E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Lastella So leise wie ein Sommerregen
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-423-43885-8
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geschichten zum Verlieben - Das perfekte Geschenk zum Valentinstag
E-Book, Deutsch, 300 Seiten
ISBN: 978-3-423-43885-8
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Leonie Lastella wurde in Lübeck geboren und lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf nordwestlich von Hamburg. Seit 2017 widmet sie sich ausschließlich dem Schreiben und wurde unter anderem von der DELIA, der Vereinigung deutschsprachiger Liebesromanautor*innen, für ihre Werke ausgezeichnet. Unter dem Titel >The Book Hangover - Drei Autorinnen, drei Stimmen, ein Podcast< hat sie außerdem gemeinsam mit Valentina Fast und Tonia Krüger einen Podcast ins Leben gerufen. Leonie Lastella steht für Veranstaltungen zur Verfügung.
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Prolog
Die Bilder an der Wand meines Zimmers vibrieren, als mehrere Kampfjets tief über das Dach unseres Hauses auf der Militärbasis hinwegdonnern. Die Typen im Cockpit ziehen mal wieder eine Show über Cherry Point ab. Da ihr Auftrag wohl kaum lautet, den Normalsterblichen, die auf der Basis wohnen, das Trommelfell mit einem Tiefflug zu zerfetzen, tippe ich auf ausgewachsene Egoprobleme.
Seufzend schnappe ich mir meinen Rucksack, in dem ich Kleidung, eine Zahnbürste und mein Kissen verstaut habe, und hüpfe die Treppenstufen hinab. Zumindest brauche ich mein Partyoutfit für heute Abend nicht unter einem schlichten Pullover zu verstecken. Mom ist nicht da. Sie arbeitet eine Doppelschicht im Krankenhaus. Ich öffne den Kühlschrank, schnappe mir den Orangensaft und trinke direkt aus der Verpackung. Mom würde einen Anfall bekommen. Auf dem Küchentisch liegt eine Nachricht von ihr. Natürlich.
Vergiss nicht abzuschließen, wenn du gehst, und lass dich von Ivy nicht zu irgendwelchem Blödsinn überreden. Und keine Partys, Pumpkin. Viel Spaß, Mom.
Ich verdrehe die Augen und stelle den Saft zurück. Pumpkin. Sie nennt mich immer noch so. Nur weil ich mich im Kindergarten drei Jahre hintereinander an Halloween als Kürbis verkleidet habe und das Kostüm auch dazwischen kaum ausziehen wollte. Ich hasse diesen Spitznamen. Nur bei Dad stört er mich nicht. Ich vermisse ihn, aber es ist noch zu früh, um ihn per Skype zu erwischen. In Kandahar ist es noch mitten in der Nacht.
Das Wochenende werde ich bei den Johnsons verbringen. Wie immer, wenn Mom arbeiten muss. Etwas, worauf ich mich im Grunde freue, auch wenn es mich ärgert, dass Mom nur deswegen darauf besteht, weil sie nicht will, dass ich allein zu Hause bin. Frustriert knülle ich die Nachricht zusammen. Ich bin achtzehn. Viele meiner Freunde ziehen jetzt nach unserem Highschool-Abschluss auf den Campus, in andere Bundesstaaten, ans andere Ende des Landes. Ivy ist eine von ihnen. Mir traut Mom nicht mal zu, zwei Tage allein zu bleiben.
Ich schultere den Rucksack, nehme die Schlüssel für meinen Wagen und will gerade die Haustür hinter mir zuziehen, als ein schwarzer SUV in die Einfahrt einbiegt und mich zuparkt.
Ein ungutes Gefühl umschlingt augenblicklich meine Eingeweide und wird zu einem heißen Brennen, als zwei Männer in Uniform aussteigen. Es gibt nur einen Grund, warum Militärs in Uniform, mit unbeweglichem Gesichtsausdruck und im Gleichschritt, Privatgrundstücke betreten. Es muss etwas mit Dad sein. Das darf nicht … Ein Stöhnen verkantet sich in meiner Kehle. Die beiden Männer erreichen die Veranda und bleiben vor mir stehen. Den einen kenne ich. Jake. Er war in derselben Einheit wie Dad und hat uns ein paarmal besucht. Seitdem er im Einsatz verletzt wurde, arbeitet er für den Casualty Notification Sevice. Die Männer, die niemand sehen will. Sie überbringen die schlimmsten aller schlimmen Nachrichten. Jake darf nicht hier sein. Mir ist eiskalt, obwohl die Sonne unbeirrt meine Haut wärmt.
»Miss Miller?«, spricht mich sein Kollege an.
Ich sehe nicht auf. Mein Blick bleibt an den Abzeichen auf Jakes Brust hängen. Sie sind schief. Einige Millimeter nur, aber ich habe den irrationalen Wunsch, sie gerade zu richten.
»Miss Miller?«, wiederholt sich Jakes Kollege und endlich gelingt es mir zu nicken, den Blick noch immer auf das schiefe Metall gerichtet.
»Ist Ihre Mutter zu Hause?«
Meine Beine sind wachsweich, als ich den Kopf schüttle. »Was ist mit Dad?«, bringe ich krächzend hervor. Vielleicht wird er nur vermisst. Ich klammere mich an dieser Hoffnung fest.
»Hope.« Jake wechselt wie selbstverständlich zu meinem Vornamen und sieht mich mitfühlend an. Dieser Blick zerkleinert meine löchrige Zuversicht. Seine Hand auf meiner Schulter vernichtet sie. »Was ist mit ihm?«, wiederhole ich mit wackliger Stimme. Ich weiß nicht, wieso ich hören muss, was längst klar ist.
»Wir sollten das zusammen mit deiner Mom besprechen. Ohne sie dürfen wir nicht mit dir reden.«
»Sag mir, was mit Dad ist.« Meine Stimme ist zu schwach. Da ist keine Substanz in den Worten. Kein Nachdruck. »Ist er …?« Tränen verschleiern meinen Blick. »Sonst wärt ihr nicht hier, oder?«, bringe ich schließlich hervor. Ich will, dass sie mir widersprechen, mir sagen, dass er nur vermisst wird oder verletzt ist. Schwer verletzt. Das wäre schlimm, aber nicht endgültig.
Jake wechselt einen Blick mit seinem Begleiter, bevor er sich wieder mir zuwendet. »Hope, seine Einheit wurde in der Nähe der Basis während einer Patrouillenfahrt angegriffen.«
»Jake, das ist gegen die Regeln. Sie ist noch keine einundzwanzig«, mahnt ihn sein Kollege. »Nicht ohne ihre Mom.«
Jake bringt ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Ich kenne die Regeln«, murmelt er. »Aber ihr Dad war mein Freund.« Er sieht mich unverwandt an. »Es tut mir unendlich leid, Hope. Paul ist getötet worden.«
Die Worte dringen wie Chloroform in meine Synapsen. Verlangsamen alles. Die Welt wird unscharf. Ich nicke, fühle mich unendlich weit entfernt. Von allem. Vor allem von mir selbst. »Wie?«, ist das einzige Wort, das ich hervorbringe. Ich bekomme keine Luft. Mein ganzer Körper tut weh.
»Wo ist deine Mom?«, fragt Jake sanft. »Wir bringen dich erst mal zu ihr. Dann beantworten wir alle eure Fragen. So gut, wie es uns möglich ist.«
Jake hat recht, ich brauche Mom, egal wie oft wir sonst aneinandergeraten, gerade wünsche ich mir nichts mehr als ihre Nähe. Ihre Finger, die durch mein Haar streichen, als wäre ich noch immer ein kleines Mädchen, und das Versprechen, das sie mir damit gibt, alles würde wieder gut werden. Einfach, weil sie da ist. Sie darf mich sogar Pumpkin nennen, wenn das bedeutet, dass sie diesen Albtraum beendet. »Sie arbeitet. Im Newport General«, flüstere ich.
»In Ordnung. Dann fahren wir jetzt alle gemeinsam zu ihr.«
Mit einem Kopfschütteln trete ich einen Schritt zurück. Ich kann nicht. Alles in mir sträubt sich dagegen, mein Zuhause zu verlassen. Mom soll herkommen. »Kann ich nicht hier warten? Bitte.«
Jake berührt meinen Arm, drückt ihn leicht. »Du solltest jetzt auf keinen Fall allein sein, Hope.«
»Ivy.« Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche. »Meine Freundin, ich kann sie anrufen.« Ivy ist neben Mom überhaupt der einzige Mensch, den ich jetzt sehen will. »Bitte«, flehe ich und versuche die Fassung zu wahren. »Ich kann hier auf sie warten. Ich komme klar.«
»Sie ist ihre beste Freundin«, erklärt Jake seinem Kollegen. »Sie könnte auf Hope aufpassen, bis wir mit ihrer Mom zurück sind.« Er zieht die Schultern nach oben und lässt sie wieder fallen. »Paul hätte sicher nicht gewollt, dass ich seine Tochter in dieser Situation zu irgendetwas zwinge.« Er seufzt und deutet dann auf das Telefon in meiner Hand. »Also gut, ruf sie an. Wir kümmern uns darum, dass deine Mom so schnell wie möglich nach Hause kommt.«
»Okay«, sage ich mit einigermaßen fester Stimme, während mein Herz mit jedem Schlag in der Nähe der Soldaten die Gewissheit verteilt, dass Dad nicht mehr wiederkommt. »Ich gehe rein und rufe sie an.«
Ich möchte ihnen keine Möglichkeit geben, sich das Ganze anders zu überlegen. Eilig laufe ich ins Innere des Hauses. Die Fliegentür schwingt mit einem lauten Klappen hinter mir zu. Ein endgültiges Geräusch. Mit angehaltenem Atem, die Hand auf den Mund gepresst, warte ich, bis sich Sekunden später Schritte vom Haus entfernen und kurz darauf ein Motor aufheult. Erst dann lasse ich die Luft schluchzend entweichen. Ich sinke an der Wand hinab, meine Beine seltsam verdreht. Ich zittere. Aber ich fühle nichts. Da ist kein Boden mehr. Kein Halt. Nur ein völlig fremdes Universum. Eines ohne Dad. Keine Ahnung, wie lange ich einfach nur dasitze. Starr. Unbeweglich. Tränenblind. Still bis in die letzten Winkel meiner Zellen. Erst das Vibrieren meines Handys reißt mich zurück in diese Welt. Wie betäubt taste ich nach dem Gerät, das neben mir auf dem Parkett liegt.
Ivy. Ihr Name blinkt mir entgegen. Ich wische nach rechts und presse das Telefon gegen mein Ohr.
»Hi, Butternut.« Irgendwann hat Ivy angefangen, mich so zu nennen, und damit Moms Spitznamen erweitert. Butternut Pumpkin ist wirklich der grausamste Spitzname der Welt. »Wo bleibst du denn? Du wolltest schon vor einer Ewigkeit hier sein? Bist du bereit für die Party heute Abend?«, überhäuft mich Ivy mit der für sie so typischen Flut aus Fragen.
Ihre Stimme sickert durch einen zähen Filter. Als würde uns eine ganze Welt trennen. Nicht nur ein paar Meilen. Ihre Eltern leben. Mein Dad ist tot. Anstatt zu antworten, schluchze ich.
»Hope?«, fragt sie alarmiert. »Was ist passiert?«
»Dad«, bringe ich hervor. Mehr brauche ich nicht zu sagen. Ivys Dad war auch beim Militär. Bevor er seinen Dienst quittiert hat, um bei seiner Familie zu sein. Sie versteht sofort. Ich bin in den Abgrund gestürzt, vor dem ich mich mein Leben lang gefürchtet habe.
»Bleib, wo du bist. Bin in zwei Minuten bei dir.«
Sie braucht selbst bei ihrem Fahrstil mindestens zwanzig, aber ich bin trotzdem dankbar, als ich höre, wie sie bereits den Schlüssel der Johnson-Familienkutsche aus der Schale neben der Tür fischt.
»Iv, ich muss auflegen.« Mir fehlt die Kraft, Worte zu formen. Das Telefon ans Ohr zu pressen. Mich aufrecht zu halten.
»Okay. Ich bin gleich da.« Bevor Ivy das Gespräch beendet, fügt sie hinzu. »Hope, egal wie schlimm es ist, wir schaffen das. Zusammen.«
Stumm presse ich mir die Hand vor den Mund. Ich kann ihr nicht...