E-Book, Deutsch, 335 Seiten
Lotter (Alb-)Träume vom ewigen Leben
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8288-6868-7
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Das Versprechen der Unsterblichkeit
E-Book, Deutsch, 335 Seiten
ISBN: 978-3-8288-6868-7
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Dass die Menschen sterblich sind, ist keine neue und überraschende Erkenntnis. Was dagegen immer aufs Neue überrascht, ist die große Zahl derjenigen, die das nicht wahrhaben wollen und von einem ewigen Weiterleben träumen: nicht nur in einer jenseitigen Welt nach ihrem Tode, sondern auch (und immer häufiger) in der wirklichen Welt, in der Krankheit, der Prozess des Alterns und der Tod besiegt sind.
Der Traum vom ewigen Leben ist einer der ältesten Träume der Menschheit. Er wird in den Manifesten des Transhumanismus aus dem Silicon Valley noch genauso geträumt wie bei den Pharaonen im Alten Ägypten. Verändert hat sich nur die Form
der Träume: Sie hat sich von den Mythen und Religionen, von den Märchen und Sagen zur Philosophie und Utopie und schließlich zur Wissenschaft und Technologie verschoben.
In 22 Kapiteln wird den Motiven und Interessen nachgespürt, die den Verheißungen ewiger Jugend und individueller Unsterblichkeit zugrundeliegen.
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Einleitung
Dass die Menschen sterblich sind, ist keine neue und überraschende Erkenntnis. Was dagegen immer aufs Neue überrascht, ist die große Zahl derjenigen, die das nicht wahrhaben wollen und von einem ewigen Weiterleben träumen: entweder in einer jenseitigen Welt nach ihrem Tod oder (und immer häufiger) in der realen, der diesseitigen Welt, in der Krankheit, der Prozess des Alterns und der Tod besiegt sind. Der Traum vom ewigen Leben – von einem ewigen Leben ohne Not und Sorge – ist einer der ältesten Träume der Menschheit. Er wird in den gegenwärtigen Manifesten des Transhumanismus genauso geträumt, wie dies schon vor Jahrtausenden der Fall war. Belege dafür lassen sich aus allen Epochen der Geschichte, aus allen Ländern und Kulturen anführen. Verändert hat sich nur die Form dieser Träume; sie hat sich von den Mythen, den Religionen und Märchen zur Philosophie und Utopie, später zur Wissenschaft und zur Technologie verschoben.
Als „Kritik der Unsterblichkeit“ kann dieses Buch insofern verstanden werden, als es die Motive und Interessen aufdeckt, die in den „Erzählungen“ vom ewigen Leben zum Ausdruck kommen. Dabei geht es um ein Doppeltes: zum einen um die Interessen jener, die ein Bedürfnis nach einem nicht endenden Leben haben, zum anderen um die Interessen derjenigen, die Mittel und Wege anbieten, um dieses Bedürfnis zu befriedigen, oder die dies zumindest versprechen. Auf dem Markt der Unsterblichkeit tummeln sich Mythen- und Märchenerzähler, Religionsstifter, Philosophen, Seelentröster und Erzieher, aber auch Betrüger und Scharlatane, Geschäftemacher und Machtmenschen, die persönliche Vorteile anstreben und die Menschen unter ihre Kontrolle bringen möchten. Wo die Grenzen zwischen ihnen verlaufen, ist im Einzelfall oft nicht genau zu bestimmen. Je größer die Angst vor dem Tod und das Bedürfnis nach Unsterblichkeit, desto größer ist die Bereitschaft, sich über das Faktum der Sterblichkeit hinwegzutäuschen und zum Opfer falscher Verheißungen zu werden. Da die vorliegende Abhandlung auf die Interessen der Angebotsseite konzentriert ist, möchte ich zunächst die Frage streifen, aus welchen Motiven und Interessen heraus überhaupt das Bedürfnis nach einem ewigen Leben entsteht.
Versuche, den Wunsch nach dem ewigen Leben zu erklären
Allein aus den Instinkten der Selbsterhaltung oder dem Zurückschrecken vor Lebensgefahren, die die Menschen mit anderen Lebewesen teilen, ist der Wunsch nach Unsterblichkeit nicht zu erklären. Eine zentrale Voraussetzung ist vielmehr das Bewusstsein des Todes, das Wissen um die eigene Endlichkeit, das die Menschen vor anderen Lebewesen auszeichnet. Dieses Bewusstsein hat nicht immer existiert. Es ist im Laufe der Evolution, im Prozess der „Menschwerdung des Affen“ entstanden: durch Erfahrung und Erinnerung, durch das Vermögen, Rückschlüsse zu ziehen (vom Tod anderer auf den eigenen Tod), und die Fähigkeit, in die Zukunft hinein zu planen und zu handeln.
Am einfachsten (und in positiver Hinsicht) wäre der Wunsch nach einem ewigen Leben durch ein gesundes, sorgenfreies und erfülltes Leben zu erklären, das man in aller Zukunft fortsetzen möchte. Damit aber wäre er auf einige wenige vom Glück Begünstigte beschränkt, zumindest jedoch auf jene Lebensspanne, in der die Lebensfreude überwiegt und das Leben nicht infolge physischer und psychischer Beschwerden als Last empfunden wird. Nicht zuletzt nährt sich der Traum vom ewigen Leben aus der Verklärung der Vergangenheit, die im Alter oft stattfindet. Aus den Elegien über den Verlust goldener Zeiten, zumal der Kindheit und Jugend, erwächst der Wunsch, dorthin zurückzukehren und sie für immer festzuhalten. Umgekehrt (und also in negativer Hinsicht) wäre der Wunsch nach dem ewigen Leben aus der Furcht vor dem Tod abzuleiten, von der tatsächlich alle Menschen betroffen sind – verbunden mit der Ungewissheit, was nach dem Tod kommt. Von dieser Todesfurcht berichten schon die ältesten schriftlichen Überlieferungen. So ist es die Panik, die Gilgamesch beim Tod seines Freundes Enkidu ergreift, die ihn veranlasst, sich auf den Weg zu Uta-napischti zu machen, um von ihm das Geheimnis des ewigen Lebens zu erfahren. Auch Achilles, dem Odysseus auf seiner Heimreise aus Troja in der Unterwelt begegnet, schildert den Schrecken des Todes:
„Preise mir jetzt nicht tröstend den Tod, ruhmvoller Odysseus.
Lieber möchte ich fürwahr dem unbegüterten Meier,
Der nur kümmerlich lebt, als Tagelöhner das Feld baun,
Als die ganze Schar vermoderter Toten beherrschen.“1
So fürchterlich war, was die Griechen im Hades erwartete, dass sie sogar das Leben als elende Tagelöhner dem Tod vorzogen. Dabei hatten sie vor dem Tod selbst, den sie sich, wie man aus Lessings Traktat Wie die Alten den Tod gebildet (1769) weiß, als „Schlafes Bruder“ vorstellten, keine Furcht. Ihre Sorge war vielmehr darauf gerichtet, nach ihrem Tod ordnungsgemäß bestattet und nicht etwa von streunenden Hunden zerfleischt zu werden. Darauf ist die letzte Bitte des sterbenden Hector an Achilles gerichtet, der ihn im Zweikampf vor den Toren von Troja besiegte2 – die Seelen der Unbestatteten fanden nach griechischer Überzeugung im Jenseits keine Ruhe.
„Leben“ heißt für viele Menschen, ein Ziel zu verfolgen, ein (Lebens-)Werk zu vollenden. Ein weiteres Motiv für den Wunsch nach Unsterblichkeit wäre daher die Absicht, eine angefangene Aufgabe zu einem (unbestimmten, offenen) Ende zu bringen. Denkbar ist aber auch das bloße Warten auf ein ultimatives Ereignis, das dem Leben Sinn zu geben (also es lebenswert zu machen) verspricht, aber noch nicht eingetreten ist. Auf eine verquere und ins Christliche gewendete Weise liegt dieser Gedanke der Forderung Kants nach der Unsterblichkeit als einem „Postulat der praktischen Vernunft“3 zugrunde: Sein Ausgangspunkt ist nicht der konkrete Wille, ein Werk zu vollenden, sondern die Unsterblichkeit selbst, ohne die die unendliche Annäherung an die Erfüllung der Pflicht, die dem Menschen in Form des kategorischen Imperativs auferlegt ist, nicht stattfinden kann. Das menschliche Leben ist einfach zu kurz, um das höchste Gute, die „völlige Angemessenheit des Willens … zum moralischen Gesetz“ zu erreichen.
Oftmals ist der Wunsch nach einem ewigen Leben mit der Hoffnung auf eine ausgleichende Gerechtigkeit verknüpft: Was im Diesseits an Elend und Ungerechtigkeit erfahren wird, soll im Jenseits kompensiert werden – man will nicht umsonst gelitten haben. Manchmal rührt der Wunsch, sein Leben über alle natürlichen Grenzen hinaus zu verlängern, auch einfach aus dem Unvermögen, sich ein Leben und eine Welt vorzustellen, in der man nicht mehr dabei ist. „Im Grunde“, schreibt Sigmund Freud, „glaube niemand an seinen eigenen Tod oder, was dasselbe ist: im Unbewußten sei jeder von uns von seiner Unsterblichkeit überzeugt“4. Damit zusammen hängt wohl auch die Überzeugung mancher Menschen, speziell von „Führungskräften“, die in die nachfolgende Generation kein Vertrauen haben, dass es ohne sie „nicht geht“.
Neueren Datums ist der Wunsch nach Selbstbestimmung, der ebenfalls zu einem Motiv für den Traum vom ewigen Leben geworden ist. Die Herrschaft der Natur über die Vernunft, die im Tod so offensichtlich zutage tritt, wird als eine „Demütigung“ erlebt. Wie wir aus ärztlicher Diagnose wissen, sterben die Menschen an Herzversagen, Lungenkrebs oder Gehirnschlag, nicht aber, weil sie prinzipiell sterblich sind. Dass gerade diese speziellen Ursachen noch nicht ausreichend erforscht sind und keine entsprechenden Mittel bereitstehen, um sie zu bekämpfen, wird als Mangel empfunden. Es liegt in der Logik des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, dass mit dem Mangel auch die Demütigung überwunden und die Entscheidung über die Dauer des eigenen Lebens in die Hand des Menschen gelegt wird. Der Sieg über den Tod wäre gewissermaßen der Endsieg des Menschen in seinem Kampf zur Beherrschung der Natur.
Varianten des Traums vom ewigen Leben
Es gibt verschiedene Varianten, in denen der Traum vom ewigen Leben geträumt wird. Zum einen geschieht dies in der Form eines nicht endenden irdischen Lebens, in dem die Menschen immer älter werden, der Tod also keine Macht mehr über sie hat. Zweitens gibt es die Vorstellung einer Wiederauferstehung, bei der der Tod die Grenze zwischen endlichem und unendlichem Leben bildet, das irdische nur die Einleitung oder das Vorspiel zum außerirdischen Leben darstellt. Eine dritte Variante ist die Seelenwanderung, bei der das ewige Leben auf die Seele beschränkt bleibt, die immer wieder geboren wird und sich in immer neuen Wesen verkörpert. Viertens findet sich die Form der Rückkehr zur Jugend, so dass der Kreislauf von Jugend, Reife und Alter wiederholt durchlaufen wird. Sobald im Alter von 50 oder 60 Jahren die Krankheiten und Altersbeschwerden beginnen, baden die Menschen im Jungbrunnen und werden wieder 20 oder 30. Jüngeren Datums ist fünftens der Gedanke an Cyborgs, Hybridwesen oder virtuelle Wesen. Hier wird das menschliche Gehirn über eine Schnittstelle mit einem Computer verbunden, gescannt und auf einem digitalen Medium gespeichert („Mind-Uploading“). In der Folge besitzen die Menschen dann eine ewige virtuelle Existenz, oder aber ihr gespeichertes Gehirn wird in neue, unverwüstliche Maschinenkörper implantiert. Zuletzt begegnet uns der Traum vom ewigen Leben in Form der medizinischen Utopie, in der alle Krankheiten kuriert, der Prozess des Alterns gestoppt, die Menschen mit organischen Ersatzteilen versorgt werden.
Anzumerken ist bei all dem, dass der Begriff des ewigen...




