Leischwitz | Die Wissenschaft des Fußballs | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Leischwitz Die Wissenschaft des Fußballs

Von der Physik der Bananenflanke bis zur Biologie des Rasens
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7453-1032-0
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Von der Physik der Bananenflanke bis zur Biologie des Rasens

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-7453-1032-0
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie berechnet man die Kurve einer Bananenflanke? Wo wurde zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte Fußball gespielt? Welche Kleinstlebewesen befinden sich in einem Stadionrasen? Welchen Einfluss hat der Fußball auf Politik und Wirtschaft, sprich: auf die Weltgeschichte? Und wie lautet eigentlich das häufigste Endergebnis?

Dieses Buch liefert wissenschaftliche Antworten auf sämtliche Fragen rund um den beliebtesten Sport der Welt und wird nicht nur dem eingefleischten Fan Aha-Momente bereiten. Doch keine Angst: Die Frage, wie es nach 90 Minuten steht, wird auch danach für immer unberechenbar bleiben.

Leischwitz Die Wissenschaft des Fußballs jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


JA GUT, ÄH: HAB ICH VERTRAG ODER ARSCHKARTE?
(Linguistik)
Wir schreiben das Jahr 2060. Eine Mutter sitzt mit ihrem Kind am Frühstückstisch. »Lutsch nicht so an deinem Energy-Bar rum«, schimpft die Mama, »sei mal ein bisschen straight beim Essen!« Das Kind hält inne und erwidert dann: »Mama, woher kommt eigentlich dieser Satz, der Drops ist gelutscht oder so ähnlich, das hat die Lehrerin im Videocall gestern gesagt.« – »Also, das heißt so viel wie: Das Ding ist durch, die Harddrive ist verschmort ...« – »Ja, ich weiß«, antwortet das Kind, »aber woher kommt das? Die Leute haben doch nicht echt mal so geredet, oder?« – »Ähm, woher das kommt, weiß ich jetzt auch nicht so genau, das müssen wir mal Papa fragen.« Man sieht: Manche Sätze ändern sich nie. Am Abend sitzen wieder alle beisammen, doch es stellt sich heraus: Papa weiß es auch nicht. Er spekuliert herum. Manche Dinge ändern sich eben auch nicht. »Ich glaube, ein Drops war so etwas wie ein Bonbon.« – »Bonbon ist so etwas wie ein Chewy, oder?« – »Exakt. Aber jetzt chill du mal, ich grätsche kurz bei Opa rein und frag den, der weiß das bestimmt.« Wenig später stellt der Papa den Opa auf laut und wirft sein Videobild an die Wohnzimmerwand. »Das kam, glaube ich, von diesem Magath«, sagt Opa. – »Magath?« – »Ja, das war ein ziemlich bekannter Manager. Damals haben sie Fußballtrainer gesagt. Also in der Zeit, als noch Menschen Trainer waren und keine Androids. Der war sogar mal beim FC Bayern.« – »Aber das ist doch nur der zweite Verein in München!«, ruft der Sohn dazwischen, der sich daran erinnert, dass die Blauen in München gerade pompös ihren 200. Geburtstag gefeiert haben. »Das war mal der größte Verein der Welt, die waren gaaanz lange on top of the table«, sagt der Opa, »aber am Ende des Tages haben sie sich ein bisschen verzockt. Die wollten ihre eigene europäische Liga gründen und nicht mehr gegen die schlechteren Klubs spielen. Dann haben sie gegen Real Madrid und die anderen nur noch verloren. Manche sagen, das hätte mit diesen neuen Roboter-Schiris zu tun gehabt. Hätte, hätte, Fahrradkette. Naja, jedenfalls war der Magath auch Trainer in Wolfsburg. Die sind dann einmal Meister geworden, 2008 oder 2009, ich hatte gerade den Führerschein gemacht. Da hat der Magath die Bayern ein bisschen gebasht. Ein paar Wochen vor der Meisterschaft hat er gesagt: Zwei Siege, und der Drops ist gelutscht. Und dann hat der sich diese Glastasse genommen und an seinem Pfefferminztee genippt, das war echt Legende!«, sagt der Opa und lacht. »Opa, was ist eine Glastasse?« Sprache ist in ständigem Wandel. Und es ist sehr gut möglich, dass eines Tages sehr viele Begriffe aus dem Fußball den Sprachalltag bestimmen, noch viel mehr als heute. Aus dem einfachen Grund, weil wir zurzeit sehr viel über Fußball reden. Eine Generation später ist dann allerdings vergessen, was genau aus dem Fußball kam, es ist einfach da. Womöglich wurden in der Zwischenzeit auch die Spuren verwischt, so ähnlich wie bei der Flüsterpost. »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben – den Satz hat Michail Gorbatschow auch nie gesagt«, erklärt Simon Meier-Vieracker, Professor für angewandte Linguistik an der Technischen Universität Dresden. »Und heute wissen schon viele gar nicht mehr, dass das von ihm gekommen sein soll.« Wahrscheinlich wusste es schon der Opa aus unserem Eingangsbeispiel, der um 1989 geboren ist, nicht mehr. Wobei, vielleicht erinnern sich die Menschen später doch daran. Denn selbst heute gibt es bereits beachtliche Datenbanken, mit denen sich feststellen lässt, wann einzelne Wörter, Wortpaare (sogenannte Bigramme) und Formulierungen zum ersten Mal in der Öffentlichkeit auftauchten. Meier-Vieracker ist derjenige, der sich im Fußballbereich besonders hervortut. Er hat sich auf die Suche nach typischen Fußballphrasen begeben und benutzt dafür über 3000 Spielberichte des Kicker, des Livetickers und Einzelkritiken. Ein durchschnittlich langer Roman besteht aus ungefähr 100 000 Wörtern, Meier-Vierackers virtuelle Bibliothek umfasst rund 9 Millionen Wörter. Mithilfe einer weiteren Datenbank findet man zum Beispiel auch heraus, dass »der Drops ist gelutscht« in Wahrheit gar nicht von Felix Magath stammt, sondern im Jahr 2001 erstmals im Zusammenhang mit Handball verwendet wird. Doch man kann eben auch erkennen, dass sich die Formulierung nach der Wolfsburger Pressekonferenz noch stärker verbreitete. Magath wirkte als Verstärker. Es habe sich dabei eben um eine sehr ikonische Situation gehandelt, findet Meier-Vieracker: Magath, Bayerns Ex-Trainer, redet ganz trocken darüber, dass gerade niemand mit Wolfsburg mithalten kann, und trinkt genüsslich seinen Tee. So etwas bleibt hängen. Somit wäre die Spur beinahe verwischt gewesen. Aber wahrscheinlich wird der Satz trotzdem mit Magath verbunden bleiben, zumindest für eine Weile. Genauso, wie wir wohl niemals erfahren werden, ob die Sätze »Die Wahrheit liegt auf dem Platz« oder »Ein Spiel dauert 90 Minuten« tatsächlich von Sepp Herberger stammen oder nicht doch von seiner Putzfrau, wie es der Film Das Wunder von Bern suggeriert. Fußballlinguisten sind ständig auf der Suche nach Phrasen und deren Herkunft. Ist der Datensatz erst einmal groß genug, lassen sich relativ leicht unglaublich viele Sachen herausfinden. Das Prinzip ist eigentlich ganz einfach. Ein Beispiel: Es ergäbe wenig Sinn, eine Wortkombination mit »in« und »der« einzugeben, weil diese viel zu häufig vorkommt und keine inhaltliche Aussagekraft hat. Auf seiner Webseite fussballlinguistik.de erklärt Meier-Vieracker, wie man zu besseren Treffern kommt: »Wenn etwa das sehr seltene Wort Tribut vorkommt, kommt es meist zusammen mit dem ebenfalls seltenen Wort zollen vor. Eine gewisse Häufigkeit (hier mindestens fünf Mal vorkommend) bei maximaler Unwahrscheinlichkeit – das ist für den Computer das Maß für Phrasenhaftigkeit.« So stellt sich dann auch heraus, wer in der Fußballbranche die meisten Phrasen drischt – es ist der lange bei Hertha BSC tätig gewesene Karsten Heine. Meier-Vieracker hat sich den Spaß gemacht, einen Spielbericht mit den 159 gängigsten Phrasen zu erstellen; hier ein Auszug: »Bei strahlendem Sonnenschein war für beide Teams zunächst taktische Disziplin oberstes Gebot. Dabei erwischte Mainz den besseren Start und bewies anfangs die reifere Spielanlage. Da die Hausherren zunächst mit angezogener Handbremse spielten, konnten sich die Mainzer ein leichtes optisches Übergewicht erspielen.« Manche Formulierungen schaffen es einfach aufgrund ihrer historischen Bedeutung in den allgemeinen Sprachgebrauch. Dazu gehören legendäre Radio- wie mittlerweile auch Fernsehkommentare. Wer kennt nicht den Auszug aus der Radioübertragung des WM-Finales von 1954 des Reporters Herbert Zimmermann: »... und Bozsik, immer wieder Bozsik, der rechte Läufer der Ungarn am Ball. Er hat den Ball … verloren diesmal gegen Schäfer. Schäfer nach innen geflankt. Kopfball – abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen ... Rahn schießt – Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!« Und zum Schluss, kurz und prägnant: »Aus, aus, aus, aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister …« Und in Deutschland standen die Menschen auf den Straßen vor den Geschäften, in denen hinter den Schaufenstern die Fernseher liefen, und dachten sich: Wir sind wieder wer! Oder 2014: »Götze! Mach ihn! Er macht iiihhhn!« In jener Nacht waren alle atemlos. Mit dem richtigen Wort zur richtigen Zeit können sogar die, die lediglich über den Fußball berichten, unsterblich werden. Wobei es natürlich zum guten Ton gehört, über die Sprache des Sportkommentators ordentlich zu schimpfen. Auch das scheint in Deutschland zur Sprachkultur dazuzugehören. Im Fall von Herbert Zimmermann ist der Fall klar: So viele hatten zugehört, so viele erinnern sich an diesen bedeutenden Moment, dass das kollektive Gedächtnis gar nicht anders konnte, als die Sätze aufzunehmen. In den allermeisten Fällen verläuft dieser Prozess aber subtiler. Linguisten haben verschiedene Kategorien für den Vorgang, wie neue Formulierungen Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch finden. Eine Oberkategorie ist das geflügelte Wort; dazu kann man auch Magaths gelutschten Drops zählen. Entscheidend ist eine klar benennbare Quelle, ein zurückführbares Zitat. Dabei ist es gar nicht immer wichtig, dass dieses geflügelte Wort, wie in diesem Fall, nicht von Magath erfunden wurde – die Medien wirken hier als Trigger, durch den es in den Sprachgebrauch gelangt. Es ist eben noch kein allgemein anerkanntes »Bonmot«, wenn es der Kreisligatrainer einmal zu seinen Spielern sagt. Die Verallgemeinerung des Satzes übernehmen dann andere. Weitere Beispiele für geflügelte Wörter aus dem Fußball sind: »Freunde der Sonne«
(Stefan Effenberg) »Schaun mer mal«
(Franz Beckenbauer) »Eier, wir brauchen Eier«
(Oliver Kahn) »Da ist das Ding!«
(Oliver Kahn) »Die Hand Gottes«
(Diego Maradona) »Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß«
(Andreas Brehme) Man merkt an diesen wenigen Beispielen bereits, dass die geflügelten Worte aus dem Fußball auch meist ein Image des Fußballs transportieren. Dieses kann sexistisch, proletarisch oder auch die völlige Überhöhung sein. Auf diesem Weg schaffen es manchmal sogar Übersetzungen und/oder lange Formulierungen in den Sprachgebrauch. Zwei Beispiele aus England und Nordirland: »Einige Leute denken, Fußball sei eine Sache auf Leben und Tod. Ich mag diese Haltung nicht.
Ich kann denen versichern, dass es viel ernster ist als das.«
(Bill Shankly) »Ich habe viel Geld...


Christoph Leischwitz stand lange Zeit selbst in der Kurve, hatte aber ab 1995 keine Zeit mehr, in den Block zu gehen: Er schreibt seitdem vor allem für die "Süddeutsche Zeitung", "Spiegel Online" und "11Freunde" über den Fußball an sich, über Sportpolitik und all das, was an Kultur im Fußball übrig ist, von der ersten bis zur siebten Liga.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.