Lenz | Der Goalie bin ich | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 208 Seiten, eBook

Lenz Der Goalie bin ich


1. Auflage, neue Ausgabe 2014
ISBN: 978-3-0369-9289-1
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 208 Seiten, eBook

ISBN: 978-3-0369-9289-1
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
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Der Goalie ist anders. Anders als die ganzen Kneipenhocker und Grämmchendealer in seinem Heimatdorf. Und doch war er es, der für ein Jahr ins Gefängnis musste. Ein Sündenbock. Ein Querdenker, und plötzlich wieder mittendrin im Leben. Von der wieder erlangten Freiheit verlangt er nicht viel: einen festen Job, ab und zu ein Glas Rotwein und reden dürfen, wie ihm der Mund gewachsen ist. Und vielleicht, dass sich die Kellnerin Regi, das Zentralgestirn seiner Träume, endlich auch in ihn verliebt. Als Regi Probleme mit ihrem Freund bekommt und mit dem Goalie eine Reise nach Spanien antritt, scheint sein Glück zum Greifen nah.

Pedro Lenz, geboren 1965, ist Dichter, Schriftsteller, Kolumnist und Mitglied des Bühnenprojekts 'Hohe Stirnen' und der Spoken-Word-Gruppe 'Bern ist überall'. Er schreibt in schweizerdeutscher Umgangssprache und ist in der Schweiz auch als Performance-Künstler bekannt. Als Autor hat er bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht. Sein Roman Der Goalie bin ich gewann den Schillerpreis für Literatur, wurde in mehrere Sprachen übersetzt und erfolgreich verfilmt (Schweizer Filmpreis 2014). Pedro Lenz lebt in Olten.
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1.

Angefangen hat es eigentlich viel früher. Geradeso gut kann ich aber auch behaupten, es hat an diesem einen Abend angefangen, ein paar Tage, nachdem ich aus Witz zurück war.

Ungefähr zehn, vielleicht halb elf. Spielt keine Rolle. Auf alle Fälle ein saukalter, beißender Wind. Schummertal. November. Und mein Herz so triefend schwer wie ein alter, feuchter Lappen.

Ich also ins Maison auf einen Kaffee mit Schuss.

Die Knastrente war schon verjubelt, ohne dass ich wusste, wo und wie. Ich also ohne Kohle damals, aber dringend einen Kaffee mit Schuss nötig, ein wenig Gesellschaft und ein paar Stimmen.

Wie gesagt, nichts in der Tasche außer ein paar Zigaretten und ein paar Münzen. Ein Engpass halt, aber ein ziemlich enger. Wartete auf was, das mir einer noch schuldete. Sag mal jemandem, wenn du gerade aus dem Loch raus bist, jemand schulde dir noch ziemlich viel Kohle, doch seist du gerade nicht besonders flüssig. Das interessiert so keine Sau.

Eben, ich also ins Maison, bestelle einen Kaffee mit Schuss, da fragt mich die Regula, ob ich bezahlen könne.

Keine so schlechte Frage, zugegeben.

Mach keine Geschichten, Regi, sei so gut, bring ihn erst mal, so ich zu ihr, dann schauen wir weiter.

Bist ein ewiger Schwätzer, sagt sie und bringt ihn.

Hab’s nicht getippt, sagt sie, und schaut mich so an, weiß auch nicht genau, wie, anders als sonst, mit etwas mehr Sehnsucht in den Augen oder so ähnlich. Keine Ahnung, wie es anderen ergeht, aber mich wärmt so was bis ins Innerste, wenn mich eine Frau wie Regi so anschaut.

Danke, Regi, bist lieb. Bezahl’s dir mit Beten zurück.

Ich solle aufhören mit den ewigen Sprüchen und mich vor allem nicht daran gewöhnen, sagt sie, weil wenn Pesche erfährt, dass ich diesen Kaffee Schnaps nicht getippt habe, gibt’s ernsthafte Probleme. Ich wisse ja selbst, wie Pesche sein könne.

Die ist einfach eins a, die Regula, die muss man loben, die schaut zu unsereiner, sagt sich einfach mal, das tipp ich jetzt nicht, das merkt ja wahrscheinlich keiner, und der Wirt, der Pesche, merkt es eh als Letzter, und der Goalie hat so seinen Kaffee mit Schuss und Schluss.

Mir war ja schon lange klar, dass Regula ein großes Herz hat. Aber an jenem Abend hat sie angefangen, mir auch in anderen Belangen zu gefallen.

Das ist ja im Grunde extrem komisch: Da kennst du eine Frau seit Jahren, und du denkst dir nicht viel, und plötzlich, mein Gott, plötzlich hat sie was. Ja, doch, plötzlich hat sie so was, so etwas, das dich nervös macht, plötzlich gefällt sie dir. Das soll begreifen, wer will. Ich hatte viele offene Fragen, ganz ehrlich. Aber an dem Abend interessierte mich mit einem Mal nur noch eine Frage brennend: Ist es wohl möglich, dass Regula und ich in diesem Leben einmal ein Paar werden?

Du, Regula, so ich zu ihr, könnte ich dich um einen kleinen Gefallen bitten? Könntest du bis Montag einen Fünfziger entbehren? Weißt, jemand schuldet mir noch ziemlich viel Kohle, aber gegenwärtig hab ich nichts in der Tasche, ein Problem mit der imaginären Erfolgsrechnung, du verstehst, was ich meine.

Wieder schaut sie mich so an. Ich hätte mich wohl gar nicht verändert in Witzwil, sagt sie, und dass man nicht meinen könne, ich hätte fast ein Jahr dort verbracht, weil wenn man mir so zuhöre, sei ich noch immer haargenau der gleiche Schwadronierer wie früher.

Mach keine Geschichten, Regi. Davon hast du keine Ahnung. Du weißt nichts über mich und nichts über Witzwil. Und das ist auch besser so. Kannst froh sein. Und wegen der Kohle: Ich will nicht betteln, bei dir schon gar nicht, du entscheidest, entweder du hast einen Fünfziger, oder wenn nicht, dann frag ich dich halt was anderes. Das wäre alles.

Sie hat mir dann den Fünfziger gegeben: gefaltet und kommentarlos in die Brusttasche gesteckt. Ich nahm ihre Hand, küsste die Innenseite ihres Arms und sagte, wenn du jetzt nicht arbeiten müsstest, würd ich dich glattweg mit nach Hause nehmen und in die Pfanne hauen, ich schwör’s, Regi, ich würde dich glücklich machen.

Ich sei wirklich ein blöder Schwätzer, so sie zu mir und lacht ein wenig, und ich lach auch ein wenig. War gut, wieder mal zu lachen, wirklich gut. Hatte nicht viel zu lachen gehabt in der letzten Zeit, wirklich nicht.

Als der Schuss raus war aus dem Kaffee, ging ich rüber in den Spanier-Klub, schauen, ob es noch was zu essen gäbe. Und tatsächlich gab es noch was, obwohl es schon spät war. Paco machte mir Fisch und wärmte Reis. Das war genau das Richtige.

Wo ich gewesen sei, wollte er wissen. Hätte mich schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.

Galera, sagte ich, weißt du, Alcatraz, und deutete mit den Händen ein Gitter vor meinen Augen an.

Er schüttelte nur langsam seinen schweren Kopf und verzog die Mundwinkel. Darin sind sie gut, hier im Spanier-Klub, sie wissen, wann nachfragen und wann besser nicht.

Du, Paco, sag mal, hast du vielleicht mal Uli oder Marta gesehen? Nicht? Sind nie vorbeigekommen? Macht auch nichts. Ist übrigens gut, der Reis, tipptopp, doch, ihr kocht gut hier, wirklich.

Gracias, Quíper, sagte er. Er nennt mich immer Keeper, was dasselbe heißt wie Goalie, also Torhüter, aber so, wie man in Spanien sagt. Danke, er leite es gerne in die Küche weiter, so er, und schenkt Wein nach, mit seiner großen, ruhigen Hand, die mich an die Hand meines Vaters erinnert, der zwar nicht immer der Einfachste gewesen war, aber manchmal auch so eine ruhige Hand hatte. Ich also roten Navarra im Glas, vom Guten. Obwohl, hätte ich wählen können, hätte ich lieber einen halben Löffel Braunes gehabt. Gleichzeitig wusste ich, dass das aufhören musste, dass ich einen endgültigen Strich darunter ziehen musste, unter das elende Gift und das ganze Lumpenzeugs. Ist doch logisch: Man kann doch nicht das ganze Leben lang diesem Kick hinterherrennen, das ganze Leben lang nur warten, bis es wieder Splash macht in der Birne und dir die Wärme mitten im Winter wie ein heißer Sommerwind durch die Venen bläst.

Dann hast du Uli also nicht gesehen? Bin auf der Suche nach ihm, muss ihn was fragen, was Wichtiges.

Nein, sagt Paco, nein, er habe ihn schon lange nicht mehr gesehen, wohl länger als eine Woche. Der arme Uli. Habe wohl Probleme.

Der Uli ist ein Depp, tut mir leid. Das sagte ich nicht zu Paco, das ist eine Sache zwischen mir und mir, das muss ich keinem verraten, nicht einmal dem Uli selbst. Doch es nervt, du kannst mit dem blöden Arsch nie etwas verbindlich abmachen. Nie, niemals!

Gut, er hat mir diese Wohnung organisiert, das muss gesagt sein, meine Loge hab ich wegen ihm, weil sein Vater Beziehungen hat zu dieser Verwaltung oder zu wem oder was auch immer.

Aber, sorry, die Bude gehört nicht Uli, ich bezahle Miete, ich meine, danke, Uli, vielen Dank, vielen herzlichen Dank, tausend Dank, aber das hat nichts mit dem Business zwischen uns zu tun. Wenn du einem Freund versprochen hast, du zahlst ihm bis dann und dann die Knete, die du ihm noch schwach bist, dann zahlst du sie auch bis dann und dann, oder aber du meldest dich, rufst an, schreibst ein paar Zeilen, lässt was ausrichten, ich weiß auch nicht, irgendwas, aber verschwindest doch nicht einfach von der Bildfläche.

Ich schaute auf die Uhr, die oben an der Wand neben dem vergilbten Real-Madrid-Wimpel hing, an demselben Balken, an dem auch die Leuchtstoffröhren angebracht sind. Schon halb zwölf. Noch einen Veterano, dann nach Hause, dachte ich. Dreckswetter. Gib mir einen Brandy, Paco, gut eingeschenkt, ich bitte darum, es ist wieder kalt draußen.

Komisch, dass an einem Freitag beim Spanier nicht mehr Leute waren. Ein paar Junge am Tischfußball, ein paar Alte am Schwatzen, das war’s. Und ich am Warten. Auf irgendwas.

Alter, mach was, jetzt musst du was tun!, sagte ich mir. Und bestellte noch einen Brandy. War froh um Regulas Fünfziger. Man ist ein anderer Mensch, wenn man was im Portemonnaie hat. Aber wenn ich nicht bald den Uli finde, dachte ich, muss sich Regula noch etwas gedulden, bis sie was zurückkriegt.

Als ich so an Regula herumdachte, kamen mir plötzlich die Tränen. Weiß selbst nicht, warum, sehr peinlich, alleine an einem Tisch, und die Tränen kullern dir runter.

Feierabend, Goalie!

Pacos Frau. Wenn es drauf ankommt, dann ist sie es, die nach dem Rechten schaut. Paco ist zu weich, der kann nicht Sperrstunde machen, bringt’s nicht über die Lippen. Sie schon.

Also rieb ich mir die Augen, als hätte ich eine Entzündung, bezahlte und ging, in Richtung nach Hause. Wählte jedoch nicht den direktesten Weg, nein, wollte noch mal schnell beim Maison vorbei, schauen, ob Regula nicht auch gleich Feierabend macht. Ich rauche also im Hof noch eine, mit Blick auf die Hintertür, weil ich dachte, dass sie da rauskommt. Es war ja auch noch Licht in der Kneipe. Wäre schön, sie noch kurz zu sehen, dachte ich. Stand im Dunkeln unter dem Vordach. Von der Straße her war ich nicht zu sehen, vom Parkplatz aus zum Glück auch nicht. Buddy wartete auch auf sie. Buddy saß in seiner Karre, Buddy war ihr Typ, offiziell. Buddy holte Regula von der Arbeit ab, weil er diese Funktion innehatte, weil man das so macht, wenn man eine Freundin hat, die bedient, und man sicher sein will, dass sie sicher nach Hause kommt. Vor allem, wenn sie an so einem Ort wie dem Maison arbeitet, wo Gemeingefährliche wie ich verkehren und, Gott behüte, noch Schlimmere.

Gratuliere, Buddy, hast alles unter Kontrolle, Buddy, kontrollierst die Karre, kontrollierst deine Freundin, kontrollierst deine Frisur, Buddy, kontrollierst den Blutdruck, bist der Chef, Buddy, hundertpro, der...


Urweider, Raphael
Pedro Lenz, geboren 1965, ist Dichter, Schriftsteller, Kolumnist und Mitglied des Bühnenprojekts "Hohe Stirnen" und der Spoken-Word-Gruppe "Bern ist überall". Er schreibt in schweizerdeutscher Umgangssprache und ist in der Schweiz auch als Performance-Künstler bekannt. Als Autor hat er bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht. Sein Roman Der Goalie bin ich gewann den Schillerpreis für Literatur, wurde in mehrere Sprachen übersetzt und erfolgreich verfilmt (Schweizer Filmpreis 2014). Pedro Lenz lebt in Olten.

Lenz, Pedro
Pedro Lenz, geboren 1965, ist Dichter, Schriftsteller, Kolumnist und Mitglied des Bühnenprojekts "Hohe Stirnen" und der Spoken-Word-Gruppe "Bern ist überall". Er schreibt in schweizerdeutscher Umgangssprache und ist in der Schweiz auch als Performance-Künstler bekannt. Als Autor hat er bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht. Sein Roman Der Goalie bin ich gewann den Schillerpreis für Literatur, wurde in mehrere Sprachen übersetzt und erfolgreich verfilmt (Schweizer Filmpreis 2014). Pedro Lenz lebt in Olten.

Pedro Lenz, geboren 1965, ist Dichter, Schriftsteller und Kolumnist. Er schreibt auf Berndeutsch und hat bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht. Bei Kein & Aber erschienen zuletzt auf Hochdeutsch (2017) und (2023). Sein Roman  gewann den Schillerpreis für Literatur, wurde in mehrere Sprachen übersetzt und erfolgreich verfilmt (Schweizer Filmpreis 2014). Pedro Lenz lebt in Olten.



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