E-Book, Deutsch, Band 174, 64 Seiten
Reihe: Dr. Karsten Fabian
Larsen Dr. Karsten Fabian - Folge 174
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7325-3925-3
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Und wer liebt uns?
E-Book, Deutsch, Band 174, 64 Seiten
Reihe: Dr. Karsten Fabian
ISBN: 978-3-7325-3925-3
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Robin und Thomas Lohner sind Vollwaisen. Der einzige Mensch, der sich um sie kümmern kann, ist ihre todkranke Oma. Als die beiden Jungen eines Tages vor dem Bett der alten Frau stehen und in ihre leblosen Augen blicken müssen, erleiden sie einen Schock. Zum Glück ist Dr. Fabian schnell bei ihnen, um sie zu trösten und ihnen neuen Mut zu geben.
Dann beginnen die Tage, an denen die Fabians sich den Kopf zermartern, wie man den Kindern ein Leben im Heim ersparen könnte. Und schließlich fällt ihnen eine Lösung ein: Karsten Fabian will sich mit Sonja Lohner in Verbindung setzen. Die Tante der Jungen gilt allerdings als 'schwarzes Schaf' der Familie, weil sie eine Nachtbar im Hamburger Rotlichtmilieu betreibt ...
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Obwohl der Schneepflug die Straßen geräumt und Salz gestreut hatte, kam Landarzt Dr. Karsten Fabian nur mühsam voran. Er liebte den Winter, doch nun hielt die Kälte schon seit Wochen an, und das war den Menschen auch nicht recht.
Dr. Heideck entspannte sich eine Woche in den Schweizer Bergen, und Karsten beneidete den Kollegen ein wenig. Beklagen durfte sich der Landarzt jedoch nicht, denn im letzten Jahr hatte er Winterurlaub genommen.
Der Landarzt bog in die Straße nach Stollp ein, an der das Haus der Familie Lohner lag.
Dagmar Lohner, die im kommenden Jahr siebzig wurde, sorgte noch immer für ihre beiden Enkelkinder Robin und Thomas, die seit vier Jahren Vollwaisen waren.
Dr. Fabian wiegte den Kopf. Er wusste von Frau Lohners schwachem Herz, das sie, als sie um das Sorgerecht für ihre Enkel hatte kämpfen müssen, geschickt dem Jugendamt verheimlicht hatte.
Bis vor einigen Monaten war auch alles gut gegangen, doch in letzter Zeit rief Frau Lohner ihn immer häufiger an, wenn sie eine starke Injektion brauchte, um dem alten und verbrauchten Herzen wieder ein wenig Schwung zu geben.
Etwas Dunkles huschte von rechts nach links, und der Landarzt trat auf die Bremse. Der Wagen schlitterte über eine schmale Eisspur und kam kurz vor einem der Chausseebäume zum Stehen.
»Puh, das war knapp.«
Fahrig strich Karsten sich übers Gesicht. So sehr er die weiße Winterpracht liebte, mit dem Wagen war er ungern unterwegs.
Er ließ ein paar Minuten verstreichen, bevor er die Fahrt fortsetzte, und überlegte, welches Tier ihn wohl in Bedrängnis gebracht haben mochte, doch alles war so schnell gegangen, dass er sich nur an einen dunklen langgestreckten Schatten erinnern konnte.
Endlich hatte er die alte knorrige Eiche am Wegrand erreicht, hinter der ein schmaler Feldweg von der Landstraße abzweigte. Dieser führte zum Haus der Lohners, das auch schon bessere Zeiten gesehen hatte.
Ja, damals, als Frau Lohners Sohn noch gelebt hatte, ihr über alles geliebter Sohn Jan, der sich als junger Physiker bereits einen Namen gemacht hatte, war noch genug Geld vorhanden gewesen, was an der ausgebauten Scheune noch deutlich zu sehen war.
Dr. Fabian drosselte auf den letzten Metern das Tempo noch stärker, denn die Einfahrt, die aufs Haus zuführte, war spiegelglatt. Der Arzt ahnte, dass Frau Lohner sich zu schwach fühlte, um Asche oder Salz zu streuen, und wieder einmal nahm er sich vor, ihr einen Krankenhausaufenthalt ans Herz zu legen.
Ohne Komplikationen brachte Dr. Fabian den Wagen neben der Haustür zum Stehen, doch das kurze Stück zur Tür wurde für Karsten zu einem wahren Eiertanz.
Er atmete auf, als er auf der geflochtenen Matte stand, und drückte auf die Türklingel.
Es dauerte nicht lange, dann hörte er schnelle leichte Schritte hinter der Tür, und eine Jungenstimme rief: »Wer ist da?«
»Doktor Fabian, ich will zu deiner Oma!«
Der Schlüssel knirschte leicht im Schloss, die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet, ein tiefblaues Augenpaar musterte ihn misstrauisch.
»Na, Robin? Habe ich mich so verändert?«, fragte Karsten schmunzelnd.
»Nein, Doktor«, antwortete der achtjährige Junge für sein Alter viel zu ernsthaft, öffnete die Tür und fügte traurig hinzu: »Oma Dagmar liegt noch im Bett.« Er legte eine Hand auf die Brust. »Sie hat ganz schlimme Schmerzen.«
Die Angina pectoris wird von Mal zu Mal schlimmer, dachte Dr. Fabian, laut hingegen antwortete er: »Das bekommen wir wieder in den Griff, Robin, mach dir keine Sorgen.«
Dr. Fabian begegnete dem Blick des Jungen und wusste, dass seine Worte nicht auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Robin war in den Augen des Arztes seinem Alter weit voraus, und manchmal hatte Karsten das Gefühl, als ahne der Junge bereits, dass die Großmutter sich gegen eine schwere Krankheit stemmte, die letztendlich den Sieg davontragen würde.
Dr. Fabian kannte sich in diesem Haus aus und begab sich in den hinteren Teil des Erdgeschosses. Er war es gewesen, der Dagmar Lohner dazu überredet hatte, das Schlafzimmer ins Erdgeschoss zu verlegen, da ihr das Treppensteigen von Monat zu Monat schwerer gefallen war.
Als er auf die offene Tür zuging, kam ihm Dagmars jüngster Enkel Thomas entgegen, der ein gutes Jahr jünger war als sein Bruder. Die Buben glichen sich wie ein Ei dem anderen, doch hatte Tommy das Kindliche noch nicht verloren.
»Na, du?« Dr. Fabian fuhr ihm liebevoll durch die dunklen Haare. »Was macht dein Flips?«
»Der ist tot«, antwortete der Kleine traurig. »Ein Laster hat ihn überfahren.«
»Oh, das tut mir aber leid«, erwiderte der Arzt und kauerte sich vor ihm hin. Karsten wusste, wie sehr der Kleine an seinem schwarzweißen Kater gehangen hatte, und nahm Tommy in die Arme. »Aber dafür ist dein Flips jetzt im Katzenhimmel.«
»Das glaub ich nicht«, flüsterte Tommy und schlang die Arme um Karstens Hals. »So was gibt’s doch gar nicht, hat Robin gesagt.«
»Der weiß auch nicht alles«, antwortete der Landarzt ebenso leise und drückte das kleine Kerlchen fester an sich. »Du kannst mir glauben, Tommy, deinem Flips geht es im Katzenhimmel wunderbar. Dort hängen nämlich gebratene Hähnchen an den Bäumen, und in den Bächen fließt kein Wasser, sondern reine Milch.«
»Ehrlich?«, staunte Tommy, löste sich aus Karstens Armen und musterte ihn misstrauisch.
»Wenn ich es dir doch sage«, antwortete Karsten und richtete sich auf. »So, und jetzt muss ich mal nach deiner Oma schauen. Weißt du was? Du und Robin, ihr macht mir inzwischen eine Tasse Tee, ja?«
Tommy nickte und lief zu seinem Bruder, der ein paar Schritte abseits stand.
Natürlich legte Dr. Fabian keinen Wert auf den Tee, doch er wollte wenigstens ein paar Minuten ungestört mit Dagmar Lohner sprechen.
Als er ans Bett kam und einen Blick auf das bleiche Gesicht der alten Frau warf, erschrak er. Dagmars Augen lagen tief in den Höhlen, die Lippen schimmerten bläulich, sie atmete schnell und flach.
»Na, Mutter Lohner, wie geht’s denn so?«, fragte er betont munter, um sein Erschrecken zu verbergen.
»Nicht gut, aber das sehen Sie ja selbst«, antwortete sie mit schwacher Stimme. »Doktor Fabian, die Tabletten, die ich jetzt nehme, helfen nicht mehr viel. Können Sie mir denn nicht ein paar andere verschreiben?«
Dr. Fabian antwortete nicht, griff zur schwarzen Ledertasche, stellte sie auf den Stuhl und holte das Stethoskop heraus, um Dagmars Herztätigkeit zu überprüfen.
Die alte Frau missdeutete sein Schweigen. »Doktor Fabian, wenn die Krankenkasse die Tabletten nicht bezahlt, dann … dann können Sie mir ja ein Privatrezept ausstellen.«
»Ach, Mutter Lohner, darum geht es doch nicht«, erwiderte er seufzend und wartete, bis sie die Jacke des Schlafanzuges geöffnet hatte. »Sie brauchen keine anderen Tabletten, Sie müssen ins Krankenhaus, denn …«
»Nein, Sie brauchen gar nicht weiterzureden, Doktor Fabian«, fiel sie ihm hart ins Wort. »Ich kann die Kinder nicht alleinlassen.« Sie rümpfte die Nase. »Darauf wartet das Jugendamt doch nur.«
»Unsinn.«
»Sie haben keine Ahnung, Doktor Fabian. Entschuldigen Sie, wenn ich das so sage.« Sie atmete heftiger. »Erst neulich war wieder so ein junges Ding vom Jugendamt hier und hat gemeint, dass ich zu alt wäre, um die Kinder richtig versorgen zu können. Nein, nein, mich kriegen keine zehn Pferde ins Krankenhaus.«
Der Landarzt schob die Stöpsel des Stethoskops in die Ohren. Es war sinnlos, über dieses Thema zu reden, das hatte er schon oft genug versucht.
Dagmar Lohner fürchtete nichts mehr, als dass man ihr die Kinder ihres toten Sohnes wegnahm, und ein Krankenhausaufenthalt war gleichbedeutend damit.
So ganz unrecht hatte sie damit ja nicht, und Dr. Fabian konnte es den Sozialarbeitern auch nicht verübeln, wenn sie das Wohl der Kinder im Auge hatten.
»So, und jetzt noch einmal tief einatmen und die Luft anhalten«, ordnete er an.
Er presste die Lippen aufeinander. Die Herzrhythmusstörungen waren stärker geworden. Vielleicht, nein, wahrscheinlich genügte schon ein kleiner Eingriff, ein Herzschrittmacher, zum Beispiel, um das Schlimmste zu beheben.
»Mutter Lohner, wenn ich mich nach einer Betreuerin für die Kinder umschaue – gehen Sie dann ins Krankenhaus?«, fragte er nachdenklich.
Sie zögerte. »Nur wenn das Jugendamt keinen Wind davon bekommt«, antwortete sie mit Nachdruck.
Dr. Fabian nickte, und er dachte an Sonja Lohner, an Dagmars Tochter, die in Hamburg lebte und dort eine exklusive Nachtbar betrieb.
Dr. Fabian kannte die Bar, er hatte sie einmal, als er in Hamburg gewesen war, aufgesucht, und er konnte nicht behaupten, dass das Casablanca etwas Anrüchiges war.
Aber das konnte er Frau Lohner nicht plausibel machen. Sie lebte schon seit zehn Jahren mit ihrer Tochter in Unfrieden, die stets das schwarze Schaf der Familie gewesen war.
Dagmars Brauen schoben sich leicht zusammen. »Sie denken an Sonja?«, fragte sie. »Die können Sie vergessen, die hat doch nur die Bar im Kopf.«
Der Landarzt war nicht gekommen, um mit Frau Lohner zu diskutieren, denn dies war bei diesem Thema völlig sinnlos. Er zog eine Spritze auf.
»Das wird Ihnen ein wenig helfen, Frau Lohner«, sagte er, als er den Ärmel der Schlafanzugjacke zurückschob und die...




