E-Book, Deutsch, Band 3, 250 Seiten
Lehmkuhl Blut klebt am Karlspreis
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7349-9346-6
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 3, 250 Seiten
Reihe: E-Only Kommissar Böhnke und Rechtsanwalt Grundler
ISBN: 978-3-7349-9346-6
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kurt Lehmkuhl, 1952 in der Nähe von Aachen an einem Sonntag geboren, war 30 Jahre als Redakteur im Zeitungsverlag Aachen tätig. Durch die Beschäftigung mit dem Strafrecht im Rahmen des Jurastudiums in Bonn hat er schon früh damit angefangen, Kriminalromane zu schreiben, zunächst nur gedacht als Geschenke für Freunde. Zur ersten Veröffentlichung kam es eher zufällig 1996, als er von einem Verlag darauf angesprochen wurde. Seit 2008 erscheinen die Krimis im Gmeiner-Verlag: Neben der Tätigkeit als Journalist und Schriftsteller ist der Autor auch als VHS-Dozent im Kreis Heinsberg für kreatives Schreiben tätig.
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Budenzauber
Ich konnte nur noch verständnislos mit dem Kopf schütteln, nachdem ich beim Morgenkaffee in meinem Büro in der Aachener Zeitung und in den Aachener Nachrichten die Berichte über die gewalttätigen Auseinandersetzungen von angeblichen Fußballfans am Vorabend an der niederländisch-deutschen Grenze gelesen hatte.
Ein meiner Ansicht nach belangloses Fußballspiel zwischen Roda Kerkrade und Borussia Mönchengladbach im Halbfinale des UEFA-Cups hatten einige hirnlose Idioten aus beiden Ländern zum Anlass genommen, sich gegenseitig die hohlen, kurz geschorenen Schädel kräftig zu polieren. Ausgerechnet am Symbol der friedlichen Vereinigung beider Staaten, an der gemeinsamen Grenzstraße von Kerkrade und Herzogenrath, wo schon lange vor der Idee des vereinten Europas das schrankenfreie Miteinander über Staatsgrenzen hinweg gelebt wurde, waren die Schlägertrupps aufmarschiert. Da wollten es die Niederländer den Moffen einmal deutlich zeigen, was man von ihnen hielt, und da wollten die Deutschen im Gegenzug den Kaasköppen lauthals den Hass entgegen brüllen.
Offensichtlich unbemerkt von der Polizei, die wegen des Fußballspiels und der nicht gerade zart besaiteten Fanatiker aus Mönchengladbach ohnehin im Stadion in Kaalheide in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden war, hatten sich die Schläger an der Nieuwstraat am Kreisverkehr versammelt, an dem die Josefstraße und die Kokelestraat mit der Grenzstraße zusammentrafen. Nach dem verbalen Schlagabtausch waren die Randalierer auch körperlich aufeinander losgegangen. Über eine Stunde dauerte es, ehe die Ordnungshüter die wüste Prügelei unter den Augen zahlreicher Schaulustiger unterbinden konnten und sich die internationalen Schwachköpfe mit Gejohle und gegenseitigen Schmähgesängen voneinander verabschiedeten.
Erstaunlicherweise war es bei der Keilerei bei wenigen Leichtverletzten geblieben, die nach ambulanter Behandlung ihren dummköpfigen Kameraden folgen durften. Festnahmen gab es bis auf eine Ausnahme keine; lediglich ein volltrunkener Skin aus Richterich musste die Nacht in Polizeigewahrsam verbringen. Die Rädelsführer waren unbemerkt entkommen. Die Polizei hatte zwar die Personalien einiger Beteiligten aufgenommen und einige ihrer Bekannten wiedergesehen, aber es bei den üblichen Aktennotizen belassen.
»Ist es nicht schlimm, dass nach einer solchen Prügelei die Affen wieder frei herumlaufen dürfen?«, fragte ich verärgert meine Sekretärin Sabine, die mit der Kaffeekanne ins Zimmer gekommen war. »Die haben das mit den Frühlingsgefühlen wohl ziemlich falsch verstanden.« Ich zeigte ihr die Fotos in den Zeitungen, auf denen die Typen mit ihren hasserfüllten Gesichtern abgelichtet waren. Die Kerle schwangen ihre Keulen und Ketten oder droschen aufeinander ein.
»So ist halt das Leben, mein lieber Tobias«, antwortete Sabine lakonisch und hauchte mir einen feuchten Kuss auf die Stirn. »Frühlingsgefühle habe ich übrigens auch.« Sie füllte den Kaffee in die Tasse. »Mit oder ohne Zucker?«, fragte sie mich. »Oder etwa doch wieder Süßstoff?«
Darauf konnte ich wahrlich verzichten, von Süßstoff hatte ich nach meinen Erlebnissen beim Alemannen-Sponsor und Printenkönig Noppeney gründlich die Nase voll. »Weder Zucker noch Süßstoff«, antwortete ich, »ich brauche nur dich.« Ich zog Sabine zu mir auf den Sessel und drückte sie an mich.
»Nicht während der Dienstzeit«, schnurrte sie, »was soll nur unser Chef denken?« Dennoch schmiegte sie sich eng an mich und küsste mich erneut.
»Was euer Chef denkt, ist euch wohl einerlei«, tönte es sofort in meinem Rücken. Unbemerkt hatte sich unser Brötchengeber ins Büro geschlichen. »Ihr tut sowieso, was ihr wollt«, brummte er mit gespieltem Zorn.
»Wir fördern das Betriebsklima«, lachte Sabine ungeniert, und prompt musste unser Boss schmunzeln. Wenn Sabine beim Lachen ihre niedlichen Grübchen zeigte, konnte ihr niemand widerstehen. Ich kann es nicht und Dr. Dieter Schulz ebenfalls nicht; eigentlich kein Wunder, ist er doch mit Sabines Zwillingsschwester Do verheiratet.
Sabine und ich sind längst nicht so weit. Ob wir allerdings noch einmal vor den Traualtar treten würden, ließen wir beide offen. Momentan stand uns jedenfalls nicht der Sinn danach. Wir konnten ausgesprochen gut und harmonisch mit unserem gemeinsamen Singledasein auskommen, zumal Dieter und Do, Sabine und ich ohnehin eine große Familie waren, zu der auch noch Tobias junior, der Nachwuchs meines Chefs und Freundes gehörte.
»Wenn ihr mit eurem Speichelaustausch fertig seid, habe ich eine Aufgabe für dich«, sagte Dieter zu mir, »du kannst dadurch dazu beitragen, dass zum Teil deine Ausbildungskosten wieder hereinkommen.« Er grinste mich an.
Noch vor einigen Wochen hätte ich wahrscheinlich mit spitzer Zunge gekontert, doch nachdem ich meinen Job als Bürovorsteher in der Anwaltskanzlei von Schulz hatte aufgeben müssen, um in Vorbereitung auf das zweite Juristische Staatsexamen als Referendar bei ihm arbeiten zu können, hatte ich keine passenden Argumente mehr. Meinen bisherigen Job machte nun ein junger Mann, der sich auf unser Stellenangebot beworben hatte und der auf den traditionsreichen Aachener Namen Jerusalem hörte. Das war neben den guten Noten für den Uröcher Schulz Grund genug gewesen, den Mann einzustellen. Matthias Jerusalem wollte nach einer Ausbildung zum Rechtspfleger die Zeit bis zum Beginn eines Jurastudiums praxisnah überbrücken.
Unser Umgang miteinander würde sich bald wieder ändern, wenn ich als Rechtsanwalt in die Kanzlei von Schulz eintrat. Das konnte nur noch einige Monate dauern, dann würde Dr. Dieter Schulz, Rechtsanwalt in Aachen, spezialisiert auf Familienstreitigkeiten aller Art, einen Kompagnon haben: meine Wenigkeit. Dann hatten wir endlich unser Ziel erreicht, das wir uns vor fast zehn Jahren gesetzt hatten, als er damals in einem Strafprozess meine Pflichtverteidigung übernommen hatte. Seitdem waren wir fast unzertrennlich gewesen und galten ebenso wie Sabine und Do als Zwillinge, fast gleich alt und noch lange nicht 40, fast gleich groß und schlank, beide kurzhaarig blond und ziemlich blauäugig.
Zwischen uns gab es nur selten ernsthaft Streit und dann allenfalls wegen der unterschiedlichen Auffassung über die angemessene Kleidung. Dieter fühlte sich nur wohl im grauen Anzug mit Hemd und Krawatte in Reinkultur, für mich hingegen gehören zum absoluten Lebensgefühl Jeans, Sweatshirt und Lederjacke.
»Daran kann man euch wenigstens noch auseinander halten«, hatte Do unlängst noch gemeint, als Dieter mich anlässlich eines Festaktes der Anwaltskammer in einen Anzug zwängen wollte.
Do und Sabine unterscheiden konnten eh nur Experten, also nur Dieter und ich, und vielleicht auch noch unser Rezeptionsdrachen in der Kanzlei, das ältliche Fräulein Schmitz. Sabine und Do sind halt beide schön, groß, schlank, blond, immer froh gelaunt und wahrlich nicht auf den hübschen Kopf gefallen. »Eine muss euch halt Paroli bieten können, sonst macht ihr nur Blödsinn«, hatte Sabine zuletzt auf ihre Kontrollfunktion und die ihrer Schwester für Dieter und mich hingewiesen.
Ohne unsere Frauen hätten Dieter und ich schon so manches Mal dumm im Regen gestanden, musste ich unumwunden zugeben, auch wenn ich es niemals laut in Gegenwart der beiden Holden ausgesprochen hätte.
»Hier!« Dieter holte mich in den Kanzleialltag zurück und warf einen dünnen Schnellhefter auf den Schreibtisch.
»Was ist das?«, fragte ich neugierig.
»Nicht Besonderes«, antwortete Dieter verdächtig gelassen. »Wohl so›ne Art Mietstreitigkeit. Ich weiß es auch nicht so genau.« Er schmunzelte. »Außerdem soll es doch deine Sache sein, herauszufinden, was das ist.«
›Das sind die Aufgaben, die ich liebe‹, knurrte ich in mich hinein. Ich lehnte mich in den Sessel zurück und öffnete den Hefter. Er enthielt gerade einmal ein Schreiben an unsere Kanzlei von einem Eduard Brandmann aus Gerolstein, in dem er uns bat, möglichst diskret für ihn eine Hausräumung vorzubereiten.
›Das wird doch nicht?‹, dachte ich ein wenig beunruhigt; aber leider wurde meine Befürchtung wahr.
Eines der alten Wohnhäuser an der Monheimsallee, das mehrere Monate leer gestanden hatte, war vor knapp vier Wochen von Studenten besetzt worden. In Anbetracht der Wohnungsnot hatten die Studenten kurzerhand das Haus in Beschlag genommen und sich dort eingenistet.
Brandmann beabsichtigte, so schrieb er jedenfalls, unverzüglich mit Umbauarbeiten an dem Gebäude zu beginnen. Er wollte dort Eigentumswohnungen errichten und hatte bereits zwei verkauft. Spätestens am Freitag, dem 15. Mai, müsste das Haus geräumt sein, weil am darauf folgenden Montag die erste Arbeitskolonne anrücken würde.
»Dieter, das mache ich nicht!«, war meine erste entrüstete Reaktion. »Nur weil ein feister Sack Profit abzocken will, sollen die armen Schweine raus aus der windschiefen Hütte? Nein, nicht mit mir!«, sagte ich heftig und gab Schulz den Brief.
»Sind wir hier in der Politik oder bei den Idealisten gelandet?«, fragte Dieter ironisch, nachdem er das Schreiben überflogen hatte. »Hier will jemand seine wirtschaftlichen Interessen durchsetzen, die allem Anschein nach juristisch begründet sind, und bittet uns um anwaltliche Hilfe«, antwortete er sich selbst. »Das ist unser Job, mein Freund.« Jetzt kam wieder die alte Leier: »Wenn wir ihn nicht machen, macht ihn ein anderer.«
Ich schaute Schulz immer noch grimmig an. Ich wusste, wie es weitergehen würde.
»Wenn wir aber den Job machen, haben wir die Kontrolle über...




