Loha Waschbär im Schlafrock
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-943876-44-4
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Reihe: Edition Periplaneta
ISBN: 978-3-943876-44-4
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Karl ist auf den ersten Blick ein eher schüchterner Zeitgenosse - oder zumindest stiller als seine Mitmenschen. Karl beobachtet, stellt Fragen, viele Fragen, meistens nur sich selbst: Ist mein bester Freund nun schwul oder nicht? Warum ist der Bundespräsident in echt kleiner als im Fernsehen? Kann das nicht einer der Praktikanten machen? Wie bekomm ich eine Frau wieder los, die nach dem ersten Sex bereits die Namen unserer Kinder festgelegt hat? Warum hat Natascha unter ihrem Mantel nichts an? Gott, was hab ich gestern alles getrunken? Warum ist die Tierärztin eigentlich verheiratet? Und was will dieser Waschbär auf meiner Couch? Marien Loha nimmt dich in seinem Debütroman mit in die Gedankenwelt eines liebenswerten Paradiesvogels und gestattet dir einen manchmal etwas anderen Blick auf die höchst amüsant-skurrilen Wirrungen in den Leben seiner und unserer Mitmenschen.
Autoren/Hrsg.
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Sie nannten ihn Karl
„Hallo, ich bin Karl.“ „Freut mich, Melanie.“ Ich glaube ihr gerade noch, dass sie Melanie heißt, aber „Freut mich“? „Meine Freunde nennen mich Mellie“, wirft sie ungefragt nach. Soll das eine Aufforderung sein, sie Mellie zu nennen, oder eine Warnung, mich bloß nicht zu ihrem Freundeskreis zu zählen? Oder ein Test? Diese Frau verwirrt mich jetzt schon. Ich denke eindeutig zu viel nach. Das mit dem Nachdenken war schon immer so ein Problem von mir. Früher war ich recht still (naja, eigentlich heute auch noch). Ich bin nicht schüchtern, sondern einfach nur introvertierter als andere. Eines dieser ‚stillen Wasser‘ eben. „Wenn ich etwas zu sagen habe, sag ich es“, ist meine Standardantwort auf die Standardfeststellung: „Karl, du bist immer so still.“ Okay, zugegeben, das entspricht nicht ganz der Wahrheit. Oft sage ich die Dinge einfach nur in Gedanken und schaue mein Gegenüber dabei so an, als wollte ich ihm meine Worte telepathisch übermitteln. Dabei entsteht dann leider oft der Eindruck, dass ich denjenigen gar nicht beachte, was mir den ebenfalls typischen Beinamen ‚Träumer‘ einbrachte. Ich denke, in jeder Gruppe, ob Schulklasse, Freundeskreis, unter Arbeitskollegen oder wo auch immer, gibt es mindestens eine Person, die zwangsweise zum ‚Träumer‘ erklärt wird. Typen dieser Gattung erwidern dann natürlich immer: „Das stimmt gar nicht!“ Anschließend beginnen sie eine lebhaft geführte Diskussion mit langen Argumentationsketten und Fallbeispielen, warum sie keiner dieser ‚Träumer‘ sind. Per Definition tun sie das natürlich im Geiste und glotzen den Ankläger dabei nur weiter unvermittelt an. Ich komme mit meiner Rolle eigentlich ganz gut zurecht. Ich habe meinen Freundeskreis, der in der Größe ständig variiert, mit ein paar festen Bestandteilen, die immer bleiben. Einer dieser festen Bestandteile ist Paul. Genau genommen ist er der Festeste. Ich kenne ihn schon länger als mein halbes Leben. Das behauptete ich zwar schon, als wir gerade mal eine Woche in der Schule nebeneinandersaßen, aber es kam mir wirklich so vor. Und mittlerweile stimmt es ja auch. Hat zwar Jahre gedauert, aber jetzt brauche ich mir keine Gedanken mehr um diese Lüge machen. Damals kam dieser Junge in die Klasse. Leicht struppige schwarze Haare, ausgefranstes T-Shirt und kurze lockere Hose. Standard eben. Alle tuschelten über den Neuen. Ich auch. Zwar nur mit mir selbst, aber trotzdem. Quer durch den Raum traf sich unser Blick und wir führten unser erstes mentales Gespräch: „Was für ein Haufen Schwachköpfe!“, verzog er das Gesicht und blickte sich um. „Ja, da kann man nichts machen, die sind immer hier“, zuckte ich mit den Schultern. „Ist neben dir noch frei?“, blickte er auf den Stuhl neben mir. „Ja“, schob ich die Lippen leicht nach vorne, hob leicht beide Augenbrauen und deutete ein kaum wahrnehmbares Nicken an. „Was dag…“, fing er an, die Augenbrauen fragend hochzuziehen. „Nee nee, mach ruhig!“, behielt ich meinen Gesichtsausdruck bei und schüttelte leicht den Kopf. „Super!“, grinste er und nickte einmal. Wir wissen bis heute nicht, warum wir uns so gut verstehen, aber vermutlich muss man das auch gar nicht. Vielleicht ist es sogar die beste Voraussetzung für eine langanhaltende Freundschaft. Auf alle Fälle sind wir beide sehr froh, dass es so ist. „Was machen Sie hier, Melanie?“, frage ich, um auszuloten, ob sie wirklich an einem Smalltalk interessiert ist. Sie winkt ab: „Nennen Sie mich Mellie.“ Okay, also doch… mhh… und was soll ich jetzt davon halten? Sie sieht ja ganz süß aus, dunkelbraunes Kostüm, zierliche kleine Statur, ein paar Sommersprossen auf der hellen Haut und kurze braune Locken. Wir stehen an einem der zahlreichen Stehtische im Garten und nippen abwechselnd verlegen an unserem Begrüßungssekt. In meinem schwimmen kleine Dosenmandarinenstücke, in ihrem komischerweise nicht. Wenn man da die Wahl hatte, dann habe ich das zumindest nicht mitgekriegt, und sie wird mich jetzt aufgrund meiner Getränkewahl für einen weichen Cocktailtypen halten. Womit sie ja nicht ganz… ach hör endlich auf! Paul gibt mal wieder einen seiner kleinen Empfänge für die ortsansässige Politprominenz. Welchen Zweck Villa und Grundstück sonst erfüllen, weiß ich nicht, zumindest ist es nicht sein Haus. Mittlerweile ist Paul zu einer richtigen kleinen lokalpolitischen Größe aufgestiegen. Kleine Größe, gibt es sowas überhaupt? Politik war ja noch nie so mein Fall, aber ich geh trotzdem immer zu den Empfängen, weil Paul über fast alle Gäste spannenden Klatsch und Tratsch zu berichten weiß. Eigentlich interessiert mich das nicht, aber es ist irgendwie unterhaltsam. Ich merke mir auch nie was davon, um es weiterzutratschen, aber das sollte ich vielleicht auch lieber nicht. Ich denke, Paul wird nie aus seiner Partei ausgeschlossen oder rausgeekelt werden mit solch explosivem Wissen in der Hinterhand. Verbrannt, am Seeufer gefunden, ohne Fingerabdrücke und Gebiss, ja, aber nie würden die ihn einfach so rauswerfen. Melanie schaut mich fragend an. Ach Mist! „Oh ja, ja…klar…also Mellie, was machen Sie hier?“ „Ich bin die Assistentin von Herrn Sommerfeld.“ „Ach so? Ich wusste gar nicht, dass Paul eine Assistentin hat.“ Normalerweise hätte ich von Paul erwartet, dass er mich fünf Minuten nach der Einstellung gleich ungebeten anruft und sowas sagt wie: „Du, ich hab jetzt ne Assistentin. Is’n richtiges kleines Mauerblümchen, also eher nichts für mich, aber vielleicht auch besser so, wenn du verstehst, was ich meine!“, wobei ich sein verschwörerisches Zwinkern aus der Stimme raus hören und den Ellenbogenstoß in meine Seite förmlich spüren kann. „Sie kennen Herr Sommerfeld?“, fragt sie verdutzt. „Ja klar. Das ist doch sein Empfang hier, oder nicht?“ Völlig ungewollt lache ich über meinen sehr schlechten Scherz. Sie lacht mit. Stopp! Schnitt! Aus! Resümee: 1. Sie stellt sich zu mir an den Tisch, obwohl er weit weg vom Geschehen ist und… ja und obwohl ich da stehe. 2. Sie sagt Dinge wie: „freut mich“ und „meine Freunde nennen mich…“ 3. Sie lacht über Dinge, die ich sage, obwohl sie überhaupt nicht lustig sind. Ohh Gott! Ich bin auf ihrem Radar und wurde vielleicht sogar schon fest als Ziel anvisiert!!! Eigentlich toll, aber ein bisschen mulmig ist mir schon. Ich habe gerade eine längere Beziehung hinter mir und fühle mich etwas eingerostet, was das Flirten und überhaupt den Umgang mit weiblichen Wesen angeht. Als ich das Paul gegenüber neulich erwähnte, sagte er: „Ach, du warst doch noch nie richtig geölt!“ Hahaha! Vielleicht hat er sogar recht, ich weiß es nicht. Immer noch die letzten Wellen ihres Kicheranfalls unterdrückend - ach komm, jetzt übertreib mal nicht - fragt sie: „Nein, im Ernst, woher kennen Sie Herrn Sommerfeld?“ „Wir kennen uns schon seit der Schulzeit. Lange her, alte Freunde, unterschiedliche Wege, aber irgendwie immer noch da“, fasse ich kurz zusammen. „Sie verlieren ja nicht viele Worte, wie?“ Sie lächelt mich herzerwärmend an bei dieser Feststellung. Ach Melanie, wenn du wüsstest. Ich bereite mich gerade darauf vor, meinen Standardvers zur Introvertiertheit loszulassen, als Paul an unseren Tisch geschlendert kommt. „Ah, Angelo! Da bist du ja. Du kennst also schon meine neue Assistentin Melanie“, sagt er und klopft mir dabei ziemlich stark auf den Rücken. Ich trinke gerade etwas und völlig unvorbereitet ob dieser Attacke rutschten mir einige kleine Mandarinenstücke in die Luftröhre. Zudem reißt es mich von der Schlagwucht getrieben nach vorne und ich kann gerade noch so verhindern, mir mit dem Glas mein Auge zu entfernen. Hustend halte ich mich am Tisch fest und röchele: „Is schon… okay… hab mich… schon… als Karl… vorgestellt.“ „Och, schade!“ Er macht ein bedröppeltes Gesicht und wendet sich an Melanie: „Ich gebe ihm in Gesellschaft gerne rassige südländische Namen, weil ich denke, dass ‚Karl‘ bei den Ladys nicht sehr gut ankommt.“ Melanie lächelt ihren Boss verlegen an. Sie ist wohl noch nicht so lange bei Paul, sonst könnte sie mit solchen Phrasen schon umgehen. Es muss ihr nach den ersten Eindrücken von uns beiden unglaublich vorkommen, dass wir Freunde sind und das auch noch seit so langer Zeit. Verständlich, geht uns selbst ja auch immer wieder so. Ich erhole mich langsam von meinem Hustenanfall, den Paul gekonnt ignoriert hat, was er damit bekundet, dass er mir noch mal freundschaftlich auf den Rücken klopft. Diesmal bringt es mich, aufgrund besserer Vorbereitung, nicht wieder so sehr aus dem Gleichgewicht. „Ja, ich sehe ja auch total nach einem Francesco oder Juan aus“, erwidere ich etwas bissig. „In der Tat, das stimmt!“, lacht Paul. Wäre er der Weihnachtsmann, würde er sich jetzt seine Wampe halten, den Kopf in den Nacken werfen und ein lautes „Ho Ho Ho“ lachen. So ähnlich lacht Paul, nur ist es eher ein „Ha Ha Ha“ und eine Wampe hat er auch nicht. Wenn er sich gerade wieder besonders lustig findet, schlägt er sich dabei auch mal selbst auf die Schenkel, auf den Tisch oder eben mir auf den Rücken. „Also, ich seh schon, ich bin hier überflüssig“, sagt Paul und...