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E-Book, Deutsch, Band 6158, 337 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Loew Wir Unsichtbaren

Geschichte der Polen in Deutschland

E-Book, Deutsch, Band 6158, 337 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-66709-1
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Polen und Polinnen sind aus Deutschland nicht mehr wegzudenken. Dennoch werden sie oft gar nicht als solche wahrgenommen und gelten als die „unsichtbare Minderheit“. Peter Oliver Loew schildert in diesem Buch erstmals die jahrhundertelange Geschichte und die facettenreichen Lebensweltendieser Bevölkerungsgruppe vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
Seit Jahrhunderten leben Polen und Polinnen in deutschen Staaten, nach den Teilungen Polens im 18. Jahrhundert war Polnisch eine Zeitlang sogar Muttersprache für mehr als ein Drittel der Einwohner Preußens. Mit der Industrialisierung setzte die polnische Massenwanderung in die deutschen Industriezentren ein und hunderttausende Saisonarbeiter bevölkerten die ostelbischen Güter. Im Zweiten Weltkrieg verschleppte NS-Deutschland Millionen von Polen ins Reich, von denen nach Kriegsende gar nicht wenige in Deutschland strandeten. Vertriebene, Spätaussiedler, Flüchtlinge, Erntehelfer und viele andere kamen später hinzu. Etwa zwei Millionen Menschen in Deutschland sind heute Polen, sprechen Polnisch oder stammen aus Polen. Damit sind sie nach den Türken die größte Einwanderergruppe. Ihre Geschichte und ihre Erlebnisse erzählt dieses Buch.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1;Cover;1
2;Titel;3
3;Impressum;4
4;Inhaltsverzeichnis;5
5;Einleitung;9
6;I. Wie alles begann: Mittelalter und Frühe Neuzeit;16
6.1;Polnische Prinzessinnen im Reich;16
6.2;Handeln und wandern;19
6.3;Masuren, Schlesien: Polnische Siedlungsgebiete in deutschsprachigen Staaten;21
6.4;Studieren und probieren: Reisende Polen in deutschen Landen;24
6.5;Bischöfe und Reformatoren;26
6.6;Städtische Eliten in Berlin und Dresden;28
7;II. Die größte Minderheit Preußens und des Reichs: Von den Teilungen Polens bis zum Ersten Weltkrieg;31
7.1;Geteiltes Land: Die preußischen Teilungsgebiete Polens, 1772 bis 1806;31
7.2;Die preußischen Ostprovinzen: Kurzer Überblick über ein langes Jahrhundert, 1815 bis 1918;34
7.3;Polen «bei sich daheim»: Die alten polnischen Siedlungsgebiete in Preußen;40
7.4;1832: Polen ziehen durch Deutschland;65
7.5;Revolutionäre in Aktion: Polenprozess und Völkerfrühling;67
7.6;Polnische Massenmigration;72
7.7;Aristokratie, Arbeiter, Assimilation: Polen in Berlin;89
7.8;«Denn wir verfolgen andere Zwecke als Sie …»: Polen in den Parlamenten;94
7.9;Akademische Weihen: Polen an deutschen Universitäten;98
7.10;Künstler und Lebenskünstler;100
7.11;Reichsweite Organisationen;107
7.12;Wie polnisch waren «polnische Juden»?;108
7.13;Exkurs: Polen in Österreich;110
7.14;Zwischen Garderegiment und Schützengraben: Polen in der Armee;113
7.15;Der Erste Weltkrieg: Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und die Ruhe vor dem Sturm;116
8;III. Zankapfel: Polen in Deutschland zwischen den Weltkriegen;120
8.1;Aus polnischen Preußen werden preußische Polen;120
8.2;Versailles und die Folgen: Grenzveränderungen und Abstimmungskämpfe;123
8.3;Bleiben, optieren, zurückwandern? Lebenshorizonte von Polen in Deutschland nach 1918;129
8.4;Über’s Land verstreut: Die polnische Minderheit in Deutschland;131
8.5;Immer noch gefragt: Polnische Saisonarbeiter;148
8.6;Auf verlorenem Posten? Die Interessenvertretung der Polen in Deutschland;149
8.7;Künstlerlieben und Leinwandstars;155
8.8;Polnische Juden zwischen Assimilation und Ausgrenzung;159
9;IV. Schrecken des Krieges: Vertreibung, Germanisierung, Zwangsarbeit, Vernichtung;163
9.1;Polen im «Altreich»;163
9.2;Die eingegliederten Gebiete: Terror, Vertreibung, Vernichtung;164
9.3;«Eindeutschung», Ausgrenzung und schwieriges Miteinander: Polen in den eingegliederten Gebieten;170
9.4;Überleben im Oflag;175
9.5;Kampf fürs fremde Vaterland: Polen in der Wehrmacht;177
9.6;Sklaven aus Polen: Zwangsarbeiter im Reich;180
9.7;«Hier hörten wir auf, Menschen zu sein»: Polen in den reichsdeutschen Konzentrationslagern;186
10;V. Kinder des Kalten Krieges: Versprengte Existenzen und Masseneinwanderung;192
10.1;Wo ist die Heimat? Polnische Displaced Persons;192
10.2;Maczków: Eine polnische Enklave in Deutschland;199
10.3;München funkt nach Polen;200
10.4;Fast schon in Polen und doch so ganz anders: Polnische Künstler in der Bundesrepublik;203
10.5;Von der «alten Emigration» zu einer neuen Minderheit: Tradition und Neubeginn;207
10.6;Zwischen Heimat und Fremde: Vertriebene und Aussiedler;212
10.7;Die Versuchung: Polnische Flüchtlinge zwischen Asyl und Duldung _ _ _;220
10.8;Pendler und Händler: Polen in der DDR;225
11;VI. Die unsichtbare Minderheit? Polen in Deutschland heute;231
11.1;Geregelte Verhältnisse: Die Rahmenbedingungen polnischer Präsenz;231
11.2;Die neue Migration: Zentren und Ränder;235
11.3;Saisonale Arbeitsmigration nach Deutschland;242
11.4;Auf der Suche nach dem großen Glück: Heiratsmigration nach Deutschland;256
11.5;Intellektuelle Zuwanderung;258
11.6;«Es gibt mich weder hier noch dort»: Künstlerexistenzen;259
11.7;Polen in Deutschland als Sportidole;265
11.8;Verwirrspiel der Verbände: Polnische Dachorganisationen;267
11.9;Eine Erfolgsgeschichte: Lokale polnische Organisationen und Medien;271
11.10;Exkurs: Kirchliche Strukturen;274
11.11;Eine neue Grenzminderheit;276
11.12;Polen in Deutschland heute: Immer noch unsichtbar, doch nicht mehr wegzudenken;278
12;Anmerkungen;285
13;Literaturverzeichnis;306
14;Abbildungsverzeichnis;326
15;Ortsregister;327
16;Personenregister;332
17;Zum Buch;337
18;Über den Autor;337


Einleitung
Polen und Polinnen in Deutschland sind die «Unsichtbaren».[1] Fast jeder kennt welche, in vielen Stammbäumen tauchen sie auf, aber kaum jemand weiß etwas über sie. Sie sind einfach da, sorgen manchmal für Aufsehen, oft aber nur für zufriedene Senioren, Wohnungsbesitzer und Arbeitgeber: Als Pflegekräfte, Allround-Handwerker und Spargelstecher, als Bergleute und Putzfrauen tun sie Dinge, ohne die vieles in Deutschland nicht funktionieren würde. Auch in deutschen Symphonieorchestern und an deutschen Hochschulen leisten sie zuverlässig wertvolle Dienste: die deutsche Kulturlandschaft wäre ohne sie ärmer. Von diesen Menschen, der Geschichte der polnischen Zuwanderung und den historischen polnischen Minderheiten in den deutschen Staaten handelt dieses Buch. Polen in Deutschland lassen sich nur schwer zählen, so sehr unterscheiden sie sich voneinander. Es gibt Aussiedler und Spätaussiedler, die sich nie zu einer polnischen Identität bekannten, aber daheim Polnisch – nicht selten oberschlesische Mundart – sprachen und sprechen. Es gibt aber auch Aussiedler, die all ihren Ehrgeiz aufwendeten, um sich möglichst rasch zu integrieren, und mit ihren Kindern Deutsch radebrechten, nur um «ja nicht aufzufallen», und es gibt Aussiedler, die ebenso viel Ehrgeiz an den Tag legten, um sich und ihre Kinder gute Polen bleiben zu lassen. Menschen sind darunter, die aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen zugewandert sind, teils mit polnischem und teils mit deutschem Pass, oft mit einer Geschichte aus Jahren des prekären Aufenthalts als illegal arbeitende Asylbewerber. Deutschland wird Jahr für Jahr zeitweise von hunderttausenden polnischer Saisonarbeiter bevölkert, daneben gibt es Nachkommen von Versprengten des Zweiten Weltkriegs oder auch der Arbeitsmigranten aus Vorkriegszeiten, Studierende, Künstler, Intellektuelle, Prostituierte, Diebe und Obdachlose. Wenn man sie alle zusammenfasst und die nicht Gemeldeten addiert, die niemand wirklich zählen kann, so könnte es in Deutschland bis zu 2 Millionen Menschen geben, die Polen sind, Polnisch sprechen oder in erster und zweiter Generation aus Polen stammen. Damit sind sie nach den Türken und noch vor den Russen die zweitgrößte Gruppe von Migranten in Deutschland (Kapitel VI). Polen sind aus Deutschland nicht wegzudenken, seit Jahrhunderten gehören sie zur Gesellschaft der deutschen Staaten. Die enge Nachbarschaft zwischen Polen und Deutschen hat dazu geführt, dass ihre Präsenz – anders als bei Türken oder Russen – schon seit langem völlig selbstverständlich ist; die Deutschen hatten Zeit, sich an sie zu gewöhnen. Altansässige polnische Bevölkerungsgruppen hatte es im Herzogtum Preußen bzw. Ostpreußen ebenso gegeben wie in Schlesien (Kapitel I), aber erst die drei Teilungen Polens zwischen 1772 und 1795 ließen sie zu einer großen Minderheit im Königreich Preußen werden: Um 1800 waren 2,6 Millionen seiner 6,2 Millionen Einwohner Polen! Sozioökonomische Veränderungen, insbesondere die Industrialisierung, setzten bald darauf Migrationsprozesse in Gang, in deren Zuge seit Anfang des 19. Jahrhunderts bis heute rund acht Millionen Polen aus den polnischen Gebieten dies- und jenseits der Grenzen in die mehrheitlich deutschsprachigen Gebiete wanderten. Ein wahrhaft europäisches Migrationssystem entstand. Dabei bildete sich die kurzlebige Minderheit der «Ruhrpolen», Berlin wurde zu einem polnischen Zentrum, dort und in München trafen sich polnische Künstler und Intellektuelle, während die polnische Nationalbewegung in Posen oder Oberschlesien immer heftiger für ihre Rechte kämpfte, seit der Reichsgründung 1871 gegen einen immer stärker werdenden Germanisierungsdruck (Kapitel II).[2] Aufgrund der im Versailler Vertrag 1919 festgelegten Grenzen kamen viele polnische Siedlungsgebiete zum neugebildeten polnischen Staat, die Zahl der Polen in Deutschland sank also drastisch und die verbliebene Minderheit wurde zum Spielball der Politik (Kapitel III). Durch die deutsche Eroberung Polens 1939 wurden jedoch wiederum weite Gebiete des Landes an das Deutsche Reich angegliedert. Terror, Vertreibung und Mord prägten nun für einige Jahre die Geschichte der Polen (Christen wie Juden) in Deutschland; Millionen von ihnen wurden als Zwangsarbeiter oder KZ-Häftlinge ins Reich verschleppt (Kapitel IV). Nach Kriegsende kehrten viele – falls sie überlebt hatten – ins kommunistische Polen zurück, andere blieben als «Displaced Persons» im Land der einstigen Unterdrücker. Dazu kamen hunderttausende deutscher Flüchtlinge, Vertriebener, Aussiedler und Spätaussiedler, deren Muttersprache eigentlich Polnisch war. München wurde zu einem Zentrum der politischen Emigration. Berlin entwickelte seit den 1970er Jahren große Sogkraft, während die DDR versuchte, ihren Arbeitskräftemangel durch polnische Kontraktarbeiter zu lösen (Kapitel V). Nach der politischen Wende von 1989 haben sich die Migrationsströme zwar gewandelt, sind aber durchweg stark geblieben und haben sich seit dem EU-Beitritt Polens wieder intensiviert. An der Grenze zu Polen, gerade im Großraum Stettin, bildet sich vielleicht gerade eine neue polnische Minderheit in Deutschland heraus (Kapitel VI). Keine andere nicht-deutsche Bevölkerungsgruppe hat sich über einen so langen Zeitraum, im Grunde seit dem Mittelalter, und in solchen Dimensionen in Deutschland aufgehalten, sieht man einmal von den Juden ab, die jedoch im deutschen Sprachraum spätestens seit dem Beginn der Moderne immer weniger eine scharf abgegrenzte ethnische Gruppe bildeten. Eine Geschichte der Polen in Deutschland ist bis heute nicht geschrieben worden. Es gibt Einzeluntersuchungen zu Masuren oder Ruhrpolen, polnischen Prinzessinnen und pendelnden Putzfrauen, aber eine Gesamtdarstellung fehlt bislang. Vielleicht liegt dies an den methodischen Problemen. Denn sowohl der Begriff «Deutschland» als auch der Begriff «Polen» sind unscharf und schwer zu fassen, und auch über das Wort «Minderheit» kann man sich trefflich streiten. Die definitorischen Probleme beginnen schon im ausgehenden Mittelalter: Polnische Masuren waren eine große Minderheit im Staat des Deutschen Ordens und dem daraus entstehenden Herzogtum Preußen – aber dieser Staat war ebenso wie die aus ihm hervorgegangene Provinz Ostpreußen bis 1871 nie Teil des Reichs, geschweige denn des Deutschen Bundes gewesen. Er war allerdings überwiegend deutschsprachig. Ähnliche Probleme bereiten andere Grenzgebiete im Osten, Schlesien etwa oder Hinterpommern. «Deutschland» ist hier deshalb als ein pragmatischer Begriff aufzufassen, der neben dem eigentlichen «deutschen» Territorialstaat auch andere deutschsprachige Staatswesen umfasst, in denen Polen lebten; deshalb wird Österreich bzw. das Habsburger Reich – obschon nur am Rande und nur bis 1945 – ebenfalls eine Rolle spielen.[3] Nun waren jedoch die in «Deutschland» lebenden polnischsprachigen Menschen keineswegs alle davon überzeugt, Polen zu sein: Manche sprachen zwar Polnisch, hielten sich aber für gut evangelische Untertanen des preußischen Königs oder eigentlich für Deutsche, die nur aufgrund irgendwelcher Fügungen der Geschichte in einer polnischen Umgebung aufgewachsen waren. Es war ein Unterschied, ob sich jemand subjektiv als Pole fühlte oder objektiv aufgrund sprachlicher, historischer oder – zeitweise – rassischer Kriterien als Pole bezeichnet wurde. Insofern ist «Pole» im Rahmen dieses Buches nichts anderes als ein Arbeitsbegriff und meint sowohl Menschen, die sich als Angehörige der polnischen Nation begreifen, als auch Polnischsprachige oder aus Polen Stammende sowie Angehörige kleinerer Bevölkerungsgruppen wie Kaschuben oder Oberschlesier, die in der Gegenwart zum Teil dabei sind, eigene ethnisch-nationale Identitäten zu entwickeln. «Polen» können natürlich auch noch andere, parallele Identitäten haben, sie können sich beispielsweise zugleich als Deutsche, Europäer oder Rheinländer definieren. In vielen Fällen lag es an den äußeren Umständen, ob jemand den «Polen» oder die «Polin» in sich als Bestandteil seiner Identität oder seiner Außendarstellung begriff oder auch nicht.[4] Ein weiteres Problem besteht darin, dass es grundsätzlich zwei Arten gibt – oder vielmehr: gegeben hat –, wie Polen nach Deutschland gelangten. Zum einen konnten sie durch Grenzziehungen Bürger eines deutschen Staates geworden sein wie zum Beispiel 1793 die Bewohner Großpolens, des Großherzogtums Posen. Oder aber sie konnten durch Migrationsprozesse – Land-Stadt-Wanderung, Flucht und Vertreibung – nach Deutschland gekommen sein. Vielfach mussten sie selbst dann, wenn sie migrierten, gar nicht «nach» Deutschland kommen, da sie als Polen bereits innerhalb Preußens bzw. der Reichsgrenzen lebten, also ähnlich wie ungezählte «deutschsprachige Deutsche» nur eine Binnenwanderung von Ost nach West absolvierten. Insofern ist eine Geschichte der Polen in Deutschland sowohl eine Geschichte der altpolnischen Regionen im Osten Preußens als auch eine Migrationsgeschichte; die eine hat mit der anderen nicht immer etwas zu tun – bis eben auf die...


Peter Oliver Loew ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und stellvertretender Direktor am Deutschen Polen-Institut in Darmstadt. Er ist mit einer Polin verheiratet.


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