E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Lerchenberg / Thoma Von Scheinheiligen und Heiligen – Pfaffen, Pfarrer und Pastoren bei Ludwig Thoma
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7844-8328-3
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-7844-8328-3
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
"Nicht jeder, der im Glauben leuchtet, ist mit Erkenntnistau befeuchtet." (Ludwig Thoma)
Sechs Wochen freie Kost und Logis in einem Münchner Gefängnis – das war der "Lohn", den Ludwig Thoma 1906 für eines seiner besonders pointierten Gedichte wider die christlichen "Sittlichkeitsprediger" kassierte. Zum Glück eine Ausnahme, andernfalls hätte der wortgewaltige Satiriker und Dramatiker wohl viele seiner Werke hinter schwedischen Gardinen verfassen müssen. Zieht sich doch die beißende Kritik am katholischen und protestantischen Klerus wie ein roter Faden durch seine Gedichte und Prosatexte. Michael Lerchenberg, ein ausgewiesener Thoma-Kenner, porträtiert anhand von Originalzitaten "Seelenhirten" unterschiedlichster Couleur – eine ebenso vergnügliche wie nachdenklich stimmende Lektüre.
- 150. Geburtstag von Ludwig Thoma am 21. Januar 2017
Weitere Infos & Material
Andreas Vöst oder: »Der Pfaff lacht mir ins G’sicht!« (Aus: Andreas Vöst, Kap. 13) Laut Bernhard Gajek beginnt Thoma seinen ersten Roman im Jahr 1902 noch unter dem Titel »Der Pfarrer von Erlbach«. Somit steht die Arbeit an Andreas Vöst, wie das Werk bei seinem Erscheinen 1905 heißen wird, am Beginn seiner Auseinandersetzungen mit der katholischen Zentrumspartei. Erst in den Simpl-Jahrgängen von 1903/04 finden wir dann die ersten Anti-Zentrum-Satiren von Peter Schlemihl – Thomas Pseudonym – auf den Vatikan, den Katholikentag, den Katholischen Männerverein von Tuntenhausen, und am 12. Januar 1904 erscheint die erste Simpl-Sondernummer Das Zentrum. Im selben Jahr begeistert die satirische Erzählung Der heilige Hies seine Leser. Thoma greift für seinen Romanerstling Andreas Vöst wieder auf sein Geschichtenreservoir aus dem Dachauer Hinterland zurück, dieser Gegend mit ihren Menschen, die er als junger, niedergelassener Rechtsanwalt in Dachau kennen und lieben gelernt hatte und der er bis zu seinem Tod als Jagdpächter eines Reviers bei Petershausen die Treue hielt. Mehr noch, die zentrale Handlung – den nachweislich falschen und ehrenrührigen Eintrag in einem Kirchenbuch, damals auch zivilrechtlich ein wichtiges Dokument, über Gewaltanwendungen des Andreas Vöst gegenüber seinem alten Vater – entnimmt Thoma einem von ihm selbst anwaltlich vertretenen Fall aus dem Jahr 1899. Peter Loder, ein Bauer aus Puchschlagen, Pfarramt Kreuzholzhausen, wird von einem Pfarrer Feller »aus einer feindseligen Gesinnung« heraus beschuldigt, und der RA Thoma soll nun den verleumderischen Eintrag über das Münchner Ordinariat tilgen lassen. In Andreas Vöst lässt Thoma später einen Rechtsanwalt sagen: »… mit einer Klag’ is da nicht viel zu machen. Eines könnten wir probieren. Beschwer dich beim Ordinariat! … Da gehst hin und erzählst den Fall wie mir. Die Herren verderben es nicht gern mit den Bauern. Es kann sein, daß sie euern Pfarrer zu einer friedlichen Lösung anhalten.« Sowohl im Roman wie auch im Fall von Peter Loder lehnt aber das Ordinariat ab, und RA Thoma droht mit einer Veröffentlichung über die Presse. Eine solche scheint jedoch nach den Quellen nicht erfolgt zu sein, Thoma war ja 1899 auch noch nicht Redakteur des Simpl. Der nun entstehende Roman war jedoch in seiner Kritik an Kirche und Zentrum viel wirkungsvoller und durchschlagender. Im Zentrum der Handlung steht der durchaus modern eingestellte und dem Bayerischen Bauernbund nahestehende Ökonom Andreas Vöst, vulgo Schullerbauer, der als Gemeindeverordneter einen unnötigen und teuren Kirchturmneubau verhindert und sich somit zum Feind des Ortspfarrers Baustätter macht. Dieser predigt: »Da gibt es überall Leute, welche der Meinung sind, sie wären so gescheit, daß sie überall darein reden dürfen. Sie widersprechen der Obrigkeit und geben Ratschläge, wie man es besser macht; ja sogar die geistliche Obrigkeit muß es sich gefallen lassen, daß so ein Siebengescheiter seinen Willen durchsetzen will.« (Aus: Andreas Vöst, Kap. 4) Nach dem Willen der neuen, ultramontanen Politik der katholischen Kirche soll sich der Mensch, ja auch der Staat, bedingungslos der Führung der Kirche unterordnen. Und genau dagegen kämpft Thoma. Im Vöst führt nun Pfarrer Baustätter einen erbitterten Kampf gegen seinen bäuerlichen Konkurrenten, will Vöst als neuen Bürgermeister von Erlbach verhindern, und das mit kirchenrechtlich grenzwertigen, aber doch zulässigen Mitteln. ES WAR EIN schöner Herbsttag. Die Sonne war gelb wie eine Butterblume und sah freundlich auf die abgeräumten Felder herunter, als betrachte sie behaglich die Arbeit, welche sie den Sommer über getan hatte. Und die war nicht gering. Selten war eine Ernte besser geraten, und die Sonne hatte an vielen Tagen ihre Strahlen herunterschicken müssen, bis die schweren Ähren gereift waren. Und wieder hatte es Wochen gedauert, bis die Halme am Boden lagen und bis die hochbeladenen Wagen ihre Lasten in die Scheunen gebracht hatten. Nun war es geschehen, und in allen Tennen schlugen die Dreschflegel den Takt; hier und dort trotteten geduldige Pferde an den Göpeln im Kreise herum, und im Hofe des Hierangl fauchte und pfiff eine Dampfmaschine. Überall war fleißiges Treiben, und wenn die Sonne mit einem freundlichen Stolze darüber lachte, so hatte sie recht, denn es war ihr Werk, und es war ihr Verdienst. Die Dorfstraße von Erlbach lag still und verlassen; die Menschen hatten keine Zeit zum Spazierengehen, und die Hühner liefen als kluge Tiere um die Scheunen herum, wo sie manches Weizenkorn fanden. Einige Gänse saßen am Weiher, streckten die Hälse und stießen laute Schreie aus; das taten sie, weil sich die Türe eines kleinen Hauses öffnete und zwei Männer heraustraten. Der vordere trug einen Pickel auf der Schulter, der andere eine Schaufel, und sie gingen gegen die Kirche zu, in den Friedhof. Die eiserne Gittertür kreischte und fiel klirrend ins Schloß. Nun konnte es jeder wissen, daß die beiden Totengräber waren, und daß an diesem schönen Tage, mitten in dem emsigen Leben, ein Mensch gestorben war. Die zwei blieben nicht im Friedhof, sie stiegen über die niedrige Mauer und fingen neben derselben in einem verwahrlosten, kleinen Grasflecke zu graben an. Das war ungeweihte Erde, in die man Selbstmörder und ungetaufte Kinder legt. Es hatte sich aber kein Erlbacher selbst entleibt, sondern das neugeborene Kind des Schullerbauern Andreas Vöst war unter den Händen der Hebamme gestorben. Diese Person hatte nicht die Geistesgegenwart, sogleich die Nottaufe zu vollziehen; die Mutter war bewußtlos, und sonst war niemand anwesend, denn alle Hände waren zur Arbeit aufgeboten. So geschah es, daß die kleine Vöst nicht in den Schoß der heiligen Kirche gelangte und als Heidin nach einem viertelstündigen Leben verstarb. Ich weiß nicht, ob der liebe Gott den unchristlichen Zustand eines Kindleins so hart beurteilt wie seine Geistlichen, aber das eine ist gewiß, daß es nicht in geweihter Erde ruhen darf, worein nur Christen liegen; darunter manche sonderbare. Also deswegen warf der Totengräber Kaspar Tristl mit seinem Sohne neben der Kirchhofmauer die Grube auf. Er nahm den Hut ab; jedoch nicht aus Ehrfurcht, sondern weil es ihm warm wurde. Er wischte sich mit dem Hemdärmel über die Stirn und sagte:? »Wenn er g’scheit g’wen war, hätt er g’sagt, daß er eahm selm g’schwind d’Nottauf geben hat.« – Er meinte den Schuller. »Ja no,« sagte der Sohn und schaufelte gleichmütig weiter. Der Alte spuckte in die Hände und brummte: »Eigentli is ’s dumm.« Dann arbeitete er wieder drauf los, und nach einer Weile war das Grab fertig. Es war klein und unansehnlich. Und da die Erde nicht sorgfältig daneben aufgeschichtet war, sondern mit Grasstücken untermengt herumlag, sah es recht jämmerlich aus. Tristl dachte wohl, daß es für ein Heidenkind schön genug sei, und er stieg bedächtig über die Mauer zurück. Es war spät geworden; die kleinen Holzkreuze der Armen lagen im Schatten, aber auf die hohen Grabsteine schien die Abendsonne, und die goldenen Buchstaben glänzten schier heller als am Tage. Die Reichen haben es überall besser. Der Totengräber ging mit seinem Sohne durch den Friedhof. Als er draußen war, sah er einen Mann mit raschen Schritten gegen den Pfarrhof zueilen. »Aha!« sagte er, »der Schuller geht zum Pfarrer. Dös werd eahm weng helfen.« Und er setzte hinzu: »Eigentli is ’s dumm, daß a jeder Spitzbua drin liegen derf, und an unschuldig’s Kind net.« Der Pfarrhof von Erlbach ist ein schönes, stattliches Gebäude, zwei Stockwerke hoch, jedes mit sechs Fenstern nach der Straße hinaus. An der hellgetünchten Mauer rankt üppige Klematis hinauf und gibt dem Hause ein freundliches Aussehen. Davor liegt ein Blumengarten; so bunt, wie es der Geschmack hierzulande liebt. Rote und gelbe Georginen, blasse Malven, dazu Astern in allen Farben sind in reichlicher Fülle da. Die Beete sind mit Reseden eingefaßt, und am Zaune bemerkt man auch eine Blume mit braunem Sammetkleide. Man heißt sie die schwäbische Hoffahrt. In der Mitte des Kiesweges, welcher zur Türe führt, ist ein Springbrunnen; daraus steigt ein Wasserstrahl in die Höhe, nicht dicker als eine Stricknadel, und fällt mit einem kaum vernehmlichen Plätschern nieder. Es ist ein Ort der Beschaulichkeit. Und darüber liegt eine Ruhe, welche dem heiligen Charakter des Hauses angemessen ist. Der Pfarrer wandelt hier mit ruhigen Schritten, während er im Gebete versunken ist; und der Kooperator geht so leise herum, daß man das Schmatzen seiner Lippen hört, wenn er sein Brevier liest. Ein gottseliges Wesen ist in der Luft und dringt durch die Fenster und Schlüssellöcher. Unsichtbare Englein fliegen herum, durch keinen rauhen Lärm verscheucht. Alle Türen klinken leise ein, und die fleischlichen Menschen schlürfen auf Pantoffeln durch den gewölbten Gang. An allen Wänden ist Frömmigkeit, nichts als Frömmigkeit. Hier hängt das Bild des Erlösers mit der Dornenkrone. Dicke, rotgemalte Blutstropfen stehen auf seiner Stirne und rinnen über den goldgestickten Krönungsmantel herab; dort ist Maria zu erblicken, die ihr Antlitz schmerzlich zum Himmel richtet. Aus ihren Augen...