Lehmann | Vergeltung am Degerloch. Der erste Lisa Nerz-Krimi | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 221 Seiten

Lehmann Vergeltung am Degerloch. Der erste Lisa Nerz-Krimi


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-944818-37-5
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 221 Seiten

ISBN: 978-3-944818-37-5
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Über das Buch Der erste Fall für Lisa Nerz: An der Johanneskirche liegt totgeschlagen ein junger Mann. Laut Boulevardpresse wurde er zum Opfer blinder Emanzenwut. Tobt hier der Krieg der Geschlechter? Lisa Nerz, Redakteurin der Frauenzeitschrift »Amazone«, ist skeptisch und zieht ihre eigenen Schlüsse. Gemeinsam mit einem depressiven Trinker vom »Stuttgarter Anzeiger« setzt sie sich auf die Fährte des Opfers. Doch ihre anarchische Ermittlung schlingert in neue Widersprüche - und jemand versucht sie aus dem Weg zu räumen ... Wie alles anfing: Lisa Nerz, Deutschlands beste Hardboiled-Krimifigur, schnüffelt in ihrem ersten Fall kalten Fährten nach und schlägt sich auf dünnem Eis zur Wahrheit durch. »Christine Lehmann ist den meisten deutschen Krimischreibern stilistisch haushoch überlegen. Man kann sich diesen Sound nicht antrainieren. Bei Lehmann beruht er auf Menschenkenntnis, Lebenserfahrung, Selbstironie und Belesenheit.«Perlentaucher »Einsam, aufsässig und notorisch respektlos.« Konkret »Christine Lehmann schreibt mit Herz und, eine Rarität im D-Krimi, (Wort-)Witz.« Tobias Gohlis, Die Zeit

Christine Lehmann lebt in Stuttgart und Wangen (Allgäu), ist als Nachrichten- und Aktuellredakteurin beim SWR tätig und schreibt Romane, Kurzkrimis, Kriminalhörspiele (Radio Tatort) und Glossen.

Lehmann Vergeltung am Degerloch. Der erste Lisa Nerz-Krimi jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


3
Am folgenden Tag rief mich Zilla an. Gabi war festgenommen worden. Sie hatte am Abend im Sarah damit geprahlt, einen Vergewaltiger erschlagen zu haben. Psychisch ein bisschen instabil, das Mädchen. Zwar hatte ihr niemand wirklich geglaubt, aber heute früh hatte dann Gabis Freundin Hede Zilla angerufen und mitgeteilt, dass Gabi zur Polizei gegangen sei, um sich zu stellen, obgleich Hede ihr dringend davon abgeraten hatte. Offenbar steckte Gabi noch massiv in der Trotzphase. Ich versprach Zilla, mich darum zu kümmern, und bereute es sogleich. Es widersprach meiner Faulheit, meinem Mangel an Initiative und meinen geringen journalistischen Erfahrungen. Die nächstliegende Idee war, beim Stuttgarter Anzeiger anzurufen und den Mann zu verlangen, dessen Kürzel Krk unter dem Artikel über den Toten an der Johanneskirche gestanden hatte. Der, den ich nach einer Weile Durchschalterei und Gesinge, Getöse und »Bitte warten, please hold the line« am Ohr hatte, bellte »Kraus« in meinen Kopf. Er hatte eine Stimme zum Kotzen – wie man im Schwäbischen zum Räuspern und Husten sagte –, kurz: eine derartig verfroschte Stimme, dass ich mich unbedingt selbst erst einmal freihusten musste. »Lisa Nerz, Amazone.« Ein schmutziges Lachen. »Oh! Welche Ehre!« »Ich rufe an«, sagte ich, »wegen des Toten an der Johanneskirche. Haben Sie da nähere Informationen?« Der Mann räusperte sich. »Und warum rufen Sie nicht bei der Polizei an? Soll ich Ihnen die Nummer des Pressesprechers geben?« »Danke«, log ich, »der hat mir praktisch nichts gesagt.« »Ich bin kein Auskunftsbüro«, hustete Krk. Ich stellte mir einen fetten alten Reporter vor, den man nach jahrelanger Faulheit, Sauferei und Unfähigkeit zu den Polizeiberichten abgeschoben hatte. »Wie wär’s mit ein bisschen Amtshilfe unter Kollegen?«, säuselte ich. »Und was kriege ich dafür?« »Ich weiß zum Beispiel, dass in der Sache jemand festgenommen worden ist.« »Das wird mir das nächste Polizeifax auch mitteilen. Was weiter?« »Erst Ihre Informationen.« Es war einen Moment still. Das heißt, ich hörte ihn röcheln. »Na gut. Wenn Ihnen damit gedient ist ... Moment ...« Ich hörte es krusteln, dann das Klappern einer Computertastatur. »Ein Junge, Identität ungeklärt, Anfang zwanzig, Jeansanzug ...« »Ich habe die Zeitung gelesen«, unterbrach ich. »Wurde ein Messer am Tatort gefunden?« »Soweit ich weiß, nicht. Was hat Ihnen denn die Polizei gesagt?« »Nichts.« »Dann haben die auch kein Messer gefunden. Warum sollten sie das verschweigen?« »Aus ermittlungstaktischen Gründen?«, schlug ich vor. Krk hustete, nein, er lachte. »Ach Gott. Wenn Sie den Täter schon haben, wozu dann noch Ermittlungstaktik. Und nun sagen Sie mal, was Sie wissen.« »Noch weniger.« »Ein bisschen müssten Sie mir schon entgegenkommen.« »So sehen Sie aus!« »Dann«, sagte er, »schlage ich Ihnen Folgendes vor: Ich recherchiere ein bisschen für Sie und wir treffen uns heute Abend.« Das hatte er sich so gedacht. Aber ich mäßigte meine Aversionen. Ich gehörte nicht zu den Journalistinnen, die ihre Geschichten auf der Straße suchten oder herbeirecherchierten. Ich hatte meinen Bau in den Räumen der Amazone. Was sich nicht vom Schreibtisch aus machen ließ, machte ich nicht. Mein Ansehen war das Ergebnis meiner Faulheit. Ich zog es vor, mir etwas auszudenken, als es zu erfragen. Ein Artikel über Witwen, für den ich sämtliche Interviewpartnerinnen erfunden hatte beim Versuch, meine eigenen Gefühle nach dem Tod meines Ehemannes zu erledigen, hatte vor zwei Jahren Louises Neugierde geweckt und mir den Eintritt in die Redaktion verschafft. Leider hatte ich nun Gabi und Zilla irgendetwas versprochen, was nach Hilfe klang. Engagement hatte seinen Preis. »Also gut. Wo treffen wir uns?« »Da lasse ich Ihnen völlig freie Hand.« Ich schlug den Tauben Spitz vor. Im Bohnenviertel kannte sich einer wie Krk aus. Martha streckte den Kopf zur Tür herein. »Übrigens, Louise hat angerufen. Sie kommt morgen.« Das bedeutete Konferenzen, Wiederaufwärmung längst abgegessener Themen, Rauswürfe bereitliegender Artikel, Umschmiss des ganzen Heftes, neuer Leitartikel, neuer Kommentar von Louise, hektische Materialbeschaffung aus Archiven, schweinische Arbeit und Überstunden. Meistens waren es die Artikel aus meiner Redaktion, die plötzlich überflüssig wurden, denn ich war für die Kultur zuständig und dafür, meine Autorinnen mit plausiblen Aktualitätsargumenten zu vertrösten. Die Grafikerin Brigitte bekam die Existenzkrise, die Cartoonistin Bettina nagte am Bleistift und übersetzte den Unmut in Bilder und unsere stellvertretende Chefin Marie behielt die Nerven. Ohne Frage brauchte die Amazone Louise. Erstens war es ihr Blatt, zweitens ihr Geld. Aber wenn Louise fern blieb, entweder auf Urlaub, auf Lesereise, zu Fernsehterminen oder wegen dringend nötiger Depressionsphasen auf ihrem Monrepos, dann blühte die Redaktion auf wie ein Wüstengarten unter Bewässerung. Die zarte Helga schrieb böse Glossen, Martha buk wunderbare Plätzchen und kochte herrlichen Kaffee, Brigitte bastelte Layouts, bei denen man sich der Banalität der eigenen Texte schämte, und Marie verfasste kühle, sogar von der Männerpresse beachtete Reportagen über Frauen in Politik und Wirtschaft, die Rechenkünste und das Alltagsmanagement von allein erziehenden Müttern und sexistische Modefotografie. Ich dagegen arbeitete weder besser noch schlechter, wenn Louise da war, denn ich arbeitete so wenig wie möglich. Ich hatte mich vor zwei Jahren auf gut Glück als Sekretärin bei der Amazone beworben – Fremdsprachenkenntnisse vorhanden – und war von Louise empfangen worden. Aus irgendeinem Grund hatte sie sich zu meiner Mentorin aufgeworfen, ohne mich ins Bett gezogen zu haben. Seitdem waren gerade einmal drei Artikel von mir in der Amazone erschienen, einer über Christa Wolf, einer über die Galerie Mondin, die kurz darauf einging, und einer über das Frauenkulturzentrum Sarah, anlässlich dessen Louise mich ermahnt hatte, mich nicht mit den Objekten meiner Arbeit zu solidarisieren. Den Veröffentlichungen waren lange Diskussionen vorausgegangen und ich hatte sie ein halbes Dutzend Mal umschreiben müssen. Auch meine Aufträge an unsere freien Autorinnen ergingen erst nach umständlicher Instruierung und wurden sowieso von Louise gegengelesen. Als Redakteurin war ich überflüssig, als Autorin eine Niete und als Mensch unerheblich. Martha goss die Blumen. Marie saß in ihrem Büro an der Schreibmaschine, die blonden Haare hinterm Ohr, eine rote Bluse um die straffen Schultern, knappe Jeans. Sie war kompetent, unbestechlich, logisch, aufrichtig, zupackend und intelligent, außerdem schön, sportlich, weiblich, klar und gerade, ohne modischen Kleinkram und so wunderbar blauäugig, dass keine schmutzigen Gedanken aufkamen. Sie blickte auf. Ich störte. »Was gibt’s?« Selbstverständlich herrschte Ordnung in ihrem Büro. »Ich bin da an einer Geschichte dran«, sagte ich. »Kennst du eine gewisse Gabi?« »Meinst du Gabriele Weiß, Marthas Tochter?« »Ach du Scheiße!« Das war es, was mir gestern bei Gabis Besuch so komisch vorgekommen war. Die Distanzlosigkeit. »Sie ist unter Mordverdacht festgenommen worden«, erklärte ich. Marie blinzelte nicht. »Sie soll einen Jungen auf der Straße erschlagen haben. Gabi sagt, der Junge habe sie mit einem Messer angegriffen. Aber die Polizei hat wohl kein Messer gefunden. Gabi hat sich selbst gestellt. Soll ich dranbleiben?« Marie nickte. Sie schien mit ihren Gedanken woanders. »Wir reden morgen drüber, wenn Louise da ist, ja?« Martha putzte den Kühlschrank in der Küche, die wir im ehemaligen Badezimmer der zum Büro umorganisierten Fünfzimmerwohnung untergebracht hatten. Mit resolutem Blick sackte sie Joghurtbecher jenseits des Verfallsdatums, verschimmelte Käseecken und Reste eines Büfetts in eine Tüte. »Das mit Gabi tut mir leid«, sagte ich. »Was ist denn mit ihr?« »Ach, dann wissen Sie es noch gar nicht. Gabi ist zur Polizei gegangen und hat erklärt, sie habe diesen Jungen umgebracht, der am Feuersee gefunden wurde.« Martha ließ den Putzlappen ins Spülwasser sinken. »Mein Gott, warum denn?« »Ich denke, es war Notwehr.« Martha sprach nie viel. Ihre Domäne war die stille liebevolle Dienstbarkeit. Sie hatte sämtliche Termine Louises im Kopf, alle wichtigen Telefonnummern, die kulinarischen Vorlieben und Abneigungen aller Menschen, mit denen sie zu tun hatte, und organisierte unauffällig und effizient das soziale Leben der Redaktion. Immer war Kaffeesahne da, stets Kaffee, Süßstoff und Zucker. Hitzige Konferenzen kühlte sie mit Plätzchen und Säften ab. Und wenn Louise in Lobeshymnen ausbrach, lächelte sie nur und wallte stumm von dannen. Nach einigen Monaten hatte auch ich meine Bedenken gekillt, dass wir Amazonen uns eine Redaktionsmutti hielten. Es war einfach zu schön, wenn sich jemand um die alltäglichen Kleinigkeiten kümmerte. »Das hat wohl so kommen müssen«, seufzte sie und zog den triefenden Lappen wieder aus dem Wassereimer. »Was treibt sie sich auch immer dort herum!« Wahrscheinlich war es gut, dass die Sekretärin so selten mitredete. Ihre geistige Welt entsprach nicht dem aufgeklärten Standard, den wir pflegten. »Auch Frauen haben das Recht, jeden Ort in der Stadt...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.