E-Book, Deutsch, 253 Seiten
Lehmann Gaisburger Schlachthof.
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-944818-83-2
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der zweite Lisa Nerz-Krimi
E-Book, Deutsch, 253 Seiten
ISBN: 978-3-944818-83-2
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Lisa Nerz in der Muskelszene: ein spannender Plot voller Witz und Realismus und ein actionreiches Abenteuer mit der aufsässigen Hardboiled-Heldin Lisa Nerz. Sorgfältig recherchiert, virtuos geschrieben, thematisch zeitlos und trotzdem aktuell. Im alten Gaisburger Schlachthof hat sich ein Fitnessstudio für die High Society etabliert. Lisa Nerz' Freundin Sally pflegt dort ihre gewichtige Weiblichkeit und erzählt Lisa Anekdoten aus der Welt der Wohltrainierten. Plötzlich stirbt eine junge Aerobic-Trainerin, und Sally wittert Mord. Nerz, die inzwischen für den Stuttgarter Anzeiger schreibt, stößt prompt auf eine Spur: Gegen den Studiobetreiber gab es ein Verfahren wegen Wirtschaftsbetrugs. Staatsanwalt war ein gewisser Weber, der ebenfalls dort trainiert. Dann aber laufen die Kraftproben aus dem Ruder: Eine weitere Leiche, ein nächtlicher Überfall und ein unverblümter Mordversuch halten die Journalistin in Atem ... »Welch farblos-öde und traurig-dumpfe Wüstenei wäre die deutsche Krimilandschaft doch ohne die knallharte Stuttgarterin Lisa Nerz und ihre so wortuose Schöpferin Christine Lehmann.« Jule Blum, Lesbenring, Heidelberg »Christine Lehmann ist den meisten deutschen Krimischreibern stilistisch haushoch überlegen. Ihr unverwechselbarer Sound beruht auf Menschenkenntnis, Lebenserfahrung, Selbstironie und Belesenheit.« Perlentaucher
Christine Lehmann lebt in Stuttgart und Wangen (Allgäu), ist als Nachrichten- und Aktuellredakteurin beim SWR tätig und schreibt Romane, Kurzkrimis, Kriminalhörspiele (Radio Tatort) und Glossen.
Autoren/Hrsg.
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Der alte Schlachthof lag im Industrieensemble von Neckarhafen, Gaskessel und Wohnburgen. In der damaligen Wirtschaftsbrache stand gerade mal noch das ausrangierte Gebäude der Kopfschlachter. Es enthielt auf drei Etagen Fitness. Die Eröffnung, ein halbes Jahr zuvor, hatten wir im Stuttgarter Anzeiger gebührend gewürdigt. Die Blonde an der Rezeption war über vierzig und wog unter vierzig. Mit strengen blauen Augen taxierte sie mein unkultiviertes Gesicht und Gewicht und errechnete aus beidem meine Finanzkraft. Das Ergebnis hatte ein negatives Vorzeichen. Aber da täuschten sich die Menschen in mir gern. Mit meiner Narbe im Gesicht passte ich halt nicht in dieses Institut für schöne Menschen. »Zum Probetraining?«, erkundigte sie sich. »Das kostet zwanzig Mark.« Ich rümpfte die Nase. Wo gab es denn so was? Fürs Probetraining auch noch zahlen? Beim Zücken eines Zwanzigers verstreute ich hochnäsig mehrere Hundertmarkscheine über die Theke. Das war damals die gültige Währung. Die Dame fing die Scheine im Flug und schenkte mir ein Lächeln. »Füllen Sie das bitte aus, nur wegen der Versicherung.« Ich hatte den Kuli kaum angesetzt, da rammte mir einer, der hinter mir vorbei an die Theke drängte, die Sporttasche ins Kreuz. Das Gerät gehörte zu einem Herrn in cognacbraunem Dreiteiler, der, ohne das »Guten Abend, Herr Dr. Weber« zu erwidern, der Dame am Empfang ein Plastikkärtchen reichte, das sie durch ein Lesegerät zog und ihm zusammen mit einem Chip aus einer Schachtel und einem gewinnenden Lächeln zurückgab. Dr. Weber wandte sich ab und hieb mir dabei seine Tasche in die Rippen. »Flegel!«, murmelte ich. Das hatte er gehört. Ich blickte in die asymmetrischen Augen einer Führungspersönlichkeit von aggressiver Intelligenz. Immerhin kapierte er sofort, dass ich zur jüngeren Generation der roten Zoras gehörte, die sich nicht mädchenhaft scheu vor einer Klopperei drückten, besann sich auf eine knappe Entschuldigung und entschwand ins Gebäude, in dem die Maschinen klapperten. »Frau Nerz«, las die Empfangsdame von meinem Zettel ab. »Zum Judo bitte in den zweiten Stock. Umkleidekabinen gibt es oben. Einen schönen Aufenthalt wünsche ich.« »Danke.« Schräg hinter ihr öffnete sich eine Bürotür. In ihr erschien ein wahrhaftiges Riesenbaby von Mann. Er trug einen elefantengrauen Anzug. »Gertrud? Könntest du mal bitte ...« Das Elefantenbaby knetete sich mit Wurstfingern die weichen Backen und nickte mir dabei freundlich zerstreut zu. Gertrud versicherte sich, dass die Kasse verschlossen war, und stand auf. Wobei sie mir einen äußerst griffigen Hintern in blauen Leggins zeigte. Man hatte die alte Schlachterei ausgebeint und mithilfe von hellblauen Stahlträgern und hellen Hölzern zwei Stockwerke in die Halle gezogen. In den Ober- und Seitenfenstern fing sich die Abendsonne und sprang über die stählernen Züge und Stangen der Kraftmaschinen, in denen sich die Gewichte hoben und senkten, bewegt von schweißig oder textil glänzenden Armen, Schultern und Beinen. Ein blonder Herkules in blauen Hosen und gelbem Shirt stand der Kundschaft zu Diensten. Mit knapp hundert Mark monatlich lagen die Tarife im Snob-Bereich. Das Publikum lag knapp darüber: Consulting-Manager, Akademiker, Gattinnen, Leistungsästhetik. Die zentrale Treppe war ein luftiges Gebilde aus blondem Holz und hellblauem Gestänge. Auf der dritten Stufe stand ein Muskelkerl in rostrotem Mikrofaserfreizeitanzug mit klaffender Jacke und ließ den Feldherrenblick über die widerstreitenden Kräfte im Maschinenpark schweifen. Seine Hand klimperte nahe dem Geschlecht mit einem Schlüssel in der Hosentasche. Er machte keine Anstalten zu weichen, als ich auf die Treppe zusteuerte. Sein Blick ruhte unverschämt taxierend auf meinem Gesicht und dem schwarzen Leder meiner Jacke. Das also war Fritz Schiller. Sally hatte ihn mir beschrieben: groß, schwarzer Schnauzer, Latino-Augen, Goldkettchen im Brusthaar. Seine Mimik bereitete sich auf den ersten Kontakt vor, doch da fiel ein Schatten in seine Augen. Es war der Führungsflegel, Dr. Weber, der um die Ecke bog, jetzt in schlabberigen Baumwollhosen und einem kecken Trägershirt, das seine glatten, muskelrunden Schultern voll zur Geltung brachte. In den Feldherrn kam Bewegung. Die beiden umrundeten sich auf der Treppe steifbeinig wie zwei Rüden vor dem Törchen einer läufigen Hündin. Schiller wandte sich ab und verzog sich in den Saal. Dr. Weber stieg die Treppe hinauf, als sei er es gewohnt, dass die Leute vor ihm Leine zogen. Auf der zweiten Ebene herrschte hitziges Treiben. Männliche Kraft auf der einen Seite, Bauch-Beine-Po auf der anderen Seite eines verglasten Bistros, an dessen Tischchen ein paar gestylte Damen und Herren sich bei Orangensaft und Mineralwasser regenerierten. Männer mit Nierengürteln wuchteten vor der Spiegelwand die blanken Hanteln. Die Geräte mit den wirklich schweren freien Gewichten, die Drückbänke und Langhantelstangen, parkten in einem Separée hinter der Spiegelwand. Dorthin begab sich Dr. Weber, nahm ein Springseil vom Haken und verschwand zum einsamen Kampf mit sich selbst hinter der Wand. Die Damen auf dem Aerobicparkett hatten die Problemzonen mit Pullovern kaschiert und rissen vor ihrem Spiegel die Arme hoch. »Zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht und eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht ...«, keuchte lächelnd die Vorturnerin, eine lange Schwarzhaarige mit weißem Stirnband, die sich bis ins letzte Glied der ausfahrenden Hände Mühe gab, fürs Fernsehaerobic entdeckt zu werden. Das also war Marianne, die Neue, die Sally aus Gründen, die mir noch nicht klar waren, so missfiel. In den Vitrinen an der Treppe turnte Sportswear zwischen Dosen mit Elektrolytgetränken. Noch ein Stockwerk weiter oben, unter den gekalkten T-Trägern des Hallendachs, bestimmten die Farbe Weiß und die Kirschblüte mit japanischer Kalligraphie die Philosophie. Obgleich das Gewummer der Aerobicstunde heraufdrang, ließ man jegliche Hektik unter sich zurück. Die drei mit Matten ausgelegten Trainingsräume besaßen Glastüren, die im Moment alle offen standen. An einer kurzen Getränketheke lehnte ein ungefähr dreißigjähriger Mann im Karateanzug mit dem schwarzen Gürtel des Meisters. Sein Gesicht war bemerkenswert zerklüftet und entstellt von einer einstigen Pubertätsakne. Er musterte mich durch eine Stahlbrille. Katrin Schiller stand in weißem T-Shirt und Judohose am Spülbecken hinter der Bar und säuberte Gläser. »Guten Abend«, meldete ich mich, »ich heiße Lisa Nerz. Ich komme zum Probetraining.« Katrin Schiller blickte auf, zog die Hand aus dem Spülwasser und kam an die Theke. Die Sehnen ihrer kräftigen Hände wurzelten in prallen Unterarmmuskeln unter glatter gebräunter Haut. Am Haken hinter ihr hing über der Judojacke ein rotweißer Gürtel. »Freut mich«, sagte sie. »Haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen?« Mein Gesicht vergaß man leider nicht. »In Pforzheim bei den Landesmeisterschaften«, schlug ich vor. »Ich war für den Stuttgarter Anzeiger dort: Mädchen und Kampfsport, eine Reportage.« Katrin Schiller war das, was Journalisten gemeinhin als zierliches Persönchen beschrieben, dem man all das nicht zutraute, was es verkörperte. Ihre Augen waren blau, die rotblonde Mähne zu einem Zopf geflochten, der ihr bis zum Po baumelte. »Und nun wollen Sie es auch mal mit dem Judo versuchen?« »Ich bin mit meinen Versuchen bereits bis zum braunen Gürtel vorgedrungen«, antwortete ich und zückte das blaue Mitgliedsheft des Württembergischen Judoverbands. Sie lachte wieder und duzte: »Dann zieh dich mal um.« In der Umkleide fluchte eine kompakte Brünette, weil sich das Band ihrer Judohose im Hohlsaum so verschlungen hatte, dass es sich nicht herausziehen ließ. Auf dem weißen Kimono lag der Gelbgurt der Anfänger. Judoanzüge besaßen weder Haken noch Knöpfe, nichts, was den Gegner verletzen konnte. Als ich nackt bis auf den Schlüpfer dastand, riss eine langgliedrige Blonde die Tür auf und grüßte munter, während die Kompakte aus dem Augenwinkel meine Titten und Schenkel abschielte, offensichtlich zufrieden, dass auch ich nicht zu den Grazilen gehörte. Ihr Kimono war eine zerknautschte Billigvariante, nicht zu vergleichen mit meinem Competition, einem teuren Kampfexemplar, dessen Verstärkungen an Schultern, Brust und Rücken dazu dienten, dem Gegner das Fassen zu erschweren. Die lange Blonde schlang sich einen Orangegurt um die Hüften. Sie gehörte zu den Eleganten. Im Dojo kickten schon ein paar Jungs mit einem weichen Ball. Sie trugen blaue, grüne und braune Gürtel. Ein massiger Schwarzgurt zog sich in einer Ecke die Socken von den Füßen. Er war auch schon über dreißig, nicht groß, aber breit, mit kurzen Haaren und dickem Hals, im Judoanzug eine lächelnde Kampfmaschine und in Zivil vermutlich ein unangreifbares Phlegma. Ich verbeugte mich in der Tür. Nur Unwissende lachten über den Verbeugungsernst der fernöstlichen Ritter, der dem Training ein meditatives Korsett verlieh. Hing im Dojo das Bild des Judogründers Kano, dann verbeugte man sich sogar vor dem leeren Saal. Ansonsten: Verbeugung voreinander, Abknien und Verbeugen vor dem Meister zu Beginn und zum Schluss des Trainings, Verbeugung voreinander vor und nach jeder Trainingseinheit. Auf diese Weise erkannte man die Regeln an, erwies dem Gegner Respekt und beendete jedwede im Kampf entstandene Feindseligkeit. Obgleich man die...