E-Book, Deutsch, 212 Seiten
Lechner Die Nibelungen
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7022-3704-2
Verlag: Tyrolia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Glanzzeit und Untergang eines mächtigen Volkes
E-Book, Deutsch, 212 Seiten
ISBN: 978-3-7022-3704-2
Verlag: Tyrolia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das berühmteste deutsche Heldenlied packend und spannend erzählt
Das literarischen Debüt der preisgekrönten Autorin
Nach den Gräuel des 2. Weltkrieges wollte Auguste Lechner das klassische deutsche Heldenlied in humanistischem Geist neu erzählen: Die Nibelungen – eine packende, tragische Geschichte um Liebe und Eifersucht, um trickreiche Listen, Rachsucht und Verrat. Im Jahre 1952 legte das Debüt Auguste Lechners den Grundstein für einen kometenhaften Aufstieg zu einer der erfolgreichsten österreichischen Jugendschriftstellerinnen. Auch heute – mehr als 50 Jahre später – hat Auguste Lechners Erzählkunst nichts von ihrem Glanz und ihrer Spannung verloren. Die lyrischen Illustrationen von Karen Holländer verleihen der epochalen Geschichte Atmosphäre und Intensität.
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I.
Im großen Saal der Burg zu Xanten ging König Siegmund mit zornigen Schritten auf und ab. Sieglinde, die Königin, saß im Erker und hielt die Nadel mit dem goldenen Faden müßig in der Hand, indes der kostbare Gürtel, an dem sie gestickt hatte, unbeachtet auf dem Boden lag. Sie sah zu Siegfried hinüber und ihr Gesicht war sehr bekümmert. Siegfried stand an der Tür und blickte ein wenig unbehaglich dem würdigen grauhaarigen Ritter nach, der eben den Saal verlassen hatte und nun schnell den Gang hinabschritt. Ja, da ging er! Und es mochten kaum drei Monde verflossen sein, seit er nach Xanten gekommen war, um den Sohn des Königs von Niederlanden in höfischer Sitte und allen ritterlichen Tugenden zu unterweisen. Siegfried dachte schuldbewusst darüber nach, wie viele Hofmeister schon gekommen und bald darauf erzürnt oder kopfschüttelnd wieder von dannen geritten waren. Es mochten wohl sechs oder sieben sein, die ihr Glück versucht hatten und meinten, es müsste doch wunderlich zugehen, wenn sie des ungebärdigen Königssohnes nicht Meister würden. Fast wollte Siegfried Betrübnis überkommen, weil ihre Mühe und Plage so vergeblich war. Aber was sollte er tun? Das Leben in der väterlichen Burg gefiel ihm schon seit geraumer Zeit nicht mehr und manchmal war er mit sich selbst und aller Welt unzufrieden, ohne dass er recht wusste, woran es lag. Dann verübte er in seiner üblen Laune allerlei tolle Streiche, die seinen Vater erzürnten und seine Mutter betrübten. Wenn die Lehrer von den Taten der Helden aus grauer Vorzeit erzählten, stieg eine unbezwingliche Sehnsucht in ihm auf fortzureiten, herrlich gerüstet, auf einem wilden Hengst, und die gleichen Abenteuer zu bestehen wie die berühmten alten Recken. Wenn fremde Ritter zu Gaste kamen und von den Kämpfen und Gefahren redeten, die sie bestanden hatten, dünkten ihn die Kampfspiele, die er mit den anderen Knaben im Burghofe austrug, dumm und kindisch. Er war viel stärker als seine Gefährten und besiegte sie immer; aber seine leichten Siege freuten ihn nicht. Wenn er auf dem Turm stand und über das weite Land blickte, schien ihm, als wäre er zu Xanten ein Gefangener. Vergaß er, was die strenge höfische Sitte befahl, so gab es Tadel und Strafe und – ja, das war freilich wahr – dann spielte er den würdigen Herren in seinem Trotz manchen bösen Schabernack. Und wenn … Die zornige Stimme seines Vaters riss den Knaben Siegfried jäh aus seinen unfrohen Gedanken. König Siegmund war vor ihm stehen geblieben. „Diesmal ist dein Maß voll!“, sagte er grollend. „Geh jetzt und komm mir nicht mehr unter die Augen, bis ich dich rufen lasse! Dann sollst du erfahren, was ich über dich beschlossen habe.“ Das hörte Siegfried ungern: Denn etwas Gutes hatte er gewiss nicht zu erwarten, meinte er. Vielleicht würde ihn der Vater in den Turm sperren oder ihm das Pferd wieder fortnehmen, das er ihm vor ein paar Tagen geschenkt hatte … oder weiß Gott, wie er ihn zu bestrafen gedachte! Indessen blieb ihm nichts übrig als zu gehorchen, und so verneigte er sich tief, warf einen reumütigen Blick in das traurige Gesicht seiner Mutter und ging. Der König blieb stehen, wo er stand, starrte das dunkle Wandgetäfel an und versank abermals in düsteres Sinnen. Frau Sieglinde betrachtete ihren erzürnten Gemahl heimlich und sorgenvoll. Eine Weile wartete sie geduldig, aber weil das Schweigen kein Ende nehmen wollte, fasste sie sich ein Herz und fragte: „Was willst du tun, mein lieber Herr? Ich bitte dich, sei nicht allzu streng gegen Siegfried! Er ist noch sehr jung und …“ Der König fuhr herum, dass sie erschrocken verstummte. „Du sollst nicht für ihn bitten!“, sagte er finster. „Diesmal nicht mehr! Der Tollkopf muss endlich zu Verstande kommen und lernen sich zu bezähmen! Wie soll das sonst wohl gehen, wenn der wilde Bursche einmal König wird? Die vornehmsten Ritter und die besten Lehrer haben nichts ausgerichtet: Nun weiß ich nur noch ein einziges Mittel“, fuhr er grimmig fort. „Harte Arbeit ist eine gute Arznei gegen mancherlei! Ich will ihn zu Meister Mimer in die Lehre geben. Er ist ein kunstreicher Schmied und ein strenger Mann: Vielleicht werden seine rußigen Fäuste besser mit Siegfried fertig als alle höfischen Zuchtmeister.“ Also ließ der König Meister Mimer, der viele Stunden weit entfernt im Walde seine Schmiede hatte, zu sich kommen. „Du bist ein verständiger Mann“, sprach er zu ihm, „und darum kann ich offen mit dir reden. Mein Sohn Siegfried macht seinen Lehrern viel zu schaffen, so starr und tollköpfig, wie er ist. Das taugt nicht für einen König. Ehe er befehlen kann, muss er selbst Zucht und Ordnung und ernsthafte Arbeit lernen! Darum sollst du ihn in die Lehre nehmen.“ Der Schmied betrachtete den König überlegsam, ganz und gar nicht demütig. Seine kleinen Augen blitzten schlau aus dem Gesicht, in dessen Falten überall Ruß saß, obgleich er sich gewaschen hatte, so gut er es für nötig hielt. „Ich habe schon manchen Burschen zu Verstande gebracht“, sagte er bedächtig, „und an Hammer und Amboss kann sich viel Übermut austoben.“ Der König nickte zufrieden. „Das meine ich auch. Siegfried mag gleich mit dir gehen und du sollst ihn genauso behandeln, als wäre er ein gewöhnlicher Lehrling.“ Er sandte einen Kämmerer nach seinem Sohn. Unterdessen sah er heimlich mit Verwunderung die mächtigen Schultern des Schmiedes an und seine langen Arme, an denen die Hände wie Schaufeln hingen. Da trat Siegfried ein. Er wusste schon, was sein Vater über ihn bestimmt hatte, und sein junges Gesicht schien ernsthafter als sonst. Nur ein schneller, neugieriger Blick flog hinüber zu dem berühmten Schmied, der sein Lehrmeister werden sollte. Dann verbeugte sich der Knabe ehrerbietig vor dem König und der Königin und wartete schweigend. „Nun sollst du also mit Meister Mimer gehen“, sprach König Siegmund streng und merkte dabei zum ersten Male, dass er zu seinem Sohne hinaufsehen musste. „Ja, Vater“, sagte Siegfried so schnell, dass der König aufhorchte. Ei, seit wann war sein tollköpfiger Sohn so gefügig? Fast klang es doch, als freue sich der Knabe, die reiche Burg zu Xanten mit der rußigen Schmiede zu vertauschen! Aber darüber dachte Siegfried nicht viel nach. Es schreckte ihn auch nicht, dass er arbeiten sollte wie ein gewöhnlicher Schmiedelehrling: Denn endlich durfte er fort aus den engen Mauern, hinaus in die Welt, die so weit und schön war und voll von Abenteuern! Ach, was wussten sie alle davon, wie er sich seit langem danach gesehnt hatte! Freilich weinte die Königin, als er von ihr Abschied nahm, und das tat ihm Leid: Denn er liebte sie und war im Grunde seines Herzens keineswegs böse. „Weine nicht, Mutter“, sagte er ernsthaft, „wenn du wieder von mir hörst, wird man dir von meinen Kämpfen und Siegen erzählen, und wenn ich einmal zurückkehre, werde ich ein berühmter Recke sein!“ Frau Sieglinde verwies ihm sein prahlerisches Reden. „Eines Tages wirst du wohl ein tapferer Ritter sein“, meinte sie. „Aber vergiss nicht, dass du auch ein guter und weiser König werden sollst!“ „Ei freilich!“, versprach er leichten Sinnes und seine Gedanken flogen schon wieder voraus in die unbekannte weite Welt. Bald darauf wanderte er, aller höfischen Zucht entronnen, mit Meister Mimer wohlgemut dem Walde zu. Sie wanderten viele Stunden lang. Der Schmied erzählte allerlei von seinem Handwerk und Siegfried fragte ihn begierig aus, wie denn alle die Waffen verfertigt würden, die in des Königs Rüstkammer hingen und die man ihm nie zu tragen erlaubt hatte. Heimlich nahm er sich vor, sich selbst sogleich ein gutes Schwert zu schmieden, denn es wurmte ihn schon lange, dass er noch keines besaß. Es wurde Nacht und im Walde war es stockdunkel wie in einem Sack. Siegfried stolperte hinter dem Schmied drein, den er gerade noch als schwarzen Schatten sehen konnte. Der Weg war schmal. „Gib Acht“, warnte Meister Mimer, „wir müssen nun durch einen Sumpf! Halte dich an meinem Wams fest, sonst holen dich die Irrwische, wenn du vom Weg abkommst.“ Siegfried sah die Irrwische wohl: Gespenstische, blasse Lichtlein hüpften vor ihnen hin und her, dass es einem schwindelte, wenn man hinsah. Manchmal glaubte der Knabe ein fahles Gesichtlein mit grün leuchtenden Augen zu erkennen, aber sogleich war es wieder verschwunden. Da prallte Mimer plötzlich gegen Siegfried zurück, fluchte laut und schleuderte mit seiner Stange etwas zur Seite, was ihnen im Wege war. Ein hässliches Zischen kam aus dem Sumpf und dann platschte es, als bewegte sich irgendetwas im Wasser fort. „Was war es denn?“, fragte Siegfried neugierig. „Oh“, antwortete Mimer mürrisch, „in den Tümpeln da wohnt allerhand Gewürm. Als ob wir nicht genug hätten an dem großen Lindwurm drüben im Drachenstein! Seine Brut kommt in der ganzen Gegend herum. Es sind...