Latzko | Sieben Tage | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 252 Seiten

Latzko Sieben Tage

Roman
Überarbeitete Fassung
ISBN: 978-3-96281-543-1
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 252 Seiten

ISBN: 978-3-96281-543-1
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein wiederentdeckter Krimi aus dem Deutschland der Zwischenkriegszeit. Wichtiger noch (fast) als die Handlung ist die Schilderung der politischen und gesellschaftlichen Zustände eines Landes in Auflösung. Weihnachten - Arm trifft auf Reich; der Arbeiter Karl Abt auf den reichen Unternehmer Baron Mangien. Abt weiß um den Ehebruch des Barons, er will diesen erpressen: Nur einmal für drei Tage will Abt den Luxus genießen, der sonst Mangien vorbehalten ist; einmal will er es sich gut gehen lassen, einmal den beschwerlichen Alltag abschütteln. Doch am Ende kommt alles anders. Denn Abt will nicht nur einen kurzen Rollentausch. Die 'Goldenen Zwanziger' sind in Latzkos Geschichte nur ein Märchen, denn schon früh sah der Autor den Nationalsozialismus am Horizont aufziehen ('Es lastet ein Fluch auf Deutschland, dass immer wieder ein neuer Mann es ,glänzenden Zeiten entgegenführt''). Das Buch steht damit in bester Tradition von Falladas 'Kleiner Mann, was nun?' und Kästners 'Fabian'. Null Papier Verlag

Andreas Latzko (1876-1943) war ein österreichischer Schriftsteller und Pazifist. Im Ersten Weltkrieg wird er verwundet und schwer traumatisiert. Während eines Aufenthalts in einem Sanatorium in Davos schreibt er, noch anonym und unter dem Eindruck seiner Kriegserfahrungen, die ersten Erzählungen. Die Nazis setzen ihn als einen der ersten auf ihre Liste 'unerwünschter Literatur.'
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I.


Die ersten Schatten des Weihnachtsabends fielen in das verrauchte Grau der Bahnhofshalle, als der längst fällige Hamburger Schnellzug endlich in Berlin einfuhr. Er schüttete eine ungewöhnlich dichte Masse von Reisenden auf den Bahnsteig, Kaufleute, die in letzter Stunde vor dem Fest ihren Familien zustrebten, und einige hundert Urlauber der Marine, die zum Anhalter Bahnhof hinüber mussten und, in Sorge um den gefährdeten Anschluss, rücksichtslos durch das Gedränge ruderten. Baron Mangien ließ die Menge an sich vorbeihasten, belustigt von dem übermütigen Treiben der Matrosen, das so angenehm von der irritierenden Biederkeit der zahlreichen Familienväter abstach. Er vertrug den selbstverliehenen Glorienschein, das Sichwichtignehmen dieser Brotverdiener nicht.

Im Grunde aber wusste er sehr wohl, warum ihm diese armen Teufel so arg auf die Nerven gingen. Sie erinnerten ihn an die Szene bei seiner Abreise, an den einzigen vorwurfsvollen Satz, den sich seine Frau, ganz gegen ihre Gewohnheit, diesmal hatte entreißen lassen. Natürlich war sie im Recht. Ohne Zweifel verbrachte jeder Durchschnittsmann den Heiligen Abend im Kreise seiner Familie. Aber wie töricht war es, hieraus die Folgerung abzuleiten, der Generaldirektor und Hauptaktionär der Mangien-Werke müsste sich erst recht freimachen können. Lag es nicht im Gegenteil auf der Hand, dass die erhöhte Verantwortlichkeit Beschränkungen notwendig machte? Man konnte nicht einer Fabrik vorstehen, die viertausend Arbeiter beschäftigte, und das Familienglück eines Wirkwarenreisenden beanspruchen!

Der peinliche Augenblick des Abschiednehmens, da er wie ein verlogener Schuljunge vor seiner Frau gestanden, hatte einen bitteren Nachgeschmack zurückgelassen. Um ihn loszuwerden, redete der Baron sich ein, er sei nur aus Trotz abgereist. Ein einziges, zärtliches Wort hätte genügt, ihn zum Bleiben zu bewegen. Er ertappte sich bei diesem Selbstbetrug, als er auf den glitschigen, nebelfeuchten Platz vor dem Bahnhof hinaustrat und die Berliner Lichtreklamen in die Dämmerung rieseln sah. Beim ersten Schritt in das Häusermeer fielen alle Bedenken und Verstimmungen von ihm ab. Er dachte an das leidenschaftliche Drängen seiner Geliebten am Telefon – warum hätte er die Flehende, die sich mit Worten schon die Kleider vom Leibe riss, abweisen sollen seiner Frau zuliebe, die es unter ihrer Würde fand, den Kampf aufzunehmen um ihren Mann. Nach bald zwölfjähriger Ehe tat es zwölffach wohl, noch immer umworben und begehrt zu werden.

Eben wollte er ungeduldig die Nummer seines Gepäckträgers rufen, da sah er ihn auch schon heranhumpeln, schwer beladen, schäumend gegen die »Blauen Jungens«, die keinen Menschen an ein Auto heranließen. In der Tat jagte eben das letzte Taxi, johlende Matrosen auf dem Trittbrett und selbst auf dem Gepäcksgitter hinten, mit Vollgas davon, und der Baron musste froh sein, dass er gerade noch eine elende Pferdedroschke für sich requirieren konnte.

Als der vorsintflutliche Karren klappernd losfuhr, vergaß Mangien Zorn und Ungeduld und bedauerte nur, dass kein Zeitungsfotograf bei der Hand war, den Berliner Einzug des größten Automobilfabrikanten Deutschlands in einer Pferdedroschke zu verewigen. Aber diese humoristische Seite hörte bald auf, ihn zu unterhalten, da kein vorbeiflitzender Chauffeur auf sein Winken und Rufen achtete und das Abströmen der Menge aus dem Stadtzentrum die Schneckenfahrt an jeder Straßenkreuzung stoppte. Wie ein unerschöpfliches Reservoir entleerte sich das Geschäftsviertel, beutebepackt stürmten die Horden der Plünderer aus der lodernden Stadt.

Im offenen Wagen, den rußigen, feuchtwehenden Nebel auf den Lippen, umtobt und überholt von allen Seiten, verlor der Baron den letzten Rest seiner Geduld, als in dem Hexenkessel vor dem Brandenburger Tor sein Wagen wie ein ängstlicher Fußgänger steckenblieb und der alte Kutscher zweimal die Gelegenheit zum überqueren versäumte.

Mehr noch als der Zeitverlust ärgerte ihn jedoch seine eigene Gereiztheit. Er musste an sich halten, um nicht aus dem Wagen zu springen, so laut donnerte ihm aus dem betäubenden Lärm der zehntausendfach widerhallende Vorwurf seiner Frau in die Ohren. Jeder einzelne Menschentropfen in dem vorbeijagenden Strom hatte das gleiche Ziel, jeder eilte heim, nur er saß abseits in der altmodischen Droschke, herausgehoben, angeprangert sozusagen als der eine, der von Frau und Kindern fort zu der Geliebten fuhr.

Sein Zorn machte sich in lautem Unmut Luft und wäre vielleicht in Tätlichkeiten gegen den Kutscher ausgeartet, ohne den weißen Handschuh des Verkehrsschutzmannes, der eben zum dritten Mal die Durchfahrt freigab. Ob nun der alte Mann auf dem Bock seine beleidigte Berufsehre herstellen oder nur seine Wut an dem wehrlosen Tier auslassen wollte: das arme Pferd, unsanft aus seinem knieweichen Dösen gerissen, glitschte aus und stürzte auf die Deichsel, die zerbrach.

Nach der Bummelei auf der Bahn auch noch ein Unfall! Das konnte alles verderben, wenn den Herren im Hotel das Warten zu lange wurde! Die angeblich wichtige Konferenz hatte den Vorwand für die Reise geboten, das Alibi durfte nicht versäumt werden. Statt erst lange nach einem Fahrzeug zu fahnden, ersuchte der Baron einen ärmlich gekleideten Mann, ihm das Gepäck zum nahen Hotel zu tragen.

Aber der Mann gebärdete sich wie ein Tollhäusler, sprang vor, um dem Baron aus nächster Nähe unter den Hut zu schauen, stieß mit dem Fuß nach den Handtaschen und schrie: »Ihnen – Ihnen soll ich helfen? Tragen Sie sich Ihren Dreck da selber!«

Mangien konnte sich nicht erinnern, dem Menschen jemals begegnet zu sein. Andere Hände griffen diensteifrig zu und das Gesicht des Wüterichs tauchte unter, ehe der Baron es genauer hätte prüfen können.

Ohne die Verspätung, die ihn zur Eile antrieb, wäre es ihm wohl kaum entgangen, dass sein unbekannter Feind gegenüber dem Hoteleingang hinter einer Litfasssäule hervorspähte, verächtlich schmunzelnd über die Ehrfurchtsbezeugungen des herausstürzenden Personals. Wie eine Koppel losgelassener Hunde sprangen die livrierten Burschen an dem reichen Gast hoch, wetteifernd um die Gunst, seine Aktentasche tragen zu dürfen....



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