Levison Hoffnung ist Gift
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-552-06204-7
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Deuticke im Zsolnay
ISBN: 978-3-552-06204-7
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jeff Sutton, Taxifahrer in Dallas, USA, fährt eine Frau vom Flughafen in eine noble Villengegend. Da sie nicht genug Geld dabeihat, bittet ihn die Dame noch mit ins Haus. Als kurz darauf ihre zwölfjährige Tochter verschwindet, steht für die Polizei fest, dass hier nur einer als Täter in Frage kommt. Der unbescholtene Taxifahrer wird in Untersuchungshaft genommen und im Trakt der Todeskandidaten untergebracht. Dort ist sein einziger Gefährte Robert, ein gefühlskalter Mörder. Ausgerechnet er glaubt an Jeffs Unschuld - aber glaubt Jeff selbst noch an Gerechtigkeit? Am Tag der Urteilsverkündung nimmt sein Fall eine überraschende Wendung ... Ein Krimi, der auf einer wahren Geschichte beruht.
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Kapitel zwei
Alles wird sich noch klären, ich weiß. Ich vertraue dem »System«. Morgen bekomme ich einen Anwalt, der diesen Bullen klarmachen wird, was für lächerliche Schlussfolgerungen sie aus so wenig Beweismaterial gezogen haben. Mein Anwalt wird in meinem Namen auf den Tisch hauen und mit juristischen Phrasen so um sich werfen, dass diese Polizisten in Scham versinken werden. Kleinlaut werden sie mir vor dem Richter die Handschellen abnehmen und mich nach Hause schicken. Der Richter wird sich vielleicht sogar entschuldigen, und ich werde die Entschuldigung annehmen, weil ich so erleichtert sein werde, dass sich alles aufgeklärt hat. Ich werde Verständnis dafür zeigen, dass es vielfach nicht anders geht, wenn man es mit Kriminellen, Perversen und notorischen Lügnern zu tun hat. Ich werde die Sache aus der Perspektive der Polizei sehen, und die Inspektoren aus meiner. Gut möglich, dass es zu einem Shakehands kommt. Das stell ich mir so vor, während ich im orangefarbenen Overall auf meiner Holzpritsche liege. Die fluoreszierenden Deckenlampen tauchen die Zelle in ein scharfes, weißes Licht, in dem an Schlaf gar nicht zu denken ist. Im Keller der Westboro Police Station befinden sich vier Zellen, im traditionellen Stil mit Gitterstäben und Schiebetüren. Zwei Zellen sind besetzt. Beim Eintreten bin ich an einem traurig dreinblickenden Mexikaner vorbeigeführt worden, der allein in der ersten Zelle sitzt. Er starrt den Boden an, seine Hände im Schoß gefaltet. Seit über einer Stunde liege ich jetzt auf meinem Bett, ohne dass ich die leiseste Bewegung von dem Mann vernommen hätte. Die schwere Stahltür, die in den Flur führt, öffnet sich, und ich höre das typische Klingeln eines Schlüsselbundes, im Hintergrund Stimmen. Jeder Ton wird von den Betonziegeln zurückgeworfen, Aufmerksamkeit heischend, den eigenen Gedankenfluss störend. »Rodriguez«, ruft eine gelangweilte Stimme. Ich höre schlurfende Schritte und das Schlagen von Metall, als Rodriguez’ Zellentür geöffnet wird. »Nein, ist nicht nötig. Du gehst auf Kaution raus.« Ich stelle mir vor, dass Rodriguez aufgestanden ist und seine Hände auf den Rücken gelegt hat, in Erwartung der Handschellen. »Komm schon«, sagt der Hilfssheriff. »Komm raus. Du hast die Kaution gekriegt.« Rodriguez scheint kein Englisch zu verstehen, weshalb der Hilfssheriff immer lauter wird und schließlich in Tarzan-Sprache schreit: »NEIN! ALLES OKAY! KAUTION! KEINE HANDSCHELLEN! DU GEHEN!« Türen werden geöffnet und geschlossen, nach ein paar Augenblicken ist wieder alles ruhig. Ich bin jetzt der einzige Insasse im Westboro-Knast. Ausgestreckt auf meiner Holzpritsche, starre ich an die Decke. Ich drehe mich hin und her, um es mir bequemer zu machen, aber versuch mal, auf einer Spanplattenbank ein wenig Komfort zu finden! Auch der Betonboden, die Edelstahltoilette und die Stahlstäbe in den Fenstern – alles auf Funktion und Haltbarkeit angelegt, nicht auf Bequemlichkeit. Sogar das Licht ist hier drinnen hart. Mir fällt ein, dass ich morgen früh wieder zum Verhör antreten muss und bis dahin möglicherweise keine Minute geschlafen haben werde. Die Zelle ist fensterlos, und ich habe keine Ahnung, wie spät es ist. Könnte Mitternacht sein. Könnte vier Uhr morgens sein. Könnte aber auch schon nach der Frühstückszeit sein, die Tür könnte jeden Augenblick aufgehen, und Dave und Power-Grinser könnten draußen stehen, bereit, mich in meinen Verhörraum zurückzuführen, um mir dort immer wieder dieselben Fragen zu stellen. Aus irgendeinem Grund erscheint mir die Uhrzeitfrage plötzlich von so enormer Wichtigkeit, dass ich beinahe in Panik gerate. Wenn ich wüsste, wie spät es ist, würde das natürlich absolut gar nichts ändern, zumal ich in dieser Zelle ohnehin nichts weiter tun kann als herumsitzen und warten. Von der anderen Seite der Stahltür, wo es in den Zellenbereich zurück geht, dringt Lärm zu mir durch. Gleich darauf wird die Tür geöffnet, zwei Hilfssheriffs bringen einen tobenden jungen Kerl in Jeans und T-Shirt rein. Er ist betrunken und brüllt den beiden Beamten, die ihn in eine Zelle drängen, sinnloses Zeug entgegen. »Hey, Männer, ihr wisst wohl nicht, mit wem ihr euch da eingelassen habt!«, ruft er aus, nachdem sie endlich die Zellentür hinter ihm zubekommen haben. Er hört auch nicht auf zu schreien, nachdem sie gegangen sind und die Stahltür geschlossen haben. »Mein Daddy reißt euch den Arsch auf! Ihr Trottel! Arschlöcher! Ihr tut mir ja so leid! Wie ihr mir leid tut!« Er trägt Straßenkleidung anstatt der Anstaltsuniform, die man mir zugeteilt hat. Daraus schließe ich, dass man ihn auf Kaution rauslassen wird. Vielleicht Trunkenheit am Steuer oder ungebührliches Verhalten in betrunkenem Zustand. Er denkt, er ist allein hier drinnen, mich hier am anderen Ende bemerkt er nicht. Lauthals verflucht er noch immer die beiden Hilfssheriffs, als diese längst gegangen sind. »Diesmal habt ihr Scheiße gebaut! Da seid ihr jetzt aber an den Falschen geraten! In eurer Haut möcht ich nicht stecken, wenn ihr morgen checkt, was hier tatsächlich abgeht!« Und so weiter und so weiter. Jeder Satz wird einzeln vom Metall und den Betonziegeln zurückgeworfen und als Echo durch den Gang geschickt. Ich liege auf der Pritsche und starre an die Decke. Frage mich, wann es ihm reicht mit Herumbrüllen, wann endlich die deprimierende Wirkung des Alkohols einsetzt und ihn runterholt. Irgendwann hört er auf, Worte zu schreien, und heult bloß noch vor sich hin, ein langgezogenes Jaulen vor Zorn und Verzweiflung. Ich halte mir die Ohren zu. Dann hör ich einen Aufprall, offenbar ist er auf den Boden gefallen. Sein Geheul nimmt eine resignative Färbung an, wechselt dann ins Weinerliche, um schließlich in lautes Schnarchen überzugehen. Schade. Ich hatte gehofft, er könnte mir die Uhrzeit verraten. Einige Stunden später öffnet sich erneut die Tür. Diesmal kommt nur ein einziger Hilfssheriff rein, mit einem Tablett in der Hand. Er kommt rüber zu meiner Zelle und schiebt das Tablett durch den zu diesem Zweck aus den Stäben ausgesparten Schlitz hindurch. »Frühstück«, verlautbart er. Ich erhebe mich von meiner Liege und werfe einen Blick auf das Tablett. Zwei Stück Weißbrot mit einem einsamen Stück Wurst auf einem Pappteller. Das Ganze begleitet von einem Pappbecher mit circa dreißig Milliliter einer violetten Flüssigkeit. In einem ersten Impuls will ich das Angebot, das mir wie eine Beleidigung erscheint, ablehnen. Doch ich bin hungrig, und jetzt fällt mir ein, dass ich schon zum Zeitpunkt meiner Verhaftung hungrig war und mir bereits überlegt hatte, was ich mir bei Charlie in der Bar wohl zum Essen bestellen würde, als die Polizisten an die Tür kamen. Ich bin die ganze Zeit über hungrig gewesen und hab es nicht einmal bemerkt. Ich zieh das Tablett durch den Schlitz und klemm die Wurstscheibe so zwischen die zwei Brote, dass das Ding einem Sandwich ähnlich sieht. Die Wurst sondert einen seltsamen Geruch ab, mehr nach Chemikalien als nach Fleisch, aber ich schlinge sie runter. Ich stelle fest, dass ich auch durstig bin, und rieche an der violetten Flüssigkeit. Die riecht ebenfalls chemisch, und dies so stark, dass es mich würgt. Es handelt sich um eines dieser mit Wasser aufgegossenen Saftpulver, wobei in diesem Fall das empfohlene Wasser-Pulver-Verhältnis eindeutig verfehlt wurde. Ich stehe auf und drücke mein Gesicht gegen die Stäbe, in der Hoffnung, den Wachebeamten noch zu erwischen, bevor er durch die Stahltür entschwindet. »Hey, Mann, hätten Sie mal einen Schluck Wasser für mich?«, frag ich. Er ignoriert mich, die Stahltür fällt dröhnend ins Schloss. Das trockene Sandwichbrot hat sich in meinem Mund in feuchte Lappen verwandelt. Um sie irgendwie runterzubekommen, mach ich noch einen Versuch mit dem Pappbecher. Ich halte ihn mir zum Mund, schließe die Augen, und gerade als ich schlucken will, löst der chemische Geruch wieder diesen Würgereflex in mir aus. Ich lasse die gekauten Brotbrocken in den Becher fallen und stell das klebrige Gesöff auf meine Holzpritsche. In wenigen Augenblicken hat der scharfe, penetrante Geruch jeden Quadratzentimeter meiner Zelle verseucht. Mein Anwalt entspricht gar nicht dem Bild des jungen Gerechtigkeitsfanatikers, den ich mir erhofft hatte. Es ist vielmehr so, dass er mich ganz offenbar nicht ausstehen kann, und bei unserem ersten Treffen macht er auch keinen Hehl daraus. »Ich habe mir diesen Fall nicht gewünscht«, teilt er mir mit, während ich mich zu ihm an den Tisch setze. »Ich war gerade dabei, auf Urlaub zu gehen, und dann geben sie mir ausgerechnet diesen Fall da!« Ich bin mir nicht sicher, ob sich die Verachtung, mit der er die letzten Worte geradezu ausgespuckt hat, meiner Person, meinem Fall, der Anklage gegen mich oder einfach seinem entgangenen Urlaub verdankt. Wahrscheinlich von allem ein wenig, denke ich. Jedenfalls darf ich sein Publikum sein, wenn er seinen Frust loswerden will, so viel steht schon mal fest. Wir sind im Gericht. Haftprüfungstermin. Ich habe seit meiner gestrigen Festnahme außer dem ungenießbaren Frühstück weder zu essen noch zu trinken bekommen. Meine Kehle ist trocken und fühlt sich kratzig an, und vor Hunger wird mir schwindlig. Ich sehe meinem Anwalt zu, wie er ein Stück einer Süßspeise aus einer Serviette auswickelt und davon abbeißt. Als ich sehe, wie kleine Splitter einer weißen Glasur auf den Tisch fallen, beginne ich mich zu fragen, ob es wohl einen sehr erbärmlichen Eindruck machen würde, wenn ich die Glasurbröselchen aufpickte? Er quasselt inzwischen über Haftprüfungen und Schuldbekenntnisse. »Der Staatsanwalt sagt, wenn Sie uns verraten, wo sich das...