antwortet: Und ich werde mir einen neuen Arzt suchen.«
»Ja, ja, so ist es«, philosophierte Gustav Maien und zwinkerte dem Pastor zu. »Wenn ein Arzt hinter dem Sarg seines Patienten geht, dann folgt die Ursache der Wirkung.«
»So, Pils, Wein«, verkündete die Wirtin, die »fromme Helene«, und blickte in die Runde. »Und für wen war der Heidjer?«
»Der ist für mich«, meldete sich Gerhard Lammers zu Wort, nahm den Schnaps und kippte ihn mit einem kurzen Ruck in die Kehle. Als er die erstaunten Blicke der anderen auffing, winkte er ab. »Ich brauche heute was fürs Herz, denn meine Bertha macht mir das Leben zur Hölle, seit ich Frau Arnsbeck beliefere.« Lammers griff sich an den Kopf. »Das muss man sich mal vorstellen! Jetzt sind wir schon dreißig Jahre verheiratet, und Bertha entdeckt plötzlich, dass sie eifersüchtig ist.«
»Na ja, so ganz ohne warst du früher nie«, warf Apotheker Heller schmunzelnd ein. »Und diese Arnsbeck ist ja auch ein bildhübsches Frauenzimmer.«
Nun richteten sich alle Augen auf Michael Heller, und Lammers fühlte sich in den Hintergrund gedrängt, denn bis heute war er der Meinung gewesen, der Einzige zu sein, der Gwenda Arnsbeck zu Gesicht bekommen hatte.
Es gab kaum jemanden in Altenhagen, der sich nicht schon seine Gedanken über die Fremde gemacht hatte, die wie eine Einsiedlerin lebte, nur in den Abendstunden das Haus verließ oder manchmal mit dem Wagen wegfuhr.
»Woher weißt du das?«, fragte Lammers perplex. »War sie vielleicht in der Apotheke?«
»Nein, am Findling!«, trumpfte Apotheker Heller auf. »Und ich war ganz in der Nähe und hatte Muße, sie eine Weile zu beobachten.« Er lächelte genießerisch. »Männer, das ist eine Frau, bei der wohl jeder von uns schwach werden könnte. Haare wie reifes Korn, Augen wie der Sommerhimmel und eine Figur … Hach, da komme ich glatt ins Träumen!«
»Und wenn deine Jutta das hört, bekommst du eins aufs Dach«, behauptete Bauer Lindau in seiner drastischen Art.
»Was ist denn mit dir, Doktor? Du bist ja heute so still«, bemerkte der Pastor, der neben Dr. Karsten Fabian saß.
»Ach, ich frage mich, warum ihr alle an dieser Frau so interessiert seid«, erwiderte der Landarzt nachdenklich. »Vielleicht ist sie hierhergekommen, weil sie ihre Ruhe haben möchte.«
»Und deswegen verschanzt sie sich im Haus und verlässt es nur bei Dunkelheit?«, warf Gustav Maien skeptisch ein. Er wandte sich an Karstens Schwiegervater, den Bürgermeister Gottlieb Fiedler. »Du bist doch hier der Häuptling, Fiedler, weißt du denn nichts über die schöne Fremde?«
Dieser führte den Weinpokal an die Lippen, trank bedächtig und blickte in die Runde. Er war ein kluger Mann, und das hatte er als Bürgermeister schon oft bewiesen.
»Die Frau hat sich ordnungsgemäß angemeldet«, sagte er ruhig. »Wie sie lebt, ist doch ganz allein ihre Sache. Ich weiß gar nicht, warum ihr euch so aufregt.«
»Weil hier jeder jeden kennt«, warf Bauer Lindau ein.
»Sie heißt Gwenda Arnsbeck und hat hier ihren zweiten Wohnsitz angemeldet«, fuhr der Bürgermeister fort. »Es ist anzunehmen, dass sie auf dem Land ein wenig zur Ruhe kommen will. Also, Leute, regt euch nicht auf,...




