Buch, Deutsch, 136 Seiten, Paperback, Format (B × H): 155 mm x 220 mm, Gewicht: 228 g
Buch, Deutsch, 136 Seiten, Paperback, Format (B × H): 155 mm x 220 mm, Gewicht: 228 g
ISBN: 978-3-96146-824-9
Verlag: Diplomica Verlag
Welche Umstände führen zu Gewalt gegenüber Fachkräften der Sozialen Arbeit? Liegt es an der auch in dieser Profession schon seit längerer Zeit vorherrschenden Ökonomisierung? Passen die Strukturen einfach nicht? Oder hakt es in der Ausbildung? Es gibt viele Fragen, mit denen sich der Verfasser dieses Buches auseinandersetzt. Dabei stellt er folgende zum Nachdenken anregende These auf: Gewalt gegen Sozialarbeitende ist alltäglich, denn Soziale Arbeit ist eigentlich immer Arbeit im Ausnahmezustand.
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Textprobe:Kapitel 4.1 Begriffsklärung: Alltäglichkeit, Alltag, Routine:Wer sich mit dem Begriff Alltäglichkeit intensiver auseinandersetzt39, wird einige wissenschaftliche Beiträge dazu finden. Vor allem Soziologen, wie Pierre Bourdieu, Anthony Giddens oder Alfred Schütz haben im weitesten Sinne zu diesem Thema geforscht. Aus sozialpädagogischer Sicht gelangt man zwangsläufig zum Alltagsbegriff der Lebensweltorientierung bzw. zur alltagsorientierten Sozialpädagogik von Hans Thiersch. Hiernach spielt der Alltag der Klient*innen eine wesentliche Rolle und liefert wichtige Anknüpfungspunkte für Fachkräfte der Sozialen Arbeit, mit dem Ziel eines gelingenderen Alltags der Klientel. So gilt im Konzept der Lebensweltorientierung eine vertraute Alltäglichkeit als verlässlicher Anhaltspunkt für die Entwicklung von Bewältigungskompetenzen Thiersch (2006: 21) nennt zwei wesentliche Faktoren des Alltags: Alltäglichkeit und Alltagswelten. Er beschreibt die Alltäglichkeit als "generell geltende Verstehens- und Handlungsmuster im Alltag" und die Alltagswelten als "konkrete Lebensfelder, in denen Alltäglichkeit sich darstellt." Bis hierhin betrachtet wäre eine Alltäglichkeit von Gewalt gegen Sozialarbeitende nicht zwingend negativ konnotiert, geht es doch um generelles Verstehen und Handeln in konkreten Lebensfeldern; also dem täglichen Brot der Sozialen Arbeit. Alltäglichkeit ist laut Thiersch (2006: 25) auch ein "buntscheckiges, widersprüchliches Gemenge", geprägt von Verantwortlichkeit und Zuständigkeit, aber auch von Routinen und Entlastungen. Wobei Routinen und Erfahrungen auch einschränkend wirken, da es durch diese womöglich an der nötigen Offenheit fehlt, neue Arrangements zu treffen (vgl. ebd.). Möglicherweise mag also eine gewisse Routine in der Erfahrung mit Gewalt gegen die eigenen Fachkräfte dazu beitragen, dass die nötige Offenheit im System Soziale Arbeit fehlt, um dem Phänomen entsprechend (anders oder besser) zu begegnen; also neue Arrangements zu treffen. Dies wird erschwert, da Routinehandlungen eine fundamentale Bedingung menschlicher Existenz darstellen und "Menschen aus einer Art innerer Ökonomie dazu neigen, für den immer wieder notwendigen Umgang mit Personen, Dingen oder Situationen Gewohnheiten oder Routinen auszubilden, sie also zu habitualisieren" (Gukenbiehl 2008: 151, zit. n. Frommann 2014: 41). Möglichkeiten aus dieser Gewohnheitsbildung im Sinn des automatisierten Handelns herauszubrechen bieten erst besondere Umstände oder Situationen: "Erst in Situationen von Krisen42, problematischen Handlungssituationen und -umständen oder auf Befragung43 hin holt der Akteur das handlungsrelevante Wissen in das diskursive Bewusstsein." (vgl. Giddens 1997: 56, zit. n. Frommann 2014: 42) In der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit findet sich, neben der hermeneutischen Tradition (Rekonstruktion von Verstehen und Verständnis) in Verbindung mit der interaktionistisch- phänomenologischen Tradition (Analyse der Grundstrukturen des Sozialen), auch die kritische Alltagstheorie (Kosik 1967; Bourdieu et al. 1997) wieder. (vgl. Grunwald und Thiersch 2016: 32f.) Diese betont, "(...) den Zusammenhang von Gegebenem und Gelingenderem, der notwendig, aber schwierig und widersprüchlich ist. Alltäglichkeit ist 'das Dämmerlicht von Wahrheit und Täuschung' (Kosik 1967), also die Zweideutigkeit einer Wirklichkeit, in der sich die Tendenzen der Handlungsfähigkeit und Sicherheit mit den in Routinen und Pragmatismus immer auch gegebenen Borniertheit und Verengungen ebenso vermitteln wie mit ihrer 'Destruktion' (Kosik 1967) und der Anstrengung, diese in Kampf und Hoffnung zu überwinden." (Grunwald und Thiersch 2016: 34f.) Somit wird Alltäglichkeit als etwas Widersprüchliches verstanden. Sie gibt nicht nur Sicherheit durch entlastende Routinen, sondern erzeugt auch eine gewisse Enge und Unbeweglichkeit, die eine Weiterentwicklung verhindern. Schafft man es aber diese "Borniertheit" zu durchbrechen, bietet sich die Chance für einen gelingenderen