E-Book, Deutsch, 353 Seiten
Löschmann Unerhörte Erinnerungen eines Sonstigen
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95744-681-7
Verlag: Engelsdorfer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 353 Seiten
ISBN: 978-3-95744-681-7
Verlag: Engelsdorfer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Ossi-Leben, wie es noch in keinem Buch steht, mit Berichten von einem Davor und Danach - Kindheit und Alter. Memoiren, aber keine Chronik, assoziativ, Schilderungen von Lebenssituationen, Lebenskatastrophen eingeschlossen, Begegnungen mit Persönlichkeiten, für manch einen mit Identifikationspotential. Nicht ohne Humor, mit literarischen Anspielungen, genügend Stoff für einen Film allemal. Prof. Dr. Martin Löschmann - geboren 1935 in Bernsdorf/Bütow (Hinterpommern), Ende 1947 »Umsiedlung« nach Zeitz (Ostdeutschland), Studium der Germanistik, Anglistik, Psychologie und Pädagogik in Leipzig, 1961 bis 1993 am Herder-Institut der Leipziger Universität, 1969: Dr. phil., zehn Jahre später Habilitation, 1984 Berufung zum Professor für Deutsch als Fremdsprache; Auslandstätigkeit in mehr als 30 Ländern, besonders in Finnland (1969 bis 1973) und China (2005/6); Wohnorte: Leipzig bis 2000, danach Prenzlauer Berg Berlin. Rund 200 Publikationen, darunter Herausgabe einer Reihe bei Peter Lang »Deutsch als Fremdsprache in der Diskussion«.
Autoren/Hrsg.
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Annäherungen
Elias Canetti
Was, du willst Memoiren, deine Memoiren schreiben?, fragt mich M., die mich bei irgendeiner offiziellen Gelegenheit einen 67jährigen nannte, obwohl ich gerade mal 66 war. Erinnerst du dich an den wunderschönen italienischen -Film? „Nimm dich nicht so wichtig“, sagt darin der Gekreuzigte zu Don Camillo. Weißt du nicht, wie viele Memoiren-Bände die Verlage jährlich abwehren müssen? Es gibt einfach zu viele Menschen, die eitel und womöglich besessen, erinnerungssüchtig genug sind, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Hast du nicht kürzlich in deinem Herder-Blog ein solches Werk rezensiert? Die humorigen, durchaus lesenswerten, wenngleich gelegentlich leicht hochfliegenden Memoiren von Peter Zimmermann, einem deiner Kommilitonen und späteren Kollegen am Herder-Institut,
Willst du wirklich einer von denen sein? Ja, wärest du bekannt und berühmt, in Skandale verwickelt, Posträuber, Entführer, Attentäter, Verräter, Entertainer, vom Tellerwäscher zum Millionär Emporgestiegener, ein Preisträger, irgendeiner, ein korrupter Politiker, Schauspieler, Dummschwätzer.
Erinnerungsschreiber wollen sich eher verhüllen als enthüllen. Und bedenke Ringelnatz: „Die Erinnerungen verschönen das Leben, aber das Vergessen allein macht es erträglich.“ Willst du, dass der Rest deines Lebens unerträglich wird?
Ja, wenn du wenigstens in die Nähe von Berühmtheiten gekommen wärest. Das könnte womöglich den einen oder anderen dein Werk in die Hand nehmen lassen. Ich spreche nicht vom Lesen. Wir kommen in Dudince, einem Kurort in der Slowakei, mit einem Tischnachbarn ins Gespräch über Kinder und Kindeskinder, erzählen nicht ohne Stolz, dass unsere – zum damaligen Zeitpunkt unser Sohn über den ägyptischen Staatspräsidenten Nasser – promoviert haben. „Nasser Gamal“, sagt da der Gesprächspartner, „den kenne ich persönlich, bin ihm 1962, genau am 4. März, in Moskau begegnet.“ Es gibt Leute, die definieren sich stets und ständig über bekannte Persönlichkeiten. Der langjährige Bibliothekar der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport in Leipzig, K. W., lange ein Freund, gehörte zu dem Personenkreis, der sich gern im Glanz berühmter Persönlichkeiten spiegelt. Und habe ich nicht 1993 in Kingston upon Thames fast die Queen von England getroffen, jedenfalls ist sie an mir vorbeigeschritten, ich hätte sie fotografieren können. Das zugeschminkte, zur Maske erstarrte Gesicht hat sich mir ohnehin eingeprägt und bevölkert gelegentlich meine Albträume.
Ermutigend war der Schwall von Fragen nicht gerade, obwohl ich mir sagen konnte, so tief hinaus wollte ich nie. Nicht nur einmal in den letzten Tagen, Wochen, Monaten, die mich zum Schreiben anhielten, habe ich den Kauz auf meiner Schulter mit seinem gespürt. Immer wenn Professor Martin, Anglist, einer meiner Lehrer an der Leipziger Universität, auf für ihn abwegige Interpretationen englischer Literaturwerke stieß, bemühte er dieses Bild. Aber wer kennt Professor Walther Martin, hat kaum etwas publiziert und konnte seine oberlehrerhaftbelehrende Art nie ganz ablegen. Der erwähnte Zimmermann kommt allerdings zu einer bemerkenswerten Aufwertung von Martin, verbunden mit einer Abwertung meines Professors Hans Mayer.
Auf Mayer lass ich nichts kommen, ein beeindruckender Professor, stets in maßgeschneiderten Anzügen, sein beachtlicher Bauchansatz dadurch eingedämmt und die geringe Körpergröße gestreckt. Er wird an dieser Stelle schon mal erinnert, weil er mich auf die Liste derjenigen Studenten setzte, die 1959 zu den Schillerfeierlichkeiten in die Bundesrepublik reisten durften. Er war es auch, der mich zum Praktikum ins Berliner Ensemble schicken und mich dadurch Bertolt Brecht einige Wochen vor seinem Tode erleben ließ. Wir Praktikanten durften eine Probe zu mit Ernst Busch von der Empore aus verfolgen. Von den Regieanweisungen verstand man kaum etwas, Brecht jedoch war an seinem ein wenig linkisch und eckig wirkenden Gang erkennbar. Welch ein Ereignis für Brechtenthusiasten, die Brechtjünger – Benno Besson z.B. war bestimmt dabei – schlichen in angemessenem Abstand um den Meister vor und auf der Bühne herum.
Ich gerate in den Sog der Verteidigung meines Unterfangens und schwelge in Erinnerungen an meinen Professor. Kannst du dich erinnern, dass du bei deinem Vater Max Frischs hast liegen sehen mit den Unterstreichungen von eben diesem, meinem Literaturprofessor? Du hast dir mühselig und kostspielig ein Exemplar ‚aus dem Westen‘ besorgt, die authentischen Unterstreichungen übertragen und mir die Kostbarkeit geschenkt. Was für ein unvergessliches Liebesgeschenk. Denkst du nicht, dass ein Einfall wie dieser der Welt, meinetwegen der Nachwelt, überliefert werden müsste? Ja, ich weiß, ein Personalmuseum muss her.
Auf einer Weihnachtsfeier des Instituts für Interkulturelle Kommunikation Berlin im Brecht-Keller in der Chaussee-Straße erzähle ich das fast 40 Jahre später meiner Nachbarin zur Linken, Frau Dr. Lilli Bock. Sie strahlt, als ich mich an ihren Vortrag im DDR-Kulturzentrum Helsinki erinnere: . „Über Ihr Praktikum am BE müssen Sie unbedingt schreiben. Dafür interessiert man sich heute.“ Das schmeichelt.
Und Corinna Harfouch, hat sie uns nicht kürzlich in die Kammerspiele des Deutschen Theaters eingeladen: , Mi, 22.11.2006, 20:00 Uhr. Musik: KATDSE. Auf der Eintrittskarte steht nicht, dass Johannes Gwisdek, ihr Sohn, die Musik dazu gemacht hat. Ich möchte mal wissen, wer unter den rund 200 Zuschauern an jenem Abend das wusste. Corinna gehört zweifelsohne zu den großen deutschen Schauspielerinnen der Gegenwart. Na, bitte. Nach der Veranstaltung treffen wir ihre Schwester, sie ist gleichfalls Schauspielerin geworden und probt gerade die Rolle der Mutter Babette in Frischs , das wieder einmal in Zürich aufgeführt werden soll, dort, wo die Uraufführung 1958 stattfand.
Ja, sie hat uns als Harras in der spektakulären Castorf-Inszenierung in der Volksbühne, als Vera Brühne in dem gleichnamigen Fernseh-Zweiteiler, in der fast legendären -Inszenierung von Gosch am DT begeistert. Wie oft wurde in Gesprächen nicht die Zeit erinnert, als wir mit ihr und ihrem damaligen Mann, Nabil Harfouch, bis tief in die Nacht diskutierten, ob sie mit ihm, der nach Studium und erfolgreicher Promotion in Dresden, nach zehn Jahren in seine syrische Heimat zurückkehrte, gehen solle oder nicht. Sie wollte Schauspielerin werden und das hätte sie in Syrien nicht werden können. Am 21. April 2009 erlebt der Dokumentarfilm . seine Premiere in Berlin. Wo sie auftritt, gehen wir hin; fuhren im letzten Jahr sogar nach Zürich, wo 50 Jahre nach der Uraufführung Dürrenmatts wieder auf dem Spielplan stand, mit Corinna als Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd.
Und dann ist da auf jeden Fall der Maler Tübke, Werner Tübke, der sog. Leipziger Schule zugerechnet, unser Gegenüber in der Springerstraße. Schließlich hatte er Marianne gelegentlich eines Festes in seinem Haus zum Tanz aufgefordert und sie als in der Bewegung gemalt. Das Gartenfest zu des Meisters 51., zu dem wir geladen waren, ist in verewigt, im Bild deutlich als hervorgehoben. Kostümierung und Maskierung verfremden die Szenerie, Personen aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis sind dennoch erkennbar. Beide Gemälde und andere können in der in eben der SP5 besichtigt werden. Mit einem sozusagen absoluten fotografischen Gedächtnis begnadet, malte er übrigens fast ausschließlich ohne Modell. Als Interesse und auch Geld für den Kauf der da waren, war es unverkäuflich. Immerhin eine Grafik, seine Frau, liegender Akt, zwischen seinem Vater und ihm selbst, vom Meister als Geschenk offeriert, als er sich einstmals die Ehre gab, uns zu besuchen, gehört zu den wenigen originalen Kunstwerken in unserer Wohnung.
Eine Zeitlang hing es neben einer Papiercollage von Reinhard Roy, Maler und Bildhauer, der 1983 die DDR verließ und sich dann vorwiegend der Rasterkunst verschrieb. Er stand eines Tages mit seinem damaligen Kompagnon vor unserer Tür in der SP4, als wir noch zur Messe unser Einzelzimmer auf dem Dachboden vermieteten. Mit Gamaschenstiefeln, Vollbart, Hühnergott-Kette, abgewetzter Lederjacke auf den ersten Blick nicht gerade vertrauenswürdig, wurde er uns zu einem guten kritischen Freund. Ihm ist es zu verdanken, dass ich auf seinem 50. Geburtstag höchst persönlich keinem Geringeren als dem späteren Bundespräsidenten von 2004 bis 2010, Hort Köhler, die Hand schütteln durfte. Reinhard, wie soll ich dir nur danken?
30 Jahre nach unserer ersten Begegnung wird Roy, der in Görlitz einst sein Atelier hatte und vom Chef der „Görlitzer Stasidienststelle“ bedrängt und gedrängt wurde, in seinen mittlerweile mehrbändigen schreiben:
„Ich hoffe, dass man Martin und Marianne nicht auch noch meiner Ausreise wegen in die Mangel genommen hat. Ihnen kommen sie nicht bei, denke ich gleich. An deren Klugheit perlt die Dummheit bereits ab, ehe...




