E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Liedtke Heinrich Heine
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-455-81351-7
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein ABC
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-455-81351-7
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Christian Liedtke, geboren 1964 in Hamburg, studierte Germanistik und Philosophie in Hamburg, Cincinnati (USA) und Bonn. Als wissenschaftlicher Archivar am Heinrich-Heine-Institut, Düsseldorf, ist er verantwortlich für den handschriftlichen Nachlass Heinrich Heines und die Redaktion des Heine-Jahrbuchs, außerdem schrieb er eine Heine-Biografie (Rowohlt 2006). Bei Hoffmann und Campe erschienen von ihm zuletzt u. a. Heinrich Heine. Ein ABC (2015) und Das Märchen meines Lebens (2020).
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Cover
Titelseite
Vorwort
Apfeltörtchen
Bretterkonnexionen
Campejaden
Duell
Erzfreund
Ferne
Goethentum
Hamborger
Ideenguillotine
Juliussonne
Korfu
Lessing
Matratzengruft
Nationalzuchthaus
Ökonomie
Porträts
Quellen
Riesenharf
Sammler
Taufzettel
Übersetzung
Vernichtungskrieg
Weltkuddelmuddel
XY-ungelöst
Zeitgenössinnen
Anhang
Über Christian Liedtke
Impressum
Campejaden
Bei dem Wort »Campejaden« fragt man sich: Ist damit ein Gestirn gemeint, wie die Plejaden? Oder eher eine besondere Form von Eskapaden? Wenn man aber weiß, dass es in einem Brief von Heinrich Heine an seinen Verleger Julius Campe steht, dann kann man sich denken, dass Letzteres gemeint sein muss. Denn die beiden verband zwar eine freundschaftliche und erfolgreiche, aber eben auch ausgesprochen konfliktträchtige Beziehung. Mit jenem Wort fasste ein verärgerter Heine in einem Brief, den er am 2. Juli 1835 an Campe schickte, all das zusammen, worunter er, wie er meinte, bei diesem zu leiden hatte: »die Pfeffernüsse, die angeklebten Verlagsanzeigen mit Kotrenommeen, die Schadenfreude bei schlechten Rezensionen, die ewigen Klagen, die großen Auflagen, die kleinen Foppereien, kurz die Julius-Campejaden. Können Sie Ihre Natur etwas für die Zukunft bezwingen, so tun Sie es doch, bitte!«
Was hat es mit den von Heine angeprangerten »Campejaden« im Einzelnen auf sich? Mit der ersten, den »Pfeffernüssen«, spielt er auf einen Streich Campes aus der Hamburger Anfangsphase ihrer Bekanntschaft an: Zur Weihnachtszeit ließ Campe Heine eines Abends eine Tüte Pfeffernüsse bringen. Er wusste, dass Heine gern naschte, und auch, dass er die Rache derjenigen fürchtete, die er in seinen Schriften verspottet hatte. Darum trug er dem Überbringer der Süßigkeiten auf, Heine zu sagen, sie seien ein Geschenk von Professor Hugo aus Göttingen. Der Name des »Absenders« war gut gewählt, denn Gustav Hugo, bei dem Heine sein juristisches Examen abgelegt hatte, war ein prominentes »Opfer« der Akademikersatire in seiner »Harzreise«. Heines Verlagskollege Ludolf Wienbarg berichtete amüsiert, dass dieser bei der nächsten Begegnung mit Campe das Geschenk überhaupt nicht erwähnte, bis der ihn schließlich fragte: »Wie haben Ihnen die Pfeffernüsse geschmeckt? – Sind sie von Ihnen? schrie Heine. Und nun kam es heraus, daß er […] aus Furcht vor Vergiftung sie nicht berührt hatte. Nun werde ich sie essen, sagte er froh und erleichtert.«
Die Begebenheit ist charakteristisch für die unbeschwerte Anfangsphase ihrer Bekanntschaft. Dass die beiden so schnell ein besonderes Verhältnis zueinander fanden, hatte gewiss auch damit zu tun, dass sie fast im gleichen Alter waren, als sie sich 1826 kennenlernten – Heine war neunundzwanzig Jahre alt, Campe dreiunddreißig –, und beide am Anfang ihrer Laufbahn standen. Erst drei Jahre zuvor hatte Julius Campe, der als Freiwilliger in den sogenannten Befreiungskriegen gekämpft hatte, seinem Halbbruder Albert die traditionsreiche Hamburger Verlagsbuchhandlung Hoffmann und Campe abgekauft, in der er einst als Dreizehnjähriger eine Buchhandelslehre begonnen hatte. Nun war er sein eigener Herr und auf der Suche nach einem Profil für seine Firma. Auch Heine war auf der Suche; sein ungeliebtes Jurastudium hatte er abgeschlossen, aber noch keine berufliche Stellung gefunden. Mit seinen ersten beiden Büchern, die in Berliner Verlagen erschienen waren, hatte er sich einen Namen in Literatenkreisen gemacht, jedoch noch nicht beim breiten Lesepublikum. Außerdem hatte er gerade sein bis dahin wichtigstes publizistisches Standbein verloren, die Berliner Zeitschrift . Aus Ärger über abmildernde Veränderungen am Text seiner »Harzreise« hatte er die Zusammenarbeit aufgekündigt. Die »Harzreise« gehörte nun zu dem Manuskript des Sammelbandes, den Heine Campe unmittelbar nach ihrer ersten Begegnung zur Veröffentlichung anbot und den dieser ohne Zögern annahm: dem ersten Teil der »Reisebilder«, mit dem 1826 die gemeinsame Erfolgsgeschichte begann.
Die vierteilige Buchreihe wurde für Autor wie Verleger gleichermaßen zum Markenzeichen. Sie machte Heine zum bekanntesten jungen Autor seiner Zeit und Campe zum führenden Verleger zeitkritischer, engagierter Literatur. »Überall«, schrieb Heine im Dezember 1827 an Campe, »fand ich die Reisebilder en vogue, überall Enthusiasmus, Klage und Staunen, und ich hätte wirklich nicht geglaubt schon so berühmt zu sein. Das hab ich zwei Menschen zu verdanken: dem H. Heine und dem Julius Campe. Diese beiden sollen auch zusammen halten. […] Ich denke wir werden alt zusammen werden und uns immer verstehn.« Campe antwortete pragmatisch: »Gern glaube ich, daß man Sie ehrt, und liest, aber ob die Menschen auch die Notwendigkeit erkennen Ihre Werke zu ? Das möchte ich erreichen«, erklärte er und schloss sogleich eine Mahnung an, die Gunst der Stunde zu nutzen und möglichst bald das Manuskript für den nächsten Band zu liefern. Denn schneller Umsatz hatte für den Geschäftsmann Priorität: »das beste Buch auf dieser Welt, bleibt immer Buch, ist kein bar Geld!«, lautete einer seiner Grundsätze. Der stetig wachsende Buchmarkt verlangte nach Neuheiten: Zwischen 1820 und 1840 steigerte sich die Buchproduktion in Deutschland um 150 Prozent, technische Innovationen erhöhten das Tempo und senkten die Kosten der Herstellung, was auf massenhaften und schnellen Vertrieb ausgerichtete Marktstrategien ebenso begünstigte wie kurzlebigere, auf Aktualität abzielende Verlagserzeugnisse. Auch der Konkurrenzdruck wuchs, besonders auf eine vergleichsweise kleine Firma wie Hoffmann und Campe, worüber sich Julius Campe oft weitläufig und blumig beklagte. Diese Marktbedingungen kamen Reihenpublikationen wie den »Reisebildern« entgegen; das gerade erfolgreiche Buch sollte immer schon Reklame für das nächste sein. Darum fügte Campe manchen Heine-Ausgaben Werbezettel für andere Bücher bei, was Heine zu den ärgerlichen »Campejaden« zählte, da jene »angeklebten Verlagsanzeigen« ihn »mit Kotrenommeen« in Verbindung brachten – Autoren wie Gotthilf August von Maltitz, Georg Nikolaus Bärmann oder Ernst Raupach, die er überhaupt nicht schätzte, deren Werke selbst Campe als »trivialen Quark« abtat, die sich aber gut verkauften. Denn Heine war und blieb zwar das Flaggschiff, aber keineswegs der Beststeller des Verlages, und dass Campe ihm immer wieder gerne die Verkaufszahlen jener anderen Bücher vorhielt, gehörte zu dessen »kleinen Foppereien«, über die Heine sich ärgerte.
»Schadenfreude bei schlechten Rezensionen« warf Heine Campe im Juli 1835 deswegen vor, weil dieser ihm wenige Monate zuvor, als eine kritische Besprechung des zweiten Bandes seines »Salon« erschien, süffisant nach Paris schrieb: »Die Rezension im Phönix erhielt ich eben. Sie ist gut. Sie beginnt mit dem Motto: Hätt’ er was gelernt, brauchte er keine Bücher zu schreiben. Salomon Heine.« Dieser böse Ausspruch, den man Heines Onkel Salomon zuschrieb – seine Echtheit ist nicht verbürgt –, wurde von Heine-Gegnern immer wieder hämisch zitiert. Dass Campe sie ihm unter die Nase rieb, verletzte Heine, zumal der Verleger das schwierige Verhältnis zwischen Heine und seinem Onkel (? Hamborger) sehr genau kannte. Campe rechtfertigte sich: »Meine Neckereien, wie Sie es nennen, wenn ich Ihnen eine feindliche Rezension sende, sollten Sie nicht so beurteilen. Wozu brauche ich Ihnen Lob zu senden? Das ist überflüssig; wir wissen, was wir wert sind. Aber boshafte, hämische Angriffe, die kann man nicht gleichgültig ansehen, die muß man kennen.« Diese Haltung war charakteristisch für Campe, der Heine schonungslos über das Auf und Ab seiner Wertschätzung in der Öffentlichkeit unterrichtete. Für den Autor, der im Pariser Exil nur eingeschränkten Zugang zur deutschen Presse hatte, waren das durchaus wichtige Informationen, auch wenn Campe sie tatsächlich gerne mit »Neckereien« garnierte und zum Druckmittel bei Verhandlungen machte. Der Verleger bemühte sich allerdings auch stets um positive Rezensionen von Heines Büchern. Er wusste, wie wichtig das Image eines Autors war. »Wie der Schiffer nach dem Winde seine Segel stellen muß – so hat der Publizist die Interessen und Ideen eines Volkes und seine Empfänglichkeit zu wahren und sich seinen Bedürfnissen anzuschmiegen«, mahnte er Heine, der sich eine solche Haltung jedoch keinesfalls zu eigen machte und manchmal sogar bewusst gegen diejenigen Strömungen anschrieb, die sein Verleger ihm ans Herz legte – etwa im Falle der patriotisch-politischen »Tendenzpoesie«, mit der Campe-Autoren wie Ferdinand Freiligrath oder Hoffmann von Fallersleben große Verkaufserfolge hatten. Heine kritisierte sie als unpoetisch und versuchte sie mit seinen »Zeitgedichten« zu übertrumpfen.
Über »die großen Auflagen« beschwerte Heine sich, da ein Autor zu jener Zeit keine Tantiemen erhielt, sondern ein einmaliges Honorar – und je größer die Auflage war, desto länger dauerte es natürlich, bis eine neue gedruckt werden musste, für die er dann ein weiteres Honorar fordern konnte. Das Misstrauen war verständlich, da Heine die tatsächliche Auflagenhöhe nicht überprüfen konnte. Als er einmal gefragt wurde, ob er glaube, dass man ihm einmal ein Denkmal setzen würde, soll er darum sarkastisch geantwortet haben: »In Hamburg hab’ ich schon eins […], ein schönes, großes Haus, das dem Verleger meiner Reisebilder, Herrn Julius Campe gehört. Das ist ein prachtvolles Monument aus Stein, in dankbarer Erinnerung an die vielen und großen Auflagen meines Buches der Lieder.« Insgesamt war Campe in dieser Hinsicht allerdings redlich und zudem gar nicht daran interessiert, Ladenhüter zu produzieren. Die erste Auflage des »Buchs der Lieder« erwies sich 1827 mit 2000 Exemplaren jedoch tatsächlich als zu groß. Liebeslyrik stand beim Publikum nicht besonders hoch...