Lemke | Biopolitik zur Einführung | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 180 Seiten

Reihe: zur Einführung

Lemke Biopolitik zur Einführung


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-96060-003-9
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

Reihe: zur Einführung

ISBN: 978-3-96060-003-9
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Begriff der Biopolitik ist in aller Munde. Das Spektrum seiner Verwendungsweisen reicht von der Asyl-Politik über die AIDS-Prävention bis hin zur Bekämpfung des Bevölkerungswachstums. Er bezeichnet die Unterstützung landwirtschaftlicher Produkte ebenso wie die Förderung medizinischer Forschung, strafrechtliche Bestimmungen zur Abtreibung und Patientenverfügungen zum Lebensende. Von »Biopolitik« reden Vertreter der Neuen Rechten ebenso wie linke Globalisierungsgegner, Kritiker des biotechnologischen Fortschritts, aber auch dessen Befürworter. Dieser Band bringt Klarheit in das begriffliche Wirrwarr. Er liefert einen Überblick über die Geschichte des Begriffs und erläutert seine Bedeutung in aktuellen politischen Auseinandersetzungen und gesellschaftstheoretischen Debatten. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Arbeiten des französischen Philosophen Michel Foucault und die an seinen Begriff der Biopolitik anschließenden Theorien von Giorgio Agamben auf der einen und Michael Hardt und Antonio Negri auf der anderen Seite.

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Inhalt

Einleitung
1. Leben als Grundlage der Politik
1.1 Staatsbiologie: Von organizistischen zu rassistischen Konzepten
1.2 Biopolitologie: Menschliche Natur und politisches Handeln
2. Leben als Gegenstand der Politik
2.1 Ökologische Biopolitik
2.2 Technikzentrierte Biopolitik
3. Die Regierung von Lebewesen: Michel Foucault
3.1 Leben machen und sterben lassen
3.2 Rassismus und Todesmacht
3.3 Politische Ökonomie und liberale Regierung
3.4 Widerstand und Freiheitspraktiken
4. Souveränitätsmacht und nacktes Leben: Giorgio Agamben
4.1 Die Regel der Ausnahme
4.2 Das »nackte Leben« und das Lager
4.3 Drei Problemkomplexe
5. Kapitalismus und lebendige Vielheit: Michael Hardt und Antonio Negri
5.1 Imperiale Herrschaft und immaterielle Arbeit
5.2 Multitude und die Paradoxien der Biomacht
5.3 Ontologie und Immanenz
6. Verschwinden und Transformation der Politik
6.1 Körperpolitik
6.2 Lebenspolitik
6.3 Biolegitimität
7. Ende und Neuerfindung der Natur
7.1 Molekularpolitik, Thanatopolitik, Anthropopolitik
7.2 Biosozialität
7.3 Ethopolitik
8. Vitalpolitik und Bioökonomie
8.1 Von der Menschenökonomie zum Humankapital
8.2 Biokapital
9. Ausblick: Eine Analytik der Biopolitik
Anhang: Anmerkungen; Literatur; Über den Autor


Einleitung
Der Begriff der Biopolitik hat eine bemerkenswerte Karriere hinter sich. War er bis vor kurzem nur wenigen Fachleuten bekannt, findet er heute eine immer größere Resonanz. Das Spektrum seiner Verwendungsweisen reicht inzwischen von der Asyl-Politik über die AIDS-Prävention bis hin zu Fragen des Bevölkerungswachstums. Er bezeichnet die Unterstützung landwirtschaftlicher Produkte ebenso wie die Förderung medizinischer Forschung, strafrechtliche Bestimmungen zur Abtreibung und Patientenverfügungen zum Lebensende.1 Aber nicht nur die empirischen Gegenstände, auch die normativen Wertungen fallen weit auseinander. Bei »Biopolitik« denken die einen an eine rationale und demokratische Gestaltung der Lebensverhältnisse, während andere sie mit Praktiken der Aussonderung, mit Krankenmord, Eugenik und Rassismus in Verbindung bringen. Der Begriff taucht bei Vertretern der Alten Rechten ebenso auf wie in neueren linksradikalen Texten, es verwenden ihn Kritiker des biotechnologischen Fortschritts, aber auch dessen Befürworter, erklärte Rassisten wie bekennende Marxisten. Offenbar meint jeder etwas anderes, wenn von Biopolitik die Rede ist. Dabei scheint doch klar zu sein, was der Begriff bezeichnet. Dem Wortsinn nach meint Biopolitik die Politik, die sich mit dem Leben (griech.: bíos) befasst. Aber hier fangen die Probleme schon an. Denn was für die einen wie eine Banalität klingt (»Befasst sich Politik nicht immer mit dem Leben?«), ist für andere ein Ausschlusskriterium: Politik beginne erst dort, wo das biologische Leben ende. Biopolitik gilt hier als Oxymoron, als Zusammenschluss zweier sich widersprechender Begriffe, denn Politik im klassischen Sinn ist gemeinsames Handeln und Entscheiden, eben das, was über das »nur« Kreatürliche und Körperliche hinausgeht. Auch über historische Grenzziehungen herrscht wenig Einigkeit: Reicht Biopolitik bis in die Antike, möglicherweise sogar bis zur Entstehung der Landwirtschaft zurück, oder ist sie Resultat biotechnologischer Neuerungen in der jüngeren Gegenwart und bezeichnet die »Schwelle eines neuen Zeitalters« (Mietzsch 2002, 4)? Das vorliegende Buch soll Klarheit in das begriffliche Wirrwarr bringen und eine grundlegende Orientierung vermitteln. Da es sich um die erste Einführung in das Themenfeld der Biopolitik handelt, kann sie für diese Aufgabe nicht auf Vorlagen oder einen etablierten Kanon der Auswahl und Einteilung zurückgreifen. Ebenso fehlt es an eindeutigen disziplinären Konturen. »Biopolitik« bezeichnet ein theoretisches und empirisches Feld, das Fächergrenzen überschreitet und etablierte akademische und intellektuelle Arbeitsteilungen unterläuft. Vor diesem Hintergrund verfolgt diese Einführung ein doppeltes Ziel. Sie soll einerseits einen systematischen Überblick über die Geschichte des Begriffs der Biopolitik liefern und andererseits dessen Bedeutung in aktuellen Theorie-Debatten erläutern. Angestrebt wird allerdings keine neutrale Wiedergabe oder repräsentative Darstellung der verschiedenen historischen und zeitgenössischen Verwendungsweisen; die unterschiedlichen biopolitischen Konzepte werden im Gegenteil unter einer eigenständigen theoretischen Perspektive analysiert. Der Grund dafür ist systematischer Natur. Die Definition von Biopolitik und die Spezifizierung ihres Gegenstandsbereichs sind keine wertfreien Aktivitäten, die einer universellen und objektiven Forschungslogik folgen, sondern immer schon Bestandteile eines beweglichen und konflikthaften (theorie-)politischen Feldes. Jede Antwort auf die Frage, welche Prozesse und Strukturen, welche Rationalitäten und Technologien, welche Epochen und Zeitabschnitte durch genuin »biopolitische« Problemstellungen gekennzeichnet sind, ist das Ergebnis einer spezifischen Perspektive, der immer etwas Partikulares und Selektives anhaftet. Jede Bestimmung von Biopolitik muss daher ihr analytisches und kritisches Potenzial gegen die »blinden Flecken«, die Leer- oder Schwachstellen konkurrierender Deutungsvorschläge profilieren. Ausgangspunkt für das hier vorgeschlagene Analyseraster ist die polare Grundkonstellation, die in der Zusammenführung von Leben und Politik zum Begriff der Biopolitik prinzipiell angelegt ist.2 Die vorliegenden Konzepte unterscheiden sich danach, auf welchen Bestandteil des Wortes sie den Akzent legen. Entsprechend lassen sich naturalistische Konzepte, die das Leben als Grundlage der Politik begreifen, von politizistischen Ansätzen abgrenzen, die Lebensprozesse als Gegenstand der Politik in den Blick nehmen. Die vermeintliche Naturbasis der Politik steht im Mittelpunkt eines heterogenen Ensembles von Theorien, das im ersten Kapitel vorgestellt werden soll und von den organizistischen Staatskonzepten des beginnenden 20. Jahrhunderts über rassistische Argumentationsmuster im Nationalsozialismus und in der Alten und Neuen Rechten bis hin zu biologistischen Ansätzen in der zeitgenössischen Politikwissenschaft reicht. Der politizistische Gegenpol fasst »Biopolitik« als ein Handlungsfeld oder Teilgebiet der Politik, das sich mit der Regulierung und Steuerung von Lebensprozessen beschäftigt. Diese Interpretationslinie taucht seit den 1960er Jahren im Wesentlichen in zwei Formen auf: zum einen als ökologische Biopolitik, die konservative und defensive Ziele verfolgt und die Politik auf die Sicherung und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichtet; zum anderen in einer technikbezogenen Lesart, deren Vertreter eher an der dynamischen Entfaltung und ökonomisch-produktivistischen Erweiterung interessiert sind. In letzterer Hinsicht soll Biopolitik ein neues Politikfeld bezeichnen, das als Resultat medizinischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse und deren technologischer Umsetzung entsteht. Diese Deutung ist heute besonders populär und wird regelmäßig in den Diskursen der Politik und der Medien zitiert, um die sozialen und politischen Folgen und Potenziale biotechnologischer Innovationsprozesse zu beschreiben oder zu propagieren. Den unterschiedlichen Facetten des politizistischen Diskurses spürt das zweite Kapitel nach. Die zentrale These dieses Buches lautet, dass beide Interpretationslinien entscheidende Dimensionen biopolitischer Prozesse nicht erfassen. Bei allen Unterschieden teilen die politizistische und die naturalistische Position wichtige Grundannahmen. Sie beruhen auf einer stabilen Hierarchie und auf einem äußerlichen Verhältnis von Leben und Politik. Sehen die Vertreter des Naturalismus das Leben »unterhalb« der Politik, wobei es politisches Denken und Handeln anleiten und erklären soll, bestimmt die Gegenseite Politik »oberhalb« des Lebens; sie sei mehr als »nur« Biologie und gehe über die Notwendigkeiten biologischer Existenz hinaus. Beide grundlegenden Perspektiven auf das Problem der Biopolitik halten jeweils einen Pol des Bedeutungsfelds stabil, um von dorther Variabilitäten im jeweils anderen zu erklären. Damit verfehlen sie jedoch die in der Konjunktur des Begriffs der Biopolitik virulent werdende Instabilität der Grenze zwischen »Leben« und »Politik« und die Einsicht in die Relationalität und Historizität der scheinbar voneinander isolierten Pole. Der Begriff der Biopolitik signalisiert vielmehr eine Art doppelte Negation (vgl. Nancy 2002): Anders als in der naturalistischen Position vorausgesetzt, stellt das Leben keine stabile ontologische und normative Referenz dar. Spätestens mit den biotechnologischen Innovationen zeigt sich, dass Lebensprozesse in einem Maße gestaltbar geworden sind, das jede Vorstellung einer vom menschlichen Handeln unberührten Natur überholt erscheinen lässt. In dieser Hinsicht kann Natur nur noch als integraler Bestandteil von Natur-/Gesellschaftsverhältnissen begriffen werden. Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass Biopolitik für eine signifikante Veränderung des Politischen steht. Das Leben ist nicht nur Gegenstand politischen Handelns und tritt mit diesem in ein äußerliches Verhältnis, sondern affiziert den Kern des Politischen. Biopolitik ist weniger Ausdruck des Willens eines Souveräns, sondern zielt auf die Verwaltung und Regulation von Lebensprozessen auf der Ebene der Bevölkerung. Sie hat es eher mit Lebewesen als mit Rechtssubjekten zu tun – oder genauer: mit Rechtssubjekten, die zugleich Lebewesen sind. Ebenso wenig kann Biopolitik vollständig auf Politik im Sinne bewusst geplanter Handlungen von Akteuren oder Akteurskollektiven mit mehr oder weniger konkreten Zielen heruntergerechnet werden. Dies liegt zum einen an dem großen Feld nicht-intendierter Handlungsfolgen;3 zum anderen aber auch daran, dass biopolitische Phänomene sich prinzipiell nicht auf Handlungen bzw. Handlungsfolgen beschränken lassen, sondern – wie sich zeigen wird – auch Wissensformen, Kommunikationsstrukturen und Subjektivierungsweisen umfassen. Gegen die naturalistische und die politizistische Lesart soll hier ein relationaler und historischer Begriff der Biopolitik vorgeschlagen werden, den als Erster der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault entwickelt hat. Demnach bezeichnet Leben weder die Grundlage noch den Gegenstand der Politik, sondern deren Grenze – eine Grenze, die zugleich respektiert und überwunden...


Thomas Lemke ist Professor für Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.



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