Lazar | Nelson sucht das Glück | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Lazar Nelson sucht das Glück

Roman
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-08917-7
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-641-08917-7
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie ein kleiner Hund drei einsame Menschen zu einer glücklichen Familie vereint
Nelson, das pelzige Ergebnis einer Affäre zwischen einem Beagle und einem Pudel, lebt ein zufriedenes Leben bei seiner Besitzerin, der jungen Pianistin Katey. Doch das Glück hat ein jähes Ende, als Kateys Ehemann sie betrügt. Wo einmal ein Ort der Geborgenheit war, herrscht nun Zank und Streit. Als eines Tages die Gartentür versehentlich offen steht, flieht Nelson in die vermeintliche Freiheit - und findet nicht mehr zurück. Damit beginnt für ihn eine Odyssee, die ihn durch alle Höhen und Tiefen eines Hundelebens führt und ihm schließlich ein neues Zuhause beschert. Aber Katey hat er trotzdem nie vergessen ...

Alan Lazar, geboren in Südafrika, galt als musikalisches Wunderkind und startete schon früh eine Karriere als Komponist. Er hat die Musik für mehr als 30 Filme und TV-Shows komponiert, darunter 'Sex and the City' und 'An American Crime'. Er lebt zusammen mit seiner Familie und drei Hunden in Los Angeles. 'Nelson sucht das Glück' ist sein erster Roman.
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Zweiter Teil


Vagabundenleben

11


Nelsons Schlaf war unruhig. Mehrmals wachte er auf, weil er vor Kälte zitterte, doch selbst die Kühle der Nacht hielt ihn nicht davon ab, bald wieder einzuschlafen. Die Ereignisse des Tages hatten den kleinen Kerl erschöpft. Stundenlang war er herumgelaufen und gerannt und war dabei von Hunderten Reizen bombardiert worden, die er noch nicht gekannt hatte.

Er träumte von seiner großen Liebe. Er lag mit ihr in ihrem Bett. Er lag unter ihrem Flügel. Er spielte mit ihr in ihrem Garten, wo die Blumen Würste waren und das Gras aus Schweizerkäse bestand. Bevor er am nächsten Morgen aus dem Schlaf hochschreckte, träumte er auch von Don. Über und über mit dem Gestank seiner Geliebten bedeckt, biss er Katey am ganzen Körper. Nelson roch das Blut. Er sprang Don an, versuchte, ihm Einhalt zu gebieten. Der Traum war intensiv und brutal. Als Nelson aufwachte, raste sein Herz.

Nelson atmete tief den Geruch der Vorstadt ein. Hier roch es immer noch ein bisschen vertraut, doch zum größeren Teil waren die Gerüche für ihn neu. Da waren unbekannte Hunde und Menschen und Eichhörnchen um ihn herum. Nur Katey war nirgendwo. Ganz still saß der kleine Hund ein paar Minuten da. Er winselte, doch niemand kam. In der Ferne bellte ein großer Hund. Nelson blieb stumm.

Allmählich bekam er Hunger, ein Gefühl, das er noch nie in seinem jungen Leben empfunden hatte. Einen ganzen Tag lang hatte er nichts gegessen, länger, als er jemals ohne Futter hatte auskommen müssen, und als der Hunger kam, war er intensiv und verzehrend. Aufgewacht war er mit dem überwältigenden Wunsch, Katey zu finden, doch der wurde rasch ersetzt durch ein noch dringenderes Bedürfnis. Er musste etwas zu fressen finden.

Nelson hob schnuppernd die Nase in die Luft. Normalerweise kategorisierte und analysierte sein Gehirn Gerüche gemäß einer ganzen Bandbreite von Faktoren, wobei seine Neugier an erster Stelle stand. Heute jedoch diente sein intensives Schnuppern nur einem Zweck: Futter zu finden. Er schnüffelte und schnüffelte, versuchte, auf irgendeine Fährte zu stoßen, die ihm etwas bescheren könnte, mit dem er seinen Hunger stillen konnte.

Spielerisch hatte Nelson in seinem kurzen Leben bereits oft gejagt, sowohl Vögel als auch Eichhörnchen. Er wusste nicht, dass dieser Drang dem Verhalten von heranwachsenden Wölfen entsprach, die von ihren Eltern beigebracht bekommen, wie man für Nahrung tötet. Nelson hatte nie einen Vogel oder ein Eichhörnchen gefangen, hatte diese Tiere auch nie ernsthaft als Futter betrachtet. Während er an diesem Morgen schnuppernd auf der Suche nach Futter war, hüpfte ein kleiner Vogel in der Nähe vor ihm zwitschernd über den Boden. Ohne nachzudenken, stürzte sich Nelson in Richtung des Vogels. Doch wenn er bisher Jagen gespielt hatte, war niemand bei ihm gewesen, der ihm geholfen hätte, kein älterer Wolf hatte ihn angeleitet, und so kannte er auch die präzisen Bewegungen nicht, die nötig waren, um erfolgreich ein Tier zu töten, das kleiner war als er selbst. Der Vogel entwischte und flatterte davon. Nelson sah ihm nach. Sein Geruch ähnelte dem von vielen anderen Vögeln, die er schon gerochen hatte, doch dies war das erste Mal gewesen, dass eine solche Witterung für etwas Essbares stand. Es war ein seltsames Gefühl für den jungen Hund.

Als zwei spielende Eichhörnchen über den nahe gelegenen, mit Gras bewachsenen Gehsteig huschten, kamen in Nelsons Gehirn ähnlich seltsame Gefühle auf. Die Vorderpfoten fest in den Boden gerammt und mit hocherhobener Rute, starrte Nelson die beiden Eichhörnchen an. Als sie bei ihrem Spiel einen Moment lang innehielten, machte Nelson unbeholfen einen Satz nach vorn, versuchte, sie zu Boden zu drücken. Eines lief sofort davon. Bei dem anderen gelang es Nelson, es kurz mit der Pfote festzuhalten, doch es befreite sich innerhalb von Sekunden wieder. Beide Tiere waren blitzschnell auf einem Baum verschwunden. Und so kam Nelson wieder nicht in den Genuss des rohen Fleisches, das zum ersten Mal in seinem Leben so verführerisch gerochen hatte. Hätte Nelson sein ganzes Leben in einem menschlichen Haushalt gelebt, hätte er lebende Tiere niemals als Futter betrachtet und einfach nur seinen ewig jugendlichen Jagdtrieb ausgelebt, während ihm sein Frauchen tagtäglich sein Futter hinstellte.

In einem Haus in der Nähe war ein Mann gerade damit beschäftigt, sich Eier mit Speck zum Frühstück zuzubereiten. Der Duft wehte aus seinem Küchenfenster heraus, wo Nelson mucksmäuschenstill dasaß. Er winselte und winselte. Irgendwann hörte der Mann, der sein Frühstück verspeiste, den jungen Hund draußen und schaute aus dem Fenster. Doch Nelson bekam Angst und lief davon.

Während Nelson auf der Suche nach Futter langsam die unbekannten Straßen entlangging, fand er wenigstens irgendwann etwas Wasser in Pfützen, das er aufschlabbern konnte. Nach einigen Stunden war er vor Hunger so verzweifelt, dass ihn seine Nase in eine kleine Seitengasse lenkte, in der ein paar Häuser standen. Vor diesem Tag hatte er den Geruch von Abfällen eigentlich nicht mit Futter verbunden. Doch als ihm jetzt die Gerüche aus den Mülltonnen entgegenwehten, die die Gasse säumten, konnte er unter dem fauligen, verdorbenen Geruch, der über allem schwebte, auch ein paar Spuren des Essens erschnuppern, das er liebte, nämlich Reste von Kateys und Dons Tisch. Da war der Geruch von rohen Eiern und Fleischresten und der von anderen Überbleibseln. Er lief auf eine der Tonnen zu und atmete tief ein. Da drinnen war etwas zu essen. Er konnte es riechen. Er wusste, jetzt würde er gleich seinen Hunger stillen können, und dann konnte er sich wieder auf die Suche nach Katey machen.

Doch Nelson war ein kleiner Hund. Er sprang an der Tonne hoch, schaffte es aber nicht bis zum Deckel. Ohne Erfolg versuchte er, die Tonne umzuwerfen, musste aber bald aufgeben.

Ausgehungert lief er von Tonne zu Tonne. Dann endlich, am Ende der Gasse, fand er drei überquellende Mülleimer und eine große schwarze Mülltüte, die danebenstand. Nelson biss in die Tüte, zerriss sie. Dort drinnen war sein Frühstück, das roch er. Er wühlte in den leeren Flaschen, leeren Süßigkeitenverpackungen und anderem Unrat. Dann endlich fand er, was er gesucht hatte. Er fraß asiatisches Hühnchen, das schon eine Woche alt war, dazu altes Brot und ein Stück Hartkäse, auf dem er ordentlich herumkauen musste. Bald war er satt. Vor einem anderen Haus in der Nähe stand ein kaputtes altes Sofa für den Sperrmüll. Nelson sprang darauf und schlief in der warmen Sonne ein.

Am nächsten Morgen fuhr der große Müllwagen langsam die Seitenstraße entlang und kippte die vollen Tonnen in seinen großen Bauch. Nelson hatte Angst vor dem großen, lärmenden Fahrzeug und verkroch sich unter ein paar Büschen, ehe das Müllfahrzeug die Couch erreichte, auf der er die Nacht verbracht hatte. Er hörte die Müllmänner fluchen, als sie sahen, was für ein Durcheinander er angerichtet hatte. Stück für Stück warfen sie den Müll aus der schwarzen Tüte in den Müllwagen, dann leerten sie die übrigen Tonnen.

Nelson roch den fauligen Gestank des Müllwagens, der, voller Abfall, eine besonders intensive Geruchsmischung abgab. Seine Mahlzeit am Tag zuvor hatte ihm geschmeckt, und seine Nase sagte ihm, dass in dem Müllwagen noch viele, viele Mahlzeiten steckten. Einen Moment lang überlegte er, ob er nicht einfach in den Müllwagen hineinspringen sollte, doch er hatte Angst vor den Müllmännern. Dennoch waren ab jetzt für den jungen Hund Abfall und Fressen ein und dieselbe Sache.

In den darauffolgenden Wochen wurde der Geruch nach Müll zu der Duftnote, nach der der junge Hund ständig auf der Suche war. Immer wenn er eine Mahlzeit beendet hatte und langsam in einen unruhigen Schlaf hinüberglitt, dachte er an Katey, hob schnüffelnd die Nase und hoffte, sie würde bald kommen. Doch seine Sehnsucht nach Katey wurde rasch von der Suche nach der nächsten Mülltonne verdrängt. Manchmal fand er leicht etwas zu fressen, doch es kam auch vor, dass er einen ganzen Tag ohne Fressen war, manchmal sogar länger. Gelegentlich fand er etwas, das ihm schmeckte, Reste eines Abendessens vom Tag zuvor. Nelson liebte Brathuhn oder die Reste von Hamburgern, auch kalte Pizza, die ihn an Don erinnerte. Manchmal jedoch gab es nur wenig in einem Müllhaufen, das wirklich essbar war, und mehrfach wurde Nelson furchtbar schlecht von einer Mahlzeit, besonders wenn Menschen irgendwelche Reste zu lange im Kühlschrank aufbewahrt hatten. Auch lernte Nelson, Schokolade zu meiden. Zweimal hatte er ein Schokoladenpapier abgeleckt und sich eine Stunde später übergeben. Auch nachdem er eine nur halb abgegessene Traube verspeist hatte, wurde ihm übel. Er würde nie wieder Trauben essen, obwohl ihr Geruch sehr verlockend war.

Wenn der junge Hund dem Geruch von Müll folgte, war er oft viele Kilometer am Tag unterwegs. Schon bald gab es keinerlei Duftspuren mehr, die ihn auch nur vage an zu Hause erinnerten. Sein Zuhause war weg, etwas, das nur noch in seinen nächtlichen Träumen existierte. Er schlief unter Büschen oder Bäumen, manchmal auch auf einem schmutzigen alten Polster oder einem Kleidungsstück, das jemand draußen bei den Mülltonnen abgelegt hatte. Dann kuschelte er sich so eng zusammen, wie es nur ging, um sich warm zu halten, rollte sich zu einer kleinen Kugel zusammen und stellte sich dabei vor, es sei Kateys warmer Körper, an den er sich presste.

Aus seinem Erlebnis auf dem Boulevard hatte Nelson gelernt,...


Lazar, Alan
Alan Lazar, geboren in Südafrika, galt als musikalisches Wunderkind und startete schon früh eine Karriere als Komponist. Er hat die Musik für mehr als 30 Filme und TV-Shows komponiert, darunter »Sex and the City« und »An American Crime«. Er lebt zusammen mit seiner Familie und drei Hunden in Los Angeles. »Nelson sucht das Glück« ist sein erster Roman.

Schwaab, Judith
Judith Schwaab, Jahrgang 1960, studierte Italienische Philologie. Sie ist Lektorin und Übersetzerin aus dem Englischen und Italienischen, unter anderem von Anthony Doerr, Daniel Mason, Jojo Moyes, Sue Monk Kidd, Maurizio de Giovanni und Stefania Auci. Für ihre Übersetzung von Chimamanda Ngozi Adichies "Blauer Hibiskus" erhielt sie 2020 den Internationalen Hermann-Hesse-Preis.



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