Link | Mannfrau | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 216 Seiten

Link Mannfrau

Ein Oral-History Roman. Mit Fotografien
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-293-30936-4
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Oral-History Roman. Mit Fotografien

E-Book, Deutsch, 216 Seiten

ISBN: 978-3-293-30936-4
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gita und Niveda leben gemeinsam in einem Slum im Süden Indiens mit anderen Außenseitern der Gesellschaft. Gita ist intergeschlechtlich, Niveda zu diesem Zeitpunkt noch ein Junge, der wegen seiner Andersartigkeit verstoßen wurde. Auf der Reise nach Bombay, wo Niveda bei einer Operation die Geschlechtsteile abgetrennt werden, verlieren sich Gita und Niveda aus den Augen. Gita wird adoptiert und zur Tänzerin ausgebildet. Niveda arbeitet als Prostituierte. Als Erwachsene begegnen sich Gita und Niveda wieder. Sie verbringen ihr Leben am Rande eines Dorfes und bleiben Außenseiter. Heute ist Gita eine berühmte Tänzerin mit Auftritten in aller Welt und lebt in Mumbai.

Mit Gita und Niveda führt die Ethnologin Dr. Hilde Link in die Anmut, in die Spiritualität, in den Horror von Indien.

Link Mannfrau jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Vorwort
in memoriam GANGU, großherzig, gerecht und selbstlos, eine wahre Freundin Als ich Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts begann, über die tamilischen »Ali« zu forschen, war das Thema Transsexualität (ich benutze der Einfachheit halber diesen Begriff, obwohl er – wie die Autorin dieses Buches in ihrer Einleitung deutlich macht – nicht alle Aspekte des hier Angesprochenen abdeckt) in Indien noch relativ unbekannt und unbearbeitet. Neben wenigen ersten (Auto-)Biographien, welche zudem zumeist von Hijras stammten, deren Kultursphäre sich von der der Alis stark unterscheidet, gab es zu der Zeit hauptsächlich Erwähnungen und kurze Ausführungen dieses Themas am Rande, in Werken, die sich primär mit übergreifenden Thematiken befassten. So war ich zu fast einhundert Prozent auf eigene Feldforschung und Interviews angewiesen. Im Jahre 2001 war ich dann soweit, einen längeren Artikel über die Ali zu veröffentlichen, in dem damals von mir herausgegebenen Online-Journal KOLAM. Im Folgenden werde ich zuweilen ohne weitere Angaben aus diesem Artikel zitieren. Inzwischen sind die Ali – oder, wie sie sich heute nennen, Tirunankai – intensiv auf der politischen Bühne Südindiens aktiv und haben sich, zusammen mit ihren nordindischen Schwestern, zahlreiche Rechte und politische Anerkennungen erkämpft, darunter zum Beispiel die Regelung, dass auf offiziellen indischen Formularen, in denen man sein Geschlecht angeben muss, neben »männlich« und »weiblich« nun auch regelmäßig der Eintrag »anders« erscheint, was dieser Gruppe in der indischen Bevölkerung eine offizielle Stellung bescheinigt. Gerade dadurch wird zum Beispiel auch der Weg in »normale« Berufe heutzutage bei Weitem leichter als noch in den 90er Jahren: Ich kenne persönlich mehrere Ali, welche Lehrerinnen, Händlerinnen, Inhaberinnen von Beamten-Posten sind, und solche, die in ihren Wohngebieten inzwischen angesehene Persönlichkeiten sind, die sogar zu politischen Sprecherinnen auf lokaler Ebene gewählt wurden. Ohne die allgemeine Situation beschönigen zu wollen, habe ich den Eindruck, dass sich die Situation der Ali in den letzten zwei Jahrzehnten bedeutend verbessert hat. Bereits in den späten 90er Jahren antwortete mir GANGU – eine meiner Haupt-Informantinnen aus der Gruppe der Ali – in einem inzwischen von mir veröffentlichten Video-Interview auf die Frage, warum Alis häufig verlacht, vertrieben und ausgegrenzt werden, dass dies auch oft an ihrem eigenen Verhalten liege. Wörtlich: »So, wie wir uns benehmen, werden wir auch von anderen behandelt. Stell dir ein Dorf vor, in dem jemand sich auffällig benimmt. Dieser wird von der Dorfgemeinschaft zurechtgewiesen. So ist es auch mit uns …« Gangu selbst legte größten Wert auf korrektes Verhalten und erntete im Gegenzug den Respekt ihrer Umgebung. Sie war eine einflussreiche Person – nicht nur unter Ihresgleichen: Sie war eine »Mutter« (Gangu selbst benutzte den Ausdruck »Guru« – also »Lehrer«), die zahlreiche »Töchter« anleitete –, sondern auch in der sie umgebenden allgemeinen Gesellschaft, in welcher sie zeitweilig sogar die Rolle einer regionalen politischen Führerin innehatte. In zahlreichen Autobiographien von Angehörigen gesellschaftlicher Minoritäten (in Indien, neben den Ali/Hijra, etwa auch Dalits und Angehörige von Stammesgesellschaften) findet man oft einen übertriebenen Negativismus, in dessen Rahmen alles, was dem Protagonisten/der Protagonistin im Leben zustößt, allein durch die Zugehörigkeit zu der entsprechenden Minorität erklärt und begründet und so als Unterdrückungsmaßnahme dargestellt wird. Das Fehlen von Selbstkritik und die in diesem Sinne übertriebene Schuldzuweisung nach außen haben dabei oft eine kontraproduktive Konsequenz, da der Leser nicht mehr zwischen den vorgeschobenen und den durchaus existierenden tatsächlichen Minoritäten-Problemen unterscheiden kann und somit auch die letzteren nicht mehr ernst zu nehmen bereit ist. Daher sind selbstkritische und positive Äußerungen wie die von Gangu (oder, im Bereich der Tamil-Dalits, etwa die außergewöhnliche Autobiographie von Viramma) von großer Bedeutung, da sie das reale Bild zurechtrücken und den Leser im Endeffekt viel tiefer beeindrucken als die übertrieben negativistischen Darstellungen. In diesem Zusammenhang begrüße ich auch die im vorliegenden Buch gegebene Darstellung des Ali-Lebens in Form einer auf »oral history« basierenden romanhaften Erzählung sehr. Hier erscheinen Negatives und Positives als relativ ausgewogen, wir haben Teil an Alltagssituationen und an Gedanken der Protagonistinnen, wodurch wir die dargestellten Personen als Teile der sie umgebenden Gesellschaft wahrnehmen und auch ihre Probleme im jeweiligen Kontext verstehen können. Meinem weiter oben erwähnten Artikel über die Ali hatte ich den Titel »The Mystery of the Threshold« (»Das Mysterium der Schwelle«) gegeben, womit ich anspielen wollte auf eine alte Legende über Gott Vishnu in seiner Form als Narasimha oder »Mann-Löwe«. Diese Legende erzählt, dass der dämonische König Hiranyakashipu sich strengster Askese unterzog und den Göttern zahlreiche Opfer darbrachte, um sie so letztendlich zu zwingen, ihm einen Wunsch zu gewähren. Als die Götter sich diesem Druck schließlich beugen mussten und Hiranyakashipu fragten, was denn sein Wunsch sei, verlangte er, nicht getötet zu werden weder von einem Menschen, noch von einem Tier, weder bei Tag, noch bei Nacht, weder im Innern, noch außerhalb seines Palastes. Die Götter gewährten diesen Wunsch gezwungenermaßen, und so fühlte Hiran-yakashipu sich vollkommen sicher und unsterblich. Er begann, die Erde und das gesamte Universum zu tyrannisieren, bis die Götter die Situation unerträglich fanden und beschlossen, etwas zu unternehmen. In der hinduistischen Mythologie nimmt jedes Mal, wenn das Universum in Gefahr ist, Vishnu eine geeignete Gestalt an, um die Ordnung wieder herzustellen. So inkarnierte er sich in dieser Situation als Narasimha – Mann-Löwe –, also weder Mensch, noch Tier, und er tötete Hiranyakashipu in der Dämmerung, als es weder Tag, noch Nacht war, auf der Schwelle des Palastes, also weder im Innern, noch außerhalb desselben. Warum erzähle ich diese Geschichte hier? Weil es eine Geschichte über die »Schwelle« und ihr Mysterium ist – das Weder-so-noch-so-sein, das Beides-zugleich-sein, ohne exklusiv einer der beiden Komponenten anzugehören. Und dieses Charakteristikum trifft auf die Ali zu, die »Mann-Frauen«, die weder Mann noch Frau und doch beides zugleich sind. Unter die Tamil-Bezeichnung »Ali« gruppieren sich Individuen verschiedenster Ausprägung, die nur das eine gemeinsam haben, nämlich nicht deutlich als »maskulin« oder »feminin« identifizierbar zu sein. Eine Ali kann ein Transvestit sein, ein Eunuch, eine transsexuelle Person oder ein Hermaphrodit. Während die nordindischen Hijra höchstwahrscheinlich auf das Eunuchen-tum in der Haremskultur der jahrhundertelangen Herrschaft der großen islamischen Dynastien Nordindiens zurückgehen, führen sich die tamilischen Ali auf eine ausschließlich in der südindischen Version des Epos Mahabharata vorkommende Episode zurück: Das Mahabharata erzählt von dem großen, 18 Tage währenden Krieg zwischen den beiden Clans der Pandavas und Kauravas. Beide stehen sich von Tag zu Tag gleich stark gegenüber, und der Krieg führt zu keiner Entscheidung. So greifen schließlich die Götter ein und verkünden, dass der Clan, aus dessen Reihen ein Krieger bereit sei, am folgenden Tag auf dem Schlachtfeld sein Leben zu opfern, den Sieg erringen werde. Aravan, der junge, 16-jährige Sohn des Pandava-Helden Arjuna erklärt sich bereit. Doch ist Aravan noch unverheiratet, was bedeutet, dass die Totenriten, welche allein eine positive Existenz nach dem Tod garantieren, nicht vollständig an ihm vollzogen werden können. So stellt er die Bedingung, noch am gleichen Tag verheiratet zu werden, um sodann am folgenden Tage als verheirateter Mann auf dem Schlachtfeld sein Leben zu lassen. Doch welcher Vater wäre bereit, seine Tochter einem jungen Mann, dessen baldiger Tod gewiss ist, zur Braut zu geben und sie so zu einem Witwendasein zu verdammen? Es fand sich also keine Braut für den jungen Helden. So ergriff Vishnu Partei, inkarnierte sich als die schöne, verführerische Mohini und heiratete Aravan. Die Hochzeit fand am Abend statt, und Aravan starb am folgenden Tag auf dem Schlachtfeld – woraufhin die Pandavas den Sieg im großen Mahabharata-Krieg errangen. Diese Episode, in welcher der männliche Gott Vishnu sich als schöne Mohini inkarniert, veranlasst die Tamil-Ali, sich mit Mohini zu identifizieren. Sie sagen, dass Vishnu in dieser Inkarnation »eine von ihnen« sei, sie also alle mit Mohini identifizierbar sind. Und somit wird auch das jährlich in zwei Dörfern in der Gegend von Pondicherry und Villupuram gefeierte Aravan-Fest zum wichtigsten religiösen Ereignis im Jahreslauf der Ali. Jedes Jahr versammeln sie sich in diesen zwei Dörfern, um dort die Geschichte um Aravans Hochzeit erneut rituell zu zelebrieren. Das Fest ist von solcher Bedeutung, dass sogar in Bombay und in Delhi ansässige tamilische Ali dafür nach Südindien angereist kommen: Gibt doch erst diese Episode und das daraus abgeleitete Ritual ihnen ihre Identität, ihre Daseinsberechtigung und auch, in gewissem Maße, ihre Position in der...


Link, Hilde
Hilde Link ist Ethnologin und sprach über viele Jahre hinweg mit zahlreichen Mannfrauen, feierte gemeinsam mit ihnen religiöse Feste und besuchte sie in entlegenen Dörfern Südindiens. Die Autorin lebt im Tessin oder in München. Sie hat vier Kinder, von denen eines ein indisches Pflegekind ist.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.