E-Book, Deutsch, 164 Seiten
Reihe: Frieling - Erinnerungen
Lübcke Wer rastet, der rostet
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8280-3726-7
Verlag: Frieling & Huffmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Notizen einer Odyssee ohne Rückfahrkarte
E-Book, Deutsch, 164 Seiten
Reihe: Frieling - Erinnerungen
ISBN: 978-3-8280-3726-7
Verlag: Frieling & Huffmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
„Immer nach vorn sehen, gestern kannst du nicht mehr ändern. Nie aufgeben, gesunde Sturheit an den Tag legen, doch flexibel bleiben und vor allem nie den Spaß dabei vergessen, denn man lebt nur einmal.“ (Bernd Lübcke)
Ein Leben, das so viele Lebensstationen umfasst wie das Leben von Bernd Lübcke, kann keine Langeweile aufkommen lassen. Die Liebe zur Bewegung in freier Natur, zur Erkundung anderer Länder und Kulturen sowie zu flotten Motorrädern bleibt für den 1961 am Bodensee Geborenen eine unbändige Triebkraft. Schon seit der Lehre zum Industriekaufmann bei Siemens in Stuttgart wird Europa nebst der Türkei erkundet, doch beruflich startet er bald durch in die ach so unüberhörbar rufende Welt, angefangen mit Kuwait und Saudi-Arabien. Die durch den ersten Golfkrieg erzwungene Rückkehr nach Deutschland währt nur kurz. Inzwischen Vater, zieht der Rastlose mit der kleinen Familie weiter nach Indonesien, aber die Ehe hält den kulturellen Herausforderungen nicht stand. Freundschaftlich getrennt und mit stetigem Kontakt zum Sohnemann findet er eine neue Liebe und zieht reichlich unkonventionell mit dieser, garniert mit vielen Motorrad- und sonstigen Reisen durch sich steigernde Verantwortungen und mehrere Revolutionen nach Vietnam, Thailand, Malaysia, Dubai, Libyen, Ägypten …
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Sturm-und-Drang-Zeit
Mit siebzehn fange ich an, nicht nur gesteigerten Wert auf das andere Geschlecht zu legen, sondern mir auch Gedanken über meine Zukunft zu machen, was in eine Lehrstelle als Industriekaufmann bei der Siemens AG in Stuttgart mündet. Nicht weil ich weiß, was das ist, sondern eher weil mir einerseits kein besserer Job einfällt und mir andererseits da schon klar ist, dass ich definitiv die Welt sehen will und diese Kombination ein möglicher Weg dazu ist. Warum man ausgerechnet mich von 240 Bewerbern auf eine von zwölf Stellen erwählt, gehört wohl eher ins Land der Mythen. Wie auch immer, ab dem 1.9.79 müssen die mich aushalten. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, stimmt! Doch nichts hindert einen daran, sie sich angenehm zu gestalten, oder? Nicht zwingend geplant, doch perfekt getimt kommt Claudia, die hübsche, feurige, zierliche Sizilianerin, in Gestalt meiner ersten (fünf Jahre älteren) Ausbilderin in Reichweite. Hals über Kopf verknallt ziehe ich alsbald bei ihr ein, was neben drastischer Reduzierung meines täglichen Weges zur Arbeit vor allem in teils äußerst turbulenten emotionalen Berg-und-Tal-Fahrten mündet. Na ja, es hält bis fast ans Ende der Lehre und ist definitiv nie langweilig! Und dann sind da am Ende noch die sechs Wochen Werksausbildung in Berlin. Vom Schlafplatz im Kneipengarten bis zum Hippiegirl im dritten Hinterhof mit Zwischenstockklo wird alles ausprobiert, was nicht schnell genug flüchtet. Kaum achtzehn, kommt dann auch der Führerschein. Muttern nimmt mit steigendem Entsetzen meine Vorliebe für schnelle Mopeds wahr und bietet mir listig und im Wissen meiner finanziellen (Un-)Möglichkeiten einen Deal an. Sie gibt mir 800 Mark, um den Autoführerschein zu machen, vorausgesetzt ich mache nicht den Motorradschein. Was soll ich sagen, das Moped-Feuer im Blut gewinnt den internen Disput und ich finde einen Fahrlehrer, der mir beides bei absoluten Minimumstunden für 840 anbietet. Gesagt, getan, 40 Mark kann ich mir leisten und was sie nicht weiß … Schande über mein Haupt! Mangels Geld ist ein größeres Moped sowieso erst mal unter „Traum“ abgebucht, also nehme ich meinen ersten und bis dato (fast) einzigen Kredit auf, um mir eine gelbe gebrauchte Ente (Citroën 2CV) zu gönnen. Offenes Dach, cooler Stil (den ich innen dann auch gleich mit schwarzem Plüsch fokussiere) und alte Turnschuhe auf den Höckern der vorderen Stoßstange, fertig ist das Playmobil. Erster Trip, einen Monat später mit Schwesterherz nebst Herzblatt sowie Kumpel Jogi ab nach Italien. Ich bin der einzige Fahrer und fahre die erste Nacht gleich durch. Doch wir haben diverse Dispute, die uns drei Tage später (Heilbronn – Piombino – Heilbronn) wieder zuhause sehen. Danach kann ich dann wenigstens einigermaßen fahren! Am Tag, als Claudi Schluss macht, fahre ich heim zu Muttern und – finde sie in Tränen. Hans hatte nach rund zehn Jahren anscheinend dieselbe Idee und wir trösten uns gegenseitig. Bald darauf ist die Lehre fertig und ich werde im Januar 1981 ausgerechnet nach Heilbronn versetzt, also wieder kurzer Weg zur Arbeit, bin ja wieder zuhause. Meinem ersten Chef Andreas werde ich seiner Aussage nach kryptisch wie folgt angekündigt: „Er ist gut, doch irgendwie komisch und schwer zu bändigen.“ Was eine Ansage! Andreas nimmt’s locker, er ist cool drauf! Muttern fällt dann zwangsweise aus allen Wolken, als plötzlich im Frühjahr eine Yamaha XS 750, auf 900 ccm aufgebohrt, vor der Tür steht. Nun in Lohn und Brot und mittels einer kleinen Erbschaft kann ich einfach nicht mehr an mich halten. Ihre Reaktion war klar und aus ihrer Sicht logisch: Du musst ausziehen! Logo, dann kann ich mir die Kiste nicht mehr leisten. Weiß nicht mehr wie, doch ich kann den totalen Gau abwenden und tausche die angeschlagene Dreizylinder gerade zwei Monate später in eine Kawasaki Z 1000 ST mit Kardanantrieb und Vollverkleidung um. Muttern war gerade auf Kur. Als sie zurückkommt und ich ihr eröffne, dass der 280 kg schwere Riesenelefant unten im Hof der neueste Familienzuwachs ist, ist sie direkt fällig für die nächste Kur. Meine damaligen 52 kg Gegengewicht waren da wohl nicht wirklich überzeugend. Jup, arme Mullemaus hat schon was mitmachen dürfen. Doch mal kurz unter Gebetsbrüdern – die Kiste mit mir Federgewicht obendrauf schafft 225 km/h und auf der damals noch aus der Hitlerzeit stammenden Betonplattenautobahn (Heilbronn – Stuttgart) hebt das Hinterrad bei jeder gröberen Nut zwischen den Platten regelmäßig ab (Drehzahlmesser ab ins Rote). Nur über die Geschwindigkeit zwischen ca. 195 und 200 muss man schnell kommen, da fängt sie an zu schlingern. Anfang der 80er der absolute Wahnsinn, die Kiste! Im Herbst 82 ist es dann so weit, Versetzung nach Ulm, endlich die erste eigene Bude. Mein 26-qm-„Wohnklo“ hat Weinkisten an der Wand als Regale, sechs strategisch verteilte Autolautsprecher für den rechten Ton und die Einrichtung stammt vom Sperrmüll oder aus dem Wald (selbstgemachter Wurzelstock als Tisch). Zum Kühlschranköffnen muss ich aus der Küche austreten, kein Platz, doch – Freiheit! Hm, nicht ganz, da ich im Sommerkroatienurlaub Luisa aus Mailand intensiver kennenlernte, die ich dann dort mit der Kawa auch absetze. Im November eröffnet sie mir, dass sie nach Ulm kommt, um Deutsch zu lernen. Freiheit schon wieder ade? Keine Chance, ich hab Blut geleckt, also geht das in meinem kleinen Einzimmerwohnklo nicht lange gut. Überhaupt, das Reisen. Das Konto war vor allem durch die Mopeds (alle 3000 km neuer Hinterreifen – aua!) regelmäßig bis spätestens August leer. Das bis November entstandene Loch musste dann im Winterschlaf durch billigst verfügbare Aldi-Ernährung mit Hansapils und Feuertopf ausgeglichen werden. Mangels Masse wird der Drang nach draußen im Sparmodus verwirklicht, doch raus geht es, keine Frage! 1983 mit der Ente nach Schweden. Zwei Autos, vier Mann und jede Menge Biervorrat dabei – na ja, der ist nach ein paar Tagen weg und dort sprengt der erste Einkauf schon weidlich das Budget. Geläutert und noch knapper geht‘s 84 mit der Bahn über Jugoslawien (Grenzer: „Dein Pass ist seit sechs Monaten abgelaufen!“) nach Griechenland (Ad-hoc-Plan, den Pass im Deutschen Konsulat in Thessaloniki zu verlängern, war okay mit den Jungs! Deutscher Konsul: „Wie sind Sie denn hierhergekommen?“) und in die Türkei. In Thessaloniki kann man einen Pass noch mit der Schreibmaschine verlängern. Flexibel muss man sein! In der Türkei erlebe ich das erste Mal, wie Menschen reagieren, wenn man alleine unterwegs ist – unglaublich gastfreundlich, hilfsbereit und einfach offen! Ein alter, gebrauchter US-Army-Schlafsack ist genug, geknackt wird am Strand (der ist damals noch nicht verbaut), in Feldern, Höhlen und was ich sonst so finde. Per Bus und Anhalter geht‘s am Mittelmeer bis fast nach Syrien und über Zentralanatolien und das Schwarze Meer zurück. Unvergessen und bei vier Wochen mit 450 Mark inklusive Bahnticket voll im Budget. Im Sommer darauf geht’s dann schon erheblich besser, die 1000er Kawa ist verreckt, die eingetauschte 750er Kawa LTD ist nicht wirklich mein Ding, wird also kaum gefahren und dann recht flott an Uwe abgegeben. Finanzierung ist gesichert, also los … der VW-Bus T2 vom Metzger, mit Wurstsymbolen auf dem eher raren Lack, kommt gerade recht, wird geflickt und mit Baustellenbrettern wohnbar gemacht. Luftmatratzen auf die Bretter, Bier und Nutella drunter und ab geht’s mit Kumpel Nessi ans Nordkap. Wir haben fünf Wochen, keine Uhr dabei und schon bald geht die Sonne nicht mehr unter. Herrliche Landschaften, Einsamkeit, Baden im Gletscherbach (geht nur nach dem Joggen!) und Milliarden von Mücken begleiten uns über Norwegen, Finnland und Schweden zurück nach Kopenhagen, wo wir das erste Mal wieder einen Kalender anpeilen – im Ernst! Ergebnis: Wir haben noch eine Woche! Lösung: Ab nach Berlin – flexibel muss man sein! Gesagt, getan finden wir uns ganz flott mit unserem Bus am Hintereingang des „English Officers Club“ im Schatten unter alten Bäumen ein. Ein paar alte Damen machen zwar einen Bogen, als wir die Spiegeleier auf dem Bürgersteig braten, doch die Bauarbeiter des Clubs haben sich über den Kaffee morgens gefreut! Toilette wird in der „Eierschale“ (siehe „Schlafplatz im Kneipengarten“) zelebriert und geduscht wird nachts um vier im Park unter dem Rasensprenger nach dem letzten Guinness mit Champagner. Dank sei dem Irish Pub und unserem Durchhaltevermögen! Dann kommt die Offenbarung – steht einfach so auf dem Ku’damm rum, Schild im Fenster mit geschlossenen Schlafaugen. Ein schneeweißer VW-Porsche 914. Unangenehm ist, dass auf dem Schild „7000,– D-Mark“ steht, die ich nicht habe. Doch wozu sind Kneipen da – bis ich das auf die Sichtung folgende Etablissement verlasse, steht der Plan fest: kein Geld, keine Zeit mehr – kein Problem! Am nächsten Morgen bin ich auf der Bank, rufe von dort meinen Banker in Ulm an, nehme telefonisch 7000 Mark Kredit auf (Banker: „Kannst ja nächste Woche unterschreiben!“), die nachmittags um vier Uhr cash in meiner...