E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Lavingia Minimalistisch gründen
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-96267-446-5
Verlag: REDLINE
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie außergewöhnliche Unternehmer heute mit weniger mehr erreichen
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-96267-446-5
Verlag: REDLINE
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sahil Lavingia ist der Gründer von Gumroad, einer Online-Plattform, das es Kreativen ermöglicht, ihre Produkte direkt an die Kunden zu verkaufen. Bei der Gründung dieses Unternehmens im Jahr 2011 war er 19 Jahre alt und arbeitete zuvor als Designer bei Pinterest und Turntable.fm. Neben seiner CEO-Tätigkeit ist er Investor, Maler und Schriftsteller.
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DIE ERSTEN 100 KUNDEN
Jetzt geht es los. Ein echter viraler Erfolg.
– NIEMAND, JEMALS.
Viele Leute glauben, wenn ein Produkt erst einmal steht, bestehe der nächste Schritt darin, es der Welt vorzustellen. Was in Hollywood die Premieren, sind im Silicon Valley die Demo Days, die Produkteinführungen bei Product Hunt und die »Show HN«-Postings.
Diese Versessenheit auf den Produktstart gibt es nicht nur in Hollywood und im Silicon Valley. Es durchdringt das Denken in großen und kleinen Städten überall auf der Welt. In irgendeinem Restaurant in der Nähe hängt gerade bestimmt ein großes rotes Banner über dem Eingang mit der Aufschrift »GROSSE NEUERÖFFNUNG«.
Es lockt mit dem Versprechen, dass man einer der Ersten ist. Vielleicht gibt es Sonderangebote. Aber am nächsten Tag, oder auch einen Monat später, hängt das Banner immer noch dort. Es gibt immer eine Neueröffnung, und sie ist immer groß!
Viele Unternehmen wählen diesen Weg. Jeffrey Katzenberg, der Mitgründer und ehemalige CEO von Dreamworks, und Meg Whitman, ehemalige CEO von eBay, gründeten gemeinsam den Videodienst Quibi, dessen Geschichte als Warnung dienen kann, ein Produkt der Welt vorzustellen, bevor man es tatsächlich auf den Markt gebracht hat. Das Unternehmen trieb 1,8 Milliarden Dollar auf und kaufte Werbezeit während des Super Bowls in der Erwartung, die ganze Welt werde zu ihrem Angebot strömen. Bei der geplanten Einführungsparty sollten 150 Promis unter den insgesamt 1500 Gästen sein, doch die Feier musste wegen der COVID-19-Pandemie abgesagt werden.
Am Ende war die App ein riesengroßer Reinfall. Nur 300.000 Menschen luden Quibi am ersten Tag herunter. Bei Disney+ waren es 4 Millionen. Einen Monat nach der Markteinführung war Quibi bereits aus den Top 100 gerutscht, und weitere sechs Monate später gab es den Dienst nicht mehr, die Investoren erhielten ihr Geld zurück.
Softwareunternehmen machen ganz ähnliche Erfahrungen. Zwei aufgeregte Gründer arbeiten an einer App, stellen sie bei Product Hunt ein und haben Tausende Anmeldungen am ersten Tag. Wenige Monate später wird die App von niemandem mehr genutzt, und die Gründer machen sich ans nächste Projekt. Und das Spiel beginnt von vorn. Aber ein Unternehmen ist nichts, mit dem man sich einmal beschäftigt, den Freunden davon erzählt und es dann wieder vergisst, während man mit etwas Neuem beginnt. Ein Unternehmen sollte lebenslange Stammkunden haben, nicht nur Kunden für einen Freitagabend.
Denn die Realität, wenn man ein Unternehmen gründet und dann aufbaut, ist an den meisten Tagen alles andere als aufregend. Zwischen Start und Erfolg kann es eine ganz schöne Schufterei sein. Es kann Jahre dauern. Und oft ist es nicht annähernd so glamourös, wie man vielleicht erwartet. Aber es gibt immer wieder kleine Erfolge, und mit der Zeit entsteht ein Gefühl der Befriedigung und des Stolzes allein daraus, dass man nicht aufgegeben hat.
Im vorigen Kapitel ging es vor allem um den Prozess und das Produkt, aber sobald man den MVP hat, wird es Zeit, sich um die ersten Kunden zu kümmern. Wenn man zu lange wartet, wenn man endlos alles überarbeitet, ohne sein Werk der Welt vorzustellen, hat man das Gefühl, produktiv zu sein, während einem langsam (oder auch rasch) die Rollbahn ausgeht.
Deswegen ist es so wichtig anzufangen. Sobald man genügend Stammkunden hat, hat man auch einen Product-Market-Fit. Diesen Meilenstein kann man dann feiern, und er ist ein Zeichen dafür, dass man über eine offizielle Markteinführung nachdenken kann. Bis dahin sollte man die große Eröffnungsfeier hintanstellen und sich stattdessen auf die langsame und stetige Arbeit konzentrieren, an die ersten 100 Kunden zu verkaufen.
Verkaufen ist nichts Schmutziges
Für dieses Buch habe ich viele Leute interviewt, und kaum einer wollte über den Vertrieb sprechen. Das Klischee des Verkaufens mag niemand – es ist schmierig und basiert auf einer Informationsasymmetrie –, aber so arbeiten wir hier nicht. Du hast bereits eine Beziehung zu der Gemeinschaft, und du verkaufst ein Produkt, das das Leben eines Kunden verbessert, der gerne bereit ist, dafür zu bezahlen.
Irgendwann werden auch Fremde dein Produkt kaufen, aber dann vor allem, weil deine Kunden die Nachricht von deinem Unternehmen und Produkt verbreitet haben, nicht aufgrund irgendeiner Werbeanzeige. Aber an diesen Punkt zu gelangen, braucht Zeit.
Wann hast du das letzte Mal bei Twitter oder Facebook von einem Produkt geschwärmt, das dir gefiel? Das geschieht nicht sehr oft.
Der »virale Erfolg« ist ein Mythos. Es gibt ihn nicht. Er ist ein Begriff, mit dem Journalisten eine Person, ein Unternehmen, ein Produkt oder eine Dienstleistung beschreiben, deren scheinbar schneller Erfolg von außen unerklärlich scheint. Den meisten von uns – auch Journalisten – fällt etwas Neues erst auf, wenn es bereits Fluchtgeschwindigkeit erreicht hat. Von den Monaten oder Jahren harter Arbeit und den Stolpersteinen, die davor kamen, ahnen wir meist nichts.
Am Ende dieses Kapitels wirst du mit deinem Produkt auf den Markt gehen, weil du damit einen Meilenstein feiern wirst, der etwas über die Langlebigkeit und Nachhaltigkeit deines Unternehmens aussagt. Du wirst profitabel arbeiten, Kunden werden für dein Produkt bezahlen und sie werden anderen Kunden davon erzählen. Dann kannst du eine Einführungsparty machen – oder, besser gesagt, du kannst dich bei deiner Gemeinschaft und den Kunden mit einer Feier dafür bedanken, dass sie dir geholfen haben, etwas aus dem Nichts aufzubauen.
Bis dahin solltest du den Verkaufsprozess als Gelegenheit sehen, um etwas herauszufinden. Du hältst dein Produkt für marktreif? Wahrscheinlich ist es das nicht. Du glaubst, du hast die richtigen Preisstufen gefunden? Wahrscheinlich hast du das nicht.
Nutze jeden fehlgeschlagenen Verkaufsabschluss als Erkenntnisquelle. Entweder hast du mit der falschen Person geredet und solltest deine Zielgruppe überdenken, oder es war die richtige Person, aber du musst dein Produkt weiter überarbeiten, um ihr Problem zu lösen. Beides sind wichtige Erfahrungen, die du aber machen solltest, bevor du dein Produkt einem größeren Publikum anbietest.
Für den Moment ist der Vertrieb noch ein Lernprozess. Deine Kunden lernen dich kennen, und du erfährst, was funktioniert und was nicht und wie du es korrigieren kannst. Am Anfang laufen die Verkäufe nicht immer so glatt ab, aber damit noch länger zu warten, macht es nicht einfacher, das garantiere ich. Sobald du weißt, wie du loslegen kannst, ist die nächste Herausforderung die Preisfindung.
Verlange Geld, egal wie viel
Preisfindung ist schwierig. Am Anfang bist du vielleicht versucht, dein Produkt zu verschenken oder weniger zu verlangen, als die Zeit und die Materialien, die du aufgewendet hast, wert sind. Mach das nicht. Um dich über Wasser zu halten, musst du Geld verdienen. Dazu musst du nicht nur überhaupt Geld verlangen, sondern so viel, dass du flüssig bleibst. Wenn du bereits ein Produkt entwickelt hast, dann hast du auch schon eine erste Preisstruktur für deinen ersten Kunden aufgestellt, und die Preisfindung wird, wie alles andere in deinem Unternehmen, ständig weiter verbessert. Wer deine Kunden sind, beeinflusst am Ende, wie viel Geld du verlangst und wie die Bezahlung abläuft. Aber am Anfang, während du an deiner Lösung arbeitest, sollte dir klar sein, dass du deine Preise auf zweierlei Art kalkulieren kannst:
- Kostenbasiert (wenn etwas inhärent Kosten verursacht – zum Beispiel für Webserver oder die Arbeitszeit eines Mitarbeiters). Wenn du weitere Kosten hast, dann erhebst du eine »Marge«, sagen wir 20 Prozent, und verlangst das. Einzelhändler kaufen oft in großen Mengen ein und verlangen dann den doppelten Einkaufspreis von den Konsumenten (was einer Marge von 50 Prozent entspricht). Online-Marktplätze wie iTunes oder iStockPhoto arbeiten oft mit dieser Methode.
- Wertbasiert (eine Funktion mit eindeutigem Mehrwert). Dabei wird Geld für etwas nicht deswegen verlangt, weil die Lieferung Geld kostet, sondern weil es einen inhärenten Wert für den Kunden hat. Netflix bietet zum Beispiel eine Multiscreen-Option an, für deren Bereitstellung dem Unternehmen keine Kosten entstehen (abgesehen von den Entwicklungskosten ganz am Anfang), aber es kann trotzdem eine monatliche Gebühr dafür verlangen.
Das letztendliche Ziel besteht darin, von Kunden für verschiedene Angebotsstufen unterschiedliche Preise zu verlangen, was du tun kannst, wenn dein Produkt, deine Dienstleistung oder deine Software als Wert und Marke etabliert ist. Die Preisstufen sind mit Flugtickets für verschiedene Klassen vergleichbar – man kommt auf jeden Fall ans Ziel, ob man nun Economy, Business oder erster Klasse fliegt, aber der Service unterscheidet sich erheblich. Preisstufen sind im Softwarebusiness verbreitet und werden immer wieder angepasst, je nach angebotenen Funktionen. Bei der Community-Plattform für Kreateure Circle.co gibt es zum Beispiel drei Angebotsstufen – Basic, Professional und Enterprise – die sich danach richten, wie viele Mitglieder die jeweilige Community hat und welche Funktionen und Integrationen verfügbar sind.
Dass man überhaupt Geld verlangt, ist entscheidend, auch wenn man mit einem niedrigen Preis beginnt und ihn mit der Zeit erhöht. Der Unterschied zwischen kostenlos und einem Euro ist riesig – der sogenannte Null-Preis-Effekt. Der Verhaltensökonom Dan Ariely schreibt in Denken hilft zwar, nützt aber nichts von einem »Drang des Menschen, sich auf einen kostenlosen Gegenstand zu stürzen, auch wenn er ihn eigentlich gar nicht will«.52 Als Beispiel erzählt er von einer langen Warteschlage aus...