E-Book, Deutsch, 216 Seiten
Lommel CAMPO BAHIA – Vision oder Wahnsinn
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-944305-77-6
Verlag: Europa Verlage
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die unglaubliche Geschichte des DFB Camps in Brasilien
E-Book, Deutsch, 216 Seiten
ISBN: 978-3-944305-77-6
Verlag: Europa Verlage
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sechs Monate vor der WM in Brasilien entscheidet sich der DFB sein WM Quartier an einem der schönsten, aber abgelegensten Strand Brasiliens errichten zu lassen. Aus einem Bungalow im Rohbau und schöner Aussicht gibt es dort nichts. Es beginnt das verrückte, unglaubliche Unternehmen im Dschungel von Bahia eine Luxusanlage inklusive Trainingsplatz für die deutsche Nationalmannschaft quasi über Nacht aus dem Boden zu stampfen.
Wie es dazu kommen konnte und was dann passierte erzählt der Regisseur Ulli Lommel, den es zu seiner völligen Überraschung in dieses Projekt verschlug und der darüber einen Dokumentarfilm drehte:
- Warum Oliver Bierhoff ein Camp wollte, das nur über eine Dschungelpiste erreichbar ist
-Was der deutschen Nationalelf von Moskitos und Tropenregen droht
-Warum die FIFA alles daransetzte, das Camp zu verhindern
-Wie im Busch innerhalb von 6 Wochen ein perfekter Rasenplatz entstand
-Was es heißt, wenn in einem brasilianischen Dorf der WM Goldrausch ausbricht
-Wie der DFB verzweifelt versuchte zum Wohltäter einer ganzen Region zu werden
-Was passiert, wenn deutsche Bauherrn der brasilianischen Tranquillo-Mentalität begegnen.
"Wenn die deutsche Elf Campo Bahia versteht, hat sie eine echte Chance auf das Finale." (Ulli Lommel)
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Der Zauber von Santo André
An der magischen Küste von Bahia im Osten Brasiliens, zwei Flugstunden von Rio de Janeiro entfernt, wurde dieses Land vor rund 500 Jahren von dem Portugiesen Cabral entdeckt. Das verwunschene Hafendorf Cabrália wurde nach ihm benannt. Es ist etwa eine halbe Stunde nördlich von Porto Seguro gelegen, dem kleinen Städtchen am Meer mit eigenem Flughafen. Wenn man dort über São Paulo und nach gefühlten hundertachtzig Stunden Reise aus Deutschland endlich angekommen ist und nach Santo André zum Trainingscamp der deutschen Nationalmannschaft fahren will, führt der Weg verlockend nah am blaugrünen Atlantik entlang, vorbei an unzähligen Stränden und Kneipen mit lauter Sambamusik. Alles längst nicht so kommerzialisiert wie auf Mallorca, aber auf die versprochene Magie wartet man trotzdem. Erst wenn man das Indianerdorf Coroa Vermelha erreicht hat, verändert sich so langsam das Energiefeld, und man beginnt zu träumen. Wenige Kilometer später kommt man dann am Hafen von Cabrália an, dort, wo die Fähre dich über den breiten Fluss bringen soll, nach Santo André. Alle Wege nach Campo Bahia führen über diese Fähre im Hafen von Cabrália. Da sie keine großen Busse transportieren kann, soll für die deutsche Mannschaft noch schnell eine größere Fähre gebaut werden. Cabrália ist die Endstation für die meisten Touristen, weiter nach Norden, Richtung Salvador, zieht es anscheinend keinen, und das ist auch gut so. Die Einwohner von Santo André wollen allein gelassen werden, denn sie wissen, Städte machen krank, und die Mehrzahl der Touristen lebt in Städten. Diese Menschen haben längst aufgehört, authentisch zu sein, sie brauchen den Lärm, um betäubt zu bleiben, und fürchten sich vor der Stille. Sie können die Ruhe einfach nicht ertragen. Die Fähre trägt so um die acht Autos, zwei Laster und 60 bis 70 Passagiere. Die Überfahrt nach Santo André dauert ungefähr 15 Minuten, es sei denn, die Fähre hat mitten auf dem Fluss Probleme. Da fällt dann schon mal der alte deutsche Dieselmotor aus, oder der sich in leichter Bahia-Trance befindliche Fährmann bemerkt zu spät, dass er nicht genug getankt hat. Dann kann es Stunden dauern, bis man am anderen Ufer ankommt. Der Rio João de Tiba mündet am Hafen von Cabrália ins offene Meer. Uralte Fischerboote liegen dort vor Anker, als ob die Zeit einfach stehen geblieben ist, und warten auf die Stunden vor Morgengrauen, wenn die Fischer noch rechtzeitig vor den überwältigend schönen Sonnenaufgängen hinaus aufs Meer ziehen. Oberhalb des Hafens auf einem Hügel mit Bananen- und Kokosbäumen befindet sich eine Kapelle, wo am 26. April 1500 die erste Messe auf brasilianischem Boden zelebriert wurde, umgeben von Ruinen der ersten jesuitischen Gebäude, über der Dutzende von Geiern kreisen, um geduldig auf ihre Beute zu warten. Nichts hier in Cabrália scheint kommerzialisiert, weder die verschiedenen Gelegenheiten, wo man etwas zu essen bekommt, noch die kleine Fischerei. Man hat den Eindruck, Cabrália interessiert sich nicht für Besucher, und schon gar nicht für laute und oberflächliche Touristen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Oliver Bierhoff diese Magie gespürt haben muss, als er vor einem Jahr zum ersten Mal die Fähre nach Santo André nahm. Dass er dann genauso verzaubert wurde wie die meisten von uns. Denn kaum betrittst du die Fähre, stellst du zu deinem Erstaunen fest, dass du in eine andere Welt hinübergleitest. Vielleicht erinnerst du dich an Siddhartha, den Roman von Hermann Hesse, eine Geschichte über den Sinn und Unsinn des Lebens, der längst zur Weltliteratur zählt. Siddhartha ist am Ziel seiner Suche angekommen, als er den Fährmann Vasudeva trifft, den er bittet, ihn als Gehilfen anzunehmen. Vasudeva, der ebenfalls die Erleuchtung erreicht hat, lehrt ihn, dem Rauschen des Flusses zu lauschen und von diesem zu lernen. Und so zieht Siddhartha nicht mehr rastlos, getrieben und nervös durch das Chaos dieser Welt, denn er hat die Antwort gefunden, nach der er ein Leben lang gesucht hatte. Vielleicht spürte auch Jogi Löw für ein paar Sekunden, als er zum ersten Mal auf der Fähre stand, dass er die Antwort gefunden hatte, dass er angekommen war. Und wie glücklich und erfüllt du dann bist, die wenigen Sekunden, bevor die Pflicht dich wieder ruft. Bevor du dich etwas gequält daran erinnerst, dass du nicht zu den Verlierern zählen darfst. Und im Sport kann es nur einen Gewinner geben, deshalb ist es ja umso schmerzlicher, ins Finale zu kommen und dann doch zu verlieren. Nein, hör auf zu träumen, du kannst dir diesen Luxus höchstens für ein paar Sekunden leisten, danach musst du wieder zurück in die Wirklichkeit, in deine Realität. Denkst du. Glaubst du. Aber bist denn du das überhaupt, der da denkt, oder denkt das ein anderer für dich? Was ist los in deinem Hirn? Wer kontrolliert da eigentlich die Gespräche in deinem Kopf? Und wer ist Herr oder Frau deiner Gefühle? Solch seltsame Gedanken kommen dir auf der Fähre. Der Fähre nach Santo André. Überraschende, gefährliche, befreiende Gedanken. Das Tempo der Fähre beim Überqueren des Flusses ist zeitlupengleich und es hypnotisiert. Du kannst dich dem kaum entziehen. Alles ist ruhig. Vielleicht hörst du in der Ferne ein paar Schüsse. Die Militärpolizei hat dann wahrscheinlich wieder einen Bankräuber oder Drogendealer erwischt. Aber sofort ist wieder Stille. Du bist in Trance und deine Seele erinnert sich, dass es auf dieser Welt noch andere Dinge gibt, als Geld zu machen oder Tag und Nacht auf Gewinne zu spekulieren, nur um dich scheinbar zu bereichern. Und du bist dankbar. Dankbar für dieses Erlebnis jetzt. Du bist verzaubert. Wenn du am anderen Ufer ankommst, sei es nun nach glatten 15 Minuten oder doch nach mehreren Stunden, hat eine Veränderung stattgefunden, und du bist vorbereitet. Auf Santo André. Auf Campo Bahia. Der Zauber von Santo André muss auch Oliver Bierhoff dazu gebracht haben, sich in Brasilien nach dem Abenteuer Campo Bahia zu sehnen. Sehnsucht nach einer Welt, die es bei uns in Europa und auch in Nordamerika schon lange nicht mehr gibt. Sterne, die nachts zum Greifen nahe scheinen, nach diesen Sternen wird auch Oliver Bierhoff sich gestreckt haben, als er zum ersten Mal an der Bucht bei Campo Bahia stand und sich wohl dachte, hier werden wir sein, dies ist der ideale Ort, um uns auf die Weltmeisterschaft vorzubereiten. Hier bist du all das, was du mal hättest sein sollen, bevor die verführerische Welt von Image, Public Relations und Kapital dein wahres Selbst zum Verstummen brachte, dich zum Versuchskaninchen machte und mit auf die oft so unendlich ermüdend sinnlose Achterbahn deines ach so kurzen Lebens nahm. Seit fast 500 Jahren schlummert Cabrália vor sich hin, die erste Hafenstadt Brasiliens, benannt nach dem portugiesischen Entdecker Cabral. Von hier an geht es nur noch mit der Fähre weiter. Oliver Bierhoff muss vorbereitet und verzaubert gewesen sein, als er gemeinsam mit Georg Behlau, dem Leiter des Büros der Nationalmannschaft, den Strand von Campo Bahia betrat, mit sorgloser Miene und lässigem Gang und mit Zuversicht. Sie waren schon seit fünf Tagen unterwegs in Brasilien und hatten Hotels an vier verschiedenen Orten unter die Lupe genommen, wobei natürlich auch Sportplätze und Trainingsmöglichkeiten inspiziert wurden. Doch die Suche war bisher ohne Ergebnis geblieben, weil man noch kein ideales Quartier gefunden hatte, wo der Teamgeist so richtig aufblühen konnte. Man wollte nicht einfach 23 Spieler in 23 Zimmern unterbringen. Aber hier? Da war doch gar nichts. Nur Meer, Strand und ein Dutzend Palmen. Georg Behlau wird Oliver Bierhoff erstaunt angeschaut haben. Wem gehörte dieses Fleckchen unberührtes Land überhaupt? Die Besitzer waren aus München angeflogen gekommen, standen wie zwei relaxte Touristen vor ihrem Grundstück und begrüßten die beiden Herren selbstbewusst und ohne Stress. »Hallo, ich bin Christiane, und das ist mein Mann Christian.« Christiane trug wahrscheinlich einen ihrer Cowboyhüte, Designer-Sonnenbrille, rosaroten Minirock, Cowboy-Boots und weißes T-Shirt und trat sicher ganz ruhig und souverän auf. Ihr Mann Christian, Teilhaber von Hirmer Moden in München, einem erfolgreichen Unternehmen, und Besitzer von Hirmer Immobilien, lächelte mit Sicherheit höflich und bescheiden. Sie hatten beide bestimmt großen Spaß und auch nichts zu verlieren. »Und was wird das alles mal hier? Was soll daraus werden?«, wollte der Leiter des Büros der Nationalmannschaft garantiert wissen. »Vierzehn schöne Häuser mit Swimmingpool und eigenem Restaurant«, antwortete Christian, ohne mit der Wimper zu zucken. »Aha«, nickte Georg Behlau freundlich, aber vielleicht noch nicht ganz überzeugt. Doch dann muss etwas Unvorhergesehenes passiert sein, etwas Magisches. Eine leichte Brise war wohl aufgekommen, wehte langsam vom Meer her auf die Bucht zu, wo die Palmen zu tanzen begannen. Eine stille Melodie des Zaubers soll plötzlich in der Luft gelegen haben, und Georg Behlau muss alle Zweifel über Bord geworfen haben und schien ganz gefangen im Bann der guten Geister von Santo André. Christiane und ihr Mann kannten diese Geister bereits, die, wenn sie wollten, auch böse sein konnten, und sie spürten ihre Präsenz und wussten, dass jetzt andere Gesetze am Strand von Santo André herrschten, und sei es nur für Momente, die aber zum Schicksal werden sollten, für die Hirmers, für den DFB, für Oliver Bierhoff und Georg Behlau und auch für mich. »Doch, kann ich mir vorstellen«, sagte Oliver Bierhoff mit...