Lieb / Schorr / Kamenik | Ambivalente Identitäten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 213 Seiten

Reihe: Bildung: Demokratie

Lieb / Schorr / Kamenik Ambivalente Identitäten

Erziehungswissenschaftliche Reflexionen zu Étienne Balibar und Immanuel Wallerstein
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7799-8919-6
Verlag: Julius Beltz GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Erziehungswissenschaftliche Reflexionen zu Étienne Balibar und Immanuel Wallerstein

E-Book, Deutsch, 213 Seiten

Reihe: Bildung: Demokratie

ISBN: 978-3-7799-8919-6
Verlag: Julius Beltz GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Band versammelt erziehungswissenschaftliche Beiträge zu Balibars und Wallersteins »Rasse, Klasse, Nation« und diskutiert Bildung und Erziehung vor dem Hintergrund neomarxistischer Gesellschaftskritik. Ausgehend von Klassenverhältnissen bilden Rassismus und Sexismus für Balibar und Wallerstein den Bezugspunkt der Analyse eines Weltsystems ökonomisch integrierter Nationalstaaten. Welche konstitutive Rolle institutionalisierte Bildungssysteme und pädagogische Praxis innerhalb dieses Zusammenhangs spielen, wird zum Gegenstand der erziehungswissenschaftlichen Reflexion gemacht.

Daniel Lieb ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Bildung und Kultur an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seine Arbeits- und Forschungsgebiete sind Geschichte und Theorie von Bildung und Erziehung, Rassismuskritische Pädagogik und Qualitative Methoden. Sophia Schorr ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich gender studies und qualitative Methoden am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Goethe Universität in Frankfurt. Zu ihren Arbeits- und Forschungsgebieten zählen gender studies, Geschichte und Theorie von Bildung und Erziehung und Methoden qualitativer Bildungsforschung. Anna Kamenik studiert im Master »Bildung und Erziehung: Kultur - Politik - Gesellschaft« an der Universität Tübingen. Sie forscht im Bereich der Demokratie- und Wertebildung und gestaltet Beteiligungs- sowie Begegnungsprojekte für heterogene Gruppen. Marcus Emmerich ist Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Inklusion, Diversität und Heterogenität an der Universität Tübingen. Den aktuellen Schwerpunkt seiner theoretischen und empirischen Forschung bilden Schließungs- und Ungleichheitsmechanismen sozialer Systeme, insbesondere des Erziehungssystems. Sebastian Engelmann ist Juniorprofessor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Aktuelle Arbeits- und Forschungsgebiete sind Exil, Krieg und Pädagogik und Demokratiepädagogik in Geschichte und Gegenwart.

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„Rasse, Klasse, Nation“
Reflexionsprobleme einer unscharfen Theorie der Gesellschaft Marcus Emmerich 1.Welcher Rassismus in welcher Gesellschaft?
In seinem Nachwort zu „Rasse, Klasse, Nation“5 fasst Immanuel Wallerstein das Grundproblem, mit dem sich das gemeinsam mit Étienne Balibar verfolgte Theorieprojekt beschäftigt, wie folgt zusammen: „Wie also kann die Gegenwart begriffen werden? Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder sind Rassismus, Sexismus und Chauvinismus ewige, den Menschen angeborene Übel. Oder es handelt sich um bösartige Phänomene, die aus gegebenen historischen – und von daher veränderbaren – Strukturen erwachsen.“ (RKN, S. 274). Selbstverständlich wird die erste Option verworfen und die zweite, die Analyse der ‚historischen Strukturen‘, favorisiert, um die Gegenwart begreifen zu können. Als Balibar und Wallerstein Mitte bis Ende der 1980er Jahre ihre Diskussion des modernen Rassismus und seiner Verbindung zu Klassenantagonismen sowie einem global institutionalisiertem Nationalstaatensystem anstrengten, war diese Gegenwart indes eine andere als die des Jahres 2024. Es war damals nicht absehbar, dass sich der Ost-West-Systemkonflikt alsbald in einem Phänomen aufheben würde, das den Eigennamen ‚Globalisierung‘ erhielt und nicht nur eine historisch neue Dynamik der politischen Grenzziehung, -verschiebung und -auflösung freisetzte, sondern auch neue kulturalistische Ideologisierungen motivierte (etwa Huntingtons Ideologem eines ‚Clash of Civilizations‘). Auch konnten beide nicht antizipieren, dass das südafrikanische Apartheid-Regime Mitte der 1990er Jahre ‚Geschichte‘ sein und fast zeitgleich der Genozid in Ruanda stattfinden würde. Ihren Analysen fehlt die historische Erfahrung einer von globalpolitischen Barrieren entfesselten postkolonialen Profitökonomie, deren Expansion eine weltumspannende Reorganisation wirtschaftlicher Ausbeutungsstrukturen bedingte. Auch der ‚Arabische Frühling‘ und seine gewaltsame Niederschlagung, die Ausbreitung des sogenannten ‚Islamischen Staates‘, das aggressive Hegemoniestreben Russlands und Chinas, das Massaker der Hamas an israelischen Zivilist:innen und die extensive militärische Reaktion Israels – diese ‚Antagonismen‘ liegen noch jenseits des Erfahrungsraumes von ‚Rasse, Klasse, Nation‘.6 Was bedeutet all dies für die Formulierung einer Sozialtheorie des Rassismus heute? (Welt-)gesellschaftlicher Wandel bringt jede Gesellschaftstheorie in eine historische Distanz zu ihrem Gegenstand, deshalb interessiert im Folgenden, welche systematische Erklärungskraft ihre gesellschaftstheoretischen Gegenwartsbeschreibungen drei Dekaden später noch haben. Die folgenden Überlegungen setzen entsprechend im Modus einer ‚immanenten Kritik‘ an, die in und aufgrund der Diskussion zwischen Balibar und Wallerstein mithin bereits angelegt ist, wobei sich die folgende Diskussion primär mit Balibars Überlegungen auseinandersetzt. Ein solches Vorgehen impliziert nicht die Zurückweisung des Projektes von ‚Rasse, Klasse, Nation‘; gleichwohl wird infrage gestellt, ob eine Theorie über die „Spezifik des heutigen Rassismus“ (so Balibar in seinem Vorwort, RKN, S. 5) in der Gegenwart nahtlos an Balibars und Wallersteins Projekt anschließen kann. Ausgehend von dem Befund einer bei Balibar und Wallerstein fehlenden, zumindest aber unzureichend ausgearbeiteten Differenzierungstheorie der (Welt-)Gesellschaft, die das Problem einer Primordialität nicht-nationaler, nicht-kapitalistischer Sozialformen ungelöst bestehen lässt (2), wird vorgeschlagen, im Theoriemilieu der Luhmann’schen Systemsoziologie, in der Gesellschaft tatsächlich nur (!) als ‚Weltgesellschaft‘ denkbar ist, fernab methodologischer Nationalismen, nach einer Lösung zu suchen (3). Im Horizont ‚funktionaler‘ Gesellschaftsdifferenzierung stellt sich die Frage nach dem Systemcharakter und der klassifikatorischen Funktion eines ‚polykontexturalen Rassismus‘ entsprechend differenzierter (4) – auch in Bezug auf das Erziehungssystem (5). Abschließend werden sozialtheoretische Reflexionsprobleme diskutiert, die das Projekt ‚Rasse, Klasse, Nation‘ strukturell aufweist und deren wissenschaftliche und politische Konsequenzen problematisiert (6). 2.Ambivalente Strukturgenese: Rasse-Klasse-Nation
In seinem Vorwort skizziert Balibar den übergeordneten Problembezug des Theorieprojekts, das darin besteht, „die Spezifik des heutigen Rassismus“ mit dem Problem der Klassenspaltung und der Rolle des Nationalstaates verbinden zu wollen (RKN, S. 5). Balibar schreibt weiter: „Anstatt uns die kapitalistische Arbeitsteilung als etwas vorzustellen, was die menschlichen Gesellschaften zu relativ stabilen ‚Kollektiven‘ macht, müssten wir sie vielleicht als etwas denken, das sie zerstört. Oder vielmehr als etwas, das sie zerstören würde (indem sie ihren inneren Ungleichheiten die Form unversöhnlicher Antagonismen gibt), wenn es nicht andere soziale Praktiken gäbe, die ebenso materiell, aber nicht auf das Verhalten des homo oeconomicus reduzierbar sind […].“ (RKN, S. 12) Die Geschichte der Gesellschaftsformationen wäre daher eine Geschichte der „Reaktionen des Komplexes der ‚nicht-ökonomischen‘ Gesellschaftsverhältnisse, die ein historisches Gemeinwesen zusammenhalten und es vor der Entstrukturierung schützen, von der es durch die Expansion der Wertform bedroht ist.“ (RKN, S. 13) Wie ist dieses supponierte ‚historische Gemeinwesen‘ (im englischen Text ‚community‘) aber entstanden? Um was für eine vor-kapitalistische Sozialform handelt es sich im Fall ‚nicht-ökonomischer Gesellschaftsverhältnisse‘? Balibars Texte bleiben die Antwort auf diese Frage schuldig. Rekonstruieren lässt sich hier indes, dass Balibar offenbar drei strukturgenetische Mechanismen – der Ökonomie, der Politik und der Gemeinschaftsbildung (und damit auch ihre Struktureffekte: Klasse, Nation, Rasse) – analytisch voneinander trennt. Auf diese Weise kann er zwar mit der ableitungsmarxistischen Kausalität von Haupt-/Nebenwiderspruchskonstrukten brechen, jedoch um den Preis, zwischen diesen drei gesellschaftlichen Strukturmomenten nunmehr neue Verbindungen finden zu müssen. Balibars Annahme, dass nicht nur von einem „Rassismus ohne Rassen“, sondern auch von einem „Klassenkampf ohne Klassen“ (RKN, S. 206) ausgegangen werden müsse, zeigt explizit an, dass aus seiner Perspektive kein Primat der Ökonomie besteht. Klassenantagonismus und gesellschaftliche Strukturreproduktion treten somit auseinander und lassen die Frage virulent werden, ob und in welcher Weise das Marxsche Theoriemodell überhaupt noch ein integrierendes Explanans bietet, das der Komplexität globaler Verhältnisse gerecht werden kann. Die ‚rettende‘ Antwort, die Balibar (mit Wallerstein) findet, besteht in der Subsumtion des Klassengegensatzes unter ein verallgemeinertes Formprinzip der „Universalität des Antagonismus“ (RKN, S. 222), in dessen Horizont Gesellschaft konkret-historisch als Formation differenzierter, aber aufeinander bezogener Antagonismen (Ethnien, Geschlechter, Klassen) erscheint (RKN, S. 221).7 Damit sensibilisiert sich eine ‚post‘-marxistische Gesellschaftstheorie zwar für historische Kontingenz; nunmehr muss aber angebbar sein, welche gesellschaftlichen Prozesse die konkret-historischen ‚Antagonismen‘ ausdifferenzieren (wie unterscheidet sich der Geschlechter- vom Klassenantagonismus?). Die Idee des ‚universellen Antagonismus‘ impliziert zudem, dass es auch eine universelle Gruppenhaftigkeit der Gesellschaft geben muss: Zwischen wem sollten sich sonst antagonistische Beziehungen herstellen? Aber: Welchen gesellschaftlichen ‚Wesens‘ sind die Gruppen, derer sich der universelle Antagonismus bemächtigt? Man könnte das aufscheinende Theorieproblem vielleicht so formulieren: Wie lässt sich mit ‚marxistischen‘ Beschreibungsmöglichkeiten eine andere gesellschaftliche Differenzierungsform als diejenige der...



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